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Bitte, lasst mich Mama werden!

Künstliche Befruchtung
© Getty Images
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Eine Eizelle, eine Nadel, ein Stich. Was wir hier etwa 400-fach vergrößert sehen, ist eine künstliche Befruchtung. Der Beginn eines Lebens in einer Petrischale. In Deutschland hoffen jährlich 60.000 Frauen darauf, auf diesem Wege Mutter zu werden. Auch unsere Protagonistin Jana. Sie braucht allerdings mehr als nur die Eizelle, die Nadel und den Stich.

Bitte, lasst mich Mama werden!

Wie modern ist unsere Reproduktionsmedizin wirklich?

Ein anthrazitgrauer Mercedes Benz fährt die Dahlmannstraße entlang. Kastige S-Klasse, Modell 500 SEL. Der Chauffeur raucht Marlboro und "Verdammt ich lieb dich", das erfolgreichste Lied des Jahres, dröhnt aus dem rauschgestörten Radio. Der Beifahrer wippt ein wenig zum Rhythmus, als plötzlich das Autotelefon klingelt. Modernste Technik: C-Netz, fast keine Verbindungsabbrüche, faxfähig, Wurzelholzverkleidung. Hightech!

So oder so ähnlich könnte es gewesen sein, als Helmut Kohl am 13. Dezember 1990 zum Bundestag in Bonn gefahren wurde, um das Embryonenschutzgesetz zu beschließen. Man merkt schnell: 1990 ist ziemlich lange her. Heute fahren fast 1.000 Elektroautos im Fuhrpark der Bundesregierung, die Chauffeure würden wenn überhaupt E-Zigarette rauchen und "Verdammt ich lieb dich" allenfalls in der Spotify-Schlager-Playlist spielen. Nach Bonn fährt Angela Merkel höchstens noch, wenn sie die Kirschblüte erleben will. Und das Autotelefon? Naja, das bedarf wohl keines weiteren Kommentars.

Es hat sich wirklich viel getan seit damals. Nur das Embryonenschutzgesetz, das den Missbrauch von Embryonen verhindern soll, ist anscheinend in den 90ern stehengeblieben. Satte 30 Jahre ist es alt und hat seither nichts an sich machen lassen. Also fast. 2011 hat es eine einzige Anpassung bekommen: Theoretisch dürfen Mediziner*innen Frauen seitdem mit der Präimplantationsdiagnostik (PID) zu einem Kind verhelfen. Praktisch ist das aber ein wenig komplizierter.

Zum Vergleich: Das Stromeinsparungsgesetz etwa, das genau wie das Embryonenschutzgesetz am 1. Januar 1991 in Kraft getreten ist, wurde im Jahr 2000 durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz ersetzt und selbst danach noch sechsmal angepasst – die nächste Novellierung kommt im Januar.

Mediziner und Wissenschaftler haben jüngst von der Politik gefordert, auch das Embryonenschutzgesetz zu überarbeiten. Warum bleiben Paragrafen, die etwas so Elementares wie unsere Fortpflanzung betreffen, 30 Jahre lang fast unangetastet?

Pränataldiagnostik: Jana und der Schwan
© Jana Minuth / Privat

„Ich komme mir vor wie eine Kurio­sität. Dass ich lebe, ist ein großer Zufall“

Die Frage, warum in der Kinderwunschmedizin so wenig vorangeht, stellt sich Jana Minuth jeden Tag. Die 30-Jährige leidet unter einer Chromosomendeletion. Ihr fehlt ein wichtiges Stück DNA auf einem X-Chromosom. „Ich wusste immer, dass was nicht stimmt und das mit dem Kinderkriegen schwierig werden könnte“, erzählt sie. Ihr Zyklus ist schon seit dem Teenageralter unregelmäßig, die Periode außergewöhnlich kurz. Zudem hat Jana eine gynäkologische Entwicklungsstörung. Trotzdem bekommt sie erst mit 30, als sie sich wegen ihres Kinderwunsches in ärztliche Behandlung begibt, die Diagnose, die ihr Leben verändert. „Sie machten ein Gen-Screening, aber meinten, da werde sicher nichts sein“, erinnert sich Jana. „Aber dann war plötzlich ein Brief in der Post, ich solle mich dringend in der Klinik melden.“ Jana ist in Schockstarre. „Ich hab sofort angefangen zu weinen." Dabei kennen sie und ihr Mann Marvin (29) zu diesem Zeitpunkt noch nicht das ganze Ausmaß der Diagnose.

