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Ayurvedisch Kochen: Vata, Pitta, Kapha

Das Seminar "Ayurvedisch kochen" auf der Fraueninsel im Chiemsee macht Spaß, klüger und nicht dick.

Ob Enten Vata-Typen sind? Wie sie da in kleinen Grüppchen rund um den Schiffsanleger schnattern, klingt es eindeutig wie „Klar-klar-klar-klar-klar!“. Acht Uhr läuten die Glocken der Klosterkirche. Am Ufer gegenüber schiebt sich die Sonne hinter der Kampenwand hervor und taucht den Morgennebel überm spiegelglatten Wasser in zartes Rosa. Irgendwo wird schon gehämmert und gesägt, eine Nonne mit Strickmütze auf dem Kopf und Steppjacke über dem schwarzen Habit huscht vorbei, und wie ein Geisterschiff taucht plötzlich „Rudolf“ aus dem Nebel auf, der Dampfer aus Gstadt. Beim Anlegen lässt er die Enten auf seiner Bugwelle schaukeln.

Die Ernährungsweise hängt von der "Software" ab

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Was es mit den drei ayurvedischen Grundtypen Vata, Pitta und Kapha auf sich hat, erklärte Nicky Sitaram Sabnis gleich zu Beginn des Seminars. Da war mir die Situation noch ähnlich unwirklich vorgekommen wie jetzt das Insel-Idyll: Ein kleiner Hindu mit lustigen Augen bringt in einem katholischen Frauenkloster acht Frauen und einem Mann die Grundzüge einer alten indischen Heilkunst nahe. Seit acht Jahren leitet der 1959 in Bombay geborene Hotelfachmann und Spezialitätenkoch mit einem Magister in Indischer Kultur die ayurvedische Seminarküche der Benediktinerinnen-Abtei Frauenwörth und veranstaltet im In- und Ausland Kochworkshops. Nicht nur unter den Teilnehmern der jährlich über hundert im Kloster stattfindenden Kurse hat er in dieser Zeit eine große Fangemeinde gewonnen. Auch Schwester Scholastica, die die Seminare organisiert, schaut irgendwann in der Küche vorbei, als wir dort herumwirbeln, und fragt beiläufig, ob das Sesamkonfekt denn schon auf dem Programm gestanden habe. . .

Dass "des Zwedschgnmanderl net au's Mai gfoin" ist, wie Hausmeister Konrad anerkennend sagt, hilft uns sehr. Erstens ist seine unkomplizierte Herzlichkeit so ansteckend, dass wir uns alle auf Anhieb duzen, und zweitens müssen wir eine Menge Theorie verdauen, bevor wir in die Küche dürfen, und die vermittelt er uns mit oft plastischen Bildern.

"Ayurveda", ein Sanskrit-Begriff, bedeutet "Wissen vom Leben". In diesem ganzheitlichen Gesundheits- und Heilsystem gibt es nicht "die" richtige Ernährungsweise, sondern nur eine individuell richtige. Sie hängt ab von den "Doshas", der persönlichen Grundkonstitution jedes Menschen – "der Software sozusagen".

Wer vorwiegend von Vata bestimmt ist, hat etwas Leichtes, Schnelles, Bewegliches – "Klarklar- klar!", Pitta-Typen sind eher athletisch und leidenschaftlich, und Kapha-Typen haben etwas Schweres, Ausdauerndes.

Ayurvedisch Kochen heißt mit allen sechs Geschmacksrichtungen

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Kriegen die Doshas, was sie brauchen, fühlt der Mensch sich wohl – dieses, zugegeben sehr vereinfachte, Fazit habe ich im Hinterkopf, als wir Samstagvormittag endlich in der Küche stehen. Kochen, hatte Nicky begeistert gesagt, sei Kreativität! Meditation! Gottesdienst! und uns erklärt, wie wir aus Butter "Ghee" herstellen, eine der wichtigsten Zutaten der ayurvedischen Küche. Mit welchen Gewürzen wir "Agni", das Verdauungsfeuer, "den Kachelofen in uns", anfeuern können, damit kein "Ama" im Körper zurückbleibt, keine Schlackenansammlung. Wie wir ayurvedische Ernährungsrichtlinien auf unsere deutsche Küche übertragen und wie wichtig es sei, mit allen sechs Geschmacksrichtungen zu kochen – süß, sauer, salzig, scharf, bitter, herb –, weil dann alle Sinne zufrieden seien.

