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Der Flügelschlag eines Schmetterlings

Waslala ist eine von der Welt vergessene Region im Dschungel Zentralamerikas. Die Menschen dort leben von der Hand in den Mund. Ausgerechnet eine Luxus-Schokolade bringt jetzt Hoffnung zu den Bauern und ihren Familien.

Wer Doña Sixta, 61, besuchen will, braucht einen Esel. Oder hitzetaugliche Wanderschuhe, eine verdammt gute Kondition und wache Sinne. Denn der Weg zu ihrer einsamen Finca führt streng bergauf über Eselspfade, Flussläufe und verwitterte Baumstämme. Mitten durch knallgrünes Dickicht, aus dem es unablässig kreischt, zirpt, zischelt, quakt und bellt. Doña Sixta wohnt mit ihrem Mann auf einem Berg, irgendwo tief drin im tropischen Regenwald Nicaraguas. Auf diesem Berg steht sie jetzt und beobachtet amüsiert die langsam nach oben kriechende rotgesichtige Besucherschlange. Es kommt nicht oft vor, dass schwitzende Europäer bei ihr vorbeischauen. Eigentlich kommt es nie vor. Über der offenen Feuerstelle in ihrer Holzhütte hat sie einen riesigen Kessel Kaffee gekocht – die Sträucher dafür wachsen direkt neben ihrem Haus. Selten hat ein Kaffee so gut geschmeckt.

Von den Kakaobohnen hängt ihre Zukunft ab

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Aber es ist nicht der köstliche Kaffee, der an diesem Tag eine kleine Abordnung von österreichischen Mitarbeitern der Fairhandels- Initiative FairTrade zu ihr führt. Sondern der Kakao, den sie rund um ihre Hütte unter Schatten spendenden Muskatbäumen anbaut. Jetzt, kurz vor Beginn der Regenzeit, werden die großen, gelb-bunten Früchte geerntet. Es ist Doña Sixtas erste Kakaoernte. Und zugleich ihre wichtigste. Denn von der Qualität der Kakaobohnen, die sie und viele andere Kleinbauern in der Region um den Ort Waslala in den nächsten Wochen aus der Frucht schälen, fermentieren und trocknen werden, hängt ihre Zukunft ab: jeden Tag etwas zu essen, Schulbildung für die Kinder, vielleicht auch mal ein Arztbesuch. Und auf lange Sicht: eine bessere Infrastruktur, Straßen, Krankenhäuser, Sozialstationen. Und einmal im Leben eine Ahnung von Menschenrechten. Sogar für Frauen. Oder nichts von alledem.

Schwer vorstellbar, dass ein paar Kakaobohnen so etwas bewirken sollen. Aber was in der Chaostheorie gilt – nämlich, dass der Flügelschlag eines Schmetterlings das globale Wetter beeinflussen kann –, das gilt auch in der globalisierten Wirtschaft: Es sind manchmal die kleinen Bewegungen, die alles verändern.

Sepp Zotter aus der Steiermark war einer der Ersten, der mit den Flügeln schlug. Zotter produziert in seinem Riegersburger Familienunternehmen seit 1987 ebenso hochklassige wie mutig komponierte Schokoladen. Sorten wie Graumohn-Kirsch, Bergkäse- Walnüsse-Trauben oder Ananas und Paprika fanden in Österreich schnell eine große Schar von Fans. Auch in Deutschland verzeichnet Zotter seit Jahren zweistellige Zuwachsraten. Dies liegt zum einen an Zotters qualitativem Konzept: Alle Zutaten müssen aus biologischem Anbau stammen. Und außerdem fair gehandelt worden sein, wofür das FairTrade-Siegel auf der Verpackung bürgt. Vor allem aber ist es der Geschmack der Schokolade, der die Käufer begeistert. Ihre ganz besondere, geheimnisvolle Rezeptur.

Schon die Azteken schätzten Kakao so sehr, dass sie ihn als Zahlungsmittel verwendeten. Ein Sklave kostete hundert Bohnen – die Ausbeute aus etwa fünf Früchten. Auch nach der Abschaffung der Sklaverei gilt dieser aztekische Urkakao, der Criollo, als ausgesprochen kostbar. Und damals wie heute ist er eine Rarität. Denn Criollo bringt nur sehr geringe Erträge, ist empfindlich und krankheitsanfällig. Wer überleben will, baut andere Sorten an.

