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Helfen Fette beim Abnehmen?

Helfen Fette beim Abnehmen?
© Melica/shutterstock
Wir kennen ihn alle, den Mythos vom bösen Fett. Doch der gilt jetzt nicht mehr. Warum, erklärt der Ernährungswissenschaftler Dr. Nicolai Worm.

BRIGITTE: Sie sagen schon seit mehr als 30 Jahren, dass Fette zu Unrecht verteufelt werden. Wie kommt es, dass sich diese Erkenntnis erst jetzt durchsetzt?

Dr. Nicolai Worm: Die überwiegende Mehrheit der Studien zeigt seit den 70er Jahren, dass zwischen der Höhe des Fettkonsums und Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes und Krebs kein Zusammenhang besteht. Das gilt auch für die gesättigten Fettsäuren und die tierischen Fette. Trotzdem hielt sich der Mythos von den bösen Fetten über einen langen Zeitraum - auch, weil einflussreiche Industrieunternehmen kein Interesse an einer Aufklärung der Fakten hatten. In den vergangenen Jahren wurden nun Metaanalysen angefertigt, die die alten Studien zusammenfassten und auswerteten. Nicht überraschend für mich zeigten sie das entsprechende Ergebnis und sorgen jetzt für eine Rehabilitierung der Fette.

Wieso gerieten die Fette denn überhaupt in Verruf?

Die Verleumdung der Fette begann bereits in den 50er Jahren mit einem Biochemiker namens Ancel Keys von der Universität Minnesota. Die Herzinfarktrate explodierte damals in den USA, in den Herzkranzarterien lagerten sich Fett und Cholesterin ab, und Keys dachte, das sei auf Butter und Eier zurückzuführen. Er führte einige fragwürdige Experimente dazu durch. Irgendwie schaffte er es, Politiker von seiner Hypothese, dass tierische Fette böse sind, zu überzeugen - ohne dass diese These je von der Ernährungswissenschaft belegt war. Das US-Landwirtschaftsministerium modifizierte seine Ernährungsrichtlinien. Und was die Amerikaner vormachen, machen die Deutschen nach, so kam die Mär von den bösen Fetten auch zu uns.

Und was nun?

Jetzt wartet man in Deutschland, dass etwas passiert. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung e. V. (DGE) hat ihre Fettrichtlinien zwar 2014 überarbeitet, aber nicht die Ernährungsempfehlungen. Da steht immer noch: "Reichlich Getreideprodukte sowie Kartoffeln" und "wenig Fett und fettreiche Lebensmittel".

Fett ist lebenswichtig

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Ernährungstrends wie LowCarb und Paleo reduzieren inzwischen die Kohlenhydrate, auch immer mehr Mediziner und Ernährungsberater empfehlen, eher auf Fette und Proteine zu setzen.

Das stimmt, aber auch da bin ich kritisch. Auf Kohlenhydrate zu verzichten ist meiner Meinung nach keine Empfehlung, die für jeden gilt, sondern vor allem für Menschen, die sich nicht bewegen, zu viel Fett im Körper eingelagert und eine Insulinresistenz entwickelt haben. In Deutschland sind das immerhin etwa 30 Millionen Menschen. Ihr Körper kann die Kohlenhydrate nicht mehr richtig verstoffwechseln und lagert sie bevorzugt als Fett in der Bauchhöhle ein. In der Therapie werden diese Stoffwechselstörungen dramatisch besser, wenn man die Stärke- und Zuckerzufuhr senkt und stattdessen mehr Fette und Proteine in Kombination mit reichlich Gemüse und Salaten isst. Ein schlanker, bewegungsaktiver Mensch hat mit Kohlenhydraten dagegen in der Regel kein Problem. Er braucht sie allerdings auch nicht, denn Kohlenhydrate sind keine essenziellen Nährstoffe – der Körper kann sie selber herstellen.

Warum sind Fette die bessere Energiequelle?

