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Kanu-Abenteuer in Kanada

Das Kanu ist Teil des kanadischen Lebensgefühls. Ein Paddeltrip gehört zu einer Kanadareise deshalb einfach dazu. Julia Weidenbach hat's ausprobiert.

Wir haben unseren ersten Paddeltag hinter uns. Das Lagerfeuer knistert. In der Ferne hören wir ein Heulen wie das eines Wolfes. Kaum zu glauben, dass es nur ein harmloser kleiner, schwarzweißer Vogel ist, Loon oder Eistaucher genannt, der dieses gruselige Geräusch von sich gibt. Dann ein Knacken – direkt aus dem Wald hinter uns. Ein Waschbär? Das Knacken wird lauter. Viel zu laut für einen Waschbären. Es kracht, als wenn jemand auf dem Weg durch den Wald ganze Bäume umlegt. Das kann nur ein Bär sein. Unser Guide Pete springt auf, hüpft, um sich optisch größer zu machen als seine bescheidenen 1,65 Meter. Er schreit, hat sich zwei Hölzer gegriffen, die er wild aufeinander schlägt. Ich bin größer, wilder und viel gefährlicher als du, macht er jedem Bären klar, der uns jetzt noch angreifen könnte.

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Kanu fahren im Algonquin Park in Kanada ist Natur pur mit einem Schuss Abenteuer. Auch wenn sich der Bär wenige Minuten später als morsche Birke herausstellt, die umgeknickt ist. Einen wie Pete dabei zu haben, ist zwar kein Muss, aber eine tolle Sache. Denn Pete kümmert sich nicht nur um Bären oder umfallende Bäume. Er ist ein guter Geist, der weiß, was zu tun ist auf unserem Trip in die Wildnis. Und bevor es losgeht, ist Petes Pack-Know-how gefragt. Und das ist mindestens so wichtig wie die Kenntnis der richtigen Abwehrstrategie gegen gefährliche Bären oder nervenaufreibende Birken.

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Auf einem Tisch breitet Pete vor dem Trip in der Basisstation von Algonquin Outfitters sorgfältig den Proviant aus: Tütensuppen, zwei Hände voll Kartoffeln, drei Stück abgepacktes Fleisch, mehrere Müsliriegel und ein paar Kleinigkeiten. Das ist nicht viel: Drei Tage lang wollen wir durch die Wildnis des Parks paddeln, einem fast 8000 Quadratkilometer großen Naturreservat im Norden Ontarios in Kanada. Pete erklärt, warum der Proviant rationiert ist: Zu einem kanadischen Kanutrip gehören Portagen – Abschnitte, an denen Boot und Gepäck getragen werden müssen, weil der Wasserweg unterbrochen ist.

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Wölfe sind die berühmtesten Bewohner des Algonquin Park. In Acht nehmen muss man sich vor ihnen nicht, sie sind sehr menschenscheu. Ganz anders bei Bären, das haben auch wir Mitteleuropäer spätestens beim „Problembär“ Bruno gelernt. Die Tiere sollten besser nicht lernen, dass bei Menschen Essbares zu finden ist. Deshalb werden wir die Lebensmittel und alles, was so riecht - etwa Zahnpasta und Deo - jeden Abend in einer Plastiktonne verstauen und in einen Baum hängen, erklärt Pete. Wir sprechen über den schrecklichen Tod eines Grizzly-Forschers, der bei lebendigem Leibe gefressen wurde. „Das machen die hiesigen Schwarzbären nicht“, sagt Pete."Die begraben einen lebendig und kommen dann erst später wieder, um einen zu verzehren." Das scheint keine Schauergeschichte zu sein, Pete ist ganz ernst. Aber dann fügt er doch schnell hinzu: "Wenn du ein Tier respektierst, wird es auch dich respektieren." Im Park sei seit Jahrzehnten kein Mensch mehr von einem Bären getötet worden sei.

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Unfälle gibt es eher mit Elchen. Meist trifft es aber keine Menschen, sondern die Tiere selbst. Etwa auf dem Highway 60, der den Park durchquert. Die Elche lieben es, das Salz von den Pflanzen entlang der Straße abzulecken, das sich in den langen Wintermonaten vom Streuen abgelagert hat.

Der Algonquin Park ist eines der beliebtesten Stücke unberührter Natur in Kanada, nicht zuletzt, weil er in Reichweite der Zentren Toronto und Ottawa liegt. Berühmt wurde er durch die Maler der Group of Seven, einem Zusammenschluss kanadischer Expressionisten. Mit der Staffelei zogen sie Anfang des 20. Jahrhunderts in die Wildnis und malten sie in leuchtenden Farben. Ihr Leben in Algonquin ist ein kanadischer Mythos geworden: Malen, Kanu fahren und lieben: Ob einer der Künstler bei einem Sturm in seinem Kanu im Park zu Tode kam oder im Zuge einer Menage a trois umgebracht wurde, ist nie geklärt worden.

