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Wie geht Zufriedenheit?

Wie geht Zufriedenheit?
© Doss/Corbis
Nicht ständig mehr zu wollen, ist ein Privileg, das wir uns leisten können - und sollten: Nichts macht glücklicher als Zufriedenheit, weiß BRIGITTE WOMAN-Autorin Julia Karnick.

Nehmen wir an, es gäbe eine Frau D., die einst von einem Leben träumte, zu dem unter anderem eine Karriere, zwei definierte Oberarme, ein tadellos aufgeräumter Wohn-Ess-Bereich, dreimal Sex pro Woche, zwei begabte Kinder und ein perfekt erzogener Hund gehören. Eines Tages stellt Frau D. fest: Es gibt kein echtes Unglück in ihrem Leben. Aber: Sie ist auf der Mitte der Karriereleiter stehen geblieben, vor vier Wochen hat sie zuletzt mit ihrem Mann geschlafen, der Hund jagt Kaninchen, die Kinder sind nur mäßige Schüler, wobei das eine viel Unterstützung braucht, um nicht vom Gymnasium zu fliegen, so dass ihr neben der Arbeit kaum Zeit bleibt, um aufzuräumen und Sport zu treiben, weshalb das Zuhause und die Oberarme einen leicht vernachlässigten Eindruck machen. Frau D. ist unzufrieden. Und sie ist nicht allein: Ein bisschen Frau D. steckt in den meisten von uns.

Nicht verwirklichte Träume sind etwas sehr Intimes, darum will ich meine nicht im Detail ausbreiten, nur so viel: Sie fangen alle mit A an - Ausland, Abenteuer, Außergewöhnliches. Was tun, wenn einem klar wird, dass das Leben, das man führt, hinter den eigenen Erwartungen zurückgeblieben ist? Nach einem Modell des Trierer Psychologieprofessors Jochen Brandtstädter ist ein Mensch umso zufriedener, je mehr die Realität seinen Vorstellungen von einem gelungenen Leben entspricht. Umgekehrt gilt: Wer beim Vergleich zwischen Wunschleben und Lebenswirklichkeit zu dem Schluss kommt, dass das eine mit dem anderen nur wenig gemein hat, der ist zur Unzufriedenheit verdammt. Es sei denn, er ändert etwas. Nämlich entweder sein Leben. Oder seine Ansprüche.

Was ist in unserem Leben schon gut?

Frau D. hat also zwei Möglichkeiten. Entweder sie beschließt, sich noch mehr anzustrengen, damit sie mithalten kann mit denen, deren Leben erfolgreicher, schlanker, unkomplizierter, ordentlicher und leidenschaftlicher zu sein scheint als ihres. Der Preis, den sie zahlt: Sie ist oft gestresst. Oder frustriert, wenn das Kind trotz all ihrer Anstrengungen wieder eine Fünf schreibt und der Mann sich auch vom Anblick ihrer neuerdings wieder besser trainierten Oberarme nicht wach halten lässt. Oder sie beherzigt, was William James (1842 -1910), Philosoph und Begründer der US-amerikanischen Psychologie, schon vor über hundert Jahren erkannt hat, nämlich, "dass der Mensch nur durch Änderung seiner Einstellung sein Leben ändern kann".

Sie sieht ein, dass manche ihrer Ansprüche unrealistisch sind. Statt sich über das zu grämen, was sie nicht ist und hat, richtet sie den Blick auf das, was es Gutes gibt in ihrem Leben, ist dankbar dafür und freut sich daran: "Immerhin, wir sind noch zusammen, der Sex ist selten, aber wenn, dann schön, der Hund beißt nicht, wir haben genug, um gut zu leben. Scheiß auf gebügelte Bettwäsche und straffe Oberarme, Hauptsache, gesund! Meine Kinder sind die besten der Welt, und man kann auch ohne Abi glücklich werden."

Partnerfindung, Familie, Karriere, vielleicht sogar Wohlstand: Jungsein bedeutet, dass all diese großen Ziele noch vor einem liegen, und solange wir hoffen dürfen, dass wir das alles irgendwann so hinbekommen, wie wir es uns vorstellen, ist die Kluft zwischen Traum und Realität eher Ansporn als Grund zur Unzufriedenheit. Darum empfinden wir, solange wir jung sind, eher Verachtung als Anerkennung für zufriedene Menschen: In den Ohren dessen, der noch jede Menge vorhat, klingt Zufriedenheit zu sehr nach Kapitulation.

