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Narzissmus in der Familie Wie verhält sich ein Narzisst in der Familie?

Von narzisstischer Familie befreit
© Farknot Architect / Adobe Stock
Narzissmus in der Familie ist keine Seltenheit. Wie verhält sich ein Narzisst in der Familie? Und was kann man dagegen tun? Ein Erfahrungsbericht.

BRIGITTE.de-Leserin Steffi* hat erst den Kontakt zu ihrem Vater und dann zu ihrem Bruder abgebrochen, als sie erkannte, dass er ein Narzisst ist.

"Er meint das nicht so, man muss ihn akzeptieren, wie er ist. Er kann auch echt nett sein." Lange Jahre habe ich diese Erklärung meiner Oma (sie ist die beste der Welt) zum Verhalten meines Bruders akzeptiert – und auch geglaubt.

Unsere schwere Geschichte machte uns zu Verbündeten

Warum? Weil wir beide eine wirklich schwere Geschichte durchgemacht haben. Unsere Mutter erkrankte zweimal an Krebs und erlag schließlich der Krankheit, als wir noch Teenager waren. Die Eltern unseres Vaters, die mit uns unter einem Dach wohnten, starben ebenfalls in den Jahren danach. Unser Vater ist eine sehr schwierige Person: manipulativ, emotional erpressend, sehr egoistisch. Das alles verbündete mich mit meinem Bruder.

Als dann 2017 auch noch unser anderer geliebter Opa verstarb und unser Vater ins Krankenhaus kam und sein Lügengerüst vollends in sich zusammenfiel – wir erfuhren, dass wir pleite waren –, hielt ich es nicht länger aus.

Der Schmerz der Jahre prasselte auf mich nieder, ich verfiel in eine Depression und begann eine Therapie. An dieser Stelle muss ich meinem Bruder zugutehalten, dass er sich um viele organisatorische Dinge kümmerte, während ich den Kontakt zu meinem Vater abbrach.

Die Therapie öffnete mir die Augen

Als ich die Therapie begann, war mir gar nicht bewusst, wie depressiv ich bereits gewesen war. Es dauerte Jahre, alles aufzuarbeiten, aber langsam und sicher merkte ich, wie ich mich veränderte. Ich akzeptierte nicht mehr, wenn man mich nicht mit Respekt behandelte, und ich schloss meinen Frieden damit, dass ich meinem Vater weder helfen noch ihn verändern konnte – und dass der Kontaktabbruch, so schwer er war, für mein Seelenheil wichtig war. Auch mein Umfeld bemerkte, dass ich mich positiv veränderte.

In dieser Zeit fingen die ersten Konflikte mit meinem Bruder an. Zunächst registrierte ich seine Spitzen, das Heruntermachen meiner Persönlichkeit und meiner Entscheidungen deutlicher. Immer öfter begann ich, ihm Grenzen aufzuzeigen und Respekt einzufordern. Er wohnte neben meiner Oma, und wenn wir gemeinsam bei ihr aßen, dachte ich häufig, als alle Anwesenden seinen Geschichten lauschen mussten: "Wann hat er mich eigentlich das letzte Mal gefragt, wie es mir geht?” Und wenn er seine Freunde vor allen anderen runtermachte: “Warum behandelt er seine Freunde so? Sind wir aus dem Alter nicht raus?" Auch auf mir hackte er herum: 

Steffi, was für eine lächerliche Farbe hat deine Handyhülle. Steffi, wieso wohnst du zur Miete, du bist beschränkt. Steffi, wieso nimmst du nicht ab, was du machst, ist kein Sport. Steffi, deine Therapeutin steuert dich, du kannst überhaupt nichts mehr allein entscheiden. Steffi, du lachst wirklich über alles, aber wenn man über alles lacht, ist gar nichts mehr witzig. Als ich ihm bei Renovierungsarbeiten half und nicht gleich verstand, was er von mir wollte, sagte er: Bist du dumm, oder was?

Den absoluten Tiefpunkt erreichten wir Weihnachten 2020, als er mir sagte, ich hätte auf gar nichts Anspruch, als es um Omas Haus und Grundstück ging. Dabei gehört uns das seit 2016 zu gleichen Teilen. Ich würde schließlich nur zum Urlaub machen zu Oma kommen und mich aus allem raushalten. Keinen Finger würde ich rühren.

Ich kam zu dem Schluss: Mein Bruder ist ein Narzisst

Meine Enttäuschung über ihn als eine der letzten Personen, die mir aus meiner Familie geblieben ist, ließen mich über all die vergangenen Jahre nachdenken. Und ich kam zu dem Schluss: Mein Bruder ist ein Narzisst.