"September ist die beste Zeit in Algonquin", sagt Pete. Zwar hat der berühmte Indian Summer mit seinem rot-goldenem Farbenspiel in den Bäumen noch nicht begonnen. Aber der Park ist nicht so stark besucht wie im Hochsommer, auch die Mücken haben sich verzogen – in Richtung Florida, behaupten die Kanadier - und es ist nicht mehr so heiß.

Pete sieht aus wie ein Voyageur, einer jener Männer, die für die großen Pelzhandelsgesellschaften wie der Hudson’s Bay Company im 18. und 19. Jahrhundert die Felle durch die kanadische Wildnis paddelten. Ihre Kanus waren oft mehr als zehn Meter lang, zu zwölft fanden sie darin Platz und paddelten bis zu 18 Stunden am Tag – ein kanadischer Mythos, der viel zum Selbstbewusstsein der jungen Nation beigetragen hat. In Kanadas einzigem Kanumuseum in Peterborough haben wir solche Kanus gesehen.

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Die Voyageure waren kleine, muskulöse Männer meist französischer Abstammung. Pete schafft allerdings nicht wie die Voyageure 60 Paddelschläge pro Minute. Sagt er, auch wenn es für uns so aussieht. Geschickt sticht er das Paddel ins Wasser und manövriert so das Kanu. Ich stochere eher im Wasser - schon nach der ersten halben Stunde tun mir die Arme weh, die Seite muss ich sowieso ständig wechseln. Die ersten Blasen an den Händen zeichnen sich ab.

Ein breiter See liegt nun vor uns, ein kräftiger Gegenwind bläst, der Himmel ist wolkenverhangen. "Okay Guys, ihr müsst jetzt kräftig paddeln", erklärt Pete vom hinteren Ende des Kanus. "Wenn ihr das Paddel ins Wasser eintaucht, muss es zwei kleine Strudel geben". Ich konzentriere mich auf die Paddelschläge, ihr leises Plätschern und das sanfte Gleiten des Kanus: "Kanus sind schnell und leicht wie eine Möwe, die über die Sommerwellen gleitet", wurde im Museum einer der ersten Europäer zitiert, die sich in die Wildnis Ontarios vorwagten.

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Schnell erkannten sie, dass europäische Boote auf den wilden Wasserwegen Ontarios vollkommen ungeeignet waren und schauten sich von den Indianern die Bauweise ihrer Kanus ab: Schon bald entdeckten die Einwanderer das Kanu auch als Freizeitgerät. Um den Kanubau entstand bald eine Outdoorindustrie mit Kanubauweisen, die für die strapaziösen Fahrten der Voyageure völlig ungeeignet waren und vor allem einem dienten: dem Spaß an der Freude. Im Museum in Peterborough, die Stadt wurde schnell zum Zentrum des Kanubaus, ist ein "Courting Canoe" zu besichten. Statt mit viel Platz für Pelzbündel lockte es die Käufer mit einem eingebauten Grammophon für lauschige Sommertage zu zweit...

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Auf unserem Trip steht uns nun die erste Portage bevor: Pete schultert das Kanu, Joachim stemmt sich die Tonne mit den Lebensmitteln auf den Rücken, über die Stirn hat er einen Trageriemen gespannt. Er schaut stoisch wie ein Packesel. Für mich bleibt ein Riesenrucksack, ungefähr doppelt so mächtig wie ein üblicher Tourenrucksack für Trekkingurlaube. Portage ist ein elegantes Wort für Plackerei, denke ich. Ich setze ein Siegerlächeln auf und stampfe den Waldweg los. Es sind lange drei Kilometer. Aber als wir aus dem Wald heraus treten, schauen wir auf eine schöne Ebene mit Grasland und Sumpf. Nur der weidende Elch fehlt. Dafür fühlt es ich großartig an, das Gepäck abzuladen, es wieder im Kanu zu verstauen und weiter zu gleiten. Wie müssen sich erst die Voyageure gefühlt haben, wenn sie ihre Hunderte Kilos schweren Fellladungen wieder verstaut hatten?

Wir legen erst einmal eine kleine Pause ein. Der Wind weht wie zur Belohnung in die richtige Richtung. Pete pumpt Wasser durch einen kleinen Keramikfilter aus dem See in unsere Flaschen, um möglicherweise gefährliche Parasiten zu entfernen. Denn davon abgesehen hat es Trinkwasserqualität. Wenigstens das Schleppen von Wasservorräten bleibt uns so erspart.

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Pete arbeitet seit einem Jahr bei Algonquin Outfitters, dem größten Kanuverleih im Park. Er genießt es sichtlich, aus dem Laden heraus und auf Tour zu sein. "Wenn ihr keine nassen Füße bekommt, habe ich was falsch gemacht", prophezeit er lachend. Neugierig erkundigt er sich nach Deutschland, er ist bisher nicht einmal aus Ontario heraus gekommen. Aber wenn seine Freundin mit der Uni fertig ist, wollen sie heiraten und gemeinsam für eine paar Monate nach Tokio gehen. Ein bisschen mulmig ist ihm schon, denn bereits die Provinzhauptstadt Toronto erträgt er kaum. Wenn sie zurückkommen, wollen sie in der Natur leben, vielleicht einen eigenen Kanuverleih aufziehen.

