Anzeige

Von der Kunst zum Garten Warum Maria Giménez den Pinsel gegen Rüben austauschte

Von der Kunst zum Garten: Maria Giménez
© Meike Kenn / Brigitte
Die Künstlerin Maria Giménez tauschte Pinsel und Vernissagen gegen Rüben und Salatköpfe: Ohne Vorkenntnisse baute sie in Brandenburg einen regenerativen Landwirtschaftsbetrieb auf. Was sie erntet, ist so gut, dass Berlins Sterneköche Schlange stehen. Was sie sät, ist noch besser: Hoffnung.

Maria Giménez, 41, steht in ihrem Gemüsegarten und hält ein zartes Möhrchen in den Sommerhimmel. "Diese Möhre ist die Zukunft unserer Ernährung", sagt die zierliche Frau in schweren Stiefeln, Jeans und Wickelbluse, "die einzig denkbare Zukunft, wenn wir die Klimakatastrophe noch in den Griff bekommen wollen." Maria meint das völlig ernst, auch wenn sie dabei strahlt. Und wer nicht an sie und ihr Gemüse glaubt, hat wahrscheinlich noch nie von Marias nachhaltigem Landwirtschaftsprojekt "Wilmars Gaerten" bei Trebbin in Brandenburg gehört. 360 Hektar regenerative Landwirtschaft im Einklang mit der Natur, eine üppige grüne Insel zwischen sonnenverdorrten Feldern, Biogemüse, das ihr von Sterneköchen aus den Händen gerissen wird. Wenn Maria Giménez mit ihren Möhrchen die Welt retten will, ist sie schon ziemlich weit gekommen.

Die Künstlerin will eine Food-Revolution

Dabei ist die bildende Künstlerin erst vor drei Jahren in den Gemüsebetrieb eingestiegen. Aber wie sie hier gerade zwischen Gewächshaus und Hochbeeten herummarschiert, globale Ernährungsstatistiken auflistet, Pestizidformeln entschlüsselt und dabei immer wieder über die eigene Begeisterung für Salatköpfe, Zucchini und Zuckerschoten lacht, wirkt sie nicht nur unfassbar energisch und eloquent, sondern auch wie die charismatische Anführerin einer dringend notwendigen Food-Revolution. "Wir leben den Menschen hier eine Utopie vor, in die sie uns folgen können, folgen müssen eigentlich. Davon wollen wir sie überzeugen", sagt Maria.

Vor dem kleinen Bahnhof von Thyrow brettert ein Lieferwagen heran. Maria, Sohn Oskar, 3, und Dackel Wilma rücken für den Besuch auf der Sitzbank im Fahrerhäuschen zusammen. Neben ihrem Anbauprojekt teilen sich Maria und ihr Mann Julius, der ebenfalls aus der Kunstszene kommt, die Aufzucht ihrer sechs Kinder, die in Berlin zur Schule und Kita gehen und die Wochenenden und Ferien in einem kleinen Häuschen auf dem Biohof verbringen.

6 Kinder und immer auf Achse

Maria pendelt jeden Tag zwischen Schöneberg und "Wilmars Gaerten", zu deren Stammkundschaft mittlerweile Berliner Spitzenrestaurants wie "Nobelhart und Schmutzig", "Ora", "Michelberger", "Ernst" und das angesagte "Mrs Robinson gehören. Zusätzlich beliefert sie fünf Berliner Wochenmärkte. Ihre Gemüsestände sind für die Kundschaft leicht zu erkennen, denn Maria arrangiert ihre Auslagen von Rettichen, Rübchen und Kräutersträußen wie impressionistische Gemälde. Und über allem weht eine Kartoffelsack-Flagge mit dem Projekt-Logo: einem kleinen Mädchen mit altmodischer Haarschleife und riesigem Apfel im Arm.