Er besitzt keine Empathie. Er manipuliert die Menschen um sich herum. Genau so viel, dass das Ergebnis erreicht wird, das er braucht. Genau so viel, dass sie nicht weglaufen, aber auch genau so viel, dass er sich besser fühlen kann.

Verstößt jemand gegen seine Regeln vom Leben, muss diese Person umgehend eines Besseren belehrt werden. Du kannst in seiner Welt nur existieren, wenn du seine Regeln befolgst.

Innerhalb der letzten Monate bekam ich auch mit, dass einige unserer Bekannten sich ebenfalls sehr an ihm stören. Endlich war ich mir sicher, dass nicht ich das Problem bin. Auch das war das Werk des Narzissten: Fehlersuche findet nie bei ihm statt, ausschließlich in der manipulierten Person. Mir.

Jetzt ist das Maß voll. Mein Bruder, der Narzisst, manipuliert mich aufs Neue, erpresst mich emotional mit Aussagen wie “Opa hätte es so gewollt”, ein verzweifelter Versuch, mich dazu zu nötigen, ihm meine Hälfte des Hauses zum Schleuderpreis zu verkaufen – und mich als geldgierige, undankbare kleine Schwester hinzustellen, weil ich es nicht tue und tun werde.

Ich kann nicht mehr. Ich will nicht mehr. Blut ist nicht dicker als Wasser. Lieber großer Bruder, du hast dir das Recht verwirkt, Teil meines Lebens zu sein. Ich ertrage dich nicht mehr. Ich bemitleide dich, aber ich brauche dich nicht. Es tut mir weh zu sagen, dass du schlimmer geworden bist, als unser Vater es je war. Der hat mich immerhin gefragt, wie es mir geht.

Wissenswertes zum Thema Narzissmus in der Familie

Was ist ein Narzisst?

Ein Narzisst ist eine Person, die von der klinisch diagnostizierten psychischen Erkrankung "narzisstische Persönlichkeitsstörung" (NPS) betroffen ist. Um Narzissmus festzustellen, stehen keine physischen Bluttests, MRTs oder andere exakten Messungen zur Verfügung. Therapeut:innen müssen sich auf Beobachtungen des Verhaltens und der Einstellungen einer Person verlassen. Laut dem diagnostischen und statistischen Handbuch, das von Therapeut:innen als Orientierungshilfe genutzt wird, müssen etwa 55 Prozent der dort genannten Merkmale vorhanden sein, um die Diagnose einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung zu stellen. 

Der Begriff Narzissmus beschreibt ein spezifisches Verhaltensmuster, das durch Grandiosität, extreme Selbstbezogenheit und mangelnde Empathie gekennzeichnet ist. Einfacher ausgedrückt: Ein Narzisst glaubt, besser zu sein, als alle anderen. Weitere Merkmale umfassen Arroganz, Neid, Ausbeutung, Selbstverherrlichung und das ständige Bedürfnis nach Bestätigung. 

Wie verhalten sich Narzissten gegenüber ihren Kindern?

Narzisstische Eltern sind oft auf sich selbst fokussiert. Kinder von narzisstischen Eltern lernen schnell, dass ihre Bedürfnisse nicht erwünscht sind. Eltern, die narzisstisch veranlagt sind, beschämen ihr Kind, wenn es um die Befriedigung seiner Bedürfnisse bittet. Ein unvollkommenes, bedürftiges Kind zu haben, kann den Narzissten in Kontakt mit seiner eigenen verleugneten Verletzlichkeit bringen, während die sich entfaltende Scham ihn dazu veranlasst, seinem Kind gegenüber feindselig und beschämend zu werden.

Da sie auf Bindung angelegt sind, streben alle Kinder nach einer Bezugsperson und versuchen, eine Beziehung zu den Eltern aufrechtzuerhalten. Sie suchen nach Unterstützung, Beruhigung und Bestätigung. Der narzisstische Elternteil ist jedoch oft nicht in der Lage oder nicht willens, die emotionale Bestätigung zu geben, die das heranwachsende Kind braucht. Sie sind zu sehr mit ihren eigenen Bedürfnissen beschäftigt, als sich auf das Kind einzustellen oder einfühlsam zu reagieren, damit Kinder lernen, ihre eigenen Gefühle zu verstehen. Für kleine Kinder können die Unberechenbarkeit und die unausgesprochenen Spannungen in einem solchen Zuhause besonders schädlich sein. Die meisten Kinder, die ein solches Umfeld erleben, können ein Trauma entwickeln. 

*Der Name ist der Redaktion bekannt

Du willst mehr über das Narzissmus erfahren? Diese Themen könnten dich interessieren: Kommunikationsverhalten von Narzissten, Narzissmus in Beziehungen oder verdeckter Narzissmus.

Brigitte

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