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Rollenklischees: "Du bist halt die Mutter ..."

Rollenklischees: Mutter ist mit drei kleinen Kindern unterwegs
© zodiacphotos / Shutterstock
Ja, wir sind gleichberechtigt! Wären da nicht uralte Rollenklischees, die wieder auftauchen. BRIGITTE-Redakteurin Alexandra Zykunov über ein ausgestorbenes Frauenbild, das quicklebendig ist.

Der Vorwurf: "Du verpasst doch die Kindheit deiner Kinder"

Spielplatzromantik an einem Nachmittag im August. Barfuß im Sand hockende Mütter versuchen zwischen Babys und Turngeräten ein zusammenhängendes Gespräch zu führen. "Ich überlege, wann ich wieder Vollzeit einsteige", sagt eine Frau zur anderen. "Vielleicht, wenn die Kleine so eineinhalb ist?" Ihre Freundin verzieht das Gesicht: "So früh schon? Meinst du wirklich?" "Na ja, was heißt ‚schon‘?", sagt die Arbeitsmutter und lacht nervös, "ich habe halt richtig Lust. Und das Geld ist auch nicht zu verachten." - "Und dann kriegst du dieses Geld, wachst eines Tages auf und hast die Kindheit deiner Kinder verpasst." Bäm.

Nur noch die Spielplatzakustik war zu hören. Um ehrlich zu sein, war diese Freundin meine Freundin. Die Arbeitsmutter bin ich. Und weil ich nicht wusste, was ich darauf antworten sollte, ohne zwischen Windeln und Sandförmchen eine Grundsatzdebatte loszutreten, sagte ich: nichts. Und ärgerte mich später maßlos.

Ist die Gesellschaft wirklich bereit für emanzipierte Frauen?

Es entsteht ein neuer Typ moderner, emanzipierter, ja cooler Frauen, wie wir sie uns in Magazinen herbeiwünschen und in Serien feiern: Im Job sind sie kaum von der Gehaltsschere betroffen, emanzipiert, entspannt, ehrgeizig, gehen feiern, kriegen Kinder, wollen Haushalt und Betreuung fifty-fifty mit dem Mann teilen und steigen schnell wieder ein, ja, auch in Vollzeit. Für sie ist Vereinbarkeit keine Frage, sondern eine Selbstverständlichkeit, und natürlich haben sie verstanden, dass ein Mann keine Altersvorsorge ist. Und obwohl sie dieses moderne Frauenleitbild der Gesellschaft sind - scheint diese nicht bereit für sie zu sein.

Als eine Kollegin mit ihren 30 Jahren ihr Gehalt verhandelte und selbstverständlich erklärte, warum sie gut ist und dass jedes Budget Spielraum hat, bügelte ihr Chef sie mit dem Satz weg: Sei mal nicht so frech, noch nie hat eine Frau hier so viel gefordert.

Bei einem Jahrgangstreffen wollte ich mich mit ein paar Frauen über Immobilienanlagen unterhalten, mit dem Beisatz, dass man sich heute ja kaum auf einen Trauschein verlassen könne. Da schauten erst alle zu Boden und schielten sich danach gegenseitig an. "Wie arrogant redet die denn?", sagten ihre Blicke. "Als hätte sie die Weisheit mit Löffeln gefressen!" 

Dabei hatte ich genau das nicht! Ich war ratlos, eben weil niemand in meinem weiblichen Umfeld über diese Themen spricht. Frauen kriegen 53 Prozent weniger Rente als Männer, hätte ich am liebsten geschrien. Hallo?! Wie kann es da keinen Gesprächsbedarf geben?

Es wird mit zweierlei Maß gemessen

Soziologin Dr. Sarah Speck wundert das alles nicht. "Wir erleben heute geradezu paradoxe Effekte der Frauenbewegung. Wir haben sehr emanzipierte Frauen, die in einer immer noch sehr traditionellen Rollenstruktur leben müssen." 

Die Wissenschaftlerin hat am Institut für Sozialforschung der Uni Frankfurt Interviews mit Paaren aus allen Sozialschichten geführt und festgestellt, dass es einen großen Unterschied gibt zwischen dem, was wir unter selbstverständlicher Gleichberechtigung verstehen, und dem, was wirklich gelebt wird. "Die Arbeitswelt zum Beispiel ist einerseits auf stark ausgebildete und durchsetzungsfähige Frauen angewiesen, andererseits sind viele Chefs bei Themen wie Gehalt oder Beförderung überhaupt nicht bereit für sie."

Selbst die eigenen Eltern sind nicht besser. Als mein Sohn neulich krank im Bett lag und ich arbeiten musste, sagte meine 65-jährige Mama: "Alex, Karriere hin oder her, dein Kind braucht dich zu Hause." Unnötig zu erwähnen, dass mein Freund ein ebenso wundervoller Krankenpfleger war.

Als mein Bruder sich allerdings wegen seiner Babytochter mehrmals krankmeldete, legte unsere Mutter die Stirn in Falten: Er gefährde damit schließlich seine Karriere. Auf meine Entrüstung hin versuchte sie nicht einmal die Doppelmoral zu verstecken: "Du bist halt die Mutter. Das ist einfach etwas anderes." Aha.

Nur 10 Prozent der Mütter gehen Vollzeit arbeiten

Die Entrüstung aber war groß, als ich meinen Mama-Freundinnen davon erzählte.

Dass diese Stereotype viel tiefer in uns allen verankert sind, wollen natürlich die wenigsten wahrhaben.

