Als wir Kinder waren, mag uns einiges, was unsere Großeltern taten, schrullig und sonderbar vorgekommen sein. Zum Beispiel, dass unser Großvater Sand und Muscheln von Orten, die er bereist hatte, in alten Marmeladengläsern aufhob. Und Vogelfedern sammelte, um sie ebenfalls aufzubewahren. Oder dass unsere Großmutter nie ohne Notizheft (aber immer ohne Handy ...) aus dem Haus ging und Essensreste stets verlängerte und zweit- und drittverwertete, anstatt sie einfach zu entsorgen. So etwas nahmen wir wahr, ohne uns allzu viel dabei zu denken – und ohne es zu verstehen. Blicken wir jedoch heute auf solche Erinnerungen an unsere Großeltern zurück, erschließt sich uns oft der Sinn ihres Verhaltens. Und das Gleiche gilt für ihre Worte.
Ob es alte Sprichwörter und Weisheiten waren, die wir von unseren Großeltern zu hören bekamen, oder bestimmte Sätze, die sie in ganz konkreten Situationen zu uns sagten, einige ihrer Aussagen verstehen wir erst jetzt, da wir Jahrzehnte später daran zurückdenken. Liegt es daran, dass uns damals die Erfahrung fehlte, um das Wissen unserer Großeltern zu erkennen? Oder die Geduld, um aufmerksam zuzuhören? Oder ist es einfach diese Geschichte, dass im Rückblick und mit Abstand alles anders wirkt als in dem Moment selbst, dass die Zusammenhänge plötzlich klar werden und einen Sinn zu ergeben scheinen? Wer weiß. Vielleicht ist es eine Kombination aus allem. Folgende Sätze unserer Großeltern blieben uns auf jeden Fall lange im Gedächtnis, bis sich uns Jahre später ihre – möglicherweise wahre – Bedeutung erschloss.
Sätze von unseren Großeltern, die wir erst Jahre später wirklich verstanden haben
"Wenn jemand aus unserer Familie eine schwere Zeit durchmachte, pflegte meine Großmutter – in kölschem Dialekt – diesen Satz zu sagen. Früher fand ich die Aussage nicht besonders hilfreich, doch heute weiß ich, dass sie wahr ist: Das Leben ist wie ein Fluss. Er passiert öde Landschaften und wunderschöne. An manchen Stellen ist er wild, voller Untiefen, Strömungen und Gefahren, an anderen wiederum ruhig und friedlich. Was uns heute wichtig erscheinen mag, ist in Wahrheit nur Wasser unter der Brücke. Auf seinem Weg ins Meer."
"Hä? Die paar Cent, die man manchmal auf dem Gehweg findet, wenn man sehr aufmerksam ist? Nein, das hat Oma nicht gemeint, wenn sie diese Weisheit weitergab, das verstehe ich jetzt. Was sie meinte, war (vermutlich): Nur indem wir nach draußen gehen, können wir reich werden. Ob sich das auch auf unserem Konto niederschlägt, sei dahingestellt, doch was spielt das schon für eine Rolle. Hauptsache reich."
"Was will Oma damit bloß sagen? Früher hatte ich nicht den blassesten Schimmer, heute verstehe ich die Relevanz und Bedeutung dieser Weisheit: Bei den anderen Menschen sieht es nur so aus, als wäre alles Friede, Freude, Eierkuchen. Als fiele ihnen alles leicht und als wüssten sie genau, was sie tun und was die Zukunft bringt. Kein Leben ist perfekt oder einfach, wir alle haben unsere Probleme und Sorgen. Daraus folgt erstens: Es liegt nicht an mir, wenn nicht alles reibungslos läuft, so ist nun mal das Leben. Und zweitens: Wenn mir jemand doof kommt, liegt es vielleicht an dem Ach unter seinem:ihrem Dach."
