Bei Ghosting hilft nur, den Ghost zu ghosten …
"Ghosting" nennt man das plötzliche Verschwinden eines Menschen aus einer Beziehung, der sich anschließend jedem Kontaktversuch entzieht. Der sich wie ein Geist in Luft auflöst und die Betroffenen "entgeistert" zurücklässt. Viele denken, dass das nur Menschen trifft, die über Tinder oder andere Online-Dating-Portale schöne Worte, Sex, vielleicht sogar Liebe gefunden haben – aber dann genügt ein Klick, und schon ist in der virtuellen Welt alles ausgelöscht. Keine Chance, zu erfahren, was in der oder dem Verschwundenen vorgegangen ist. Doch der plötzliche Abbruch von Beziehungen und das hartnäckige Schweigen nach einer Trennung ist kein reines Dating-Phänomen. Es betrifft selbst langjährige Beziehungen und Menschen, die sich noch ganz analog lieben gelernt haben. Der Mann, der zum Zigaretten holen ging und nie wieder auftauchte, ist eine sprichwörtliche Figur aus vordigitalen Zeiten.
Wer ghostet, vermeidet die Auseinandersetzung mit den eigenen Schuldgefühlen
Was sind die Gründe für Ghosting? Zum einen hat unsere Konsumkultur auch unsere Beziehungen erobert – was uns nicht gefällt, verliert sofort seinen Wert für uns. Das senden wir zurück und suchen nach dem Besseren. Und bestimmte Persönlichkeitszüge machen Ghosting wahrscheinlicher: Bindungsängstliche Menschen können sich urplötzlich verschließen, wenn die Nähe und damit auch die Angst zu groß wird, Narzisst:innen wechseln von Verehrung augenblicklich zu Abwertung, wenn sie sich infrage gestellt sehen. Wer ghostet, vermeidet, sich mit sich selbst und eigenen Scham- und Schuldgefühlen auseinandersetzen zu müssen.
Dies sollten wir wissen, wenn wir geghostet wurden. Denn als Verlassene fühlen wir uns völlig wertlos, entsorgt wie achtlos weggeworfene Tetra-Paks. Und fragen uns: Hätte ich es kommen sehen müssen? Hätte ich es verhindern können? Was habe ich falsch gemacht? Und die Antwort ist: Nein! Nein! Und nichts! Na gut, wir machen niemals alles richtig. Aber nichts davon kann ein Grund dafür sein, so wortlos verlassen zu werden.
Wenn wir geghostet werden, sehnen wir uns danach, mit dem Ghost zu sprechen. Glauben, besser klarzukommen, wenn wir nur eine Erklärung hätten. Doch letztendlich sind wir bei jeder Trennung allein damit, den Schmerz anzunehmen, und keine Erklärung unseres Ex-Gegenübers wird ihn lindern. Wir sollten stattdessen mit anderen Menschen sprechen, sollten wüten und trauern. Den Ghost aber sollten wir ghosten. Uns innerlich abwenden, alles verbannen, was uns noch verbindet. Und schwören, diesen Menschen nie wieder in unser Leben zu lassen.
Liebe und alles, was dazugehört, bringt eben auch das Schlimmste im Menschen hervor. Wir tragen daran keine Schuld. Shit happens. Nicht mehr und nicht weniger. Zu dieser Haltung müssen wir kommen, zur Not mit therapeutischer Hilfe. Damit wir nicht verbittern und wir die Angst verlieren, wieder so schmerzhaft fallen gelassen zu werden. Und weiter nach Beziehungen suchen, die uns guttun. Damit wir unserer Liebe weiter vertrauen.
»Paaradox« ist der Podcast mit Oskar Holzberg und seiner Frau Claudia. Sie sprechen offen über Themen, die Beziehungen immer wieder herausfordern. Lustig, spannend und erkenntnisreich! U. a. auf Audio Now.
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