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21 Prozent weniger Gehalt! Wo bleibt der Aufschrei?

21 Prozent weniger: Gender Pay Gap - 50/50 Männer und Frauen
© nito / Shutterstock
Am 18. März ist Equal Pay Day. Das heißt, bis dahin haben Frauen statistisch gesehen umsonst gearbeitet. Fakt ist: In kaum einem anderen EU-Land ist die Gehaltslücke zwischen Frauen und Männern so groß wie bei uns. Und wir? Bleiben auffällig still. Das muss sich ändern. Denn die Chancen für eine Wende sind so gut wie nie.

Meinen letzten Gender Pay Gap-Moment erlebte ich vor einem Jahr. Nach acht Jahren als freie Journalistin hatte ich wieder eine feste Stelle. Die erste Gehaltsabrechnung kam, und mein Mann, ebenfalls Redakteur, und ich beugten uns über unsere Nettoeinkommen, um neu auszurechnen, wie viel jeder in unsere Haushaltskasse einzahlen würde.

Bei unserem ersten Date, zwölf Jahre zuvor, hatten wir ungefähr gleich viel verdient. Mir war klar, das würde jetzt anders sein - ich hatte eine 83-Prozent-Stelle, er arbeitete Vollzeit. Als ich die Lücke schwarz auf weiß sah, verschluckte ich mich aber doch am Feierabendbier: Ein Drittel weniger bekam ich, trotz gleicher Steuerklasse. Verdammt, so viel - wie konnte das sein? Hatte ich beim Gehaltsgespräch versagt? War das die Quittung dafür, dass meine Experimentierlust im Job meist größer gewesen war als mein Wunsch nach Sicherheit? Oder hatte die Lücke auch damit zu tun, dass ich eine Frau war, genauer: eine Mutter, die wegen der Kinder als nicht mehr so produktiv und flexibel galt wie früher?

Vielleicht war es ja auch eine Mischung aus allem - und noch ein paar Gründen mehr? In dieser Nacht lag ich lange wach: Wie weit würde sich die Schere noch spreizen? In meinem Freundeskreis (die meisten sind zwischen 35 und 55, viele haben Kinder) gibt es exakt zwei Paare, bei denen sie mehr verdient als er. Bei den anderen - und die Frauen haben ihre Arbeitszeit keineswegs auf homöopathische Dosen heruntergeschraubt - schwankt die Lohnlücke zwischen zehn und 40 Prozent. Statistiker dürfte das freuen: Im Schnitt entspricht das in etwa den 21 Prozent, die die Durchschnittsbruttostundengehälter von Frauen und Männern trennen. Mich hingegen macht es einfach nur wütend. 

Durchschnittsbruttostundengehälter von Frauen und Männern: Grafik
Quelle: Statistisches Bundesamt 2018 (Zahlen von 2017)
© Julia Praschma

Der große Aufschrei blieb in Deutschland bisher aus - obwohl die Fakten zum Protest einladen

Denn an den paar Hundert bis tausend Euro weniger pro Monat hängt eine ganze Kette von Einbußen: Fast 50 Prozent weniger Einkommen als Männer sammeln Frauen im Lauf ihres gesamten Berufslebens, hat die Forschungsdirektorin des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts Christina Boll errechnet. Je nach Branche summiert sich das schon mal auf eine halbe Million. Später gibt es entsprechend weniger Rente, der Gender Pension Gap liegt in Deutschland bei 53 Prozent.

Gender Pension Gap: Grafik
Quelle: DIW Wochenbericht 43/2017 (Zahlen von 2012)
© Julia Praschma

Kein Wunder, dass beinahe jede fünfte Frau über 65 als armutsgefährdet gilt. Fast mit jeder dieser Zahlen liegen wir weit über dem EU-Durchschnitt. Und das seit Jahren. Schon das sollte uns eigentlich längst zu Hunderttausenden auf die Straßen, vor Chefbüros, Gerichte und Parlamente getrieben haben, auf dass die Lohnlücke zusammenschrumpele wie ein altersschwacher Luftballon. Doch der große Aufschrei? Blieb in Deutschland bisher aus.

GPG in den vergangenen Jahren: Grafik
Quelle: Statistisches Bundesamt 2018
© Julia Praschma
GPG im EU-Durchschnitt: Grafik
Quelle: Eurostat 2018 (Zahlen von 2016)
© Julia Praschma

Frauen sollten sich nicht mit niedrigeren Löhnen arrangieren

Warum eigentlich? Schon klar, die Ursachen des Gender Pay Gaps sind komplex. Schuld am miesen Durchschnittsgehalt der Frauen ist ja selten der eine böse Macho-Chef. Sondern eine Mischung aus jahrhundertelang gewachsenen Benachteiligungen, fest gefahrenen Rollenbildern - und manchmal auch unser Verhalten selbst. Das alles zu entwirren und anzugehen, ist aufwendig, anstrengend und unangenehm, es kostet Zeit, Kraft und Nerven.

Doch mir scheint auch, dass sich viele mit den niedrigen Löhnen arrangiert haben wie mit dem dürren Strahl einer verkalkten Espressomaschine.

