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Pubertät extrem: "Für mich gab es keine Zeit der Unschuld"

Testoxikose
© WAYHOME studio (Symbolfoto) / Shutterstock
Schauspieler Patrick Burleigh kam in die Pubertät, da konnte er noch nicht mal sprechen. Was ein Leben mit "Testoxikose" bedeutet, beschrieb er jetzt im "New York Magazine".

"Mit zwei bekam ich die ersten Schamhaare"

"Ich konnte nicht sprechen, ich konnte kaum laufen, aber ich bekam schon Schamhaare. Ich habe keine Erinnerung an eine Zeit vor der Pubertät, vor den fleischlichen Gelüsten, den Impulsen, der Angst und Wut und Gewalt. Für mich gab es keine Zeit der Unschuld vor dem Sündenfall. Ich wurde geboren, nahm einen riesigen Biss vom Apfel und mit zwei Jahren war ich so ziemlich bereit, mich mit Eva einzulassen."

So beginnt der Schauspieler und Drehbuchautor Patrick Burleigh seinen Text im "New York Magazine" über seine Pubertät, die bereits im Kleinkindalter einsetzte. Der Grund: Eine Genmutation. Schon seine männlichen Vorfahren litten unter der Krankheit mit dem Namen Testotoxikose, die jeden millionstel Mann trifft.

Wie seine Vorfahren hat Burleigh viele Jahre lang versucht, seine Erbkrankheit zu verstecken. Der Anlass, im Erwachsenenalter offen über sein Leben mit Testotoxikose zu reflektieren, war, dass er selbst Vater werden sollte.

Nach einer Kinderwunschbehandlung bekamen seine Frau und er die Möglichkeit, die Embryonen auf die Mutation testen zu lassen und gegebenenfalls "auszusortieren". Obwohl seine Kindheit und seine Jugend aufgrund der Testotoxikose sehr schwierig waren, war sich Burleigh unsicher, welche Entscheidung er treffen sollte. Das überraschte ihn selbst.

Ein Leben als Außenseiter

Schon im Alter von drei Jahren hatte er die Statur eines Siebenjährigen, sein Testosteronspiegel entsprach dem eines 13-Jährigen. In seinem Gesicht machten sich Barthaare und Pickel breit. Patrick wurde schnell aggressiv – so erinnert er sich, dass er nach einem Streit mit seiner Mutter die Faust durch eine Glastür schlug. Seine Umwelt reagierte auf sein Aussehen und sein Verhalten wahlweise mit Ungläubigkeit, Abscheu oder irritierter Faszination.

Schließlich bekam er bis zu zwölf Medikamente pro Tag, die die Auswirkungen des Testosterons auf seinen Körper mindern sollten, und seine Mutter verabreichte ihm täglich eine Injektion. Besonders beschämend war es für ihn, wenn er bei einem Freund übernachtete und plötzlich seine Mutter in der Tür stand, um ihm seine Spritze zu geben. 

Eine seiner ersten Erinnerungen ist, dass seine Mutter im Schwimmbad mit ihm in die Frauenumkleide ging. Eine Frau schrie Zeter und Mordio, weil sie dachte, Patrick sei ein Teenager. Sie wollte nicht glauben, dass sie einen Vierjährigen vor sich hatte. Sie beschimpfte ihn und seine Mutter, die zwar standhaft bleib, aber trotzdem – wie so oft - in Tränen ausbrach. Deshalb habe sie immer Taschentücher dabei gehabt.

Burleigh schreibt es auch seiner Krankheit zu, dass seine Mutter ihre Schauspielkarriere an den Nagel hing – zu belastend war für sie das Leben als Mutter eines extrem früh pubertierenden Jungen. 

Die Konstanten in Patricks Leben: Scham und Wut

Auch sein sexuelles Verlangen brachte ihn in schwierige Situationen. Mit fünf bekam er eine Erektion, sobald er einem Mädchen nahe kam. Er wusste nichts über Sex, hatte aber ein unstillbares Verlangen danach. Noch heute fragt er sich bang, ob sich Mädchen im Vorschulalter von ihm sexuell belästigt gefühlt haben. 

