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Toronto

Ein Streifzug durch fünf Viertel der Weltstadt im Osten Kanadas und eine Annäherung an die kanadische Identität.

"Kommen Sie herein und finden Sie heraus, was Kanadier alles können", steht in Handschrift auf einem Schild im Schaufenster. Im Laden gibt es selbst entworfene Taschen, Accessoires und T-Shirts in grellen Farben. Ein paar Häuser weiter stehen Familienporträts aus den sechziger Jahren im Fenster. "Art Photo Studio ist wegen Pensionierung geschlossen. Ich danke meinen Kunden für ihre Treue seit 1951", heißt es auf einem Zettel, der an die Eingangstür geklebt ist.

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Lange wird der Laden in der Queen Street West bestimmt nicht leer stehen. Das Viertel gehört zu den beliebtesten in Toronto. Immer mehr der alteingesessenen Geschäfte werden aufgekauft und in trendige Läden umgewandelt. Zum Beispiel das Czechosky: Bis vor kurzem noch eine polnische Metzgerei, ist es jetzt es eine hippe Bar ganz im Grunge Look von West Queen West. Die alte Fleischtheke ist in die Bar integriert. Am Samstagmorgen probiert der DJ schon mal die Anlage für den Abend aus. Etwas weiter die Straße entlang dekoriert jemand im Schaufenster des "Miss Behavin"“ liebevoll eine Schaukel mit Blumen. Später soll dort ein Modell Unterwäsche vorführen. Vor dem Café Clafouti quetschen sich die Gäste auf zwei Bänke auf dem Bürgersteig, trinken Latte Macchiato und essen Pain o’ Chocolat - Canadian Style.

Jeder betont hier seine kanadische Identität. Die zahlreichen Möbel- und Kleidergeschäfte legen wert darauf, nur kanadisches Design zu verkaufen. Eine Erfolgsgeschichte ist das Lulemon, das Yogakleidung als sportliche Alltagsmode präsentiert. Das erste Geschäft stand in Vancouver, mittlerweile ist daraus eine Kette geworden, die sogar schon eine Filiale in Japan eröffnet hat, berichtet stolz die Verkäuferin Lum. Die passende Lebensphilosophie steht auf der Lululemon- Postkarte, die Lum verteilt: "Be creative. Do one thing a day that scares you. Dance, sing and travel. Coke, Peps and all other pop will be known as the cigarettes of the future." ("Sei kreativ. Tue jeden Tag etwas, wovor du Angst hast. Tanze, singe und reise. Cola, Pepsi und andere ähnliche Getränke werden eines Tages als die Zigaretten der Zukunft gelten.)

West Queen West ist ein typisches Viertel für diese Stadt - und auch für das ganze Land: Alles wirkt etwas provisorisch, stets scheinen die Menschen auf der Suche nach der eigenen Identität und sind dabei doch auf sympathische Weise selbstbewusst. Sie betonen ihre kanadische Nationalität, nicht zuletzt, um sich von dem großen Nachbarn USA abzugrenzen: Kanada, das ist ein anderes Nordamerika.

Wie ein Triumph reckt sich der CN-Tower in den Himmel. Als hätten die Kanadier mit diesem höchsten frei stehenden Gebäude der Welt alle Wolkenkratzer im Nachbarstaat in den Schatten stellen wollen. Auf 342 Metern Höhe können sich die Besucher auf eine Glasfläche stellen mit freiem Blick in die Tiefe – nur für Schwindelfreie.

Eigentlich haben die Kanadier gar keinen Grund, sich gegenüber dem Nachbarn abgrenzen zu müssen. Denn das Erstaunliche an Kanada ist, dass alles irgendwie besser zu klappen scheint als in den USA: Friedlich, sauber und sicher ist es hier. Auf den Straßen von Toronto fühlt man sich zu jeder Tageszeit und in beinahe jedem Viertel wohl. Achtzig verschiedene ethnische Gruppen leben zusammen, irgendwie verbunden durch das kanadische Lebensgefühl. "Treffpunkt" bedeutet der Name der Stadt in seinem indianischen Ursprung, in Toronto ist man heute stolz darauf.