Janas X-Chromosom
Das Chromosom, das Janas Leben auf den Kopf stellt. Gut zu sehen: Ein Stück des DNA-Trägers ist abgebrochen.
© Privat

„Sie sagten, dass ein Junge ganz sicher sterben würde“

„Haben Sie zusätzliche Zehen oder Finger“, fragt die Genetikerin, als Jana mit ihrem Mann in der saarländischen Klinik für Humangenetik sitzt. Langsam wird den beiden klar, was es mit dem Begriff Chromosomendeletion auf sich hat. Für Jana ist das surreal. Sie hat zehn Finger und zehn Zehen. Sie kann normal reden, laufen und denken, hat Philosophie und Geschichte studiert. Den Expert*innen ist es ein Rätsel, wieso Jana so „normal“ entwickelt ist. "Für einen Jungen wäre das ganz sicher tödlich“, sagt die Ärztin, aber Jana nimmt's gelassen. Sie ist ja als Mädchen auf die Welt gekommen – von daher alles gut, oder?

Pränatadiagnostik: Jana und Marvin Minuth
Jana und Marvin Minuth sind seit sechs Jahren ein Paar und leben in Trier. Die 30-Jährige bloggt unter dem Namen "Fierce and Flourishing" auf Instagram- und Youtube.
© Fierce and Flourishing

Erst eine halbe Stunde später wird ihr klar: Die Genetikerin hat nicht sie gemeint, sondern das Baby. Das Baby, das sie bekommen möchte. Das Baby, das ihre Familie komplett machen soll – und das ihr beschädigtes X-Chromosom erben könnte. Auch bei einem Mädchen kann die Medizinerin nicht versprechen, dass es überlebt. „Es tut mir leid, aber da wird viel auf sie zukommen“, sagt sie. Für Jana und Marvin ist das ein Schock – und plötzlich erscheint der Kinderwunsch nicht mehr schwierig, sondern wird zur schwersten Entscheidung ihres Lebens.

Jana über ihr Chromosom

In der Sprechstunde erwähnt die Genetikerin dann die Möglichkeit einer „Präimplantationsdiagnostik“ – kurz PID. Ein Hoffnungsschimmer für die beiden?

Pränataldianostik: Baby wird geboren
© Javier Valenzuela / EyeEm / Getty Images

„Die PID kann Frauen davor be­wahren, eine Schwan­ger­schaft ab­zu­brech­en“

Präimplantationsdiagnostik – was ist das überhaupt? Prof. Dr. Georg Griesinger, der ärztliche Leiter der universitären Kinderwunschkliniken in Lübeck und Manhagen, erklärt es hier im Video.

Was ist eine PID?

Kurz gesagt: Mithilfe einer PID können Frauen schon vor einer Schwangerschaft untersuchen lassen, ob ihr zukünftiges Kind eine vorher bestimmte, schwere Erkrankung haben oder überhaupt lebensfähig sein wird. Das Prozedere: Nach einer Hormontherapie werden den Frauen Eizellen entnommen und in einem Reagenzglas mit Spermien befruchtet. Den entstandenen Embryos entnehmen die Mediziner*innen anschließend am fünften Tag der Entwicklung sogenannte Trophektodermzellen aus dem frühen Mutterkuchen und untersuchen sie auf die Erbkrankheiten.

Um die zu diagnostizieren, müssen individuelle genetische Analysemethoden entwickelt werden. Man kann also nicht einfach mit einem Blick durchs Mikroskop eine Vielzahl an Krankheiten untersuchen. Deshalb kann es auch vorkommen, dass ein Kind, das mithilfe einer PID gezeugt wird, zwar nicht unter der betreffenden Erbkrankheit leidet, aber trotzdem nicht gesund auf die Welt kommt.

Dr. Georg Griesinger
Prof. Dr. Griesinger hilft in seiner Praxis Frauen mit Kinderwunsch.
© Privat

Das Risiko für eine Fehlprognose ist laut Prof. Dr. Griesinger allerdings sehr gering und in der Literatur allenfalls mit Einzelfällen beschrieben. Auch komme es bei der Hormonstimulation und der Eizellentnahme selten zu Komplikationen. Als größtes Problemfeld sieht der Mediziner die psychische Belastung für die Frau. Denn damit eine PID erfolgreich ist, müssen sehr viele Dinge reibungslos funktionieren. Die Patientin kann zum Beispiel zu wenige Eizellen haben. Oder die Befruchtung klappt nicht. Es können zu wenige Embryos entstehen, die man untersuchen kann. Oder die Biopsie und genetische Analyse liefern keine eindeutigen Ergebnisse. „Wir haben die ganz unkomplizierten Verläufe. Wir entnehmen die Eizellen, testen Embryos, wir übertragen einen Embryo, die Frau wird schwanger, bekommt ein gesundes Kind - alles perfekt", erklärt der Arzt. "Und dann haben wir welche, die sind hochgradig kompliziert, wo wir mehrfach stimulieren, mehrfach Befruchtungen im Reagenzglas herbeiführen müssen und selbst dann nicht zum Erfolg kommen.“

Die PID ist in Deutschland grundsätzlich erstmal verboten. Seit 2011 darf sie allerdings unter diesen drei Voraussetzung durchgeführt werden.

