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Thrombose durch die Pille - ein unterschätztes Risiko

Thrombose durch die Pille - ein unterschätztes Risiko
© Eastwood/Corbis
Knapp sieben Millionen Frauen in Deutschland verhüten mit der Pille. Über das Risiko einer Thrombose wissen viele von ihnen nicht Bescheid.

Diese Rückenschmerzen! Das kommt sicher vom ewigen Über-den-Büchern-Hocken, denkt Janine. Doch sie will durchhalten. In drei Wochen hat sie ihre wichtige Prüfung. Morgens packt sie in ihrem Zimmer schnell die Tasche und will los, doch plötzlich wird ihr schwindelig. Die Schmerzen, auf einmal heftig wie nie, nehmen ihr die Luft. Sie bricht zusammen. "Ich konnte kaum atmen. Irgendwie hab ich's geschafft, auf dem Boden bis ans Fenster zu robben. Ich habe versucht, dran zu klopfen", erzählt Janine. "Zum Glück hat mich mein Vater unten im Hof gesehen." Notarzt. Blaulicht. Krankenwagen. Sie verliert das Bewusstsein. Auf der Intensivstation kommt sie wieder zu sich. Die Diagnose: eine beidseitige Lungenembolie.

Eine Lungenembolie. Mit 21 Jahren.

Wäre sie eine Stunde später gekommen, hätte sie das wohl nicht überlebt, erzählen ihr die Ärzte im Nachhinein. Nun erfährt Janine auch, was passiert ist. Sie hatte eine Thrombose, ein Blutgerinnsel in ihren Beinen. Der Blutpfropf ist aus den Beinvenen in die Lunge hochgewandert und hat einen großen Teil von ihr blockiert. Höchste Lebensgefahr. Das Herz versucht dann, immer mehr Blut in die Lunge zu pumpen, schlägt immer schneller - bis es versagt.

Bei Janine kann ein starkes Medikament das Blutgerinnsel auflösen. Doch die Ärzte rätseln, warum sie überhaupt eine Thrombose bekommen hat. Denn eigentlich ist sie keine Kandidatin dafür. Sie ist schlank, raucht nicht, macht Sport. Ihr einziger Risikofaktor: sie nahm die Pille.

In der Packungsbeilage hatte sie zwar gelesen, dass die Antibabypille das Risiko für Thrombose erhöht. Was sie nicht wusste: die moderne Mikro-Pille mit dem Wirkstoff Drospirenon birgt im Vergleich zu älteren Pillen eine doppelt so hohe Thrombosegefahr. So das Ergebnis großer wissenschaftlicher Studien aus den letzten Jahren (zum Nachlesen: Studie aus den Niederlanden, US-Fallkontrollstudie).

Die Europäische Arzneimittelagentur, die für die Risikobewertung zuständig ist, warnt: Zwischen neun und zwölf von 10.000 Frauen bekommen jedes Jahr eine Thrombose, ausgelöst durch die modernen Pillen mit den Wirkstoffen Drospirenon oder Desogestrel. Einige Frauen sterben sogar daran. 28 Todesfälle sind beim Bundesinstitut für Arzneimittel (BfArM) seit Einführung der neuen Substanzen gemeldet worden. Sie werden mit den Pillen in Verbindung gebracht.

Bei älteren Mikro-Pillen mit dem Wirkstoff Levonorgestrel, die bereits seit den 1980er Jahren auf dem Markt sind, besteht ein geringeres Risiko: Fünf bis sieben von 10.000 Frauen erkranken an einer Thrombose. Deshalb rät das Bundesinstitut für Arzneimittel jungen Frauen, lieber die altbewährten Pillen mit dem niedrigeren Risiko einzunehmen. Sie verhüten damit genauso sicher. Erst wenn sich bei einer Patientin herausstellt, dass sie die Pille mit Levonorgestrel nicht verträgt, sollte der Gynäkologe ihr eine neuere Pille verschreiben. Doch das ist eine reine Empfehlung des Instituts, keine offizielle Position der Frauenärzte.

Andere Länder haben strengere Regeln

In Frankreich bekommen jungen Mädchen die Pillen der dritten und vierten Generation nicht mehr von den Krankenkassen bezahlt. In Großbritannien, den Benelux-Ländern, Dänemark und Norwegen warnen die Gesundheitsbehörden ganz direkt vor Drospirenon-haltigen Pillen. In Deutschland sind die modernen Pillen bisher noch ein Kassenschlager. Dass deutsche Frauenärzte sie so häufig verschreiben, ist für den Pharmakologen Gerd Glaeske schlicht "skandalös". "Da es Pillen mit geringerem Risiko gibt, sollen diese auch verschrieben werden", so Glaeske. Schließlich bekämen junge, gesunde Frauen das Medikament.