In der Schule war er nur "der Freak", seine Mitschüler hänselten ihn und grenzten ihn aus. Starke Hormonschwankungen trugen zu seinen Wutanfällen bei. Wenn andere ihn ärgerten, wurde er schnell aggressiv. Körperlich war er seinen Klassenkameraden haushoch überlegen. "Ich konnte härter zuschlagen als die meisten 6-Jährigen auf dem gesamten Planeten". Mit sechs benahm er sich wie ein 14-Jähriger. 

Da er nirgendwo reinpasste, begann er, sich auch so zu verhalten. Er prügelte sich, begann noch in der Grundschule zu rauchen und nachts abzuhauen, um Graffiti zu sprayen. Mit zehn oder elf begann er, sein wahres Alter zu verleugnen – nun starrte ihn niemand mehr ungläubig oder angewidert an, wenn er sagte, wie alt er war. Und er konnte ein Leben führen, von dem seine Altersgenossen nur träumen konnten: Er kaufte Zigaretten und Alkohol, hatte Sex und fuhr Auto. Er klaute und schwänzte die Schule. 

In der siebten Klasse setzten die Ärzte seine Medikamente ab. Aber sie versäumten es, die Therapie auszuschleichen. Jetzt spielten die Hormone plötzlich komplett verrückt. Patrick wurde immer mehr zum Außenseiter, nahm LSD, gab die Droge einer Mitschülerin unbemerkt ins Glas. Er wurde der Schule verwiesen und seine Freunde durften sich nicht mehr mit ihm treffen. Seine Eltern wussten sich nicht anders zu helfen, als ihn auf eine Militärakademie aufs platte Land zu schicken. Sechs Monate später flog er auch dort raus.

Burleigh schreibt, dass er selbst immer wieder geschockt über sein impulsives Verhalten war und voller Schuldgefühle steckte:

Ich hatte kaum Kontrolle über mich und hasste mich dafür.

Erst als die Gleichaltrigen pubertierten, gehörte er endlich dazu

Als er 14 war, holten die anderen Jungs in seinem Alter endlich auf. Auch sie begannen, sich zu rasieren und muskulöser zu werden. Und sie waren genauso "sexbesessen" wie Patrick es schon seit Jahren war. Endlich war er ein ganz normaler Teenager. Er stach nicht mehr heraus, und was noch wichtiger war: Seine Pubertät ging vorüber und die Hormone hörten auf, Achterbahn zu fahren. Er beruhigte sich und war das erste Mal in der Lage, in die Zukunft zu blicken. Da bekam er große Angst. Mit seinem Vorleben schien das College außer Reichweite zu sein. 

Doch die Angst spornte ihn auch an: Er hörte auf zu rauchen, machte Sport, lernte für die Schule und ging eine Beziehung mit einem gleichaltrigen Mädchen ein. Schließlich begann er zu studieren und traf die Frau, die er später heiraten würde. Er genoss die Normalität, die er so lange und schmerzlich vermisst hatte: "Ich mochte es, langweilig zu sein", schreibt er. 

Heute ist er sich bewusst, dass die Krankheit ihm zwar eine schwierige Kindheit und Jugend beschert, ihn aber vermutlich zu einem stärkeren Menschen gemacht hat; dass ihm sein Aufwachsen als Außenseiter geholfen hat, sich als Künstler zu finden, und dass das schreckliche Gefühl der Andersartigkeit in ein Gefühl der Besonderheit münden konnte. 

Gemeinsam mit seiner Frau entschied er sich nach einiger Überlegung gegen die Pränataldiagnostik, das Paar ließ die Embryos nicht untersuchen. Am 12. März 2015 wurde Sohn Ned geboren. Er hat die Genmutation nicht geerbt. 

VIDEOTIPP: Ein Mädchen wird bis zur Pubertät eingesperrt

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