  • Wenn das Kind aufgrund der genetischen Vorbelastungen der Eltern ein erhöhtes Risiko für eine schwere Erbkrankheit oder einen frühzeitigen Tod hat.
  • Wenn die Frau umfassend über die PID beraten wurde.
  • Wenn eine Ethikkommission die PID genehmigt hat.

„Jede Frau hat das Recht auf ein ge­sun­des Kind“

Dr. Matthias Bloechle
Dr. Matthias Bloechle zeigte sich 2006 nach einer PID selbst an.
© Privat

​​​ Zur Gesetzesänderung im Jahr 2011 ist es überhaupt nur gekommen, weil ein Berliner Gynäkologe mit riskanter Eigeninitiative nachgeholfen hat. Dr. Matthias Bloechle entschied sich 2005 dazu, die PID bei einer Patientin durchzuführen, ohne zu wissen, ob er illegal handelt.

„Die Frau hatte bereits ein Kind mit Behinderung und war verzweifelt. lch musste ihr einfach helfen", erzählt der Mediziner. "Ich war damals viel auf Kongressen unterwegs und dachte mir: Es kann doch nicht sein, dass Frauen in Deutschland diese Methode verwehrt wird." Das Problem: Die PID war durch die gesetzliche Bestimmung, dass Embryos nicht erzeugt werden dürfen, wenn man damit keine Schwangerschaft herbeiführen möchte, sondern sie nur als "Untersuchungsobjekte" verwendet, de facto nicht erlaubt. Doch der Mediziner fand mit der Analyse der schon erwähnten Trophektodermzellen (die für sich allein nicht als Embryo gelten) eine medizinische Methode, das Gesetz zu umgehen. „Ich hatte mir juristischen Rat eingeholt, um auf Nummer sicher zu gehen“, erzählt Bloechle. Um aber eindeutige Rechtssicherheit zu haben, entschied sich der Arzt im Januar 2006 zu einem drastischen Schritt: Er zeigte sich selbst an.

IVW in Petrischale
Laut eines Berichts der Bundesregierung sind in Deutschland zehn Kliniken für die PID zugelassen (Stand: September 2019).
© Monkey Business Images / Shutterstock

„Als ich den Durch­such­ungs­­­be­schluss sah, musste ich schon schlucken“

Womit Dr. Bloechle nicht gerechnet hatte: An einem Freitagmorgen standen zwei Kriminalkommissarinnen vor seiner Tür und hielten ihm einen Durchsuchungsbeschluss entgegen. „Ich hab alles freiwillig rausgegeben. Ich hatte ja nichts zu verbergen.“ Es kam zum Prozess. Eben noch ein Mediziner, der Frauen helfen will. Im nächsten Moment ein Schwerverbrecher. So las es sich zumindest im „Tagesspiegel“, der am Prozesstag erschien. „Es war gruselig, dass ich da bei den anstehenden Gerichtsterminen zusammen mit Brandstiftern, Mördern und Vergewaltigern genannt wurde“, erzählt Bloechle.

Dass er verurteilt wird, davon ging der Arzt nie aus. Auch wenn es durchaus hätte passieren können, dass er seine Zulassung als Arzt verliert. Doch die Selbstanzeige hatte sich für ihn gelohnt. Nach einem dreijährigen Verfahren und einem Prozessweg bis zum Bundesgerichtshof wurde der Mediziner freigesprochen und die von ihm verwendete Methode als mit dem Embryonenschutzgesetz vereinbar angesehen. „Ich war unendlich erleichtert. Das war für mich, aber auch für alle Frauen mit schwer zu erfüllendem Kinderwunsch ein Erfolg“, sagt Bloechle.

Als Held der Reproduktionsmedizin will sich der Gynäkologe nicht bezeichnen. Fest steht allerdings, dass dieses Gerichtsverfahren die Politik dazu zwang, sich genauer mit der Präimplantationsdiagnostik zu befassen und die Regelungen im Embryonenschutzgesetz anzupassen. Das passierte allerdings erst 2011, nachdem eine lange und emotionsgeladene Debatte darüber entbrannte, wie weit die Medizin gehen darf, um Frauen ein Baby zu ermöglichen.