Im Fett sind essenzielle Fettsäuren enthalten, die lebenswichtig sind und die unser Körper selber nicht herstellen, sondern nur über die Nahrung aufnehmen kann. Wenn wir mehr Fett essen, essen wir also auch mehr davon. Das ist schon mal ein Vorteil. Alle fettlöslichen Vitamine, also E, D, K und A, bekommen wir nur über fetthaltige Nahrung. Mehr Fett bedeutet außerdem immer: mehr Genuss, mehr Geschmack. Und: eine längere Verweildauer im Magen. Fettreichere Mahlzeiten halten länger satt. Sie verursachen weniger Anstieg im Blutzucker und Insulin, sind also auch für den Stoffwechsel besser. Nur: Man kann nicht einfach mehr Fette essen, also mehr Käse und Butter aufs Brot schmieren, denn Fett hat viele Kalorien – ganze neun pro Gramm. Zum Vergleich: Ein Gramm Kohlenhydrate und ein Gramm Proteine haben jeweils nur vier Kalorien. Irgendwo muss man also reduzieren.

Wie macht man das am besten?

Man sollte versuchen, bei einer erhöhten Zufuhr von Fetten energiedichte Nahrungsmittel wie Brot und Backwaren zu reduzieren und als Sättigungsgrundlage mehr Wasserreiches wie Gemüse und Salate zu essen. Die sind fast kalorienfrei. So kann man den Fettanteil erhöhen, hat trotzdem weniger Kalorien, aber viel mehr Nährstoffe. Sättigung registriert der Körper nicht aufgrund der Kalorien. Es sind Volumen und Gewicht des Mageninhalts, die satt machen. Der Wasser- und der Ballaststoffgehalt sind dabei wichtiger als der Fettgehalt.

Wir brauchen mehr Omega-3-Fettsäuren

Was empfehlen Sie Menschen noch, die abnehmen wollen?

Sie sollen sich erst mal auf Insulinresistenz untersuchen lassen. Sind sie betroffen, heißt die erste Regel: Nur noch Kohlenhydrate mit niedrigem glykämischem Index wie Gemüse, Hülsenfrüchte, Salate, Pilze und Beeren sind erlaubt, bei den Getreideprodukten nur die groben Vollkornvarianten und auch nur wenig davon. Besonders wenig sollte man von den stärkereichen Lebensmitteln wie Weißmehlprodukte, Reis, Nudeln, Cornflakes essen und stattdessen mit wasserreichen Lebensmitteln wie Gemüse und Salat, Beeren, Pilzen, Früchten satt werden. Und dazu immer eine Portion Eiweiß pro Mahlzeit, mal pflanzlich, mal tierisch. Eigentlich ganz einfach.

Heißt das, ich darf jetzt so viel Fett essen, wie ich möchte?

Ich sage nicht: Esst nur noch Fett und gesättigte Fettsäuren, denn wir benötigen ungesättigte und vor allem mehr Omega-3-Fettsäuren. Was ich aber sage: Gesättigte Fette sind kein nennenswertes Problem, also esst ruhig mit gutem Gewissen vollfette Milch oder Vollfettkäse, aber als Grundlage viel Gemüse und dazu Öle, am besten Olivenöl, und Nüsse und Avocados.

Welche Fette empfehlen Sie?

Olivenöl, auch Rapsöl und Nussöle. Ich persönlich verwende zu Hause Butter, Olivenöl und Sahne, auch mal Kokosöl, Walnussöl oder Ghee. Ich versuche, abzuwechseln. Der Vorteil von Milchfett ist, dass es alle Fettsäuren enthält: gesättigte, einfach und mehrfach ungesättigte, Omega 3 und Omega 6. Außerdem schmecken Butter und Sahne köstlich, und das Fett ist gut verdaulich. Maiskeim-, Sonnenblumenkern- und Distelöle empfehle ich nicht, da sind zu viele Omega-6-Fettsäuren drin. Wir brauchen aber mehr Omega-3-Fettsäuren, die vor allem in Meeresfisch, Leinsamen, Walnüssen stecken.

Unser großes Problem ist, dass die Nahrung zu billig geworden ist

Warum sind Omega-3-Fettsäuren so wichtig für die Gesundheit?