Mich eingeschlossen. Dabei belegen Studien, dass es mit der Geburt des ersten Kindes bei fast allen Paaren zur sogenannten Retraditionalisierung der Geschlechter kommt. Mann geht arbeiten, Frau schmeißt Kind und Haushalt. Ja, selbst dann, wenn diese Paare vorher ein völlig anderes Ideal angestrebt haben.

Veraltete Hirngespinste, die nichts mit der modernen Realität zu tun haben? Leider nein: Väter arbeiten heute 40,5 Stunden die Woche, Mütter 23 Stunden. Nur zehn Prozent aller Mütter, deren Kinder unter drei sind, arbeiten Vollzeit, hat das Statistische Bundesamt errechnet. Man muss kein Mathegenie sein, um zu verstehen, dass umgekehrt 90 Prozent aller Kleinkindmütter in Teilzeit arbeiten. Oder gar nicht. 90! Prozent!

Wir finden selbst Ausreden dafür, warum wir alte Rollenklischees leben

Das Absurde daran: Obwohl diese Zahlen bekannt sind, wälzt sich die Retraditionalisierung ihren Weg unbeirrt durch die modernen Haushalte. Nur die Ausreden für die ungleiche Verteilung von Kochen, Putzen und Co. sind heute andere geworden: "Ich habe einfach andere Sauberkeitsstandards als er und wische schnell selbst." Oder: "Stimmt, ich mache unsere Wäsche, aber das mache ich beim Fernsehen, das stört mich nicht." 

Das sind genau die Sätze, die Sarah Speck bei ihren Interviews zu hören bekam. "Gerade Frauen in urbanen Beziehungen, die sich Gleichberechtigung groß auf ihre Fahnen schreiben, sind Meisterinnen darin, die tradierten Rollen in ihrer Beziehung zu verschleiern", sagt sie.

Psychologen nennen das "Konsensfiktion."

Wenn man zum Beispiel die Kinderbetreuung durch die Mutter damit erklärt, dass der Vater einfach mehr verdient. Und die Tatsache ignoriert, dass die Frau sich durch ihre andauernde Teilzeit die Chance nimmt, irgendwann auch mehr zu verdienen. Und bei einem zweiten oder dritten Kind dann nicht zu Hause bleiben zu müssen, wenn sie es nicht explizit will.

Wir sind wohl doch nicht so gleichberechtigt

Warum lügen sich Frauen hier gern selbst in die Tasche? "Weil es nicht schön ist, sich einzugestehen, dass man gar nicht so gleichberechtigt ist, wie man dachte", sagt Speck. Und weil es sehr anstrengend ist, die ständigen Konflikte auszutragen: Wer ist wie oft zu Hause geblieben, als das Kind krank war? Wer geht öfter einkaufen? Welcher Job ist anstrengender und befreit abends von Wäsche und Klobürste? Paare, die das ausfechten, sind wahre Pioniere. Und extrem gefährdet.

Kein Wunder, dass mein (eigentlich sehr feministischer) Freund nach einem weiteren Machtgemenge zwischen Geschirrspüler, Kinderimpfheft und Abendbrot entkräftet wünschte, es wäre wieder wie früher, als alles klar aufgeteilt war. "Diese Konflikte aber sind wichtiger denn je", sagt Speck, "denn die Verschleierung des Problems ist heute eine der größten Gefahren des modernen Feminismus." Oder anders gesagt: Wie will man das Problem, dass wir immer noch in tradierten Rollenbildern leben, bekämpfen, wenn es unsichtbar gemacht wird? Zum Teil von den Frauen selbst.

Die Emanzipation geht nur langsam voran

Da fragt man sich, wie es überhaupt so weit kommen konnte? In einem Land mit einer Kanzlerin, einer Frauenquote und unzähligen Serien, in denen Frauen als Heldinnen - Anwältinnen, Chirurginnenen, Politikerinnen - gefeiert werden? All das ist eben auch Teil des Problems, sagt die US-amerikanische Medienwissenschaftlerin Susan Douglas. Sie nennt es den aufgeklärten Sexismus.

Nämlich, dass all diese Serien und Errungenschaften uns in dem Glauben wiegen, Frauen wären mit den Männern längst gleich auf. Man muss sich nur das männlich dominierte Bundeskabinett anschauen, um sich vom Gegenteil zu überzeugen. Oder dass Frauen in exakt demselben Beruf immer noch acht Prozent weniger verdienen. Oder, seien wir mal ehrlich, dass nachmittags auf einem Spielplatz in 99 Prozent aller Fälle nur Mütter zu sehen sind.

Die Lösung: Mehr anecken, mehr streiten

Die Lösung? Eine davon liegt leider außerhalb unseres Handlungsspielraumes und heißt: Zeit. Das Patriarchat blickt auf eine jahrhundertealte Tradition zurück. Da steckt die Frauenbewegung mit ihren knapp 50 bis 100 Jahren vergleichsweise noch in den Babyschuhen. Man dürfe nicht erwarten, dass Programme wie das Elterngeld oder die Diskussionen um die Vereinbarkeit einfach mal über Jahrhunderte gewachsene Strukturen umkrempeln, sagen Soziologen. So etwas könne gern mehrere Generationen dauern.

In der Zwischenzeit heißt es, sich nicht blenden zu lassen, dass wir quasi schon in der Gleichberechtigung leben würden, sagt Speck. Nur so hinterfragt man ganz automatisch die eigene Beziehung, die eigene Rolle, seine Aufgaben. Und ja, auch mal mehr diskutieren, mehr anecken - oder eben auch mehr streiten. Mit dem Chef, dem Mann, der Mutter - oder der Mama-Freundin. Spielplatzromantik hin oder her.

Brigitte 25/2018

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