Dr. Matthias Bloechle
Zu Gast im Bundestag: Dr. Mattias Bloechle im Juli 2011 bei der namentlichen Abstimmung zur Regelung der PID.
© Christian Thiel / imago images

„Wir sitzen rechtlich noch in der Pfer­de­kut­sche und haben nicht mit­ge­kriegt, dass wir zum Mond fliegen können“

Für Dr. Matthias Bloechle ist das längst nicht genug. In seiner Berliner Praxis behandelt er immer noch täglich Frauen, die es nicht leicht haben, ein Baby zu bekommen. Seiner Meinung nach könnte man in Deutschland schon viel weiter sein. „Das Embryonenschutzgesetz muss endlich weiter angepasst werden. Es ist eigentlich absurd, dass nicht regelmäßig geschaut wird: Sind die Bestimmungen darin noch zeitgemäß?“

Schaut man nach Europa, ist die Gesetzeslage in Sachen Reproduktionsmedizin tatsächlich etwas lockerer. Die PID ist zwar in den meisten Ländern an bestimmte Bedingungen geknüpft, allerdings sind die Hürden teilweise niedriger. In Großbritannien etwa gibt es zwar auch eine zentrale Behörde, die PIDs überwacht, allerdings muss für die Erlaubnis des Diagnoseverfahrens nicht unbedingt eine sehr schwere Erbkrankheit vorliegen. Anderes Beispiel: In Frankreich übernehmen die Krankenkassen die PID zu 100 Prozent. Auch andere Verfahren wie die Eizellspende ist in den meisten europäischen Ländern erlaubt.

Auf einen Blick: Was geht in Deutsch­land und was nicht?

Woran liegt es, dass die deutsche Gesetzgebung Reproduktionsmediziner*innen an der kurzen Leine hält? „Vermutlich an dem, was im dritten Reich geschehen ist", meint Bloechle. "Deutschland achtet sehr penibel darauf, dass nicht so etwas wie Selektion von Menschen betrieben wird“, so seine Theorie. In seinen Augen ist PID keine Selektion. „Wir spielen auch nicht Gott, sondern wir bewahren Kinder vor einer schweren Erkrankung.“

An das viel diskutierte „Designerbaby“ und das Szenario, wir werden uns bald unsere „Wunschbabys“, etwa mit bevorzugtem Körperbau, Augen- oder Haarfarbe, heranzüchten, glaubt er ganz und gar nicht. „Diese Vorstellung ist doch reine Science-Fiction. Vielleicht wird das irgendwann mal möglich sein. Aber sollen wir deshalb schon heute Menschen in Not eine hilfreiche Behandlung verweigern?" Seiner Meinung können die Politiker*innen der Zukunft im Fall der Fälle immer noch Verbote aussprechen.

„Ich habe das erste PID-Baby Deutsch­lands be­kom­men“

Zu Dr. Bloechles Patientinnen gehörte auch Sonja Werner. Gemeinsam mit ihrem Mann Michael bekam sie 2007 das erste PID-Baby Deutschlands. Nach drei Fehlgeburten und der Diagnose Gendefekt erzählte ihr der Arzt von der Möglichkeit, den Embryo schon vor der Einnistung auf Krankheiten untersuchen zu können. Ohne, dass dies explizit erlaubt sei. „Ich hatte keine Angst vor möglichen Konsequenzen und war mir sofort sicher, dass ich das machen will. Ein Leben ohne Kind war für mich einfach unvorstellbar“, erzählt die 39-Jährige. Eine Entscheidung, die ihr Leben verändern sollte, denn die PID verlief erfolgreich. Sonja Werner wurde wieder schwanger – und vor allem blieb sie es. „Ich hab die Schwangerschaft genossen und jeden Moment ausgekostet. Ab da, wo ich die Tritte spürte, wusste ich, dass es gut geht und dann war da nur noch grenzenlose Freude.“

Sonja und Maxima Werner
Sonja Werner mit Tochter Maxima, die 2007 als erstes PID-Baby Deutschlands auf die Welt kam.
© Privat

Heute ist ihre Tochter Maxima 13 Jahre. Sie weiß, unter welchen besonderen Umständen sie auf die Welt gekommen ist und will immer mehr darüber erfahren. Auch Sonja Werners Umfeld war neugierig, was es mit der PID auf sich hat. „Ich habe viele positive Reaktionen bekommen. Besonders hat es mich berührt, dass ich hoffnungslosen Frauen wieder Mut machen konnte.“ Für die Bayerin hinkt die Politik in Sachen Reproduktionsmedizin zu weit hinterher. „Wir sollten unsere medizinischen Möglichkeiten in Deutschland ausschöpfen, damit Frauen selbst eine Wahl haben, wie weit sie bereit sind, für ein Kind zu gehen.“ Neun Jahre nach Maxima kam übrigens ihr Sohn Magnus auf die Welt – auf natürlichem Wege. Er ist kerngesund. Allerdings musste Sonja Werner für Maximas Geschwisterchen auch fünf weitere Fehlgeburten über sich ergehen lassen.