Als Sepp Zotter auf Waslala trifft

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Seit Jahren schon ist Sepp Zotter in Zentralamerika auf der Suche nach Produzenten, die bereit sind, gegen gutes Geld hochwertigen Bio- Kakao zu liefern. Und die wenigstens ein kleines Kontingent an Criollo-Pflanzen großzuziehen. Denn der Criollo ist das Geheimnis der Zotter-Schokolade. Nicaragua schien zunächst nicht infrage zu kommen. Durch den langen Bürgerkrieg, die anhaltend korrupte Verwaltung und die katastrophale Infrastruktur hatte das Land seinen Zugang zum Welthandel verloren. Die wenigen Bauern, die noch Kakao produzierten, taten das für lokale Märkte – und in besonders schlechter Qualität. Aber in der Berggemeinde Waslala, mitten im Dschungel Zentralnicaraguas, acht holperige Jeep-Stunden von der Hauptstadt Managua entfernt, gab es einen zweiten Schmetterling, der mit den Flügeln schlug.

Es waren verzweifelte Campesinos, Bauern also, die sich zur Produktionsgenossenschaft Acawas zusammenschlossen. Einer landwirtschaftlichen Kooperative, die mit Know-how, Personal und Geldern aus der österreichischen Entwicklungshilfe unterstützt wurde. Monokulturen, Überweidung und Bodenerosion hatten das Land der Campesinos – sofern ihnen nach dem Bürgerkrieg noch welches geblieben war – zu großen Teilen unbrauchbar gemacht. Den Rest besorgten Pflanzenschädlinge, Preisverfall und tropische Wirbelstürme. Auch Doña Sixta gehörte zu den Verzweifelten. Sie und ihre zehnköpfige Familie entkamen zwar immer wieder den Soldatenhorden, was in der Gegend um Waslala an ein Wunder grenzt. Aber geblieben war ihnen nichts. Bei der Acawas lernte sie, zu diversifizieren. Also nicht nur Kaffee anzubauen, sondern auch Gemüse und Obst, wie Bohnen, Bananen, Mangos und Yucca. Sie lernte, was sie pflanzen musste, um die gefürchtete Bodenerosion zu vermeiden. Und sie brachte ihre Ernte nicht mehr selbst in tagelangen Eselsmärschen auf die Märkte, sondern lieferte sie zum Festpreis an die Genossenschaft. Und die kümmerte sich mit Unterstützung der österreichischen Organisation Horizont3000 um den weiteren Vertrieb.

Als Sepp Zotter begann, sich für nicaraguanischen Kakao zu interessieren, stieß er auf die Acawas. Und als die Acawas begann, sich für den überörtlichen Handel zu interessieren, stieß sie auf Sepp Zotter – und auf FairTrade. Und Doña Sixta setzte oben auf ihrem Berg die ersten Criollo- Pflänzchen in den feuchten tropischen Waldboden.

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Antikapitalismus ist eine geistige Haltung, deren zumindest die Weltbank gänzlich unverdächtig ist. Umso glaubwürdiger ist eine ihrer neuesten Studien, die sich mit der international agierenden, gemeinnützigen Organisation FairTrade befasst. Deren Projekte hätten, so die Weltbank, inzwischen einen ähnlich positiven Einfluss auf die wirtschaftliche und soziale Entwicklung in so genannten Rückstandsgebieten wie die Investitionen von Mega-Konzernen. Dabei nimmt FairTrade kein Geld ein und bezahlt auch keines. Die Organisation zertifiziert lediglich den fairen Handel zwischen Kleinbauern in Entwicklungsländern und Abnehmern in Industrienationen. Sofern beide Partner die anspruchsvollen Fair- Trade-Kriterien erfüllen. Dass Abnehmer wie Sepp Zotter ihren Rohstofflieferanten gerechte Preise bezahlen müssen, damit diese ihr Überleben sichern können, ist bekannt. Dies macht den wirtschaftlichen Vorteil eines FairTrade-Siegels für Kleinbauern in aller Welt aus. Weniger bekannt ist, dass Fair- Trade auch Ansprüche an die Bauern stellt. Und genau diese Auflagen sind es, die langfristig soziale Änderungen bewirken. So müssen die Campesinos zum Beispiel genossenschaftlich organisiert sein. Demokratisches Handeln und Gleichberechtigung für jedes Mitglied sind bei Fair- Trade streng vorgeschrieben. Auch und gerade für Frauen. In einem machistischen Land wie Nicaragua, in dem eine Frau weniger gilt als ein Pferd, ist so etwas schwer zu erlernen. Ebenso schwer wie das absolute Verbot von Kinderarbeit. Aber wer seine kleinen Töchter aufs Feld schickt statt in die Schule, wird kein Siegel bekommen.

