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Bas Kast und sein Ernährungskompass

Ein Fast-Food-Junkie schreibt einen Bestseller über Ernährung. Wie kam es dazu? Ein Interview mit dem Autor Bas Kast.

Sie haben früher morgens Schokolade gegessen und Chips zum Abendbrot ...

BAS KAST: Stimmt, ich habe früher gegessen, was ich wollte – leider war das größtenteils Junkfood. Ein gar nicht so unüblicher Tag sah wie folgt aus: Scho­kolade und Milchkaffee zum Frühstück, mittags eine Packung Schinken, zwischendurch Kaffee und ein Snickers und dann Chips zum Abendessen, die ich mit Bier heruntergespült habe. Heute ist mir das peinlich. Aber damals habe ich mir nicht viel dabei gedacht. Ich habe mich fit gefühlt, war auch nie wirklich fett, bis auf einen Schwimmring an der Hüfte, der auch mit viel Joggen nicht wegging.

War Ihnen bewusst, wie extrem ungesund Sie sich ernährten?

Ja, schon. Ich habe auch durchaus öfter gedacht, dass ich mehr Gemüse essen sollte, es manchmal auch versucht, aber nicht lange geschafft. Dann war ich jog­gen, als ich nach einem massiven Stich in der Brust stehen bleiben musste. Es war, als würde eine stählerne Hand mein Herz umschließen und zusammendrücken. Wirklich beängstigend und bedrohlich in einem existenziellen Sinne. Man steht da, vollkommen hilflos und denkt: Hoffent­lich kommst du diesmal noch davon!

Wie haben Sie dann geschafft, woran so viele Menschen scheitern – Ihre Ernährung wirklich grundlegend zu verändern?

Ernährung, der ganze Lebensstil, ist etwas, an das man sich gewöhnt und das sehr komfortabel sein kann. Einige nehmen lieber einen Medikamentenmix gegen Diabetes, als nur ein bisschen anders zu essen. Ich habe so lange an mei­nen Gewohnheiten festgehalten, wie es ging. Was mich zum Handeln gebracht hat, war eine Mischung aus Angst und dem langsam dämmernden Bewusstsein, dass es so nicht weitergehen kann. Das war vielleicht die wichtigste Kompo­nente: dass ich einen Leidensdruck hatte, von innen heraus motiviert war. Außer­dem war ich gerade zum ersten Mal Vater geworden und dachte: Verdammt, wie wird das bloß in einigen Jahren sein? Würde ich mehr und mehr zu einem kör­perlichen Wrack werden? Würde ich mit meinem Sohn noch herumtoben und zum Beispiel Fußballspielen können?

Und wie haben Sie losgelegt?

Der letzte Impuls kam von meiner Schwester. Sie hatte nach der Geburt ihres zweiten Kindes abgenommen und sprach ständig über gesunde Ernährung. Sie joggte mir an jenem Tag regelrecht davon und sah so fit, schlank und cool aus! Ich war beeindruckt. Inspiriert durch sie habe ich dann von einem Tag auf den anderen das ganze Junkfood wegge­schmissen und versucht, nur noch natur­belassene Lebensmittel zu essen: Gemüse, Obst, Nüsse, Salate. Ich fühlte mich erstaunlich schnell besser und fitter.

Und die Herzschmerzen?

Verschwanden nach einigen Monaten. Im Alltag entscheidender für mein Wohlbe­finden aber war, dass auch die Kopfschmerzen, die ich früher fast täglich hatte, weg waren. Bis dahin hatte ich Aspirin fast wie Vitamine geschluckt. Ach ja, und ich nahm ab, ungefähr zehn Kilo. Der Rettungsring schmolz dahin, obwohl das gar nicht mein Ziel war. Meine Klamotten wurden mir zu groß. Ich kaufte neu, damals noch mit einem mulmigen Gefühl, weil ich mir nicht sicher war, wie lange ich auf diesem Trip bleiben würde.

Was wussten Sie damals über gesunde Ernährung?

Das übliche oberflächliche Standardwis­sen. Ich fing dann an zu recherchieren und lesen und war natürlich erst einmal irritiert von all den widersprüchlichen Empfehlungen.

Und das war der Moment, als Sie entschieden, sich durch alle wichtigen Ernährungsstudien durchzuarbeiten?