Pränataldiagnostik: Jana mit Regenbogen
© Jana Minuth / Privat

„Ich möchte wirklich un­be­dingt Mutter werden“

Für Jana und Marvin ist die "Schwangerschaft auf Probe" ein unvorstellbares Szenario. „Wir haben viel darüber diskutiert, was das alles für uns bedeuten würde: Fehlgeburten, ein Kind, das schwerstbehindert ist oder früh stirbt.“ Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Kind Janas "krankes" Chromosom erbt, liegt bei 50 Prozent. Als es heißt, dass ein Junge in diesem Fall keine Überlebenschance hat, ist für die beiden klar: Das Risiko wollen sie nicht eingehen und sich hinsichtlich einer PID beraten lassen. 

Was sicher fest steht: Wenn Jana ein Baby möchte, muss sie sich einer Hormonbehandlung unterziehen, weil sie keinen Eisprung hat. Für die 30-Jährige könnte das ein Höllenritt werden, denn die Hormone könnten zwei ihrer gesundheitlichen Beschwerden erheblich verschlimmern: Jana leidet unter Migräne und Panikattacken, die sie aus einem frühkindlichen Trauma entwickelt hat. „Mein Vater war gewalttätig, deshalb habe ich nach meinem Auszug auch lange keinen Kontakt mehr zu meiner Mutter gehabt.“ Heute telefoniert Jana wieder regelmäßig mit ihr. Das tut ihr unheimlich gut und zeigt ihr einmal mehr, wie wichtig für sie eine Familie ist. Ein Zuhause. Ein Ort der Geborgenheit. So fühlt auch Marvin. Ein schwerer Schicksalsschlag lässt ihn das mehr spüren denn je: Vor einem Jahr starb seine Schwester. „Es ist ein trauriger Anlass, aber seitdem habe ich ein noch größeres Bedürfnis nach Familie.“

Pränatadiagnostik: Jana und Marvin küssen sich
Egal, was auch kommen mag: Jana und Marvin geben sich gegenseitig Halt. Zur Familie gehören auch die Kater Simba und Carlito sowie Hund Pupici.
© Fierce and Flourishing

Keine Frage, das letzte Jahr hat an den Kräften des Paars gezehrt – Corona ist da allenfalls eine Randnotiz. Und es scheint, als gehe es jetzt emotional in die nächste Runde. Vielleicht ist es gerade das, was die beiden so sehr zusammenschweißt. Marvin kennt Janas Bedürfnisse inzwischen sehr gut, gibt ihr Nähe, wenn sie Halt braucht, lässt ihr Freiraum, wenn sie Rückzug will. „Klar habe ich Angst, dass ich die Strapazen, die eine PID mit sich bringt, gesundheitlich nicht wegstecke. Aber egal, welches Horrorszenario ich mir auch ausmale – für ein Kind ist es das auf jeden Fall wert.“

Während Jana diverse gesundheitliche Probleme meistert, muss sich die 30-Jährige übrigens noch einer ganz anderen Herausforderung stellen. Und die begegnet ihr überall: im Supermarkt, im Treppenhaus, im Fernsehen. Sie ist mal groß und manchmal kleiner. Mal versteckt und mal ganz offensichtlich: der Babybauch einer anderen Frau. Denn so sehr sich Jana auch für Freunde oder Bekannte freut – der Stich ins Herz bleibt nie ganz aus. Im Video erklärt sie ganz offen, was sie fühlt, wenn sie von der Schwangerschaft anderer erfährt:

Jana Minuth

Ihre Gefühle, ihre Ängste, ihre Sorgen – all das teilt die Triererin auch auf Instagram und YouTube mit ihren Followern. Unter dem Namen "Fierce and Flourishing" ("Wild und Blühend") bloggt sie regelmäßig über Feminismus und Gesellschaftsthemen, aber auch über ihren Kinderwunsch und sucht sich Gleichgesinnte: "Es ist einfach ein gutes Gefühl, dass man mit seinem Problem nicht alleine ist", erzählt sie. 

„Die anderen sagen: Dann adop­tiert doch einfach!“

Dass Jana trotz aller Hürden an ihrem Traum vom Baby festhält, können nicht alle in ihrem Umfeld nachvollziehen. Die gesundheitliche Vorbelastung, die finanziellen Probleme ... der erste Reflex ist da bei vielen: Jana, lass mal lieber gut sein! Ihre Tante, die ihr sonst finanziell unter die Arme gegriffen hat, hat sich sogar von ihr abgewandt, weil sie gegen eine PID ist. Und viel zu oft bekommt das Paar von anderen Sprüche zu hören, die ihm in der aktuellen Situation überhaupt nicht weiterhelfen. „Das ist zwar gut gemeint, verletzt uns aber zutiefst“, sagt Jana. Welche Kommentare das sind, können die beiden am besten selbst zeigen.

