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Expertin im Interview Dr. Katrin Schaudig: "Hormone können helfen, aber nicht präventiv."

Offene Pillendose mit Pillen
© adragan / Adobe Stock
Da muss man durch? Nein, schon lange nicht mehr, denn es gibt ja Hormone. Nachdem sie einige Zeit umstritten waren, beginnt momentan ein neuer Hype. Die Gynäkologin Dr. Katrin Schaudig, Präsidentin der Deutschen Menopause Gesellschaft, über Chancen und Risiken der Ersatztherapie.

Die Generation unserer Mütter hat Hormone nach dem Gießkannenprinzip bekommen, weil man davon ausgegangen ist, dass sie jung und gesund halten. 2002 kam dann der Schock durch die sogenannte WHI-Studie …

DR. KATRIN SCHAUDIG: Ich sehe mich noch am Küchentisch sitzen und die Publikation lesen. Von Thrombose, Schlaganfall, Herzinfarkt und Brustkrebs als Nebenwirkung. Ich konnte es zunächst gar nicht fassen. Natürlich hat damals jede Frau gedacht: Oh mein Gott, das kann ich nicht nehmen! 

Nachdem zuvor manche Experten am liebsten Hormone ins Trinkwasser gegeben hätte, schwang das Pendel damals in die völlig andere Richtung und nicht wenige hätten am liebsten einen Totenkopf auf jede Packung gedruckt. Nun schwingt das Pendel wieder deutlich zurück und pendelt sich mittig ein, was ich sehr gesund und vernünftig finde. 

Warum?

Wenn man mal ganz genau in die Zahlen der Studie geht, dann waren die Nebenwirkungen, die da angeprangert wurden, selten und nicht nennenswert schwerwiegender als bei vielen anderen Medikamenten. Außerdem waren die Frauen relativ alt, im Durchschnitt 63, mehr als zwei Drittel übergewichtig oder adipös und keineswegs gesund. Die Untergruppe der Frauen zwischen 50 und 60 schnitt insgesamt mit nur ganz geringen Risikoerhöhungen ab. 

Man muss das, was damals rauskam, also anders bewerten. Zusätzlich gibt es neue Studien. Aktuell empfiehlt die Leitlinie, an deren Erstellung Sie beteiligt waren, Hormone dann einzusetzen, wenn Frauen unter Hitzewallungen leiden. Wenn man aber den Bestseller "Women on fire" der Gynäkologin Sheila de Liz liest, hat man das Gefühl: Ich mache einen riesigen Fehler, keine zu nehmen. Wie kann das sein?

Sheila de Liz hat die Botschaft "Nehmt Hormone" vor allem aus ihrer täglichen Praxis abgeleitet, weil sie sieht, dass es vielen Frauen mit Hormonen besser geht, sie sich vitaler und leistungsfähiger fühlen. Aber wenn man die Studienlage streng anguckt – und genau das machen die Autoren der Leitlinien –, geben die Zahlen diesen breiten Nutzen eben nicht her. 

Und was ist mit den Risiken?

Die gefäßbedingten Risiken, also Thrombosen, Herzinfarkt und Schlaganfall kann man weitestgehend umgehen, indem man das Östrogen nicht schluckt, sondern über die Haut zuführt. Dann gibt es – anders als bei der oralen Anwendung – kaum einen Effekt auf das Gerinnungssystem in der Leber (wodurch die erhöhten Thromboserisiken zustande kommen). Aber das leicht erhöhte Brustkrebsrisiko bleibt, auch wenn es heute geringer ist als bei den Hormonpräparaten aus den alten Studien. 

Oft heißt es, sogenannte bioidentische Hormone, die in der Struktur genauso sind wie die körpereigenen, sind diesbezüglich sicher.

Ja, das wird immer behauptet, aber auch sie machen etwas mit der Brust, wenn auch vermutlich deutlich weniger als die früher überwiegend verwendeten Präparate. Wie viel weniger, dazu haben wir keine guten Daten. Und eins muss ich an dieser Stelle auch loswerden: Es gibt gerade einen ziemlichen Hype um bioidentische Hormone, die individuell angemischt werden, zum Beispiel in der Apotheke. Dabei kann die Pharmaindustrie bioidentische Hormone perfekt herstellen, nach strengen Regularien und qualitativ hochwertiger und verlässlicher. Außerdem werden selbst hergestellte Präparate nicht von der Krankenkasse gezahlt, sondern privat. 

Und der Zeitpunkt: Wann fängt man am besten an mit Hormonen?