So in etwa. Irgendwie entwickelte ich den Ehrgeiz, mich selbst zu heilen. Ich suchte mir die besten Studien raus, die neuesten Erkenntnisse. Ich wollte das, was ich mei­nem Körper angetan hatte, möglichst rückgängig machen, ihn mithilfe von Wissen verjüngen. Später, bei der Buch­arbeit, ginge es dann mehr und mehr darum, dem Leser einen Überblick zu bie­ten. Dass ein Buch daraus werden würde, war mir aber schnell klar, weil es mich so tiefgreifend bewegte.

"Ich wollte das, was ich meinem Körper angetan hatte, rückgängig machen"

Was war die größte Überraschung bei Ihren zweijährigen Recherchen?

Es gibt so ein paar hartnäckige Mythen, an die ich selber geglaubt hatte, die wis­senschaftlich nicht klar belegt oder sogar widerlegt sind. Zum Beispiel das Kalo­riendogma: Es besagt, dass eine Kalorie eine Kalorie ist, egal, aus welchem Lebensmittel sie stammt. Und damit eng verwandt die These: Fett macht fett. Obwohl beides immer noch behauptet wird, ist es nicht wahr. Oder greift zumin­dest in der Praxis viel zu kurz.

Wir wis­sen heute, dass es nicht nur auf reine Energiebilanz ankommt. Der Körper hat einen Biorhythmus, und so macht es für die Gewichtskontrolle einen Unterschied, wie viel und was man morgens oder abends isst, bei exakt gleicher Kalorienmenge. Eine Kalorie aus einer Omega-3-Fettsäure im Lachs wird außerdem anders vom Körper verarbeitet als eine aus frittierten Pommes. Omega-3 hilft zum Beispiel beim Abnehmen, weil es Entzündungsprozesse hemmt, die bei Übergewicht oft Teil des Problems sind. Die simple physikalische Gleichung: "Wir müssen in erster Linie darauf achten, so viele Kalorien zu verbrauchen, wie wir verzehren", ist irreführend, weil wir komplexe Lebewesen sind.

Das macht eine gesunde Ernährung nicht einfacher, wenn man jetzt auch noch schauen muss, welches sind die gesunden Fette und welches die schlechten ...

Eigentlich ist es ziemlich einfach: Wenn Fett von Pflanzen kommt, ist es gut – also etwa Olivenöl, Rapsöl, Leinöl, Nüsse oder Avocados, weil sie viele ungesättigte Fettsäuren enthalten, die wir zum Beispiel für unsere Zellmembranen und unser Gehirn brauchen. Tierische Lebensmittel dagegen enthalten oft große Mengen an gesättigten Fettsäuren, die tendenziell Entzündungsprozesse ankurbeln und das "böse" LDL-Cholesterin erhöhen – beides Risikofaktoren für einen Herzinfarkt. Eine sehr einfache Faustregel lautet deshalb: mehr Pflanzliches, weniger Tierisches.

Was ist mit Fisch?

Okay, der ist eine Ausnahme. Fetter Fisch wie Lachs, Hering, Makrele oder Forelle enthält viele gesunde ungesättigte Omega-3-Fettsäuren. Käse stufe ich übrigens trotz der gesättigten Fettsäuren als positiv ein. Gereifter Käse enthält zum Beispiel eine verjüngende Substanz namens "Spermidin". Ich gebe zu, es wird etwas komplexer, aber durch die Komplexität bekommen wir mehr Spielraum.

Wie das?

Die Forschung zeigt, dass Menschen unterschiedlich auf die gleichen Lebensmittel reagieren. Das macht es zwar auf der einen Seite komplizierter, weil ich erst meinen Körper und seine Reaktionen kennenlernen und das finden muss, was zu mir passt und was ich täglich durchhalte. Aber damit bekommt man auch eine hilfreiche Auswahl an gesunden Ernährungsstilen. Low-Fat-Diät, Low-Carb, Paleo-Diät, Vegan oder Vegetarisch, Mittelmeer-Diät – all das kann man sehr gesund gestalten. Man muss jetzt schauen, was für einen funktioniert, womit man fitter und schlanker wird und was einem schmeckt.

Es gibt also nicht den einen, richtigen Weg für alle?

Genau. Es ist eine große Schwäche der offiziellen Ernährungsrichtlinien, zum Beispiel der Deutschen Gesellschaft für Ernährung, dass sie immer noch suggerieren, dass es nur eine Form der gesunden Ernährung gibt. Auch Ratgeber, die einem das Gefühl geben, ihre Kostform sei die einzig richtige, halte ich für albern. Das ist auf unproduktive Weise einengend. Jeder Körper ist anders. Das wissen wir ja auch aus der Forschung: Wenn Diäten untersucht werden, sieht man, dass die Leute im Durchschnitt vielleicht sieben Kilo in einem halben Jahr abnehmen. Schaut man sich die Einzeldaten an, entdeckt man, dass es aber auch Menschen gibt, die damit sehr viel mehr abnehmen und umgekehrt welche, die sogar zunehmen. Das ist bei jeder Diät so.