Omega-3-Fettsäuren sind mehrfach ungesättigte Fettsäuren, die der Körper braucht, aber nicht selbst herstellen kann. Sie sind unser größtes Problem, weil nur noch sehr wenig davon in der Nahrung steckt. Sie kommen besonders reichlich in fettem Fisch wie Makrelen, Lachs, Hering und Sardinen vor, auch ein wenig in artgerecht gehaltenen Schweinen, Rindern, Lämmern aus Weidehaltung. Leider stammt heute das meiste Fleisch aus Massentierhaltung, die Tiere stehen passiv in Ställen und fressen Kraftfutter, daher liefern ihre Milch und ihr Fleisch weniger ungesättigte und kaum noch Omega-3-Fettsäuren. Die Antwort wäre, die Tiere wieder frei laufen zu lassen und artgerecht zu halten. Das wäre teurer, hätte aber den Vorteil, dass wir weniger Fleisch essen würden.

Kostet gute Ernährung automatisch mehr?

Unser großes Problem ist, dass die Nahrung zu billig geworden ist. Viele Menschen essen den ganzen Tag, ständig wird etwas geknabbert, Snacks stehen in den Büros oder zu Hause herum, Süßigkeiten und Kekse sind ständig verfügbar. Kalorien kosten einfach nichts mehr und sind allzeit verfügbar. Deswegen werden die Leute fett.

Was kann man dagegen tun?

Bescheid wissen. Es ist ja kein Zufall, dass die obere, gebildete Einkommensschicht die schlankeren Menschen stellt und die untere die dickeren. Der Trend ist weltweit in den Industrieländern zu beobachten. Ein anderer Weg, der gerade vor allem in England und den USA diskutiert wird, ist, Steuern auf Nahrungsmittel einzuführen. Bei den zuckergesüßten Erfrischungsgetränken wie Limonaden und Nektar wird es bald soweit sein. Etwa 300 Kalorien nehmen die Deutschen im Schnitt pro Tag über Erfrischungsgetränke auf. Theoretisch könnte man die Übergewichtsepidemie stoppen, wenn man diese Getränke boykottieren würde.

Die Menschen essen immer fettärmer und werden dabei immer dicker

Müsste man nicht auch Schokolade, Kekse und Chips besteuern? Die sind ja genauso ungesund.

Ja, aber Süßwaren bleiben wenigstens länger im Magen und sättigen dadurch ein wenig, während die Erfrischungsgetränke blitzschnell durch den Magen in den Dünndarm laufen und null Sättigungseffekt haben.

Eine "böse" Fettsorte gibt es aber doch: die Transfettsäuren. Sie steigern das Herzinfarktrisiko. Sollten sie wie in den USA auch bei uns verboten werden?

Ich bin gegen ein generelles Verbot, denn es gibt auch natürliche Transfettsäuren, zum Beispiel im Rind-, Schaf- und Hirschfleisch sowie in Milch, Käse und Butter, und die sind nicht gesundheitsschädlich - im Gegensatz zu den Transfettsäuren, die durch industrielle Härtung gewonnen werden. Sie kommen in billigen Koch-, Back- und Frittierfetten vor, erhöhen das LDL-Cholesterin, senken das HDL-Cholesterin, fördern Entzündungen und stören die Funktion der Blutgefäßwände. In Studien stieg das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen bereits, wenn nur zwei bis vier Prozent der täglichen Kalorien auf Transfette entfielen. Vorsicht also bei Frittiertem, Gebäck und Fertiggerichten und vor der Kennzeichnung "gehärtete oder teilgehärtete Pflanzenfette".

Die Verteufelung der Fette hat viele "Fatfree"- und "Light"-Produkte hervorgebracht. Was bringen die?

Gar nichts. Die Menschen essen immer fettärmer und werden dabei immer dicker, weil diese Produkte weder sättigen noch befriedigen. Man überlegt danach: Was esse ich jetzt? Studien haben gezeigt, dass die Fettersparnis kompensiert wird: Man isst von anderen Sachen mehr. Also trinke ich besser meine Vollmilch statt die fettarme Variante? Genau, denn sie sättigt und schmeckt besser.

Lese-Tipp: Hier erfährst du, was Transfette so ungesund macht.

Interview: Daniela Stohn BRIGITTE 2/2016

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