Nach dem Motto: Reicht ja gerade noch so. "Normative Kraft der bestehenden Verhältnisse" nennen Forscher das.

Wohin es beim Gender Pay Gap führt, zeigt eine Studie der Universität Konstanz: Lässt man Frauen und Männern beurteilen, wie fair sie bestimmte Gehälter einschätzen, finden es beide völlig okay, wenn eine Frau bei gleicher Qualifikation ein Gehalt bekommt, dass acht Prozent unter dem des Mannes liegt. Statt 100 Euro gibt’s also nur 92 - schlicht, weil der Mensch, der den Job macht, Busen statt Penis hat. "Wir sind nicht von minderer Art", schrieb die Frauenrechtlerin Anita Augspurg 1912 in ihrem "Weckruf zum Frauenstimmrecht". Tja, muss man ein Jahrhundert später sagen: Wenn’s ums Gehalt geht, offenbar doch.

Es muss sich endlich was bewegen!

Ehrlich, so kann das nicht weitergehen. Bei dem Thema muss sich endlich was bewegen - in Köpfen, Unternehmen, Parlamenten. Denn die Chancen dafür sind eigentlich so gut wie nie: Die Wirtschaft boomt, die Firmen suchen Fachkräfte, Diversity ist das Trendwort der Stunde. All das verschafft Arbeitnehmerinnen ungeheure Macht, von den Unternehmen mehr Lohn, bessere Positionen und flexiblere Arbeitszeiten einzufordern.

Es gibt Länder wie Dänemark oder Großbritannien, die es bereits hinkriegen, Firmen durch Gesetze unter Druck zu setzen, ihre Lohnlücken zu schließen. Es gibt findige Köpfe wie Julia Borggräfe, die ehemalige Personalchefin der Messe Berlin, oder Henrike von Platen vom Fair Pay Innovation Lab, die Konzepte erarbeiten, wie man die Tätigkeiten von Frauen und Männern fairer bewerten und Lohnlücken im Unternehmen schließen kann.

Vor allem aber gibt es mehr und mehr Frauen, die der Gender Pay Gap langsam doch so empört, dass sie ihn nicht mehr als gegeben hinnehmen oder sich die Schuld daran ausschließlich selbst in die Schuhe schieben, sondern sich laut und selbstbewusst dagegen wehren. In Hollywood machten Oscar-Gewinnerinnen wie Jennifer Lawrence oder Patricia Arquette ihrem Frust auf offener Bühne oder in offenen Briefen Luft. In Deutschland sprachen Schauspielerinnen wie Maren Kroymann oder Katrin Sass über ihre eigenen Pay Gap-Erfahrungen. Die ZDF-Journalistin Birte Meier und die Schreinermeisterin Edeltraud Walla kämpften sich für ihr Recht auf faire Entlohnung durch diverse gerichtliche Instanzen. Bei Frauenstreiks in Island oder Spanien - und dieses Jahr am Internationalen Frauentag erstmals auch in Deutschland - legen Millionen aus Protest ihre Arbeit nieder.

Was muss passieren, damit Frauen gerechter bezahlt werden?

Wir stellen fünf Strategien vor, damit Frauen gerechter bezahlt werden (starke Gesetze, mehr Geld für soziale Berufe, mehr Frauen in MINT-Berufen, Schuss mit dem Teilzeit-Tabu, mehr miteinander reden).

Doch es gibt noch eine sechste. Zugegeben, sie kostet besonders viele Nerven, ist aber auch besonders wichtig: Wir sollten viel öfter denen widersprechen, die uns einreden wollen, an der Lohnlücke seien die Frauen doch hauptsächlich selbst schuld. Weil sie zu oft in Teilzeit arbeiteten, schlecht bezahlte Berufe wählten, zu weich verhandelten. Und der Rest, die sogenannte bereinigte Lücke von rund sechs Prozent, die wohl tatsächlich auf direkter Diskriminierung beruht, sei ja nun wirklich ein Kinderpups.

Gender Pay Gap - Zusammensetzung der Gesamtlohnlücke (unbereinigt): Grafik
Quelle: Boll/Lagemann 2018: Gender pay gap in EU countries based on SES 2014, DOI: 10.2838/978935
© Julia Praschma

Wenn du auf so jemanden triffst, lade ihn doch bitte auf einen Kaffee ein. Und rechne ihm zunächst einmal vor, wie viel sechs Prozent für ein deutsches Durchschnittsbruttojahreseinkommen von 34 285 Euro bedeuten: 2057 Euro. Ist das wirklich belanglos?

Dann widme dich der Schuldthese: Wenn die Frauen mehr Geld wollen, wieso arbeiten sie nicht mehr, werden Topmanagerin eines IT-Konzerns und verhandeln bei der nächsten Gelegenheit so hart, dass die Boni nur so sprudeln? Frauen arbeiten bereits viel, mit durchschnittlich 45,5 Stunden pro Woche sogar eine Stunde mehr als Männer.