Doch warum wird das Risiko in vielen Praxen offenbar nicht ernst genommen? Kaum ein Gynäkologe sieht je eine junge Frau mit einer Lungenembolie, denn die landet meist in der Notaufnahme eines Krankenhauses. Außerdem werden die neueren Pillen von den Pharma-Herstellern besonders beworben, viele Ärzte erhalten Probepackungen. Die Argumente für die modernen Pillen: sie seien besonders verträglich. Pubertätspickel verschwinden schneller, die Haare sollen schöner werden, man nehme nicht so stark zu. Dass wegen der entwässernden Wirkung der Pillen dann auch das Blut verdickt und es leichter zu einer Thrombose kommen kann, diesen Zusammenhang erklären die wenigsten Frauenärzte.

Janines Frauenärztin nahm das Risiko offenbar nicht ernst

Zwar informierte Janines Frauenärztin sie über die Thrombose-Gefahr. Doch Janine sei keine Risikopatientin, als sportliche junge Frau, die nicht raucht. Fast alle ihre Freundinnen nahmen damals die modernen Pillen. Eher als Lifestyle-Produkt. Wegen der Haut. Wegen der Haare. Es gehörte einfach dazu. Die Verpackungen, knallbunt oder mit coolen Mustern, erinnern eher an Kaugummis als an Hormone. Eine Zeitlang gab es die neuesten Antibabypillen nicht nur mit schickem Etui, sondern sogar inklusive Schminkspiegel. Das ist inzwischen nicht mehr so. Seit August 2014 muss im Beipackzettel ganz deutlich auf das fast doppelt so hohe Risiko der modernen Pillen hingewiesen werden. Ein EU-Beschluss.

Natürlich sind solch schwere Nebenwirkungen wie bei Janine selten. Laut Statistik trifft es jedes Jahr nur eine von Tausend Frauen. Wie hoch die Dunkelziffer ist, weiß allerdings niemand. Und bei knapp sieben Millionen junger Frauen, die in Deutschland die Pille nehmen, heißt das auch: Jedes Jahr sind ein paar Tausend von ihnen in Gefahr. Junge Mädchen und Frauen, die ansonsten gesund sind, können plötzlich schwer erkranken.

Was muss geschehen?

Frauen sollten bei ihrem Gynäkologen nach der Pille mit dem geringsten Risiko fragen und eine ausführliche Beratung einfordern. Sie sollten sich die unterschiedlichen Pillen erklären lassen und auch andere Möglichkeiten der Empfängnisverhütung miteinander vergleichen. Einen Überblick über die Wirkstoffe und Risiken unterschiedlicher Pillen gibt es auf der Website risiko-pille.de.

Übrigens ist das Thromboserisiko bei einem Hormonring mit den gleichen Gestagenen (Drospirenon etc.) genauso hoch wie bei der Pille. Wenn der Arzt oder die Ärztin vorgibt, für eine ausführliche Beratung keine Zeit zu haben, hat die Patientin durchaus das Recht, die Praxis zu wechseln.

Letztlich muss jede Frau für sich entscheiden: Möchte ich eine neuere Pille, weil sie eventuell dafür sorgt, dass sich beispielsweise das Hautbild verbessert und nehme dafür das höhere Embolie-Risiko in Kauf? Oder setze ich lieber auf Sicherheit und verringere damit die Gefahr einer seltenen, aber eventuell tödlichen Komplikation? Wer gewisse Risikofaktoren mitbringt, etwa eine erbliche Veranlagung zu Thrombosen, sollte ganz auf eine Pille mit Östrogen und Gestagen verzichten. Auch bei Raucherinnen, Übergewichtigen und Frauen in höherem Alter sollte die Vorsicht an erster Stelle stehen.

Selten - aber gefährlich

Ohne Frage: So dramatische Nebenwirkungen wie eine Lungenembolie erleben nur sehr wenige Frauen. Dennoch sollte jede Frau auf ihren Körper hören und Warnzeichen ernst nehmen. Dazu gehören plötzlich auftretende starke, ungewohnte Schmerzen in den Beinen oder im Rücken sowie Kurzatmigkeit. Im Zweifel gilt: Lieber zum Arzt oder ins Krankenhaus fahren, denn nur anhand von CT-Bildern (Computertomographie) können Blutgerinnsel erkannt werden. Tipp: Alles zu Thrombose Anzeichen und zur Thrombose im Arm erfährst du hier.

Leider denken auch manche Hausärzte oder Orthopäden zu selten daran, dass junge Frauen eine Embolie bekommen können. Janine kam gerade noch rechtzeitig in die Notaufnahme. Für Lena war es zu spät. Sie war fünfzehn, hatte nur drei Monate lang die Pille genommen. Als sie wegen ihrer starken Rückenschmerzen zum Arzt ging, tippte dieser auf eine Muskelverspannung oder eine Fehlstellung der Wirbel. Deshalb bekäme sie auch so schlecht Luft. Das solle man in einer Woche noch einmal abklären. Lena starb drei Tage später an einer Lungenembolie.

Text: Edith Heitkämper

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