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Stärke oder Schwäche? 5 Anzeichen, dass du an zwanghafter Produktivität leidest

Eine Frau liest auf einer Wiese ein Buch
© maryviolet / Adobe Stock
Fällt es dir schwer abzuschalten und du hast gerne stetig etwas zu tun? Vermutlich bist du damit für viele andere sogar ein Vorbild. Aber: Hast du bei all deiner Aktivität noch dich selbst im Blick?

Zu Beginn gilt es eine Sache klarzustellen: Bei zwanghafter Produktivität muss es nicht unbedingt um die Arbeit gehen. Es sind oft auch andere Dinge, die wir einfach gerne tun und/ oder tun wollen und die uns das Gefühl geben, unser Leben etwas voranzutreiben. Beispielsweise durch das Lernen einer neuen Sprache, eines Musikinstruments oder regelmäßiges Körpertraining. Neben dem Selbstwollen gibt es aber noch einen weiteren Grund für eine sehr produktive Einstellung: Sich selbst beziehungsweise die eigenen Fähigkeiten zu verbessern oder diese auszubauen. Sie geben uns kleine (oder manchmal größere) Erfolgserlebnisse. Beispielsweise, wenn das erste Gitarrensolo sitzt, wir ein Gespräch in der gepaukten Fremdsprache führen können oder das Training sich bei einem Wettbewerb für uns auszahlt.

Ein weiterer Punkt kann es sein, dass wir nützlich oder sinnvoll sein wollen. Wir möchten möglicherweise, dass andere uns als Menschen sehen, die etwas schaffen oder generell von ihren Zielen nicht abzubringen sind. Oder vielleicht, dass wir selbst etwas für kommende Generationen zurücklassen wie beispielsweise unser Leben in Buchform. Und natürlich ist das alles im Grunde genommen gut. Denn viel zu schaffen und zu lernen wird in unserer Gesellschaft positiv gesehen. Doch hin und wieder sollten wir dem Körper trotzdem die Chance geben herunterfahren.

Zwei Formen von Individualismus

In den 90ern fassen der Soziologe Robert Bellah und seine Kolleg:innen das Streben der Menschen in zwei Ausprägungen zusammen:

  1. Das Mittel zum Zweck: Menschen dieses Typs haben meist allgemeine Ziele vor Augen: Sie wollen gesund sein, Geld verdienen oder ihr Wissen erweitern – oder eben alles zusammen. Für dieses Ziel arbeiten sie gerne, lernen Neues und bestehen die Herausforderungen, die auf dem Weg auf sie warten. Gleichzeitig sind sie weltoffen und beweisen oft Raffinesse und Kreativität. Sie erschaffen neue Produkte oder erfinden altes neu und sie lassen andere Menschen an diesen Dingen teilhaben. Ihre eigenen Errungenschaften möchten sie außerdem oft an die Menschen nach ihnen weitergeben, zum Wohl der Menschheit oder vorzugsweise ihrer Familie.
  2. Das Schöne im Selbstverständlichen: Menschen dieses Typs wertschätzen die kleinen Momente im Leben – sowohl Situationen der Trauer als auch der Freude sind für sie wichtige Lebensabschnitte. Dabei lebt er:sie, indem andere Dinge erlebt werden. Beispielsweise beim Freund:innen Treffen, Erinnerungen Schaffen und neue Erfahrungen Sammeln. Dieses Streben erfüllt diese Art von Personen.

Währen der erste Typ zielstrebig und diszipliniert durch die Welt geht, ist der zweite eher ein Freigeist, der das Leben in vollen Zügen ausschöpfen möchte. Beide sind vollkommen in Ordnung in ihrer losgelösten alleinstehenden Variante. Doch kombiniert können sie uns noch viel mehr Vorteile bringen. Denn auch wenn wir für die Welt nach uns eine Menge Errungenschaften vorweisen können und dafür geschätzt werden, ist es natürlich schön, auch die soziale und freudige Komponente im Hier und Jetzt mit einzubeziehen, in der wir uns an den schönen Momenten mit anderen erfreuen.

Um zu prüfen, ob du mal wieder eine Pause machen und mehr Zeit mit dir oder deinen Freund:innen verbringen solltest, kannst du dir die folgenden Fragen stellen:

Fühlst du dich, als müsstest du dich konstant beschäftigen?

Manchmal ist es an der Zeit, einfach nichts zu tun oder unfassbar unproduktiv zu sein – viele Menschen können diese "Nutzlosigkeit" wertschätzen, die andere in solchen Momenten empfinden. Für andere Personen ist es allerdings schwierig, alles liegen zu lassen. Doch es muss nicht direkt eine ganze Stunde sein. Wenn dich dieser Punkt betrifft, kannst du auch klein anfangen. Beispielsweise indem du dir einen Eiskaffee für den Sommer fertig machst und dich mit etwas Musik auf den Ohren auf den Balkon, in den Garten oder in das Wohnzimmer setzt – und dich einfach mal in Entspannung übst.