Zeit ist immer knapp, und Maria gibt Gas. Gleich außerhalb Thyrows, hinter dem Flüsschen Nuthe, schwingt sie den Arm über die umliegenden Felder, auf denen in regelmäßigen Abständen hohe Pappeln stehen: "Willkommen! Hier beginnen ,Wilmars Gaerten‘. Dies ist schon unser Agroforst. Dahinter liegen unsere Streuobstwiesen mit Nuss- und Obstbäumen." Moment, einen Gang runter, bitte. Was ist ein Agroforst? Maria erklärt mit pädagogischer Langsamkeit: "Agroforst ist die Verbindung von Feldern und Bäumen. Ich will es Landwirten in der Staubwüste Brandenburgs schmackhaft machen, wieder Bäume auf ihre Äcker zu pflanzen, wie es sie früher gab. Bäume bremsen die heißen Sommerwinde. Vögel und Insekten siedeln sich in den Grünstreifen unter ihren Kronen an. Der Boden darunter ist durch das Wurzelwerk wie ein Schwamm und verbessert so den Wasserhaushalt des ganzen Umlandes." 200 000 Pappeln habe sie mit ihrem Team bereits auf den Feldern gepflanzt. Pappeln, weil die schnell wachsen und günstig sind, aus einem kleinen Zweiglein zu ziehen, rattert Maria schon wieder los. Sekunde bitte, 200 000 Bäume? "Genau. Cool, oder?", sagt die Junglandwirtin mit stolzem Grinsen.

Wir biegen von der Landstraße durch ein Flügeltor in grünes Dickicht ab: Der historische Schlosspark von Fritz von Schwerin, einst preußischer Graf und ebenfalls Baumliebhaber, der hier allein 350 Ahornarten pflanzte, bevor er 1934 starb. Sein Schloss mit Ländereien wurde zu DDR-Zeiten ein Kinderheim, nach der Wende zu einem Viehbetrieb. Dann stand es leer. Bis vor 20 Jahren Marias Schwiegervater, der Galerist Michael Werner, das Anwesen kaufte, ins Schloss zog und Werke befreundeter Künstler wie Markus Lüpertz und A. R. Penck im Park verteilte. 

2018 bot der Galerist die 360 Hektar Land, die zu seiner neuen Bleibe gehören, seinem Sohn Julius und dessen Frau Maria an. "Damals war ich an einem Punkt in meiner Karriere, wo ich dachte:

'Wie kann es sein, dass ich mit unseren sechs Kindern immer noch im Atelier Leinwände vollpinsele und Ausstellungen mache mit Small Talk und Champagner, während um uns herum die Welt abbrennt?'

"Aber es ging mir wie vielen Menschen. Man weiß nicht, was man tun soll. Man befindet sich in einer komischen Lähmung. Man kauft im Bioladen ein, fährt weniger Auto, aber man weiß, dass Papierstrohhalme den Braten nicht fett machen. Also war klar, dass ich diese Chance wahrnehmen musste. Und jetzt stecke ich hier alles rein: all meine Kraft und all mein Geld. Wie beim Pokern. Alles auf eine Karte. Denn wir haben keine Minute Zeit zu verlieren."

Mit "Wilmars Gaerten" will Maria Giménez eine Behauptung aufstellen, die so selbstverständlich wie revolutionär klingt: "Wir können auf die Natur achtgeben und gleichzeitig gut leben und essen. Viele meinen ja, nachhaltige Landwirtschaft werfe nicht genug ab, um alle Menschen auf der Welt satt zu bekommen. Aber das stimmt nicht. Es reicht für alle. Industrielle Landwirtschaft produziert mit ihren Pestiziden und künstlichen Düngern 45 Prozent mehr Lebensmittel, als wir brauchen. Die fliegen meist in die Tonne. Aber müssen wir krumme Möhren aussortieren? Das geht doch auch anders. Da möchte ich Brückenbauerin sein und neue Wege zeigen. Wir dokumentieren jeden Schritt, den wir hier tun, und geben alles Gelernte gern weiter."

Keine Vorkenntnisse, aber ganz viel Intuition

Ihre Vorkenntnisse? Quasi null, sagt sie lachend, nur Intuition. Ihr Mann habe sich schon lange mit dem Thema regenerative Landwirtschaft beschäftigt und Planer und Berater an Bord holen wollen. Aber brauche man immer Experten? Sie habe sich dagegen entschieden, einfach mal anfangen wollen. "Theorien können schnell überfordern, und andere Menschen sind damit schwer zu gewinnen. Ich habe gesagt: Wir legen sofort los. Wir werden Fehler machen und daraus lernen. Nur keine Angst vorm Scheitern." Halb ironisch haut Maria mit der Faust auf den Gartentisch. "Dieser Ort hier hieß im Original mal Wendisch Wilmersdorf, abgeleitet von Wilmar – ,Will‘ kommt von Willen, ,ma‘ von groß. ,Wilmars Gaerten‘, von großem starkem Willen – passt doch zu unserem Abenteuer."

