Anzeige

Erlösung für den Körper

Essen ist zum ideologischen Krieg geworden. Dazu gehört auch, sich vegan zu ernähren, meint der Ernährungspsychologe Christoph Klotter. Ein Interview.

BRIGITTE: Warum ist es so angesagt, sich vegan zu ernähren?

Professor Dr. habil. Christoph Klotter: Weil Veganer die moralisch besseren Menschen sind. Es geht in Wahrheit um die Frage der Schuld. Veganer sind weniger schuld als andere, die Tiere töten und essen oder deren Produkte nutzen, um zu leben. Um seine Schuld abzutragen opferte man früher den Göttern. Inzwischen hat sich Essen zum ideologischen Krieg entwickelt. Früher kämpfte man um politische Utopien. Heute sucht man Erlösung und Glücksversprechen für den eigenen Körper.

Inwieweit spielen Lebensmittelskandale bei der veganen Bewegung eine Rolle?

Kaum. Es gibt einen globalen Trend gegen die Lebensmittelindustrie, bei Menschen mit höherer Bildung. Die breite Masse schert sich nicht um Skandale, kauft, wo es billig ist.

Christoph Klotter
ist Gesundheits- und Ernährungspsychologe an der Hochschule Fulda. Der Vegetarier schätzt besonders die asiatische Küche.
© Hochschule Fulda

Im Internet findet man abstruse vegane Ernährungsempfehlungen, etwa 30 Bananen am Tag zu essen. Wie ernst kann man so was nehmen?

Das ist Sektenverhalten. Und durch die sozialen Medien wird das noch befördert. Sie bieten die Möglichkeit, dass jeder zum Sektenführer werden kann, durch eine gewisse Anzahl von Followern. Jeder darf heute eine Autorin, ein Autor sein und sucht sich seine Öffentlichkeit. Das ist ein Demokratisierungsprozess, und dadurch verändert sich das Essverhalten. Der Rat der echten Experten ist weniger gefragt.

Man hat den Eindruck, dass da auch essgestörte Menschen unterwegs sind.

Das kann sein. Wir bezeichnen den Zwang, sich beim Essen übermäßig zu kontrollieren, um alles richtig zu machen, als Orthorexia nervosa. Diese Essstörung führt in die soziale Isolation und am Ende sogar in eine Depression.

Sind diese Menschen denn wirklich isoliert? Sie haben im Internet doch ihre Öffentlichkeit und Follower ...

Im Netz sind sie nicht isoliert, da können sie untereinander kommunizieren. Aber am Arbeitsplatz und im privaten Umfeld schon. Da wird man mit einem extremen Essverhalten schnell zum Außenseiter.

Fragt sich, ob diese Menschen selbst so leben, wie sie es anderen empfehlen.

Das ist ungewiss. Die sozialen Medien bieten die Chance, das angeblich Beste zu propagieren, es aber anders zu machen. Merkt ja keiner. Wenn ich als Veganer ein Schnitzel esse, dann gehe ich eben aus der Plattform raus, bin verschwunden. Nichts und niemand wird dort überprüft. Die sozialen Medien sind ein Fegefeuer der Eitelkeiten und kreieren eine Gesellschaft der Selbstdarsteller.

Zum Artikel Vegan ernähren - darauf sollten Sie achten.

Mehr zum Thema

VG-Wort Pixel