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Wie kein anderes Stadtviertel spiegelt Kensington Market die Buntheit der Einwanderungsstadt wider. Ein Blick in eine Bäckerei beeindruckt selbst den deutschen Besucher. Das Angebot verdeutlicht, wie viele Nationalitäten hier ein- und ausgehen: Ciabattabrot liegt neben süßem kanadischen Kuchen, Laugenbaguettes, arabischem Brot und Croissants. Verschiedene Einwandererwellen haben Kensington Market geprägt: Um 1920 wohnten hier 80 Prozent der jüdischen Bevölkerung Torontos, 1940 kamen viele Ungarn, in den 50igern die Portugiesen, in den 70igern die Chinesen und Lateinamerikaner, in den 90igern die Afrikaner. Und viele von ihnen versuchen heute, in dem Viertel Geschäfte zu machen. Trotzdem ist hier alles etwas billiger. Obst und Gemüse ebenso wie Gewürze, Lederjacken, Schuhe oder Schmuck. Die Häuser sind bunt bemalt, die Geschäfte überbieten sich an Originalität.

Wem der Trubel in Kensington Market gefallen hat, der geht gleich weiter nach Chinatown: Hier drängeln sich Touristen und Einheimische um Stände mit exotischen Früchten. Auf den Mülleimern, in denen in der ganzen Stadt sorgfältig getrennt wird, stapeln sich die leeren Kokosnüsse. Noch mehr Asia-Feeling findet sich in den zahlreichen Restaurants. Besonders beliebt wegen seiner authentischen Atmosphäre ist das Bright Pearl: Es dauert etwas, bis man sich in dem Serviersystem zurechtgefunden hat. Die Bedingungen laufen mit kleinen Wagen durch die schmalen Gänge zwischen den Tischen und bieten 80 verschiedene Dim Sums an: Kleine Snacks, die das "Herz berühren", wie der Name übersetzt heißt.

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Toronto - das ist Nordamerika ganz entspannt. Wenn man vom CN-Tower auf die Stadt schaut, wundert man sich über das viele Grün. Wie ruhig man in einer 4,2-Millionen-Einwohner-Stadt leben kann, verdeutlicht ein Besuch in Cabbagetown. Das Viertel hat seinen Namen von den irischen Einwohnern, die große Kohlköpfe in ihren Vorgärten pflanzten. Heute sind die vielen viktorianischen Häuser mit großer Sorgfalt restauriert und die Grünflächen liebevoll gepflegt, Cabbagetown ist eine beliebte Wohngegend.

Noch entspannter ist es nur in "The Beaches". Der Name verspricht nicht zu viel, das Viertel hat tatsächlich etwas von der Atmosphäre eines Seebades. Es liegt direkt am Ontariosee, der vom Ufer aus wie ein Meer anmutet. Hier gibt es bewachte Strände und eine drei Kilometer langen Strandweg aus Holzbohlen. Kein Wunder, dass es viele junge Familien her zieht. Die Hauptstraße kann man wunderbar entlang schlendern und von einem der Straßencafes aus dem Treiben zu schauen.

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Aber bei aller Ruhe und Beschaulichkeit will Toronto als fünftgrößte Stadt Nordamerikas auch mitspielen in der Liga der Metropolen, will Glamour und Weltläufigkeit beweisen. Nirgendwo spürt man das so sehr wie in Yorkville. Einst ein berühmtes Hippieviertel, wo Neil Young und Joni Mitchell ihre Laufbahn begannen, finden sich heute in den alten Häusern teure Boutiquen, Galerien, Restaurants und exklusive Appartements. Die zentrale Einkaufsstraße ist die Bloor Street, in der keine internationale Designerkette fehlt.