Abenteuer – darin ist Maria Spezialistin

Sie wächst in Bonn auf. Der Vater ist Elektriker mit Wurzeln in Südspanien, die Mutter erst Krankenschwester, dann Cafébesitzerin. Marias Schulkarriere ist ein Fiasko: "Alle Fächer sechs, nur Kunst war ’ne eins." Sie verlässt das Gymnasium vorzeitig, will erst Filme machen und findet dann in der Malerei ihr Medium, zieht mit Anfang 20 nach New York, dann nach Berlin. In einer WG in Schöneberg malt sie riesige figurative Ölbilder, wird erfolgreich, zur Szenefrau. 

"Mit ,Wilmars Gaerten‘ war das erst mal vorbei", wischt Maria diese Ära vom Kaffeetisch. "Am Anfang habe ich noch beides gemacht, gemalt und gegärtnert, aber schnell gemerkt: Das funktioniert nicht. Der Hof verlangt eine andere Energie, Verantwortung, Termine. Also kümmere ich mich jetzt nur um die Gärten. Wenn die einmal stehen und ich sie weitergeben kann, fange ich wieder an zu malen. Aber so lange ist dies meine Leinwand. Hier im Park hat man genau das Gefühl der Impressionisten: Wir leben in einer Welt unfassbarer Schönheit. Wie zum Teufel kommen wir auf die Idee, die kaputt zu machen?"

Das Gelände ist etwa so groß wie der New Yorker Central Park

Marias Mann Julius steigt vom Rasenmäher, grüßt freundlich und schnappt sich Sohn Oskar zum Angeln. Gelegenheit für eine Führung, begleitet von Marias Hofhunden, einer Meute Dackel. Der Parkweg windet sich vorbei an Gewächshäusern und Beeten. Was läuft hier anders als sonstwo? Maria zeigt, streicht liebevoll über Sprösslinge. Die zarten Möhrchen zum Beispiel werden aus eigenem Saatgut gezogen. Die gesunden Jungpflanzen kommen dann in den Garten – alles Handarbeit. Auf den Hochbeeten aus Kompost rotiert regelmäßig die Fruchtfolge, um den Boden nicht auszulaugen. All dies geschieht ohne chemische Zutaten. "Es sind nur die Sonne und unsere Fürsorge, die unser Gemüse wachsen lassen", sagt Maria.

Über die wilde Wiese kommt uns Wilmars Belegschaft auf dem Weg zum Mittagessen entgegen. Eine junge und bunte Truppe zu Fuß, auf Fahrrädern und in einem verbeulten Nissan Pick-up. "Wilmars Gaerten" beschäftigen mittlerweile neben allen, die auf der Scholle arbeiten, eine Köchin, einen Landwirt, eine Bürokraft und eine wissenschaftliche Mitarbeiterin . "Meine Piraten-Crew", nennt sie Maria, "lauter Freigeister mit derselben Vision."

Von der Kunst zum Garten: Warum Maria Giménez jetzt Gemüse anbaut
Maria und ihre "Piraten-Crew" beim gemeinsamen Mittagessen mit Zutaten aus der eigenen Ernte.
© Meike Kenn / Brigitte

Im Schatten alter Ahornbäume liegt eine Herde zotteliger Highland-Rinder. "Sind die nicht hübsch? Die sind unsere wichtigsten Helfer bei der Bodenverbesserung", sagt Maria. "Wir betrachten hier alles als großen Kreislauf: Wenn eine Kuh Humus liefert und Nährstoffe in den Boden bringt, ist sie kein Klimakiller, sondern Bestandteil eines gesunden Ökosystems. Dann darf man sie später auch ohne schlechtes Gewissen essen." Auf der Wiese nebenan stehen Korn- und Mohnblumen – und Marias regenerative Imkerei. Wie macht man einen Bienenstock nachhaltig? "Indem zum Beispiel die Bienen ihren Honig so lange behalten dürfen, bis ein Überschuss entsteht. Und nur den schöpfen wir dann ab. Im Moment sind das zehn Kilo im Jahr. Nicht viel, aber diesen Honig kippt man sich auch nicht literweise in den Tee. Das ist eine Frage der Wertschätzung gegenüber der Natur, die wir alle wieder lernen müssen."

