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"Wir sind kein Paar. Wir sind die Grafen"

Maria, 31, ist Gräfin und seit zehn Jahren verheiratet. Sie hat, wovon andere träumen: ein Schloss, Ländereien, zwei wohlerzogene Töchter - doch ihr Mann Georg lebt nur für Tradition und Etikette.

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Gestern führten wir eins dieser Gespräche mit immer dem gleichen Ergebnis: Schweigen. Catharina und Valerie, unsere Töchter, schliefen schon, wir beide saßen vor dem Kamin. Georg bot mir einen Likör an, er goss sich selbst einen Whiskey ein, dann vertiefte er sich in seine Lieblingszeitung "Wild und Hund". Ich sagte: "Kann es sein, dass dich ,Wild und Hund' mehr interessiert als ich? Wann hast du mich das letzte Mal gefragt, wie es mir geht?" Da sah er gequält auf und seufzte, dass ich mir ein Leben voller Feuerwerk wünschen würde. Dass er mir das nicht erfüllen könne und auch nicht erfüllen wolle. Er las weiter. Ich hätte ihm am liebsten seinen Whiskey ins Gesicht geschüttet. Aber ich bin gut erzogen. Ich kann mich beherrschen. Ich sagte nichts. Stattdessen stand ich auf, verließ das Zimmer, ging in den Schlosshof, vorbei an den Oleanderbüschen, die in wunderbarer Pracht blühen. Atmete ein. Atmete aus. Dann ging ich in mein Zimmer, ins Bett.

Georg wirft mir vor, dass ich ein Stadtkind bin. So einfach schätzt er unsere Probleme ein. Das Leben in unserem Schloss würde mich langweilen, weil ich das Leben auf dem Land nicht zu schätzen wisse.

Ja! Ich bin ein Stadtkind! Ich habe mit meinen Eltern in der Nähe von Madrid gewohnt und in Rom und London Kunstgeschichte studiert. Was für ein unbeschwertes Leben. Bälle, seit ich 16 bin. Feste in europäischen Adelshäusern. Meine Mutter ist eine Prinzessin, mein Vater ein Graf. Sie haben viel dafür getan, dass ich in ihren Kreisen verkehre. Elite-Internat. Private Universität. Klingt alles hochgestochen. Aber wir haben so viel gelacht. Das Lachen mit meinen vier Schwestern, das Lachen mit meinen Kommilitonen, das vermisse ich so sehr.

Von meiner Mutter habe ich Selbstdisziplin gelernt. Ich organisiere den Haushalt und die Sommerkonzerte auf unserem Schloss, ich bin eine gute Gastgeberin und kümmere mich mit Leidenschaft um meine Kinder. Sie sind noch klein, fünf und sieben, da brauchen sie ihre Mutter. Wenige haben eine Ahnung, dass ich mich hier, in diesem Dorf, mit diesem unbeweglichen, konservativen Mann manchmal depressiv fühle wie Lady Di. Viele schauen zu mir auf, aber sie wagen es nicht, mich einfach anzusprechen, das spüre ich genau. Ich singe im Kirchenchor mit und bin bei den Elternabenden in der Schule. Warm aber werde ich mit niemandem. Ich habe das Gefühl: Andere Frauen können sich ganz unbefangen darüber auslassen, was sie an ihrem Mann stört, da wird gequatscht und getratscht. Eine Gräfin aber darf nicht jammern - schließlich habe ich all die Dinge, die andere sich wünschen. Ab und zu spreche ich mit der Dorf-Pfarrerin. Sie kannte die Eltern meines Mannes. Sie sagt, Tradition und Disziplin standen in dieser Familie schon immer an erster Stelle. Seine Eltern seien so förmlich miteinander umgegangen, dass manche dachten, sie würden sich siezen. So ein Gespräch tut mir gut. Aber es hilft mir nicht weiter.

Dass ich das Stadtleben gewohnt bin, ist nicht der Grund dafür, dass ich das Gefühl habe, zu verdorren wie ein Oleander, den keiner gießt. Mein Problem ist Georg. Ich will leben. Ich will, dass wir diskutieren. Über uns. Über Kunst, Bücher, das Leben. Dass wir uns weiterentwickeln! Aber er will, dass sich nichts verändert. Sein Leben soll genauso sein wie das seiner Eltern. Und das seiner Großeltern. Seit wir verheiratet sind, gibt es uns beide nicht mehr als Paar. Wir sind die Grafen. Und Vater und Mutter.

Warum habe ich diesen Mann geheiratet? Das habe ich mich oft gefragt. Die Antwort ist mir unangenehm: Georg entsprach einfach genau dem Bild, das meine Eltern von einem Schwiegersohn hatten. Ich glaube, ich habe ihn damals mehr aus dem Blickwinkel meiner Eltern gesehen, als aus meinem eigenen. Eine meiner Schwestern hat einen Bürgerlichen geheiratet. Einen Koch! Das ging total schief. Das war für mich so etwas wie der Beleg dafür, dass ich ein solches Experiment lieber nicht wage.