In Yorkville trinkt man nicht auf Bierbänken seinen Kaffe, sondern zum Beispiel in der ganz in weiß eingerichteten Boulangerie de Montreal, wo das Sandwich mindestens neun Dollar kostet. Richtig hoch her geht es in den vielen Kinos und Bars in Yorkville während des Toronto Film Festivals. Seit sich Tom Cruise in einem der Straßencafés blicken ließ, ist insbesondere in der Cumberland Street Staralarm. Toronto zählt sich zu den Modezentren der Welt. 4500 Einzelgeschäfte gibt es. Im größten unterirdischen Shoppingkomplex der Welt mit einer Länge von 27 Kilometern kann man auch in den Wintermonaten bequem einkaufen. Das Eaton Center war wegen seiner Glaskonstruktion bei seiner Eröffnung vor fast dreißig Jahren eine Sensation. Auch heute zieht die Mall noch 50 Millionen Besucher pro Jahr an. Direkt dahinter findet sich wieder eine kleine Ruheoase mitten im Zentrum: Der Trinity Square, ein kleiner autofreier Platz, auf dem ein altes Haus steht, in dem es spuken soll.

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Ein passender Ort, um das mondäne Toronto zu erleben, ist die Roof Lounge des Hyatt Hotels. Die Bar mit Dachterrasse im 18. Stock des Hotels ist ideal, um Abschied von der Stadt zu nehmen. In den Wandschränken liegen die Bücher von Schriftstellern, die hier ein und aus gingen, wie etwa Margaret Atwood. Die Kanadier kommen wegen des grandiosen Blicks zu besonderen Anlässen her: In der Abendstimmung verschwindet die Sonne allmählich hinter den Hochhäusern, am CN-Tower blinken die Lichter, unten rauscht die Stadt und in der Ferne sieht man die Weite des Ontario-Sees, die einen daran erinnert, dass der Besuch in Toronto erst der Anfang einer Kanada-Reise sein sollte. Wasser, Weite und Wälder warten.

Reise-Infos Toronto

- Internetadressen der im Artikel erwähnten Restaurants und Geschäfte:

Fleurtjebags: Laden mit Designertaschen in West Queen West Lululemon Brightpearlsseafood in ChinatownBoulangerie de Montreal in Yorkville Hyatt Hotel mit Bar auf der Dachterrasse

- Toronto allgemein

www.torontotourism.com www.ontariotravel.net

Weitere lohnenswerte Ziele in Toronto und Umgebung

- Das Royal Ontario Museum ist kürzlich mit einen spektakulären Neubau erweitert worden: Exponate aus Wissenschaft und Kultur, z.B. Dinosaurierfunde, Kunsthandwerk aus China und Mumien - Die Art Gallery of Ontario: eines der ältesten und berühmtesten Kunstmuseen Kanadas, unter anderem europäische Meister und zeitgenössische kanadische Künstler - Das Bata Shoe Museum: Schuh-Kuriositäten aus aller Welt - Die Toronto Islands sind beliebte Ausflugsziele: Lagunen, Wälder, Rasenflächen und Strände. Die Fähre vom Hafen fährt ca. zehn Minuten zu den Inseln. - The Distillery Historic District: Geschäfte, Restaurants und Musikkneipen auf einem ehemaligen Fabrikgelände, das schon häufig als Filmkulisse diente. - The McMichael Canadian Art Collection: Kanadische Kunst, besonders lohnenswert sind die Bilder der Group of Seven, ein Zusammenschluss kanadischer Expressionisten. Sie malten Anfang des 20. Jahhrunderts unter anderem im Algonquin Park - Die Niagarafälle sind ca. 90 Autominuten von Toronto entfernt. Lohnenswert ist auch ein Besuch in Niagara on the Lake, eine der best erhaltensten nordamerikanischen Städte aus dem 19. Jahrhundert. Informationen unter www.discoverniagara.com. Die Stadt liegt außerdem in einer schönen Weingegend: www.winesofontario.org

Julia Weidenbach

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