4 Sprüche, die Jana und Marvin nicht mehr hören können

Die ganze Kinderwunsch-Sache hat Janas Freundschaften verändert. Auch wenn ihr viele gute Freunde zur Seite stehen, trennt sich in so einer Situation eben die Spreu vom Weizen. „Wie sagt man so schön? Es braucht ein Dorf, um ein Kind zu erziehen. Und ich habe jetzt definitiv gemerkt, wer in diesem Dorf sein will und wer nicht.“

Pränataldiagnostik: Babybauch
© PBO Photography / Shutterstock

„Die Ärzte sagten meinen Eltern, ich würde nur ein Jahr leben. Heute bin ich 45“

Rebecca Maskos versteht zwar, dass Frauen wie Jana in einer schwierigen Situation sind – die PID sieht sie aber kritisch. Die freie Journalistin und wissenschaftliche Mitarbeiterin der Hochschule Bremen lebt mit Glasknochen. „Ich bezeichne das bewusst nicht als Glasknochenkrankheit, weil ich das nicht als Krankheit wahrnehme“, sagt sie. Das Problem, das sie bei der PID sieht: Ärztliche Prognosen müssen nicht immer richtig sein. „Es kommt immer wieder vor, dass Kindern der Tod vorausgesagt wird und sie dann doch überleben. Oder ihre Beeinträchtigungen sind weniger schwer als angenommen“, sagt sie.

Rebecca Maskos
Die freie Journalistin Rebeccas Maskos setzt sich für die Inklusion von Menschen mit Behinderungen ein.
© Privat

Ein behindertes Kind zu haben, können oder wollen sich viele nicht vorstellen. Angebote von Diagnoseverfahren, um Behinderungen frühzeitig zu erkennen, nehmen immer mehr zu. Im vergangenen Jahr wurde etwa der Bluttest auf Trisomie zur Kassenleistung erklärt. Aber können wir „Gesunde“ überhaupt beurteilen, wie lebenswert ein Leben mit Behinderung ist? Haben wir auch nur die leiseste Ahnung, wie sich ein Alltag mit Glasknochen, Trisomie oder einer Muskelschwäche anfühlt? „Nein“, sagt Rebecca Maskos. „In der Medizin wird mit Bildern von Behinderung gearbeitet, die der Lebensrealität absolut nicht entsprechen. Eine Diagnose muss nichts darüber aussagen, ob das Kind an der Behinderung leiden wird. Im Video erklärt die 45-Jährige, was sie genau damit meint.

Rebecca Maskos über PID

„Das Leben ist nicht zuende, wenn man ein Kind mit Be­hin­de­rung bekommt“

„Ja, ich habe Glasknochen, aber das heißt nicht, dass ich ein leidvolles Leben führe“, sagt Rebecca Maskos. Mithilfe einer PID könnte man Embryos auch auf die Glasknochenkrankheit untersuchen – und potenziell aussortieren. „Klar hatten es meine Eltern nicht leicht, aber das Label ,schwere Erbkrankheit’ wird meinem Leben einfach nicht gerecht“, erzählt die Journalistin. Und sie stellte sie – die Frage, die wohl jeder Mutter und jedem Vater Gänsehaut über den Nacken jagen würde. „Ich habe meine Eltern mal gefragt, ob sie mich bekommen hätten, wenn es die PID damals schon gegeben hätte. Sie waren sich da tatsächlich nicht so sicher.“ Natürlich hatten sie auch überhaupt keine Vorstellung davon, wie das Leben mit einem behinderten Kind sein würde. Im Nachhinein empfinden sie es als Bereicherung. 

Warum tun wir überhaupt so viel dafür, Babys mit Behinderung zu verhindern? Warum wollen wir planen können, ob ein Kind gesund ist oder nicht? Für die Journalistin ist die Sache klar. „Wir leben in einer Leistungsgesellschaft." Eine Behinderung gelte für uns als absolutes Worst-Case-Szenario. "Wir müssen stets Leistung erbringen und dürfen nicht auf Hilfe angewiesen sein. Doch am Ende unseres Lebens werden wir alle behindert sein – es gehört zum Mensch sein dazu."

Dass sich Eltern in Zukunft ihr „Designerbaby“ auswählen könnten, hält Rebecca Maskos für ein durchaus realistisches Szenario. Nicht heute und nicht morgen – auch nicht in zehn Jahren. „Aber man muss nur in andere Länder gucken, was da schon möglich ist.“ Tatsächlich ist es zum Beispiel in den USA bereits erlaubt, mit einer PID das Geschlecht des Babys zu bestimmen, um nicht zu viele Mädchen oder Jungen zu bekommen. Nennt sich "Family Balancing".

