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Ronja Ebeling So nachhaltig kann Sexspielzeug sein

Ronja Ebeling: eine Frau hält 3 Gurken und eine Zucchini in den Händen vor ihr Gesicht
© Franziska Kestel / Brigitte
Ganz schön viel Gift und Plastik, dachte unsere Autorin Ronja Ebeling, als sie nach einem neuen Dildo suchte. Und baute sich dann ihr eigenes Sexspielzeug.

Ganz leicht zitterten ihre Finger, als sie die Packung des roten Kondoms mit Erdbeergeschmack aufriss. Dann griff sie entschlossen nach der Salatgurke, die vor ihr auf dem Tisch lag, und zog mit einer geübten Bewegung das Kondom über das grüne Gemüse. "Kommt aber nicht auf die Idee, euch mit einer verkeimten Gurke zu vergnügen, Mädels! Da gibt’s anderes Spielzeug für", rief meine Biolehrerin uns noch hinterher, als wir nach dem Pausenklingeln so schnell wie möglich aus dem Klassenzimmer stürmten.

Zwölf Jahre sind seitdem vergangen, und heute weiß ich nicht nur, wie man ein Kondom überzieht, sondern auch, dass verkeimte Gurken beim Masturbieren das kleinere Übel sind – wenn auch keine gesunde Alternative. Was wir im Aufklärungsunterricht damals nämlich nicht besprochen haben: Während es für Materialien beim Kinderspielzeug klare Richtlinien gibt, vergnügen wir uns als Erwachsene oft mit gesundheitsschädlichen Substanzen. Stiftung Warentest hat 2019 ermittelt, dass nur drei von 18 Lovetoys frei von Schadstoffen und damit unbedenklich zu benutzen sind – krass, oder?

Die Erkenntnis turnt mich nicht nur ab, sie macht mich auch wütend. Denn besonders für Frauen ist sie fatal: 72 Prozent stehen laut einer Studie der Technischen Universität Ilmenau beim Solosex auf ein Toy – vermutlich ohne zu wissen, welche Stoffe sie ihrem Körper zumuten. Dass die verwendet werden, liegt vor allem daran, dass sie so billig sind – ein Kostenfaktor in einer Branche, die jährlich 15 Milliarden Euro allein im Online-Erotikhandel umsetzt. Und zu Coronazeiten noch mal mehr. Was mich auch abfuckt: Dass all die fleischfarbenen Dildos in Penisoptik und die pinkfarbenen Plastikphallusse überwiegend von Männern erdacht wurden und das Wohlbefinden und die sexuelle Gesundheit der Frau aber in dieser Branche nicht wirklich jemanden zu interessieren scheinen, sonst würde man ja wohl kein Gift verarbeiten.

Können Gurken Sünde sein?

Also will ich es mir selbst machen – das Lovetoy. Und den Solosex natürlich auch. Ich halte Sexspielzeug für die beste Möglichkeit herauszufinden, was ich will. Denn je besser ich weiß, was ich mag und was eben nicht, umso klarer kann ich es auch meinem Partner kommunizieren. Ich denke nämlich nicht, dass mein Orgasmus in seiner Verantwortung liegt. Also recherchiere ich und stoße auf Anja Koschemann. Die gelernte Chemielaborantin hat früher als Umwelttechnikerin Schadstoffe untersucht. Als sie sich vor fast 17 Jahren die Inhalte von Lovetoys näher anschaute, war sie schockiert und gründete ihr Label SelfDelve. Mittlerweile ist sie Expertin für körper- und umweltfreundliche Liebesaccessoires und soll mir nun dabei helfen, mein eigenes Sexspielzeug zu bauen. "Nichts lieber als das", antwortet sie mir prompt auf meine Anfrage per Mail. "Was genau stellst du dir denn vor?"

