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Ordnung halten - die besten Tipps für Chaoten

Ordnung halten: Klamottenstapel
© Africa Studio / Shutterstock
Alles muss raus: aufräumen, ausmisten, downsizen – bis von uns selbst nichts mehr übrig bleibt. Wir geben die besten Tipps für Chaoten.

Einmal im meinem Leben war ich Marie Kondo ganz nah. Ich hatte gerade mein erstes WG-Zimmer bezogen, und die 16 Quadratmeter waren in einem zenmeisterlichen Zustand: eine Matratze, eine Grünpflanze, ein Kleiderständer, ein Schwarz-Weiß-Poster. So pur, so perfekt, genau, wie es die japanische Aufräumqueen heute propagiert. Eine Woche später kam der Rest per Beiladung aus meiner Heimatstadt, und prompt war Schluss mit der reinen Leere: Teenie-Tagebücher, Fotoalben, zerlesene Paperbacks und neonfarbene Stretchoberteile fluteten den Raum, und mit den vertrauten Dingen kam auch das Heimatgefühl zurück. Krempel statt Tempel, stapelweise Ich.

Was mache ich hier eigentlich? Vor dem Aufräumen sollte man die eigenen Gedanken sortieren

Damals war ich 20, und wenn ich mich umsehe, habe ich den Eindruck: Je mehr Leben wir alle auf dem Buckel haben, desto manischer versuchen wir, diesen unbefleckten Urzustand des ersten WG-Zimmers wieder herzustellen. Minimalismus-Blogs haben Konjunktur, im Kino stellt sich Florian David Fitz die Frage, ob er mit "100 Dinge" leben kann, Aufräum-Queen Kondo verkauft Millionen von Büchern und ihr Know-how auf Netflix. Am Ende spiegeln sich erleuchtete Mienen in blitzblanken Schreibtischplatten. "Minimize me" statt "Supersize me". Spricht ja auch nichts dagegen, Bettwäsche in vertikalen Päckchen zu ordnen. Aber vorher lohnt es sich, die eigenen Gedanken zu sortieren: Was mache ich hier eigentlich, wem tut das gut?

Schaffen wir bloß Platz für Neues? Gründe für unseren Aufräumdrang

Erstens: Der ständige Selbst-Sale hat eine wenig nachhaltige Kehrseite. Denn was von vorn so clean aussieht, schafft durch die Hintertür Platz für die nächste Ladung Zeug. Weg mit allem, das keine Freude macht? In den Altkleidersack mit den spießigen weißen Blusen – bis zum nächsten Job mit formellerem Dresscode, für den wir ruck, zuck alles nachkaufen. Je mehr man ausmistet, desto heißer dreht das Konsumkarussell.

Zweitens: Häufig ist der radikale Kahlschlag nichts als ein Versuch, sich seiner Vergangenheit zu entledigen. Dann muss zum Beispiel alles gehen, das an die verflossene Liebe erinnert. Oder bloß an die Tatsache, dass wir älter werden und dabei Zeug ansammeln. Aber vor sich selbst weglaufen ist schwierig – erst recht in den eigenen vier Wänden. Wenn Bekannte stolz posten, dass sie Hunderte von Büchern losgeworden sind, überkommt mich ein Frösteln. Ich mag es sogar ganz gern, wenn Regale oder Schmuckkästchen die eigene Biografie spiegeln: Ach, schau, diese Muranoglasente, das war doch auf diesem ersten Venedig-Trip, unser Hotelzimmer hatte hässlichen Linoleumboden und lag am Kanal ...

Aufräumen aus Angst vor dem Chaos in der Welt: Aufgeräumter Klamotix statt ungeordneter Brexit

Und es gibt noch einen dritten, fragwürdigen Grund dafür, wenn alles raus muss. Ich glaube nämlich, dass viele Hardcore-Aufräum-Athleten vor allem tun, was sie tun, weil sie Angst haben. Angst vor dem Chaos in ihrem Kopf, Angst vor dem Chaos in der Welt, der maximalen Schlagzahl der Technik, politischer Unberechenbarkeit und all dem, was aus dem Netz ungefiltert auf unsere Displays schwemmt. Aufräumen ist wie Sandsäcke auf dem Deich stapeln, wenn Sturmflut droht: Wenigstens bei mir ist alles in Ordnung. Geordneter Klamoxit im Kleiderschrank statt ungeordneter Brexit. Es gibt da diesen Kipppunkt, wie beim Abnehmen: Gesund ein paar Pfunde verlieren, super Sache, so lang der Blick auf die Waage nicht zur Manie wird und die Kalorienzähl-App nicht zur Obsession. Es soll in westlichen Großstädten Leute geben, die morgens allen Ernstes den Satz sagen: "Ich hab nichts anzuziehen", und den auch wirklich so meinen.

Das kann mir nicht passieren: Ich lebe prima mit meinen fünf weißen Blusen aus den Nullerjahren, den ollen Töpfen aus der WG-Zeit und Bettwäsche aus der Ikea-Kollektion von 1995. Nur die Neon-Stretchoberteile – die mussten wirklich mal weg.

Noch mehr zum Thema Aufräumen? Wir verraten alles über Death Cleaning, übers Wohnung ausmisten, die Konmari-Methode und wie ihr durch all das Ballast loswerden könnt. 

Videotipp

BRIGITTE 12/2019

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