Abends grillt uns Pete über dem Feuer ein Steak mit Bratkartoffeln. Dazu trinken wir "Glühwein", rotes Pulver mit heißem Wasser. Unser Guide kann kaum glauben, dass das Getränk in Deutschland aus echtem Wein gemacht wird. Dann erzählt er Bärengeschichten: Wie er auf einem Jugendlager morgens davon aufgewacht ist, dass ein Bärenbaby auf das Zelt zulief. Zu fünft schlugen sie mit einer Bratpfanne auf die Mama ein, die ihr Kleines retten wollte und dabei auf Mensch und Zelt keine Rücksicht zu nehmen bereit war.

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Er möchte wissen, ob auch wir in unserer Freizeit hin und wieder Aufregendes erleben. Wir erzählen von unseren Tauchgängen, wie wir an der bis zu 200 Meter tiefen Steilwand im Starnberger See entlang getaucht sind, in Thailand Feuerfische, Muränen und Haie gesehen haben. Im flackernden Licht sehen wir Petes ungläubigen Blick: "Wart ihr in einem Schutzkäfig?" fragt er. "Ach, das ist wie mit den Bären", sagt Joachim. „Wenn man sie respektiert, lassen sie einen in Ruhe." Stimmt eigentlich, denke ich und lehne mich entspannt in meinem Campingsessel zurück. Ich finde, wir machen uns ganz gut in der Wildnis. Ich teile zwar nicht Petes Meinung, dass diese Klappstühle die wichtigste und genialste Erfindung der Menschheit sind. Aber es ist behaglich. Die schweren Wanderschuhe habe ich gegen bequeme Latschen ausgetauscht.

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Natürlich muss ich in der Nacht heraus. Nichts ist zu hören außer vertrauten Schnarchgeräuschen. Zwischen den dunklen Baumwipfeln sehe ich einen sehr klaren Sternenhimmel. Gerne würde ich an die kleine Sandbucht vorgehen und über den See schauen. Aber das ist vollkommen ausgeschlossen. Es ist schon schlimm genug, dass ich überhaupt aus dem Zelt muss. Gleichzeitig ärgere ich mich über mich selbst. Wann bin ich eigentlich zu einem Großstadtmenschen geworden, der Herzklopfen nur noch in Verbindung mit Prüfungen und Vorstellungsgesprächen kennt?

Als Pete am nächsten Tag vorschlägt, unseren nächsten Campingplatz auf einer Insel aufzuschlagen, bin ich gleich begeistert. Wir haben Glück, sie ist noch nicht von anderen Kanufahrern belegt. Nur an ausgewiesen Zeltplätzen darf man im Park sein Zelt aufschlagen. Kontrolliert wird das stichprobenweise von einem Hubschrauber, der gelegentlich seine Kreise zieht. Okay, blaues Kanu, gelbes Zelt, grünes Zelt: registriert und Nationalparkgebühr bezahlt. Der Helikopter macht zwar Lärm, er vermittelt aber auch ein beruhigendes Gefühl. Denn im Notfall ist der Ranger in der Luft die einzige Möglichkeit zur Kontaktaufnahme mit der Außenwelt. Das Handy, selbst auf Alpengletschern mittlerweile gut funktionierendes Mittel für einen Notruf, hat hier draußen null Empfang.

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Nachmittags paddeln wir ohne Gepäck noch einmal los. Das Kanu ist jetzt angenehm leicht. Auf einem kleinen Fluss wollen wir zu einem Wasserfall. Nur wenige hundert Meter, dann ist die Kanufahrt vorbei. Nach den Sommermonaten gibt es hier nicht ausreichend Wasser, so dass wir durch das Moor stapfen müssen. Joachim versackt plötzlich bis über die Oberschenkel. Ein kleiner Schreck. Zu zweit ziehen wir ihn aus dem Sumpf. Direkt neben der Einbruchstelle sehnen wir anschließend Elchspuren. Auch Pete hat keine Erklärung, wie die bis zu 800 Kilogramm schweren Tiere über das Sumpfland laufen können.

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Wir haben Pech, keiner der Großhirsche kreuzt während unseres Trips unseren Weg. Es bleibt bei dem eingebildeten Bären, und die Wölfe schweigen sich auch aus. Nur den einsamen Ruf des Eistauchers hört man in den Nächten. Andere haben ein Wolfsrudel mit Welpen gesehen, berichten Petes Kollegen bei unserer Rückkehr. Und lachen über unser Abenteuer mit der Birke. Und trösten uns: wir müssen eben wieder kommen.

Reise-Infos: Kanada per Kanu

Anfahrt: Den Alqonquin Provincial Park erreicht man von Hunstville aus auf dem Highway 60 in ungefähr einer Stunde. Von Toronto aus dauert die Anfahrt ca. drei Stunden.

Informationen über dem Park auf dessen Website oder auf der Ontario-Website. Algonquin Qutfitters organisiert Kanutouren und verleiht Ausrüstung: www.algonquinoutfitters.com

Julia Weidenbach

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