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Sanfter Zwang: die Grüne Kiste

Bequem ist sie und voller Überraschungen. Aber nie ganz frei von Spannungen. Die Grüne Kiste ist eher eine Zweckgemeinschaft als die große Liebe.

Wenn wir donnerstags am späten Nachmittag in den dritten Stock hochsteigen, sehe ich sie schon vom letzten Treppenabsatz aus: unsere Biokiste. Und sofort merke ich, wie sich mein Gefühlsleben auf ein Wechselbad einstellt. Seit drei Jahren kennen wir uns nun schon, die Kiste und ich. Damals fand ich, wir sollten den Absatz der regionalen Bauern sichern und gleichzeitig unser Familien-Spektrum an Obst und Gemüse erweitern. Letzteres hat geklappt, anderes läuft nicht so gut. Einfach war unser Verhältnis nie. Auch heute wird es Spannungen geben. Das weiß ich beim ersten Blick auf den Berg Spinat, der sich obenauf türmt. Die grünen Blätter sind nach dem heißen Sommernachmittag schon ganz schön schlapp: Der muss gleich in den Topf! Mein Sohn Lukas ist alarmiert: "Aber Mama, du hast versprochen, es gibt Pizza!" Ich beruhige ihn, wir schleppen die Kiste in die Küche und sichten: ein wunderbarer, kräftiger Salat, vollreife, duftende Tomaten - die wären im Bioladen unbezahlbar gewesen - und, oh, prima, Buschbohnen! Allerdings: Die Menge wird für uns drei nicht reichen. Aber welche zukaufen? Das wäre absurd. "Mama, guck mal, wieder lila Möhren!", freut sich Lukas, während ich den Rest auspacke: Kartoffeln, Zwiebeln und - Fenchel. Schon wieder! Bei unserer Kiste kann man drei Gemüsesorten angeben, die man partout nicht haben möchte: Bisher sind das Portulak, Topinambur und Asia-Salat-Mix. Fenchel wäre auch ein Kandidat.

Die Grüne Kiste bestimmt, was ich essen soll

Ich fange an, mir innerlich die Nachteile dieser Kisten-Beziehung aufzuzählen: Am meisten stört mich, dass ich fremdbestimmt werde, nicht mehr nach Lust und Laune kochen kann. Ständig muss ich passende Rezepte suchen, um mühsam alle Biokisten-Zutaten zu verbrauchen. Oft genug ist es doch nicht zu schaffen, und wir müssen etwas wegwerfen. Das gefällt uns gar nicht. Der von Ernährungspsychologen hoch gelobte "Mere-Exposure-Effekt" - was man häufig isst, das mag man irgendwann - funktioniert ebenfalls nicht immer. Fenchel kann ich trotz tapferen Probierens weiterhin nicht ausstehen. Und frischer als auf dem Wochenmarkt ist das Grünzeug meist auch nicht, die Wege sind ja ungefähr die gleichen...

Auf der anderen Seite hat die Grüne Kiste unseren Speisezettel bereichert - und gesund ist sie auch noch.

Aber, sagt mein Gewissen: Supermarkt-Gemüse, das häufig noch Station beim Großhändler macht, kann mit der Kistenware auf keinen Fall mithalten. Unseren Speisezettel hat sie ebenfalls bereichert. Mangold ist inzwischen - dank Gewöhnungseffekt - eines deiner Lieblingsgemüse geworden, Lukas isst lila, gelbe und normale Möhren und sein Vater sogar Steckrüben. Und hätte es letzten Winter nicht die Rote-Bete-Schwemme gegeben, hättest du das Rezept für den grandiosen orientalischen Rote-Bete-Salat mit Minze nie ausprobiert. Gesund ist das, was die Kiste uns ins Haus bringt, auch: Denk an all die sekundären Pflanzenstoffe, die das Immunsystem stärken und die Zellen vor aggressiven freien Radikalen schützen. Oder an die Ergebnisse der EPIC-Herz-Studie, einer großen europäischen Untersuchung zu Ernährung und Krankheiten: Wer pro Tag ein gutes halbes Kilo Obst und Gemüse isst, senkt sein Risiko, an einem Herzinfarkt zu sterben, um rund 20 Prozent. Und außerdem: Du weißt doch bestimmt noch, wie dein letzter Seitensprung auf den Wochenmarkt ausging?

Allerdings: Da hatte ich mir eine dreiwöchige Beziehungskisten-Pause verordnet und wollte ausprobieren, ob es nicht besser wäre, auf dem Biomarkt einzukaufen. War es auch - jedenfalls beim ersten Mal. Ich hatte Zeit, machte mir einen Plan, stöberte durch die Stände und kaufte Unmengen Tomaten, Gurken und Paprika - alles, was die Kiste nie ausreichend zu bieten hat. Brokkoli, Kartoffeln und Champignons ließ ich mir in genau den Mengen einpacken, die wir brauchten. Nicht mehr und nicht weniger. Toll! Nur etwas teurer war's.

Danach kam ständig was dazwischen, wenn ich einkaufen wollte. Einmal noch hetzte ich vor der Arbeit auf den Markt und stand ratlos herum: Mit Kaffeedurst Entscheidungen über die Abendessen der nächsten zwei Tage treffen zu müssen erwies sich als nahezu unmöglich. Nachdem ich meine überschaubare Beute ins Büro, zur Kita und endlich nach Hause geschleppt hatte, rief ich bei meinem Kistenlieferanten an und gab unserer Beziehung eine zweite Chance.

Seitdem habe ich mich damit arrangiert, dass mir die Essensplanung wieder häufig abgenommen wird. Oder aufdiktiert - je nach Wahrnehmung, Tagesform, Laune. Während der Pizzateig geht, versöhne ich mich mit dem Spinat und dünste ihn mit Knoblauch und Olivenöl. Den gibt es morgen als Vorspeise. Oder als Füllung für Blätterteigtaschen. Mir fällt schon was ein. Und das schmeckt garantiert.

Grüne Kiste: Gut zu wissen

Kisten-Suche: Dabei helfen die Portale www.gemuesekiste.de und www.oekokiste.de. Hier kann man nach Bundesländern sortiert Biokisten-Anbieter finden. In der Regel gibt es verschiedene Kisten zur Auswahl (z. B. für Familien, Singles, nur Gemüse, Gemüse und Obst). Die Preise richten sich nach dem Inhalt. Einige Anbieter liefern auch andere Bioprodukte wie Eier, Brot, Käse und Fleisch auf Bestellung mit und legen ihren Kisten Rezeptvorschläge bei.

Rezepte finden: Gemüsegerichte für jede Jahreszeit hat die erfahrene Kochbuchautorin Cornelia Schinharl in ihrem "Biokisten Kochbuch: Die echte regionale Saisonküche" (144 S., 14,95 Euro, Franckh-Kosmos 2010) zusammengestellt.

Tüte statt Kiste: Viele Bioläden bieten die so genannte "Greenbag" an. Die Papiertüte enthält - wie eine Biokiste - saisonale Früchte und Gemüse, dazu Rezepte, die genau auf den Inhalt abgestimmt sind. Die Greenbag funktioniert nicht als Abo (wie die meisten Gemüsekisten), sondern man bestellt sie eine Woche vorher und holt sie im Bioladen ab. Das ist praktisch, wenn die Anlieferung schwierig zu organisieren ist, etwa, wenn keiner zu Hause ist, um die Ware anzunehmen. Infos: www.greenbag.de

Text: Katrin Steffens Ein Artikel aus BRIGITTE Woman, 09/11

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