Ich stöbere durch ihren Onlineshop, der einem knallbunten Biogemüseladen gleicht. Die Auswahl ist divers, die verschiedenen Obst- und Gemüsesorten versorgen den weiblichen Körper auf ganz unterschiedliche Weise: Eine Himbeere kann zum Beispiel über die Klitoris erregen. Der Maiskolben massiert mit seiner unebenen Struktur die Vaginalwände. Die Paprikaschote erreicht durch ihre schlanke, spitze Form sogar den Muttermund – Anja nennt das einen "Universums-Orgasmus". Ein Kaktus ist für all jene, die über die Stimulierung der Vulvalippen zum Höhepunkt kommen. Als Hommage an meine frühere Biolehrerin und im Sinne des Aufklärungsunterrichts entscheide ich mich schließlich, nach reiflicher Überlegung, für, genau: die Salatgurke.

Die Chemie stimmt

Einige Wochen später stehe ich in Anja Koschemanns Dresdener Werkstatt und mixe in einem Gefäß zwei weiße Silikonkomponenten in einem Verhältnis von eins zu eins zusammen. Dabei handelt es sich um sogenanntes Platinsilikon, das auch in der Medizin verwendet wird und keinerlei Reaktionen im Körper auslöst. "Bei der Herstellung von herkömmlichem Sexspielzeug dagegen wird unter anderem Bausilikon benutzt, weil es billiger ist. Das ist das Zeug, mit dem im Badezimmer das Waschbecken abgedichtet wird", erklärt Anja. Diese Art von Silikon stecke voller Weichmacher, die über die Schleimhäute im Intimbereich in den Körper eindringen. "Teilweise können sie sogar krebserregend sein", sagt die 47-Jährige. Bei ihren Worten höre ich kurz auf zu rühren und denke an den billigen Vibrator, den mir Freundinnen zum 18. Geburtstag geschenkt haben: ein quietschpinkes Teil mit Kleberesten. "Ich hatte Bausilikon in meinem Körper", fasse ich Anjas Aussage noch mal für mich zusammen. Mir wird schlecht.

"Wie kann es sein, dass das erlaubt ist?", frage ich. "Es gibt dafür keine gesetzlichen Standards", sagt Anja. Deswegen prüfe sie alles selbst doppelt und dreifach. So auch die gelbe und grüne Farbe, die sie mir jetzt anreicht, um mein Gürkchen reifen zu lassen. "Das sind Pigmente, die auch für die Lebensmittelindustrie zugelassen sind", erklärt sie, gemeinsam wiegen wir ein paar Milligramm ab, um die Farbe unter das Platinsilikon zu mischen. "Die Besonderheit ist, dass die Pigmente auf Temperatur reagieren: Wenn es kalt ist, strahlt die Gurke in einem saftigen Grün. Durch deine Körperwärme wird sie hellgrün", sagt Anja. "Und diese Spielerei ist gesundheitlich unbedenklich?", frage ich. Anja nickt. Es handele sich dabei um die gleichen Pigmente, die auch beim Färben von Babybreilöffeln benutzt werden. "Sie wechseln ihre Farbe, wenn der Brei zu heiß ist", erklärt sie mir. Anja wünscht sich für Erwachsene hier dieselben Standards wie für Kinder. Ich nicke begeistert und gieße die Silikonmasse hochkonzentriert in eine vorgefertigte Form, in der sie sich in den nächsten Stunden zu meinem Dildo festigen wird.

Ronja Ebeling: eine Frau mit Malermaske hängt 4 Gurken zum Trocknen auf
© Franziska Kestel / Brigitte

Grüne Vibes

In der Wartezeit texte ich Johanna Rief. Sie ist – Achtung! – Head of Sexual Empowerment der Marken Womanizer, We-Vibe und Arcwave, der erfolgreichsten Vibratoren am deutschen Markt, ihre Branche bezeichnet sie als Sexual Wellness Industry. Ob es ihrer Meinung nach andere Standards für Sextoys gäbe, wenn hauptsächlich Männer sie zur Selbstbefriedigung nutzen würden? "Vermutlich ja", sagt sie. "In den vergangenen Jahrhunderten wurden Forschung, Medizin und Wissenschaft aber hauptsächlich von Männern dominiert. Deshalb steht das männliche Geschlecht fast überall im Fokus." Nur langsam legten Sextoys ihr zwielichtiges Image ab, gesundheitliche sowie nachhaltige Standards würden von einigen Firmen mittlerweile in Eigeninitiative festgelegt. Die Marke Womanizer zum Beispiel hat gerade den ersten nachhaltigen Vibrator aus Maisstärke lanciert. Ein Vorzeige-Toy in jeglicher Hinsicht: Die Marke garantiert eine Lebensdauer von fünf Jahren, das Gehäuse ist biologisch abbaubar. Auch Anja von SelfDelve zeigt mir ihr Lager und erklärt dabei, dass sie die Verpackung umgestellt hat und jetzt statt Plastikfolie biologisch abbaubares Graspapier und Verpackungschips aus Maisstärke verwendet.

