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Wie kannst du den Fleck nicht sehen? Warum Frauen noch immer öfter den Haushalt schmeißen

Frauen machen den Haushalt größtenteils allein – warum?
Frauen machen den Haushalt größtenteils allein – warum?
© Rudzhan / Brigitte
Warum ist der Haushalt immer noch so ungleich aufgeteilt? Wissenschaftler:innen haben eine neue Theorie, die eine Antwort gibt.

Sie beobachtet ihn, wie er sich ein Brot in der Küche schmiert und dabei die Arbeitsfläche nutzt, die voller Krümel ist. Er muss die Fläche sehen, schließlich verarbeitet er sein Brot darauf – und doch scheint er keine Anstalten zu machen, sich um die Krümel zu kümmern. Kaum ist es geschmiert, verlässt er mitsamt Brot und Teller den Raum und straft die Krümel mit Ignoranz. "Wie kann es sein", fragt sie sich leicht entrüstet, "dass er diese Krümel nicht gesehen hat?"

Später bittet sie ihn, die Küche auf Vordermann zu bringen und dabei vor allem die Arbeitsfläche zu putzen. "Wieso betonst du gerade die?", fragt er unschuldig. Und sie fragt sich, was hier genau schiefgelaufen ist und warum. Und genau dieser und damit zusammenhängenden Fragen gingen auch einige Wissenschaftler:innen in einer aktuellen Studie nach: Wie kann es sein, dass wir im 21. Jahrhundert noch immer eine so ungleiche Aufteilung der Haushaltsaufgaben haben? 

Der Haushalt: Schon seit Kindheitstagen ungerecht

Laut dem Europäischen Institut für Gleichstellungsfragen ist die Hausarbeit die ungleichste der drei häufigsten Formen der unbezahlten Fürsorgearbeit (hinter Kinderbetreuung und der Langzeitpflege älterer Menschen). Erwerbstätige Frauen verbringen täglich fast zweieinhalb Stunden mit Hausarbeit – im Vergleich zu den etwa eineinhalb Stunden bei Männern. Die Unterschiede sind bei Paaren mit Kindern am größten, so das Institut weiter.

Und der Status Quo wird von Generation zu Generation weitergereicht: Wie die Forschung zeigt, ist das elterliche Rollenmodell der wichtigste Mechanismus für die Verankerung von Geschlechterrollen in Bezug auf die Hausarbeit. Insbesondere Väter geben an ihre Söhne mit, wie man sich im Haushalt zu verhalten hat.

Die Arbeitsfläche sendet eine Aufforderung – aber eher Frauen verstehen sie

Kindern wird also schon früh beigebracht, wer im Haushalt welche Aufgaben hat – oder sich tendenziell herauszieht. Darauf aufbauend, schauten sich einige Wissenschaftler:innen für eine andere Studie die geschlechtsspezifischen Unterschiede beim Thema Haushalt ebenfalls genauer an. Dabei stellten sie die "Theorie der Affordanz" auf.

Wie "Spektrum" im Lexikon der Psychologie beschreibt, handelt es sich dabei um einen von Hames J. Gibson geprägten Begriff, der von dem englischen Wort "afford" (zu Deutsch etwa: anbieten) abgeleitet ist. Bei Affordanz handle es sich laut Gibson um ein "Angebot der Natur" bzw. eine "Handlungsanregung" aufgrund der Informationen, die wir über einen Gegenstand haben. So fordert ein Stuhl uns beispielsweise auf, uns zu setzen, ein Schalter bietet an, ihn zu betätigen usw.

Und was für eine Handlungsaufforderung sehen Frauen, wenn sie eine schmutzige Oberfläche sehen? "Abwischen". Und was sehen Männer? Eine krümelige Arbeitsfläche. Insbesondere die Pandemie hätte in Bezug auf diese Wahrnehmungen zwei Fragen aufgeworfen:

  • Warum übernehmen Frauen trotz wirtschaftlicher und kultureller Errungenschaften weiterhin den Großteil der Hausarbeit und Kinderbetreuung?
  • Warum glauben so viele Männer, dass die Hausarbeit gleichmäßiger verteilt ist, als es tatsächlich der Fall ist?