"Mein Großvater sagte das einmal zu mir und aus irgendeinem Grund blieb der Satz hängen, obwohl ich ihn in dem Moment als nicht besonders bedeutsam empfand. Heute jedoch erscheint mir die Aussage, die darin steckt, als sehr wichtig und bereichernd: Uns ist nicht vorgegeben, wer wir sind. Wir können selbst entscheiden, selbst formen und beeinflussen, was wir tun und wie wir leben. Und wir wachsen und entwickeln uns, tatsächlich sogar unser Leben lang. Wenn er nicht schon tot wäre, würde ich meinen Großvater heute gerne fragen, ob er glaubt, dass wir als fertige Menschen sterben."
"Floskelig, floskliger, Oma! Ja, den Spruch hat jede:r mindestens einmal von der Großmutter gehört. Nur mitten im Liebeskummer schafft er ungefähr so viel Erleichterung wie Windstärke 10 bei 36 grad Sommerhitze. Wenn wir jetzt zurückblicken, verstehen wir besser, was dahintersteckt: Keine Liebe ist es wert, ihr ewig nachzutrauern. Denn, du hast es immer gewusst, liebe Oma: Es kommt ganz sicher jemand anderes. Das haben die meisten von uns erlebt. Und war das nicht eine unfassbar heilsame Erfahrung?"
"Wir sind heutzutage sehr empfindlich, wenn uns jemand sagt, dass wir uns nicht aufregen oder ärgern sollen – Stichwort Gaslighting und Gefühle zulassen und so weiter. Von daher scheint dieser Satz, den mein Großvater in schwierigen Situationen manchmal sagte, auf den ersten Blick nicht besonders im Trend zu liegen. Doch unterm Strich hatte Opa recht: Wir bekommen nun einmal ein bestimmtes Blatt ausgeteilt und damit dürfen wir spielen. Zurückgeben und neue Karten verlangen ist keine Option. Das heißt ja gar nicht, dass wir uns nicht aufregen und ärgern dürfen – solange wir weiterspielen, ist alles erlaubt, was nötig ist und hilft."
"Eines abends, als ich nicht einschlafen konnte, tischte mir mein Großvater diese eiskalte Lüge auf – und ich schlief ein. Damals glaubte ich ihm, heute weiß ich, dass ein Unterschied zwischen schlafen und schlaflos im Bett liegen besteht. Dafür bedeutet der Satz jetzt etwas anderes für mich: Manchmal, unter bestimmten Umständen, ist es okay, einen Menschen zu belügen, wenn wir ihm damit helfen können. Und manchmal ist es auch okay, uns selbst zu belügen und an das zu glauben, was uns nachts ruhig schlafen lässt. Bis heute hilft mir die Erinnerung an diesen Moment mit meinem Großvater, Gedanken und Grübeleien zu vertreiben, wenn ich abends im Bett liege. Für diese Lüge bin ich ihm auf jeden Fall dankbar."
"Ja, ja, Oma und Opa hatten ja nichts. Dass es bei diesem Satz, den meine Großmutter oft von sich gab, gar nicht unbedingt um Geld und Materielles geht, ist mir erst heute so richtig klar. Der Schlüssel zum Glück liegt in den Kleinigkeiten. Wenn wir lernen, die kleinen Dinge zu schätzen, können wir sehr glücklich werden – und frei."
Ob unsere Großeltern wohl wussten oder wissen, dass sie uns damals Samen in die Köpfe gepflanzt haben, die eine gewisse Zeit brauchten, um aufzublühen und schließlich Früchte zu tragen? Ob sie sich Gedanken darüber machen oder machten, welche Erinnerungen an sie uns wichtig und kostbar sind und wie sie uns prägen? Vielleicht schon, vielleicht aber auch nicht. Da wir nun aber einmal über diese Angelegenheit nachgedacht haben, besteht eine gewisse Möglichkeit, dass wir uns später einmal fragen werden, was unsere Enkel:innen beziehungsweise die jüngeren Generationen wohl von uns aufnehmen und behalten werden – und was wir ihnen gerne mitgeben möchten.