Arbeitsstunden pro Woche: Grafik
Quelle: Zweiter Gleichstellungsbericht der Bundesregierung 2017 (Zahlen von 2015)
© Julia Praschma

Das Problem dabei: Bezahlt kriegen sie nur ein Drittel, die Männer mehr als die Hälfte. Die Lösung läge nahe: mehr unbezahlte Arbeit in Männerhand, mehr bezahlte in Frauenhand. Doch die Umsetzung scheitert bekanntermaßen oft.

Ein Skandal: Mütter verdienen deutlich weniger als Frauen vor der Geburt ihrer Kinder

Erst kürzlich errechnete ein internationales Forscherteam, dass Mütter in Deutschland zehn Jahre nach Geburt ihres ersten Kindes nur noch 61 Prozent von dem verdienen, was sie im Jahr vor der Geburt bekamen - hauptsächlich weil sie seither nur noch halbtags oder gar nicht mehr berufstätig sind. Genau: Das ist ein Skandal.

Doch an dem sind eben beileibe nicht nur die Mütter schuld, die sich angeblich lieber zwischen Windeleimer und Wischmopp verwirklichen als im Beruf. Sondern genauso oft Väter, die Angst oder einfach keine Lust haben, zugunsten der Kinder ihre Arbeitszeit zu reduzieren, Vorgesetzte, die Männer in Teil- oder Elternzeit für Weicheier halten, und - Überraschung - auch die oft deutlich niedrigeren Gehälter der Frauen, die (zumal in Kombination mit einem aus der Zeit gefallenen Steuersystem, Stichwort: Ehegattensplitting) eine 50:50-Aufteilung von Haus- und Erwerbsarbeit häufig zum ökonomischen Irrsinn machen.

Das Lohnniveau einer männerdominierten Branche sinkt, wenn mehr Frauen dort arbeiten

Dein Gegenüber wirft ein, mit einer gut verdienenden Ingenieurin im Haus sähe die Lage ja anders aus? Korrekt. Doch es wäre wohl keinem geholfen, wenn plötzlich alle Frauen in MINT-Berufe wechselten, schließlich herrscht auch in Altenheimen und Kitas Fachkräftemangel.

Ganz abgesehen davon zeigen Studien: Ein steigender Frauenanteil in einer einst männerdominierten Branche führt nicht automatisch dazu, dass Frauen dort plötzlich krass mehr verdienen. Sondern dass das durchschnittliche Lohnniveau der Branche oft sinkt - weil die Frauen auch dort im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen weniger bekommen.

Dazu kommt: In vielen "Männerbranchen" ist der Aufstieg in die wirklich gut bezahlten Positionen für Frauen besonders schwer. Auch die Ingenieurin leidet also unterm Gender Pay Gap - zugegebenermaßen auf höherem Niveau als die Sozialpädagogin.

Irre! Frauen, die mehr Geld fordern, widersprechen der Vorstellung von Weiblichkeit

Dann sollen die Frauen halt härter verhandeln, ruft dein Gesprächspartner. Ebenfalls korrekt. Die Frage ist nur: Brächte das was? Die Verhaltensökonomin Iris Bohnet hat unter Verweis auf zahlreiche Studien sehr überzeugend dargelegt, warum es Frauen ungleich schwerer als Männer haben, beim Gehaltsgespräch zu punkten. Schon, dass sie überhaupt etwas fordern, widerspricht nämlich der allgemeinen Vorstellung von Weiblichkeit. Irre? Stimmt.

Doch statt sich darüber aufzuregen, empfiehlt Bohnet, beim nächsten Gehaltspoker lieber mit offenen Karten zu spielen: Den Verhandlungspartner auf das Problem der Rollenklischees hinweisen und dann freundlich, aber bestimmt in den Ring steigen. Aus verhaltensökonomischer Sicht ähnele der Versuch, sich als Frau im Job an die Regeln der Männer anzupassen, nämlich sowieso einem Lauf im Hamsterrad. Wirklich voran mit der Gleichberechtigung geht es nach Bohnets Überzeugung erst, wenn sich die Regeln selbst ändern. Statt Posten und Gelder unter der Hand zu vergeben, müssten Firmen beispielsweise offenlegen, wieso wer wie viel verdient und auf welchem Posten landet. Erst so werde Diskriminierung sichtbar. Und könne bekämpft werden.

Der Gender Pay Gap darf kein Tabuthema bleiben!

Ob du mit diesen Argumenten deine Kaffee-Einladung überzeugst? Ehrlich gesagt: Ich weiß es nicht. Doch ihr beide habt jetzt zumindest etwas getan, was sich noch immer kaum einer traut: Ihr habt geredet. Über Frauen und Männer und Geld - laut der Soziologin Jutta Allmendinger ein großes Tabuthema unserer Zeit. Wenn wir den Gender Pay Gap zuschütten wollen, bleibt uns nichts übrig: Wir müssen dieses Tabu brechen. Weil so unglaublich viel daran hängt. Deshalb: Diskutiere! Frage! Streite! Im Job und zu Hause. Mit dem Partner, den Kollegen, der Vorgesetzten. Und fang am besten gleich damit an: Wann war eigentlich DEIN letzter Gender Pay Gap-Moment?

BRIGITTE 07/2019

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