Mein Fazit nach Lesen Ihres Buches: neben den Pflanzen möglichst naturbelassen essen – und alles wird gut.

Ja, für diese komplexe Einsicht habe ich drei Jahre meines Lebens geopfert (lacht). Wir brauchen: gesunde Fette, viel Gemüse, fetten Fisch, etwas Obst. Und Nüsse. Das zeigen zum Beispiel auch Untersuchungen aus jenen Regionen der Welt, wo die Menschen besonders lange leben, den sogenannten "Blue Zones". Es gibt ja diesen Spruch des britischen Biologen Richard Dawkins auf die Frage, warum Wissenschaft besser sei als Religion: "It works, bitches." Wenn man sich an wissenschaftliche Erkenntnisse hält, wird man sich besser fühlen und schlanker sein, das Risiko für Krankheiten senken und den Alterungsprozess zumindest verlangsamen.

Apropos Religion: Essen ist ja für viele eine Art Ersatzreligion geworden. Ist das ein Problem?

Auch so eine bedenkliche Entwicklung. Die Ernährung ist immer mehr zu einem sozialen Merkmal geworden, mit dem man sich abgrenzen will. Damit kann ich persönlich überhaupt nichts anfangen. Zum Beispiel die Leute im Silicon Valley, die gerade alle Keto-Diät machen. Das ist ein albernes Spielchen, bei dem ich eigentlich nicht mitspielen möchte. Aber ich bin ja nun zum Teil des Problems geworden. Neulich wurde ich von einem Magazin als "Ernährungspapst" bezeichnet. Dabei will ich kein Guru sein, ich will die Leute aufklären und dazu ermächtigen, dass sie auf der Basis der vorhandenen Erkenntnisse selbst ihre Entscheidungen treffen. Ich verstecke auch die Widersprüche nicht.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Nehmen wir das Thema Milch: Der Großteil der Forschung gibt grünes Licht für Milch. Aber ich bin nicht wirklich überzeugt, weil die meisten Studien von der Milchindustrie finanziert wurden und weil Milch ein Wachstumsgetränk ist – und Wachstum heißt immer Alterung. Und man weiß, dass Milch mit verschiedenen Krebsarten korreliert. Ich hoffe, dass ich die Sache so transparent mache, dass der Leser mich am Ende nicht mehr braucht, sondern selbst zum Experten geworden ist. Und das ist, glaube ich, auch ein Grund für den Erfolg des Buches: dass die Leser eine gute Übersicht über die belegbaren Informationen bekommen und sich ihre eigene Ernährung zusammenstellen können.

Jetzt haben Sie auch noch ein Kochbuch geschrieben. Wieso das?

Selber zu kochen ist der erste und entscheidende Schritt zu einer gesunden Ernährung. Man macht sich damit unabhängig von der Lebensmittelindustrie, deren Produkte uns dick und krank machen. Ich weiß, Kochen kostet Zeit. Ist das nicht doof? Wir haben heute keine Zeit mehr fürs Kochen, wohl aber für Kochsendungen! Dabei macht das Kochen auch verdammt viel Spaß. Es hat fast etwas Meditatives, wenn ich abends die Küche betrete. Ich habe diese Welt, diese archaisch-sinnliche Welt des Kochens, in den letzten Monaten des Rezepte-Testens lieben gelernt. Ich hoffe, das Kochbuch regt den einen oder anderen noch mal auf ganz praktische Weise dazu an, seine oder ihre Gesundheit selbst in die Hand zu nehmen.

"Ist das nicht doof? Wir haben keine Zeit mehr fürs Kochen, wohl aber für Kochsendungen"

Schokolade gibt es bei Ihnen inzwischen gar nicht mehr?

Doch, aber nur noch die dunkle mit hohem Kakaoanteil.

Bas Kast, 46, hat Psychologie und Biologie studiert, lange als Journalist gearbeitet und mehrere Bücher veröffentlicht. 2018 erschien "Der Ernährungskompass" (320 S., 20 Euro, C. Bertelsmann) und jetzt ganz aktuell "Der Ernährungskompass - Das Kochbuch" (224 S., 22 Euro, C. Bertelsmann). Mehr Infos über ihn findest du unter www.baskast.de.

BRIGITTE 07/2019

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