Es ist ein ziemlich temperamentvoller Gottesdienst, als drei Teams an jeweils vier Herdplatten insgesamt zwölf verschiedene Gerichte zubereiten. Marlies, Gerda und ich sind zuständig für "Dal Maharani" – ein Linsengericht, "Shrikand" – eine exotische Quarkspeise, "Pakodas" – in Kichererbsenteig frittiertes Gemüse, und "Khatti Mitthi Chatni" – ein Tamarinde-Jaggery- Chutney. Mit Engelsgeduld wacht Nicky über allem, hilft Verirrten aus dem Dschungel der vielen Gewürzdosen, erinnert daran, dass gemahlene Gewürze nie, ganze wie Senfkörner oder Kardamomkapseln aber immer angeröstet werden – "Ghee heiß werden lassen, bis ein kleiner Whirlpool entsteht, Gewürze rein. Wenn sie springen und die ätherischen Öle freiwerden, sofort Flamme zurück!". Reicht Schöpfkellen oder Siebe, die vor der Nase liegen, in der Aufregung aber übersehen werden, mahnt: "Ingwer nur waschen, nie schälen – die Enzyme sitzen in der Schale!", verrät, dass man Tamarinde-Paste oder -Sirup auch fabelhaft zum Silberputzen nehmen kann (in Wasser auflösen, angelaufene Stücke eintauchen), hilft Schwester Scholastica weiter, die hereinstürmt und sagt: "Nicky, haben Sie was gegen Migräne, der Herr Pfarrer. . . ", und hellt angespannte Gesichter mit der verschmitzten Bitte auf: "Sag mal Ghee!"

"Jedes einzelne Gericht ist wie eine Melodie – wenn alle auf dem Tisch sind, wird es eine Symphonie" – das haben wir hingekriegt. Nach knapp anderthalb Stunden duftet das gemeinsam Komponierte appetitanregend auf dem Büfett. Neben unseren vier Gerichten stehen dort noch "Papaddam" – gewürzte Linsenwaffeln, "Gajjar ka Salan" – Karottensuppe, "Navratna Korma" – eine würzige Kokosgemüse-Pfanne, "Gost Hyderabadi" – Lammragout in feuriger Soße, "Kachumber" – pikanter gemischter Salat, "Puri" – kleine frittierte Brotfladen, "Lassi" – ein Joghurt-Getränk, und "Til Chikki" – Schwester Scholasticas Lieblingskonfekt aus Sesam. Nicky macht uns vor, wie man alles in kleinen Portionen auf dem "Thali", dem typisch indischen tablettartigen Metallteller, anrichtet. Nur so viel, wie in zwei Hände passt, sollte man nach ayurvedischer Essensregel pro Mahlzeit an fester Nahrung zu sich nehmen – "dann fühlt man sich nicht lätschert", wie er in schönstem Bayerisch sagt.

Trotzdem verlangen meine Doshas hinterher nach einem Rotwein – in meinem Kopf schwirren immer noch Agni, Ama, Kapha und Co. durcheinander. Die "Himmlischen Stuben" des Klosterwirts haben ihre Tore schon geschlossen, also ziehen ein paar Gleichgesinnte in den Gasthof zur "Linde".

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Als wir schließlich unter einem nun unwirklich funkelnden Sternenhimmel in die Klosterbetten streben, fällt mir der Spruch von Tagore ein, mit dem Nicky am Morgen die Theorie gewürzt hatte: "Gott achtet auf dich, wenn du arbeitest, aber er liebt dich, wenn du singst." Noch aufregender als das gemeinsame Kochen ist es, Nicky dabei zuzusehen. Versunken hantiert er mit fünf Töpfen auf einmal, macht Ghee heiß, schält Zwiebeln, schneidet Gemüse, spült Tofu ab, greift blind nach den Gewürzen für alle sechs Geschmacksrichtungen, rührt um, schmeckt ab, hört in sich rein, und schnell können wir uns wieder einen bunten Teller machen. "Ich bin ein glücklicher Mensch, wenn ich am Herd stehe", sagt er. "Sein siebtes Gewürz ist die Liebe", sagt Schwester Scholastica. Klingt doch beides nicht kitschig. Ich hätte nie gedacht, dass man in zwei Tagen an die 50 Gerichte probieren und sich dabei auch noch wohl fühlen kann.

Jedes Gericht ist wie eine Melodie.

In Zukunft werde ich nur noch so kochen, nehme ich mir beim Abschiedsspaziergang am See entlang vor. "Ha-ha-ha-ha-ha!", klingt es von den Enten herüber. Na gut, aber doch zumindest ein paar Dinge in mein Leben integrieren: viel heißes Wasser trinken, mit oder ohne Ingwer. Ein bisschen Ghee und eine Prise Tri- Dosha-Mischung übers Mittagessen geben; geht auch in der Kantine. Morgens statt Käsebrot mal Dinkelporridge und gedünstetes Obst, abends nur eine leichte Suppe. Und mich an den Satz halten, den Nicky uns auch mitgegeben hat: "Wer nicht genießen kann, ist nicht genießbar." Nicht von Tagore, sondern von Goethe.

