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Liebe Jana, ... Brief an meine Kinder habende Freundin

Brief an meine Kinder habende Freundin: Eine Frau am Meer
© Akin Ozcan / Adobe Stock
Zwei Frauen, verbunden in jahrelanger Freundschaft. Nichts könnte ihre Beziehung zerstören, glaubten beide. Doch als eine ein Kind bekommt und die andere nicht, entfernen sich die beiden voneinander. Ist das normal? Muss das so sein? Unsere kinderlose Autorin hat ihre Gefühle und Gedanken in einem Brief zusammengefasst.

"Es muss immer nach deiner Nase gehen, oder? You call the shots!" Ich erstarre, als mir Jana* diese Worte an den Kopf wirft. Schockstarre, ich bin außerstande zu reagieren. Sofort wird mir klar, dass ich einen Fehler gemacht habe: Ich hätte nicht gleich bei der Begrüßung sagen sollen, dass ich mir den halben Urlaubstag hätte sparen können. Oder es gar nicht erwähnen. Ich wollte es augenzwinkernd rüberbringen, als Hinweis für das nächste Mal, nicht als Vorwurf. Offensichtlich ist mir das nicht gelungen.

Jana kam für das Wochenende zu Besuch, vor einigen Jahren ist sie ins Ausland gezogen, in einen kleinen Ort, circa acht Bahn- oder fünf Autostunden entfernt. In Hamburg hat sie Freund:innen und Familie, die Zeit ist knapp, wenn sie hier ist. Damit wir beide einen Moment für uns haben, hatte ich mir den Freitagnachmittag frei genommen. Ich hatte sie gefragt, ob es zwei Stunden später ginge, da ich dann arbeiten könnte – es war Ferienzeit, aus meinem Team war ohnehin kaum jemand da und ich musste einen kleinen Laden aufmachen und eine Vertretung suchen, um frei zu nehmen. Das habe ich Jana kommuniziert. Sie sagte, Nein, später wäre doof, das würde hintenraus zu eng. Am Vormittag dieses Tages, schrieb mir Jana, dass sie sich verspätet. Um drei Stunden. Meine Energie, mein halber Urlaubstag, mein Vorarbeiten – umsonst. Ich war nicht böse. Genervt, aber nicht wütend. So ist das Leben. Ich habe mir nichts dabei gedacht, als ich bei unserem Zusammentreffen den Kommentar fallen ließ, ich wollte es nur loswerden. Ich hätte mir mehr denken sollen.

Jana und ich sind seit der Vorschule befreundet. Wir haben in derselben Nachbarschaft gewohnt, zu Fuß vielleicht fünf Minuten voneinander entfernt. Während unserer Schulzeit waren wir wie Harry und Ron. Nach dem Abschluss sind wir in unterschiedliche Städte gezogen, doch die Nähe und Verbundenheit zwischen uns blieb bestehen. Die Geburt ihres ersten Kindes veränderte etwas zwischen Jana und mir. Seit ihr zweites Kind da ist, kann ich nicht mehr leugnen, dass wir auseinander driften. Ich vermisse Jana. Und es gibt vieles, das ich ihr gerne sagen würde.

Liebe Jana,

wenn ich über unsere Freundschaft nachdenke, fällt mir sofort ein, dass du für viele Jahre die einzige Person warst, bei der ich übernachten konnte. Auf Klassenfahrten bekam ich Heimweh, von Geburtstagen mussten mich meine Eltern abends abholen, nur mit dir war ich zu Hause, war ich sicher. Wir haben Fußball gespielt, aus Kakaopulver und Milch Schokolade gemacht und so getan, als würde es schmecken, und wir haben eine Zirkusvorführung in eurem Garten veranstaltet, bei der du Clown und Direktorin warst und ich der Balance-Akt. Wir sind zusammen erwachsen geworden, haben erste Male erlebt, uns über Enttäuschungen hinweggeholfen und uns Mut gemacht. Während unseres Studiums waren wir füreinander da, obwohl wir in zwei verschiedenen Städten wohnten. Wir haben telefoniert und uns zugehört. Wir haben einander besucht, uns Zeit für uns genommen und uns gesehen. Wirklich gesehen. Und jetzt? Ich habe das Gefühl, es steht etwas zwischen uns. Etwas Großes, über das wir nicht hinwegschauen können. 

Die Geburt von Ulli hat dein Leben in einer Weise verändert, die ich nicht einmal mit viel Fantasie und Konzentration nachempfinden kann. Ich bin keine Mutter, weiß nicht, wie es ist, ein Kind neun Monate lang in mir wachsen zu spüren und danach von ihm für alles gebraucht zu werden. Gebraucht, um sitzen, laufen, fliegen zu lernen. In meiner Vorstellung ist Muttersein etwas sehr Besonderes, Wunderschönes und Tiefes. Und eine der schwersten, anstrengendsten und beängstigendsten Aufgaben, vor denen wir als Menschen stehen können. 