Wir wandern weiter durch die üppigen Gartenanlagen, die vor drei Jahren noch "komplette Sandacker" waren, wie Maria sich erinnert. Unvorstellbar für jemanden, der heute zum ersten Mal unter den hohen Bäumen, zwischen dichtem Gesträuch und kniehohen Wiesen entlangspaziert. "Ich denke oft an den Satz von Joseph Beuys, dass jeder Mensch ein Künstler sei", sagt Maria. "Das habe ich lange nicht kapiert. Aber ob ich eine Leinwand bemale oder einen Garten anlege, ist genau dieselbe Schaffenskraft. Wir ducken uns alle weg in unserem Leben, fühlen uns wie winzige Rädchen im Getriebe. Völliger Unsinn. Wir alle können die Realität schaffen, in der wir leben wollen. Und es macht nebenbei wahnsinnig viel Spaß, diese Kraft auszuleben – das Beste gegen Depressionen!"

Das Ziel: mehr Bewusstsein für Nachhaltigkeit

Um anderen dabei auf die Sprünge zu helfen, bieten "Wilmars Gaerten" seit diesem Jahr regenerative Garten- und Imker-Workshops an, außerdem Kräuterwanderungen und Führungen für Schulklassen, die Maria besonders wichtig sind: "Wir wollen Nähe zur Natur vermitteln, nachhaltiges Wissen, aber keine Dogmen. Ich habe riesigen Respekt davor, was die anderen Landwirte in dieser Gegend leisten. Und ich kenne mittlerweile einige, die gern nachhaltiger produzieren würden, aber das nicht allein finanzieren können. Die müssen wir in ihren Forderungen unterstützen."

Maria und Julius selbst hatten Glück. Als sie mit "Wilmars Gaerten" loslegten, suchte die örtliche Naturschutzbehörde gerade eine Kompensationsmaßnahme für den Bau eines großen Möbelunternehmens im Grünen. Ein Projekt, das der Natur zugutekommt und dafür finanzielle Starthilfe erhält. Maria bekam den Zuschlag. Tragen sich ihre Gärten mittlerweile selbst? "Wenn wir von Wirtschaftlichkeit reden, meinen wir immer nur Geld. Wirtschaftlichkeit bedeutet für mich, mit unserer Lebensgrundlage vernünftig zu wirtschaften, sodass wir am Leben bleiben. Aber bei all dem idealistischen Geschwafel – wir sind auch wirtschaftlich. Ich will ja zeigen: Das funktioniert."

Von der Kunst zum Garten: Maria Giménez, Julia Vermöhlen und Ann-Sophie Raemisch
"Freigeister mit derselben Vision": Maria Giménez mit Köchin und Bäckerin Julia Vermöhlen (rechts) und Ann-Sophie Raemisch (Mitte), die Kochkurse organisiert
© Meike Kenn / Brigitte

Unser Rundgang ist beendet. Julia Vermöhlen, die Köchin von "Wilmars Gaerten" mit den coolen Tattoos auf den Armen, hat uns zwei Teller Zucchini-Nudelsalat vom Mittagessen aufgehoben. Die ersten Zucchini aus dem Garten. Und tatsächlich kann man die Liebe schmecken, die "Wilmars Gaerten" in ihr Gemüse stecken – auch wenn dieses köstliche Tellergemälde mit seiner Deko aus winzigen Wiesenblumen schon fast wieder zu schön zum Essen ist.

Wilmars Gaerten liegen in Trebbin (Märkisch Wilmersdorf) in Brandenburg. Maria Giménez und ihr Team sind auf folgenden Berliner Märkten zu finden: mittwochs und samstags auf dem Karl-August-Platz in Charlottenburg, donnerstags an der Akazienstraße in Schöneberg, samstags auf dem Schillermarkt in Neukölln. Veranstaltungen, Workshops und mehr unter wilmarsgaerten.com

Diese Reportage ist Teil der "PACKEN WIR’S AN"– THEMENWOCHE der Medien von RTL Deutschland, zu denen auch diese Zeitschrift zählt. Von 24. bis 30. Oktober 2022 wird crossmedial auf allen Plattformen und bei allen Angeboten über das Thema NACHHALTIGKEIT berichtet. Mit Blick auf die aktuelle Energiekrise geht es in diesem Jahr schwerpunktmäßig um den Bereich Energie.

Dieser Text stammt aus der BRIGITTE WOMAN.

Brigitte

Mehr zum Thema

VG-Wort Pixel