Eizelle wird befruchtet
Jeder PID geht eine künstliche Befruchtung voraus. Bei der so genannten "Icsi" spritzen die Wissenschaftler nur ein einzelnes Spermium direkt in die Eizelle.
© Tatiana Shepeleva / Shutterstock

Die Frage, die sich stellt, ist: Darf der Mensch alles machen, nur weil er es kann? „Nur, wenn er es aus den richtigen Beweggründen macht“, meint Maskos. Behinderungen und Krankheiten verhindern – ist das der richtige Beweggrund, um reproduktionsmedizinische Verfahren wie die PID zugänglicher zu machen und weiterzuentwickeln? Sind die Beschränkungen, die es jetzt gibt, vielleicht nötig, um Menschen mit Behinderung nicht auszugrenzen? Widersprechen Diagnostiken wie die PID schlichtweg der Inklusion, die wir doch eigentlich alle wollen?

„Mit der PID senden wir die Bot­schaft aus: Es ist okay, Menschen mit Be­hin­de­rung zu dis­kri­minieren“

Ethisch ist diese Frage höchst umstritten. Prof. Dr. Sigrid Graumann ist Professorin für Ethik an der Evangelischen Hochschule Rheinland-Westfalen-Lippe. Sie sieht besonders in der PID die Gefahr einer vorzeitigen Selektion von Menschen mit bestimmten Krankheiten. „Viele Menschen mit Behinderung fühlen sich dadurch diskriminiert. Wir senden mit der Institutionalisierung solcher Methoden die Botschaft aus, dass es gut ist, die Existenz von Menschen mit bestimmten Krankheiten oder Behinderungen zu verhindern“.

Dr. Prof Sigrid Graumann
Prof. Dr. Sigrid Graumann hat Humangenetik studiert und ist Mitglied des deutschen Ethikrats.
© Deutscher Ethikrat/Reiner Zensen

Graumann selbst sitzt seit 2016 im deutschen Ethikrat und verfolgt die Debatte um die PID schon seit 2011 sehr kritisch. Sie macht einen Unterschied zwischen Pränatal- und der Präimplantationsdiagnostik: „Bei der PND sind die Frauen ja bereits schwanger und in einem ganz anderen Entscheidungskonflikt.“ Für Graumann ist die PID also geplanter. Es wird dabei vorsätzlich entschieden, wenn man so will.

Die Ethikerin hält die gesetzlichen Einschränkungen für Verfahren wie der PID für sehr wichtig. Einen Rechtsanspruch auf ein Kind? Kann es für sie in unserer Gesellschaft nicht geben. Die 58-Jährige ist sich sicher: „Wenn PID meine einzige Möglichkeit auf ein Kind gewesen wäre – dann hätte ich verzichtet“, sagt die zweifache Mutter. Sie selbst hat Humangenetik studiert, kennt sich also damit aus, was heute in der Forschung möglich ist.

Babyfüße
Wie weit darf die Medizin gehen, um Frauen zu einem Baby zu verhelfen? Ethisch ist die Frage höchst umstritten.
© MakeStory Studio / Shutterstock

Ans Designerbaby glaubt sie zwar nicht, aber sie hat eine andere Sorge: „Würde man die gesetzlichen Türen weiter für die PID öffnen, dann können weitere ethisch fragwürdige Verfahren folgen, wie etwa das viel umstrittene Genom Editing." Wie das in der Reproduktionsmedizin angewendet werden könnte: Statt kranke Embryos „auszusortieren“, will man sie "reparieren", indem man das kranke Teil des Gens durch ein gesundes ersetzt. Man verändert also aktiv die Genetik eines Menschen, was mit nicht kontrollierbaren Konsequenzen für das Kind und seine Nachkommen verbunden sein kann. Das Verfahren wurde 2018 berühmt, als der chinesische Forscher He Jiankui illegal Genmanipulationen an Embryos vornahm. 2019 wurde er deshalb zu drei Jahren Haft verurteilt. 

Ein Teil der ethisch umstrittenen Reproduktionssverfahren wollte Prof. Dr. Graumann nie sein. Weder als Wissenschaftlerin noch als Entscheiderin. Man hat sie gefragt, ob sie in die PID-Ethikkommission möchte, um über die Anträge der Eltern zu urteilen. "Ich habe abgelehnt", erzählt sie. "Ich kann mir nicht vorstellen, darüber zu urteilen, ob eine Krankheit oder Behinderung so schwer ist, dass sie eine PID rechtfertigt oder nicht. Das wäre im Prinzip so, als würde ich über die Existenz behinderter Menschen entscheiden."