Ich bewundere dich dafür, wie du dich dieser Aufgabe annimmst. Ich bin stolz auf dich und mich beeindrucken deine Stärke, Selbstlosigkeit und Hingabe. Du bist mit deinen Kindern gereift und gewachsen und hast etwas gewonnen. Doch ich sehe außerdem, dass das Muttersein an dir zehrt. 

Du kannst nicht spontan einer Verabredung zusagen und tanzen gehen. Du kannst nicht so einfach reisen, wohin du möchtest, kannst dich nicht ein Wochenende zurückziehen und dich nur um dich kümmern. Oft bist du müde und musst deine Wünsche und Bedürfnisse hintanstellen. Vieles von dem, was dich ausmacht oder ausgemacht hat, wird zurzeit von deiner Mutterrolle verdrängt. 

Manchmal denke ich, dass unsere Freundschaft dazu zählt. Und ich werde das Gefühl nicht los, dass es dir egal ist. Dass es dir vielleicht sogar willkommen ist.

Denke ich an die letzten paar Monate und Jahre unserer Freundschaft, fällt mir sofort ein, dass ich immer die letzte Person bin, die erfährt, dass du nach Hamburg kommst – und das oft nicht einmal von dir. Mir fällt ein, wie du im Auto die Musik laut aufdrehst, während ich dir etwas erzähle, wie du auf dein Handy schaust und Nachrichten schreibst, während wir uns gegenübersitzen. Das letzte Mal, als ich dich besucht habe, hatten wir das ganze Wochenende keinen Moment für uns. Am Samstagabend hast du euer überzähliges Fahrrad deiner Nachbarin geliehen, damit sie damit mit dir zusammen in die Bar fahren konnte, und ich musste mir eine andere Mitfahrgelegenheit suchen. Die Sprüche, die du am Sonntag vor unserem Abschied in großer Runde über mich losgelassen hast, mögen lustig gemeint gewesen sein – haben mich allerdings verletzt.

Wie soll ich mich um einen Platz in deinem Leben bemühen, wenn ich das Gefühl habe, dass ich darin nicht erwünscht bin?

Ich erwarte nicht von dir, dass du mit mir feiern gehst, nur für mich nach Hamburg kommst oder dass deine Kinder niemals dabei sind, wenn wir uns sehen. Ich erwarte nicht, dass du derselbe Mensch bist, der du einmal warst, und dass unsere Beziehung genauso ist und bleibt wie früher. Was ich aber von dir erwarte – und brauche – ist Respekt. Respekt gegenüber mir und meinem Leben.

So wie du dir deinen Wunsch erfüllt hast, Kinder zu bekommen, habe ich mir meinen erfüllt, keine zu bekommen. Macht mich das in deinen Augen zu einem schwächeren, egoistischeren Menschen, als du es bist? Hältst du mein Leben für weniger erfüllt und weniger bedeutungsvoll als deines? Bist du wütend oder verletzt, weil ich das, was dir zurzeit am wichtigsten ist, nicht mit dir teile? 

Ich weiß nicht, was genau sich zwischen uns aufgetürmt hat, das uns unsere Nähe hat verlieren lassen. Doch was immer es ist: Ich möchte gerne versuchen, es zu überwinden. Ich möchte dich nicht verlieren, denn du bist auf jeden Fall in meinem Leben erwünscht. Und falls dir das nicht klar sein sollte oder du manchmal daran zweifelst: Das Gleiche gilt für deine Kinder.

Wie es zwischen Jana und mir jetzt weitergeht

Ich habe Jana diesen Brief nicht geschickt und glaube nicht, dass ich es jemals tun werde. Beim Schreiben ist mir klar geworden, dass das, was ich fühle, nicht allein mit Jana zu tun hat, und das, was zwischen uns steht, nicht daran liegt, dass sie Kinder hat und ich nicht. 

Unsere Leben haben sich unterschiedlich entwickelt und uns beiden fällt es heute schwerer als früher, uns in die jeweils andere hineinzuversetzen und zu wissen, was sie durchmacht. Damit unsere Beziehung daran nicht zerbricht, können wir versuchen, ehrlicher und häufiger miteinander zu sprechen sowie uns abzugewöhnen, einander Absichten, Meinungen und Urteile zu unterstellen, die wir dann für die Wahrheit halten. Auf diese Weise können wir Missverständnis und falsche Annahmen zwischen uns abbauen, und ich denke, dass uns das einander wieder sehr viel näher bringen wird. 

Ich muss nicht jede Person in meinem Leben halten, wenn es nicht passt, nicht jede Beziehung besteht für immer. Bei Jana bin ich mir allerdings sicher, dass wir zusammengehören und nicht auseinander. Ob es mich Energie kostet oder Zeit und Geduld, ich möchte geben, was ich kann, und vertraue darauf, dass Jana das Gleiche tut.

*Name geändert

Brigitte

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