Ayurvedisch Kochen: Rezept Möhrensuppe

4 Portionen 500 g Möhren, 100 g Kartoffeln, 1 Zwiebel, 1 Knoblauchzehe, 1 Stück Ingwer (1 cm), 1 EL Ghee (siehe Tipp), je 1?2 TL gemahlene Kurkuma (Gelbwurz) und Chilipulver, 100 g Schlagsahne, Salz; 1 TL Koriander oder Anis • Möhren und Kartoffeln schälen, abspülen und grob würfeln. In 1 l kochendes Wasser geben und abgedeckt 20 Minuten kochen. • Zwiebel und Knoblauch abziehen und hacken. Ingwer abspülen und hacken (Schale dranlassen!). • Ghee zerlassen. Zwiebel, Knoblauch und Ingwer darin glasig düns-ten. Zusammen mit Gewürzen und Sahne zum Gemüse geben, 5 Minu- ten bei kleiner Hitze weiterkochen. • Suppe mit dem Stabmixer pürieren. Mit Salz abschmecken. • Zum Servieren mit grob gestoßenen Gewürzen bestreuen. Pro Portion ca. 150 kcal, E 2 g, F 11 g, KH 9 g Gut für alle Doshas

Ayurvedisch Kochen: Gewürzreis

4 Portionen 400 g Basmatireis, 1?2 TL gemahlene Kurkuma (Gelbwurz), 4 Kardamomkapseln, 1 Sternanis, 4 Nelken, 1 El Salz, 1 EL Ghee (siehe Tipp) • 11?2 Liter Wasser aufkochen. Reis in einem Sieb unter fließend kaltem Wasser abspülen. Zusammen mit den Gewürzen in das kochende Wasser geben und 5 Minuten bei kleiner Hitze kochen. Salz zugeben und etwa 10 Minuten fertig kochen. • Reis in einem Sieb abtropfen lassen. Vorm Servieren das heiße Ghee unterziehen. Pro Portion ca. 370 kcal, E 7 g, F 3 g, KH 78 g Gut für alle Doshas

Auyurvedisch Kochen: Würziges Kokosgemüse

4 Portionen 4 Möhren, 1?2 Blumenkohl (500 g), 1 Zucchini, 1 rote Paprikaschote, 1 Tomate, 1 Stück frischer Ingwer (1 cm), 1?2 Zwiebel, je 1?2 TL gemahlene Kurkuma (Gelbwurz) und Fenchelsaat, 1 EL Ghee (siehe Tipp), je 1?2 TL ganzer Kreuzkümmel, Senfkörner und Ajwain (ind. Kümmelart mit thymianähnlichem Geschmack), 3 Curryblätter, 1 Messerspitze Asafoetida (aus dem Asia-Laden; getrocknetes und gemahlenes Harz einer asiatischen Riesenfenchelart), 300 ml Kokoscreme (aus der Dose), 2 EL Laxmi-Currymischung (oder andere helle Currymischung), Chili nach Geschmack, 2 EL TK-Erbsen, 1?2 TL Zitronensaft, Salz, 3 Stängel Koriander oder glatte Petersilie • Gemüse putzen, abspülen und in Stücke schneiden. Ingwer abspülen und fein hacken. Zwiebel abziehen und würfeln. Kurkuma und Fenchel im Mörser zerstoßen. • Ghee erhitzen, Kreuzkümmel, Senf-körner und Ajwain darin anrösten, bis sie platzen. Zwiebel zugeben und 2–3 Minuten mitbraten. Möhren und Curryblätter, Ingwer, Asafoetida, Kurkuma und Fenchel zugeben und 5 Minuten dünsten. Kokoscreme und Currymischung unterrühren. Blumenkohl, Zucchini und Chili dazugeben. Aufkochen und 3 Minuten dünsten. • Paprika, Erbsen und zum Schluss die Tomatenstücke zugeben. Mit Zitronensaft und Salz abschmecken. • Koriander abspülen, trocken schütteln und die Blättchen hacken. Zum Servieren über das Gemüse streuen. Pro Portion ca. 253 kcal, E 7 g, F 18 g, KH 16 g Für alle Doshas (ohne Blumenkohl für Vata, ohne Chili für Pitta) Tipps: • Ghee selbst gemacht: 250 g Butter in einem Topf bei mittlerer Hitze so lange köcheln, bis sich ein weißer Bodensatz gebildet hat und das Fett klar ist. Durch ein Küchentuch gießen und abkühlen lassen. Im Schraubdeckelglas kühl und dunkel aufbewahren. • Alle Gewürze und besondere Zutaten sind zum ayurvedisch Kochen .

Text: Barbara Franck<br/><br/>Fotos: Ansgar Pudenz

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