Wir fühlen uns nie gut genug

Früher oder später jedoch kommt der Augenblick, an dem wir erkennen, dass nicht mehr alles möglich ist. Dass einiges unabänderlich, vieles unwahrscheinlich ist und manches gar nicht in unserer Hand liegt. Es ist der Augenblick, in dem wir erkennen, dass wir nicht mehr jung sind. Und zugleich der Moment, der uns einlädt, das Einzige zu ändern, was zu verändern tatsächlich jederzeit in unserer Macht steht, um zufriedener zu werden: uns selbst. Das klingt einfach, fällt aber vielen von uns verdammt schwer. Selbst dann, wenn eigentlich gerade alles ganz okay ist.

Um unzufrieden zu sein, muss es uns nämlich nicht schlecht gehen. Es reicht, dass andere es besser haben als wir. Welch großen Einfluss der Vergleich mit anderen auf unsere materielle Zufriedenheit hat, zeigten Forscher der Universität Harvard. Im Rahmen eines Experiments sollten die Teilnehmer angeben, was ihnen lieber wäre: ein Gehalt von 50 000 Dollar, wenn alle anderen durchschnittlich 25 000 Dollar verdienen. Oder ein Einkommen von 100 000 Dollar bei einem gesellschaftlichen Durchschnittsgehalt von 250 000 Dollar. Die meisten Befragten entschieden sich für das niedrigere, aber im Vergleich zum Durchschnitt höhere Gehalt. Ausschlaggebend dafür, ob jemand zufrieden oder unzufrieden ist, so die Schlussfolgerung der Wissenschaftler, ist also nicht, dass er möglichst viel, sondern dass er nicht viel weniger hat als die anderen. In einer Gesellschaft, in der die soziale Ungleichheit immer weiter wächst, wird es immer schwieriger, zufrieden zu sein, wenn man nicht zu den eindeutigen Gewinnern gehört.

Doch selbst die, die viel oder zumindest gut genug verdienen, um sorglos zu leben, sind oft unzufrieden. Denn immer findet sich etwas, was weiter optimiert werden könnte - vor allem das eigene Ich: Ich könnte noch erfolgreicher, ausgeglichener, eine noch attraktivere Partnerin, eine noch bessere Mutter, eine noch interessantere Gesprächspartnerin sein, wenn ich mir nur mehr Mühe gäbe. "Mit dem Versprechen, dass jeder alles erreichen könne, was er nur wolle, und mit der Versicherung, dass Persönlichkeit formbar sei, werden wir dazu gebracht, uns niemals mit uns selbst zufriedenzugeben, uns permanent zu beobachten und zu reflektieren und dauernd dem Druck nachzugeben, an uns zu arbeiten", so die Schweizer Psychologin, Psychotherapeutin und Bestseller-Autorin Dr. Maja Storch.

In unserer Konkurrenzgesellschaft - in der Ehrgeiz als Primärtugend gilt und Genügsamkeit fast schon als Sünde - zählt eben nicht mehr nur die berufliche Leistung. Auch in allen anderen Bereichen gilt zunehmend nur der Superlativ als vorzeigbarer Erfolg. Wettbewerb, wohin man schaut: Wer ernährt sich und die Seinen am gesündesten? Wer hat das beste Styling, das glamouröseste Freizeitprogramm, den niedrigsten Körperfettanteil, den heißesten Sex, die exotischsten Reiseziele, den hoffnungsvollsten Nachwuchs, die geistreichsten Gedanken, die geschmackvollste Osterdekoration? Bis vor ein paar Jahren wurde dieser Wettbewerb vornehmlich im realen Freundes- und Bekanntenkreis ausgetragen. Inzwischen findet er längst öffentlich statt: im Internet, der globalen Bühne geschönter oder zumindest selektiver Selbstdarstellung.

