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Depression: Helfen Medikamente als Therapie?

Depression: Helfen Medikamente als Therapie?
© Ladina Bischof/Photocase.com
Was bringt der Wirkstoff Reboxetin für die Therapie? Experten und Betroffene wissen: Wer eine Depression überwinden will, braucht vielfältige Hilfen.

Wer kennt sie nicht, die Tage, an denen nichts gelingen will? Noch immer hält sich das Vorurteil, Depressionen seien eine Überwertung solcher Tage, eine übersteigerte Befindlichkeit dünnhäutiger Menschen, die mit äußerem Unbill oder inneren Stimmungsschwankungen nicht richtig umgehen können. Weit gefehlt. Eine Depression schickt den Leidenden in die dunkelsten Abgründe seiner Persönlichkeit; alles, wirklich alles scheint ohne Gehalt und Sinn. Ein ständiger Schatten liegt über allen Dingen und nimmt ihnen Licht, Farbe und Leben.

Rund 15 Prozent aller Menschen in Deutschland erleben mindestens einmal in ihrem Leben eine depressive Episode. Als depressiv wird man dann eingestuft, wenn die Symptome länger als 14 Tage anhalten. Frauen sind öfter betroffen als Männer. Jede Vierte macht im Laufe ihres Lebens eine Depression durch.

Schwermut und Melancholie sind nicht vergleichbar mit einer ausgewachsenen Depression. Denn sie lassen den Menschen durchaus noch handlungsfähig, dem Depressiven aber kommt jede Schaffenskraft abhanden. Der Autor und Illustrator Matthew Johnstone hat diesen Prozess in seinem jüngst erschienen Buch "Mein Schwarzer Hund" anschaulich beschrieben. Seine Illustrationen sind einprägsame Metaphern für die Depression, die von der Weltgesundheitsorganisation als Krankheit dieses Jahrtausends eingestuft wurde.

Wer sich zum Arzt traut, dem wird meist eine Psychotherapie nahe gelegt, oft verbunden mit Antidepressiva. Der Wirkstoff Reboxetin, dessen Wirksamkeit jetzt vom Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) in Köln in Frage gestellt wird, kommt in der Therapie eher selten zum Einsatz. Häufiger wird Citalopram verschrieben: 2006 waren es allein 131 Millionen Tagesdosen. Antidepressiva sind ein Umsatzgarant für die Arzneimittelbranche - und das, obwohl die chemischen Vorgänge im Gehirn und Körper depressiver Patienten weithin unverstanden sind.

Antidepressiva wie Citalopram werden im Fachjargon als SSRIs bezeichnet - die Abkürzung steht für "selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer". Die Arznei sorgt also dafür, dass im Körper des Patienten mehr Serotonin zur Verfügung steht - Serotonin ist ein zentraler Botenstoff im Gehirn. Auch der Wirkstoff Fluoxetin, bekannt durch das Mittel "Prozac", gehört dazu.

Mittel wie Prozac helfen depressiven Patienten meist über die erste Zeit eines depressiven Schubs hinweg. Als man dies in den 80er-Jahren feststellte, lag es nahe, die Krankheit als Ausdruck einer chemischen Unbalance im Gehirn zu interpretieren. Den Leidenden fehle, so die Theorie, einfach ein ausgeglichener Serotoninspiegel.

Wie sich jetzt herausstellt, ist das aber nur die halbe Wahrheit. Forscher verringerten künstlich die Menge an Serotonin im Gehirn von Testpersonen. Die Probanden wurden dadurch aber weder überlaunig oder depressiv. Und auch bei bereits depressiven Patienten verschlechterte das Experiment deren Zustand nicht. Serotoninmangel allein kann also nicht für den Ausbruch oder das Anhalten einer Depression verantwortlich sein.

Eine weitere Beobachtung zeigt, wie unzulänglich die Theorie der chemischen Unbalance ist: Zwar steigt der Serotoninspiegel nach der Einnahme von SSRIs innerhalb von Stunden. Es dauert aber einige Wochen, bis die Patienten eine Linderung ihrer Symptome spüren.

Warum aber helfen Prozac & Co. den Depressiven? Einige neue Untersuchungen aus den letzten Monaten geben Hinweise darauf, dass die Medikamente geschädigte Nervenzellen im Gehirn wieder besser funktionieren zu lassen. "Am klügsten ist es", sagt Ronald Duman, Professor für Psychiatrie und Pharmakologie an der Universität in Yale, "Depressionen als eine milde neurodegenerative Störung anzusehen". Mit anderen Worten: Die Nervenzellen verkümmern bei einer anhaltenden Depression. Dieser Schwund lässt sich aber rückgängig machen. Sollten weitere Forschungen die jüngsten Ergebnisse bestätigen, zeigt sich wieder einmal: Das Gehirn ist zwar ein sensibles Organ, zugleich aber enorm regenerationsfähig.

Man muss kein besonders sensibler Typ sein, um an einer Depression zu erkranken, charakterliche Eigenschaften spielen allerdings eine Rolle. Wer unsicher ist und übergenau, ist eher gefährdet. Auch diejenigen, die die Grenze zwischen Aufopferungsbereitschaft und Opferrolle schwer ziehen können, gelten als anfällig. Eine weitere Rolle spielen die Gene - familiär tritt die Krankheit gehäuft auf.

Trifft eine vererbte Veranlagung auf begünstigende Umstände, steigt die Chance, dass eine Depression ausbricht: Einsame Menschen etwa erkranken erheblich öfter. Zudem muss jeder im Leben Zäsuren überwinden; wer zu diesen Zeitpunkten nicht von einem Familien- oder Freundeskreis aufgefangen wird, läuft Gefahr, in eine depressive Phase abzugleiten. Gerade dann, wenn Schicksalsschläge sich häufen und kaum Zeit bleibt, sich wieder zu fangen.

Text: Jörg auf dem Hövel Foto: Ladina Bischof/Photocase.com

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