Zurück in der Werkstatt öffne ich die Form und sehe, dass die Gurke hart geworden ist. Ich lege direkt Hand an und fange an zu reiben – ich will sofort testen, ob sich die Farbe wirklich verändert! "Haa!", rufe ich zufrieden und halte die hellgrüne Gurke hoch. Sie ist nicht ganz glatt, die kleinen Noppen sollen ähnlich wie beim Maiskolben den Vaginalweg massieren und dadurch das Lustempfinden erhöhen. Um der Oberfläche auch optisch den letzten Schliff zu geben, bearbeite ich sie mit einer Sprühpumpe. Leicht überfordert stelle ich fest, dass es gar nicht so einfach ist, mit der Maschine im richtigen Rhythmus über die Gurke zu fahren. "Ist eben mein erstes Mal", murmele ich. Die Gurke ist jetzt etwas fleckig. Ich gucke sie skeptisch an. Ich bin zwar ein Veggie-Lover, aber das soll erotisch sein und Lust erzeugen? Hmmm, ich weiß nicht.

Anja lacht, als ich ihr von meinen Zweifeln erzähle. Durch ihre Lovetoys, sagt sie, erlebten viele Menschen ein erstes Mal und echte Aha-Momente. Zum Beispiel die etwa 80-jährige Dame, die ihr halbes Erwachsenenleben den Wunsch hegte, sich ein Sextoy zu kaufen, sich aber lange selbst für ihre Lust verurteilte. Weil die "SelfDelve"-Spielzeuge, sagen wir, nicht ganz so anrüchig aussehen wie herkömmliche, fiel es ihr leichter, sich diesen Wunsch auch tatsächlich zu erfüllen. Gleichzeitig probieren sich viele Paare mit Anjas Gemüsesorten neu aus, weil es mit einer Banane, einer Himbeere oder einem Maiskolben in der Hand eben irgendwie leichter fällt. "Es ist dann einfacher, drüber zu lachen, wenn mal etwas nicht funktioniert", sagt Anja. "Humor nimmt den Performancedruck im Bett."

Sie verschließt meine Gurke mit einer letzten, durchsichtigen Silikonschicht. Dann überreicht sie mir das Gemüse feierlich in einer Metalldose, und mich überkommt ein kleiner Anflug von Stolz: mein selbstgebautes Sextoy – umweltfreundlich, gesund und voller Liebe.

Ich fotografiere die Gurke ab und schicke das Bild meinem Partner. "Heute schon ausreichend Grünzeug gegessen?", tippe ich ziemlich platt und lache dabei. Ich weiß plötzlich genau, was Anja meinte, als sie sagte, ihre Lovetoys bringen gute Laune in die Beziehung. Und nicht nur das: Die Gurke hält, was sie verspricht, und macht nachhaltig Lust. Nie wieder Bausilikon, sage ich da nur. Ich habe mich jedenfalls daran gewöhnt, Gurken nicht mehr nur im Kühlschrank rumliegen zu haben, sondern auch aufm Nachttisch.

Ronja Ebeling meldet sich zu Wort in ihrem Buch "Jung, besorgt, abhängig: Eine Generation in der Krise"

In BE GREEN, dem Nachhaltigkeitsmagazin von BRIGITTE, lest ihr Tipps, Tricks und spannende Geschichten rings um ein schönes grüneres Leben

Brigitte

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