Georg war mein Tischherr bei einer großen Hochzeit in München. Der ganze europäische Adel war versammelt, einige hundert Menschen. Ich war 19, Georg 32. Seine zurückhaltende, höfliche Art gefiel mir, die Etikette beherrschte er perfekt. Er stand jedes Mal auf, wenn ich mich erhob oder zu meinem Platz zurückkam, er konnte gut tanzen und machte Konversation. Er erzählte von seinem Dorf und dass er oft um vier Uhr aufstand, durch den Nebel zum Hochsitz wanderte und Tiere beobachtete. Ich erfuhr, dass er ein Jahr zuvor bei einem Unfall beide Eltern verloren hatte und seither das Schloss und die ganze Landwirtschaft managte. Mich rührte dieser große, ruhige Mann - seine melancholische Aura. So richtig klar war mir damals nicht, dass er wohl mit der Absicht nach München gekommen war, so schnell wie möglich eine Frau zu finden, die zu ihm in sein Schloss passte.

Wir hielten Kontakt. Ich war gerade nach London gezogen, er besuchte mich, und ich führte ihn durch die Stadt. Ich war stolz, ihn an meiner Seite zu haben - diesen gut erzogenen, aristokratisch aussehenden Mann mit dem wunderbaren Namen. Dann flog ich zu ihm nach Bayern. Zauberhaft: das Schlösschen mit Zwiebelturm, Schäfchen und Pferde auf der Weide, ein dunkelblauer See, in dem wir beide am frühen Morgen badeten. Zum Abschied, am Flughafen, hat er mich an sich gezogen und kurz geküsst - mehr lief zwischen uns nicht. Ich fand das toll, weil es so respektvoll war. Wahrscheinlich glaubt mir das kein Mensch, aber zwischen uns gab es keinen Sex, bevor wir heirateten. Ich werde meine Töchter ermutigen, dass sie mit ihren Freunden schlafen, bevor sie sie heirateten. Denn unser Sex ist nicht schön. Ich hatte schon Erfahrung - Georg überhaupt keine. Anfangs dachte ich: Das wird schon noch, er muss auftauen. Seine Verklemmtheit habe ich mit Höflichkeit verwechselt. Aber in ihm steckt eine derart katholische Erziehung - er kann nicht genießen. Es ist, als würde er sich im Bett dauernd zur Vernunft rufen. Wir haben schon lange getrennte Schlafzimmer.

So wie Georg heute ist, ist mir sein Vater beschrieben worden: Georg ist auch den ganzen Tag in seinen Wäldern, oder er sitzt im Büro. Er zieht sich in seine Bibliothek zurück, liest stundenlang, beschäftigt sich mit Stammbäumen. Abends geht er spät ins Bett, meistens schlafe ich schon. Wir essen zusammen. Es stört mich, wie streng er mit den Kindern ist. Er ist unmodern. Er mag es nicht, wenn sie drauflosplappern. Alles muss seine Ordnung haben. Am Wochenende fahren wir zu seinen Verwandten, von denen es hier eine ganze Menge gibt. Wir funktionieren nebeneinander her

Trotzdem: Scheidung kommt für mich nicht in Frage. Ganz ehrlich: Ich will den Luxus um mich herum nicht verlieren. Wie sollte ich Geld verdienen? Nach meinem Kunstgeschichts-Studium habe ich nie gearbeitet. Ich wüsste gar nicht, wo ich mich bewerben sollte. Von Georg hätte ich auch nicht viel Unterhalt zu erwarten. Natürlich, wir sind reich. Aber das sieht man dem Bankkonto nicht an. Unser Besitz - das sind vor allem Schloss, Wiesen und Wälder.

Nein, ich werde bei Georg bleiben. Vielleicht habe ich eines Tages einen Liebhaber, wer weiß? Noch brauche ich zu viel Zeit für meine Töchter, um mich mit solchen Plänen zu beschäftigen. Ich bin sehr gern Mutter.

Am vergangenen Wochenende war in unserem Dorf ein großes Treffen aller Blaskapellen aus der Gegend. Georg und ich saßen lächelnd auf der Tribüne, Catharina und Valerie, mit Blumen im Haar, neben uns. Eine Kapelle nach der anderen zog an uns vorbei und spielte ihr Ständchen, über tausend Blasmusikanten starrten neugierig zu uns herauf, so als hätten sie endlich mal die Gelegenheit, eine glückliche Adelsfamilie zu sehen.

BRIGITTE Heft: 21/07 FOto: Knut Gärtner Protokoll: Nikola Ricci

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