"Viele verweisen bei diesen Fragen auf die Erfüllung traditioneller Geschlechterrollen sowie auf unterschiedliche wirtschaftliche Faktoren wie zum Beispiel der Tatsache, dass Frauen aus Gründen der Kinderbetreuung eher flexible Arbeitszeiten in Anspruch nehmen", erklärt Dr. Tom McClelland von der Cambridge University. Dies würde allerdings nicht erklären, warum die ungleiche Aufteilung auch in der Hochphase der Pandemie fortgeführt wurde, als Männer und Frauen zu Hause bleiben mussten. 

Eine von "The New York Times" durchgeführte Umfrage bestätigt die Diskrepanz: 70 Prozent der befragten Frauen gaben an, dass sie während des Lockdowns ganz oder größtenteils für die Hausarbeit verantwortlich waren, 66 Prozent sagten dasselbe über die Kinderbetreuung. Anteile, die ungefähr den von "normalen Zeiten" entsprechen, wie die Zeitung schreibt.

Ist die Ungleichheit in Stein gemeißelt?

Von Mädchen und Frauen wird eher erwartet, dass sie im Haushalt helfen – schon früh lernen die Geschlechter, welche Aufgaben sie zu erfüllen haben und welche nicht. Das hat einen großen Einfluss auf ihr restliches Leben: Eine Frau würde mit größerer Wahrscheinlichkeit beim Betreten der Küche "Affordanzen" für bestimmte häusliche Aufgaben sehen – das herumliegende Geschirr sendet die Botschaft "gespült" zu werden, der halb leere Kühlschrank will "gefüllt" werden. Ein Mann sieht hingegen unter Umständen nur Geschirr in der Spüle und einen Kühlschrank, empfindet aber keinen mentalen "Ruck", etwas zu tun.

"Affordanzen ziehen unsere Aufmerksamkeit auf sich, sind Aufgaben, die uns so lange irritieren oder von anderen Plänen ablenken können, bis sie erledigt sind. Wehrt man sich dagegen, kann es zu einer gefühlten Spannung führen", erklärt Co-Autorin Prof. Paulina Sliwa. Das würde viele Frauen in eine Zwickmühle bringen: "Entweder Ungleichheit der Hausarbeit oder kognitive Belastung."

Ist die Ungleichheit der Geschlechter also festgefahren? Mitnichten, so die Forscher:innen. Es solle auch nicht darum gehen, den Mann von Haushaltsaufgaben freizusprechen. Jeder Mensch – unabhängig vom Geschlecht – könne leicht bemerken, was getan werden muss, indem er nachdenkt, statt nur zu sehen. Und: Nur weil Frauen durch die gesellschaftliche Erziehung tendenziell sensibler bei Haushaltsthemen sein mögen, heißt das nicht, dass sie eine "natürliche Affinität" für Haushaltsaufgaben hätten.

"Wir können die Art und Weise, wie wir die Welt wahrnehmen, durch kontinuierliche bewusste Anstrengung und Kultivierung von Gewohnheiten ändern", erklärt McClelland. "Ein Mann könnte sich beispielsweise vornehmen, jedes Mal nach Krümeln zu fegen, wenn er darauf wartet, dass der Wasserkocher kocht. Das würde ihnen nicht nur helfen, die Aufgaben zu erledigen, die sie nicht sehen, sondern auch ihre Wahrnehmung allmählich umschulen."

Verwendete Quellen: onlinelibrary.wiley.com, nytimes.com, cam.ac.uk, eige.europa.eu, spektrum.de, sciencedirect.com

csc Brigitte

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