Selbstdarstellung führt zu Unzufriedenheit

Die sozialen Medien, mutmaßte kürzlich eine Bloggerin der US-amerikanischen "Huffington Post", würden insbesondere uns Frauen zum ständigen "Compare and Despair", "Vergleichen und Verzweifeln", verleiten: In Zeiten, in denen es anderen berufstätigen Müttern offenbar nicht nur gelingt, an einem x-beliebigen Montag "Rehschnitzel, saure Linsen mit Spätzle, Cranberries und Rosmarinbutter" zum Abendessen zu servieren, sondern auch noch, das fertige Gericht höchst appetitlich anzurichten, abzulichten und samt flott geschriebenem Kommentar und detailliertem Rezept in ihrem prämierten Food-Blog zu posten - ja, in solchen Zeiten ist es keine leichte Sache, sich damit zufriedenzugeben, dass die eigenen Kinder mal wieder gebratene Nudeln von gestern mit Rührei und Cabanossiwürfeln essen müssen und man selbst es nach dem Kücheaufräumen nur schafft, ins Bett zu kriechen, um Schokolade und einen Krimi in sich hineinzustopfen.

Es lohnt sich, es trotzdem zu versuchen. Und zwar, indem man sich die Idee aus dem Kopf schlägt, etwas Besonderes sein zu müssen. Stattdessen sollten wir uns klarmachen, dass "das ruhige, unaufgeregte, selbstverständliche und alltägliche Leben, das viele tatsächlich auch führen", gut genug ist, um damit zufrieden sein zu dürfen: Normalität, so Maria Schorpp in ihrem Buch "Die Lust, normal zu sein", könne wie ein Beruhigungsmittel wirken "gegen unsinnige Aufgeregtheiten, die nur dem Wohlbefinden schaden. Das normale Leben steht letztlich für alles, was der Unkultur der übersteigerten Selbstdarstellung, Ich-Bezogenheit, Äußerlichkeitsversessenheit und den Vorstellungen von sich selbst als außergewöhnlichem Einzelnen sowie dem Selbstverwirklichungskult entgegensteht".

Zufriedenheit heißt nicht Kapitulation

Dazu gehöre auch, dass wir endlich aufhören, auf die zu hören, die uns einreden wollen, dass Zufriedenheit Stillstand und Kapitulation bedeute. Dass, wer sich weiterentwickeln wolle, ständig über seinen Schatten springen und das Leben ausgerechnet dort verändern müsse, wo es besonders gemütlich ist, rät Maja Storch: "Ich weiß nicht, wo dieses Gerede vom Verlassen der Komfortzone seinen Ursprung hat, auf jeden Fall ist es falsch. Persönlichkeit entwickelt sich am besten, wenn ich in einem gut überlegten Prozess der Selbstreflexion zunächst einmal herausgefunden habe, was mir guttut und was mir nicht guttut." Und weiter: "So wird man normal - indem man lernt, auf sich selbst zu hören, und sich dann erlaubt, sich mit Hingabe dem zu widmen, was einem behagt."

Mir persönlich behagt es deutlich mehr, auf dem Sofa zu sitzen und mich mit Hingabe dem Konsum amerikanischer Serien zu widmen, als joggen zu gehen. Ich habe mich damit abgefunden: Aus mir wird niemals eine Sportskanone werden, genauso wenig wie ein modisches Vorbild oder eine Superköchin. Und den Bestseller zu schreiben, mit dem ich steinreich und berühmt werde, das bekomme ich wahrscheinlich auch nie hin. Schwamm drüber! Ich habe begonnen, Frieden zu schließen mit dem, was ich bin, mag und habe - und mit dem, was ich nun einmal nicht bin, nicht mag, nicht erreichen und nicht bekommen werde. Und habe festgestellt: Die Zufriedenheit, die sich einstellt, wenn man sich begnügt mit dem, was man ist und hat, fühlt sich kein bisschen nach Resignation an. Sondern nach großem Glück.

Neulich saß ich im Auto, neben mir eine Brötchentüte. Gerade hatte ich meine Tochter zum Nähkurs gefahren, ich stand an einer roten Ampel und wartete darauf, in unsere Straße einbiegen zu können. Es regnete, es war kalt und grau. Aus der Tüte zog Brötchenduft. Beim Warten dachte ich an meine Tochter, die mit einer Freundin etwas Schönes vorhatte. An mein Zuhause und an den Mann und den Sohn, die in diesem Zuhause sicher noch schliefen. Daran, dass ich gleich den Frühstückstisch decken, dann in Ruhe schon mal einen Kaffee trinken und Zeitung lesen würde. An einem verregneten Samstagmorgen um halb zehn auf der Rechtsabbiegerspur überwältigte mich tief empfundene Freude - über mein stinknormales Leben. Es ist gut so, wie es ist.

Text: Julia Karnick

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