Für das Brustkrebsrisiko ist es relativ egal, aber neben der Lebensqualität verbessern sich auch andere Dinge. Allen voran der Schutz der Knochen einer Frau, die eine Osteoporose-Gefährdung hat, zum Beispiel weil es in der Familie viel Osteoporose gibt. Eine Frau mit Diabetes in der Familie tut sich auch etwas Gutes, die Inzidenz wird halbiert, wenn sie Hormone nimmt. Das Darmkrebsrisiko wird ebenfalls reduziert, allerdings nur solange sie die Mittel nimmt. Für den schützenden Effekt bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen ist tatsächlich entscheidend, wann man anfängt. Aber wir wissen nicht, wie groß dieses "Window of Opportunity", also die Zeit zwischen letzter Blutung und dem Beginn der Einnahme, sein darf. Ein halbes Jahr? Zwei Jahre? Fünf? Dazu gibt es keine ordentlichen Studien. Aus meiner Sicht gibt es aber eine Reihe von Daten, die dafür sprechen, dass Sie, wenn Sie mit der Hormonanwendung beginnen, wenn die körpereigene Produktion wegfällt, und langfristig Hormone, insbesondere Östrogen, nehmen, möglicherweise einen Schutzeffekt fürs Herz und vielleicht auch fürs Hirn mitnehmen. Aber die Daten sind wackelig, insbesondere was das Demenzrisiko betrifft. Es ist aber auch nicht so, dass man sich nur noch schadet, wenn man erst nach zehn Jahren anfängt. 

Ein vorbeugender Schutz von Knochen, Herz, Hirn. Das klingt doch wieder so, als würde einen Fehler machen, wer keine Hormone nimmt?

Aber in der Leitlinie steht eindeutig, dass man sie nicht präventiv einsetzen soll. Jemandem, der keine Beschwerden hat, sagt man also nicht "Jetzt nimm mal Hormone, damit du keinen Herzinfarkt kriegst". Wer aber Symptome hat und etwas dagegen nehmen möchte, "kauft" quasi den Schutzeffekt mit ein. 

Und wie lange sollte man dann die Hormone nehmen?

In der Leitlinie steht, dass man einer Frau, die vasomotorische Beschwerden, also Hitzewallungen hat, eine Hormontherapie anbieten soll. Das heißt umgekehrt: Wenn sie, natürlich ohne Hormone, keine Hitzewallungen mehr hat, ist die Einnahme nicht mehr indiziert. Schlafstörungen, depressive Verstimmungen oder Gelenkbeschwerden sind laut Leitlinie keine echte Indikation. Das ist immer eine Einzelfallentscheidung. Wenn bei einem Auslassversuch das Schwitzen nicht mehr ins Gewicht fällt, aber die Frau plötzlich schlechter schläft oder schlechter drauf ist, würde ich sagen, sie kann sie weiternehmen. Ich habe Frauen, die nehmen Hormone 20 oder 25 Jahre, einfach weil sie sich damit besser fühlen.

Wenn man die gut sechs Prozent Frauen, die Hormone nehmen, im Verhältnis zu dem Drittel sieht, das starke Beschwerden hat, dann gibt es offensichtlich weiterhin eine riesige Zurückhaltung. Natürlich spielt da auch das schlechte Image der Hormone seit der WHI-Studie eine Rolle, aber ich habe auch den Eindruck, dass Frauen insgesamt sehr lange bereit sind, es auszuhalten, wenn es ihnen schlecht geht.

So werden wir von der Gesellschaft geprägt und erzogen. Frauen wird immer noch suggeriert "Da musst du durch". Das ist eine Haltung, die man – zumindest bei hohem Leidensdruck – unbedingt hinterfragen muss. Den meisten, denen es richtig schlecht geht, die aber vor Hormonen zurückschrecken, kann man ihre Ängste nehmen, wenn man sich Zeit nimmt und die Fakten erläutert. Eine wichtige Botschaft ist, dass eine Östrogenbehandlung ausschließlich lokal in der Scheide, wenn man Schmerzen beim Sex und sonst keine Beschwerden hat, keine Risiken mit sich bringt. Wenn man die Hormone dagegen über die Haut zuführt, also eine systemische Therapie macht, ist das Krebsrisiko zwar nicht wegzudiskutieren – und deswegen sollten gerade Frauen, die Hormone nehmen, zum Mammografie-Screening –, aber es ist gering. Man muss es in Relation setzen: Zwei Glas Wein jeden Abend machen ein deutlich höheres Risiko.

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Brigitte

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