Wünschst du dir stets Ergebnisse zu sehen?

Wenn du gerade nicht arbeitest, dann möchtest du trotzdem klare Ziele umsetzen. Beispielsweise Aufgaben, die dir zu Hause über den Weg laufen: Abwasch, Staubsaugen, Rasen mähen oder Fenster putzen. Für produktive Menschen müssen die angefangenen Dinge am besten ein Ende finden, idealerweise sind die Ergebnisse dann noch sichtbar wie bei den gespülten Tellern. Du hast einen Tag frei? Dann nutze ihn für die schönen Dinge, geh frühstücken, lunchen oder ein paar Stunden so in die Stadt oder treffe dich mit deinen Liebsten. Deine Freizeit muss nicht nur aus Produktivität bestehen. 

Möchtest du am liebsten bleibende Erfolge mit dem haben, was du tust?

Die vorangegangenen Aktivitäten sind eher unzufriedenstellend: Das Geschirr wird wieder dreckig, der Boden staubig, das Gras wächst wieder. Stattdessen magst du vielleicht Dinge, die mit mehr Zeit größer werden und wachsen. Beispielsweise dein musikalisches Talent mit weiteren Übungsstunden, deine Sprachkenntnisse mit dem Lernen von Vokabeln oder ganz praktisch: Dein Geld durch das Anlegen in Fonds oder andere Kapitalanlagen. Fortschritt ist für jene Personen ein Zeichen, dass das Leben sich vorwärts bewegt – mehr (für diese Menschen auch oft in materieller Hinsicht) ist besser als "zu wenig". Das Gefühl, auf der Stelle zu treten ist für sie furchtbar. Doch in dieser Hinsicht hilft es, sich vor Augen zu führen, was man jetzt gerade hat – und was man vor fünf oder zehn Jahren vielleicht nicht hatte. Einiges kommt natürlich durch Planung und Fleiß zustande, aber in anderen Dingen ist der eigene Stress vielleicht gar nicht notwendig.

Ist dir die Zukunft wichtiger als die Gegenwart?

Lebst du im Hier und Jetzt oder denkst du an das, was einmal sein könnte? Produktive Menschen denken oft schon an das Wohlergehen ihrer Kinder, wenn sie etwas unternehmen. Sie denken an ihre eigene Gesundheit, oder daran, wann sie eventuell in ein Pflegeheim gehen müssen. Unbeeinflussbare Dinge, die sie versuchen zu planen und bestmöglich auf sie vorbereitet zu sein. Auch hier ist es natürlich schön, ein gewisses Grundverständnis für solche Situationen zu entwickeln, aber wir müssen so etwas nicht alles allein ausmachen. Sprich mit den Menschen um dich herum, was planen sie, wo können sie unterstützen und wo bist du möglicherweise zu vorschnell?

Zieht sich Produktivität durch deine Identität und deine Beziehungen?

In unserer Gesellschaft ist es angesehen, wenn wir einen guten Job haben, uns um andere kümmern oder unser Haus gut in Schuss ist. Viele von uns nehmen es sich deshalb als Aufgabe, diesen Standards gerecht zu werden und haben das Gefühl, dass andere in diesen Dingen sogar auf uns zählen. Allerdings dürfen wir nicht andere Verantwortungen außer Acht lassen. Wer zu viel arbeitet, sollte beispielsweise nicht seine Freund:innen vernachlässigen. Und wen der Hausputz vor dem Besuch stresst, sollte vielleicht überlegen, ob wirklich alles picobello sein muss oder auch das Minimum reicht. Oft sind die eigenen Freund:innen auch gar nicht so anspruchsvoll, es geht ja nicht um das Haus, sondern um die gemeinsame Zeit.

Produktiv sein, aber nur dann, wenn es notwendig ist

Wir sollten uns regelmäßig vor Augen führen, wonach wir eigentlich streben. Was ist das Ziel und was bringt es uns tatsächlich, wenn wir unsere Produktivität ausreizen – und welche Dinge können wir vielleicht für etwas Zeit mit uns selbst oder mit anderen Menschen vernachlässigen? Manche Dinge mögen eine gewisse Relevanz haben, andere weniger. Sie sind künstlich erschaffene Wertvorstellungen, die wir hinterfragen dürfen. Manche Dinge machen wir vielleicht schon lange relativ widerstandslos aus Routine oder Anstand. Das kann nicht nur für uns selbst eine Hürde sein, sondern auch für unsere Liebsten. Also: Solltest du dich in einer der Fragen wiederfinden, überlege, welche Dinge du aus einem dir auferlegten, nicht notwendigen Zwang tust und welche Dinge dir wirklich Spaß bereiten und relevant sind. Vielleicht braucht es dann nur etwas Umstrukturierung, um die Produktivitäts- und die Entspannungszeit wieder in Balance zu bringen.

lkl Brigitte

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