Bisher hatten sie nur etwas zu essen, wenn sie Rechte missachteten.

Ines Mendoza, eine junge Ökonomin aus dem wirtschaftlich aufstrebenden Costa Rica, berät im Auftrag von FairTrade die Campesinos bei ihrem Zertifizierungsprozess. Sie kann gut erklären. Sie versucht, das Unverständliche verstehbar zu machen. Denn es ist beileibe nicht einfach, halb verhungerten Menschen zu vermitteln, dass es reiche Leute gibt, die ein Produkt nur dann essen, wenn es politisch korrekt produziert wurde. Es ist nicht einfach, ihnen zu erklären, was politische Korrektheit in den Augen der Reichen überhaupt ist. Und es ist schon gar nicht einfach, die Frage zu beantworten, warum die nun plötzlich als schlagendes Verkaufsargument gilt. Bisher mussten die Bauern nämlich erfahren, dass es niemanden kümmerte, ob sie verhungerten, an Fieber starben oder von Soldaten zu Tode geprügelt wurden. Bisher mussten sie erfahren, dass sie nur dann etwas zu essen hatten, wenn sie die Rechte ihrer Kinder und ihrer Frauen missachteten. Bisher mussten sie erfahren, dass Menschenrechte immer die der Stärkeren waren. Nun also soll es umgekehrt sein?

Die Kakaobohnen müssen besser schmecken als bisher. Dafür müssen neue Sorten angebaut werden. Und die Bohnen sollen nach der Ernte jetzt tagelang bei konstanter Temperatur in Holzkisten gelagert werden, damit sie fermentieren und ihr feines Schokoladen- Aroma entwickeln können. Solche Ansprüche leuchten schon eher ein. Denn die Weißen aus den Industrienationen sind verwöhnt. Das allerdings ist hier kein Geheimnis.

FairTrade Produkte sind Genuss

In der Tat erobern von FairTrade gesiegelte Agrarprodukte immer mehr Weltmarktanteile – und zwar, weil sie ein Genuss sind. Die Gründe dafür sind vielfältig. FairTrade-Erzeugnisse stammen nicht aus Massenproduktion. Sie haben meist eine herausragende Qualität, denn sie liegen ihren Erzeugern am Herzen – eben weil es einen angemessenen Preis dafür gibt. Und sie sind in aller Regel frei von Rückständen.

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Auch Doña Sixta schüttelt nur den Kopf, wenn man sie nach Pflanzenschutz- oder Düngemitteln fragt: So etwas kann sie sich nun wirklich nicht leisten. Des einen Not ist des anderen Tugend. So verschlungen funktioniert das menschliche Leben. Und mit ihm die globale Wirtschaft. Aber diese komplizierte Weisheit zu verkünden ist nicht das Ziel der FairTrade-Mitarbeiter, die an diesem Tag auf den grünen Hügel der Doña Sixta geklettert sind. Auch nicht, dass Sepp Zotter inzwischen mit den Kakaoproben aus Waslala zufrieden ist. Mehr als 700 Dollar wird Doña Sixta von ihm für ihre Ernte bekommen. Sie wird davon eine Mullbinde und etwas Jod kaufen können, wenn sie sich wieder mal mit der Machete die Finger kaputt hackt. Sie wird einen Saisonarbeiter engagieren können, der mit anpackt. Denn allmählich merkt sie ihr Alter. Und sie wird vielleicht einen ihrer Söhne bei einer Ausbildung unterstützen. Das sind schon große Fortschritte. Aber noch größer als der Fortschritt ist die Hoffnung. Und genau das ist die Botschaft der FairTrade-Leute, die jetzt alle zum ersten Mal in ihrem Leben sehen, was für eine harte Arbeit es ist, Kakao zu ernten: Es gibt endlich Hoffnung. Jedenfalls, solange die Konsumenten in Europa bereit sind, für außergewöhnlich gute Schokolade auch gut zu bezahlen.

Text: Katja Jührend<br/><br/>Fotos: Kimmo Lehton

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