 

Jana und Marvin stehen im Wasser
© Jana Minuth / Privat

"Es ist ein schlimmes Gefühl, dass Geld darüber ent­schei­det, ob wir Eltern werden können"

In der Mainzer Klinik, in der sich Jana und Marvin über die PID beraten lassen, wird genau das getan: über die Existenz behinderter Menschen entschieden. Oder? "Nein, überhaupt nicht", sagt Jana. Es geht dem jungen Paar nicht darum, ein völlig gesundes Kind auf die Welt zu bringen. Eine Behinderung wäre für sie per se kein Grund, sich gegen ein Baby zu entscheiden. Sie möchten verhindern, dass ihr Kind frühzeitig stirbt. Ein kleiner Mensch, dessen Tritte Jana vielleicht schon in der Schwangerschaft spürt, dessen Lächeln sie aber nie sehen wird. 

Die beiden sind aufgeregt vor dem Termin. Nicht nur, weil sie kaum geschlafen haben und wegen Bahn-Komplikationen 45 Minuten zu spät dran sind, sondern auch, weil sie nicht wissen, ob sie das zu hören bekommen, was sie sich erhoffen.

Jana hat sich mit klopfendem Herzen alles vorab ausgerechnet: Erst muss sie so gut auf die Hormonstimulation ansprechen, dass genügend Eizellen entnommen werden können. Dann müssen diese nach der künstlichen Befruchtung überlebensfähig sein. Obendrein müssen noch Embryos dabei sein, die so gesund sind, dass man sie einsetzen möchte. Und am Ende muss Jana ja auch noch schwanger werden. Ihre Berechnung: 20 Prozent Wahrscheinlichkeit, dass sich der Embryo nach dem Einsetzen in ihre Gebärmutter einnistet.

„Leider kann Ihnen keiner eine Garantie auf ein Kind geben“, sagt die Ärztin während der Beratung. In diesem Moment wünscht sich Jana nichts mehr, als sich zu irren – doch ihre Berechnung war gut. Viel zu gut. 18 Prozent lautet die Prognose der Ärztin. 18 Prozent Wahrscheinlichkeit, dass Jana nach dem Einsetzen eines Embryos schwanger wird. 18 Prozent für rund 15.000 Euro. Künstliche Befruchtung, Ethikantrag, Biopsie ... da kommt einiges an Kosten zusammen. Die Kasse zahlt allenfalls einen kleinen Teil für die künstliche Befruchtung. 

Pränatadiagnostik: Jana mit Pony
Janas Leben ist so bunt wie ihre Frisuren. Ein Kind würde es noch farbenfroher machen.
© Fierce and Flourishing

Und 18 Prozent? Das entspricht in etwa folgender Wahrscheinlichkeit: Man spricht draußen auf der Straße den erstbesten Passanten an, der vorbeikommt, und fragt, ob er ein Tattoo hat. Denn laut Statistik hat sich jeder fünfte Deutsche bereits eins stechen lassen. Ob man da wohl einen Treffer landet? Kann passieren. Jana hat sogar zehn Tattoos.

"Warum fällt das Kin­der­krie­gen anderen in den Schoß – und muss bei uns so kom­pli­ziert sein?"

Glückstreffer hin oder her: 15.000 Euro zu zahlen, ohne zu wissen, ob es überhaupt mit einer Schwangerschaft klappt, das ist für Marvin und Jana ein teures Fertilisations-Roulette. Zumal sie für das Abenteuer PID extra einen Kredit aufnehmen müssten. Sie haben bereits ein GoFund-Projekt gestartet, um öffentlich Spenden zu sammeln. Für das Paar ist das ein unerträgliches Gefühl. "Es kann doch nicht sein, dass wir andere Menschen um Geld für etwas so Simples und Elementares bitten müssen: für die Möglichkeit, Eltern zu werden, die anderen Leuten einfach in den Schoß fällt."

Pränatadiagnostik: Jana auf dem Rad
Jana musste schon einige Hürden in ihrem Leben meistern – ihren Optimismus hat sie trotz allem nicht verloren.
© Fierce and Flourishing

Und obwohl Jana sich nicht sicher ist, ob sie es in dem Gespräch erwähnen soll: Sie spricht die Alternative an, die Marvin und ihr schon seit Wochen durch den Kopf geht – eine Eizellspende im Ausland in Anspruch zu nehmen. Stille im Arztzimmer. Durch den Mund-Nasen-Schutz, den die Ärztin coronabedingt trägt, hört man sie nicht mal mehr atmen. Jana weiß genau, dass sie ein heikles Thema angesprochen hat. Denn da war ja was mit dem Verbot der Eizellspende.

Auch wenn Jana selbst keine rechtlichen Konsequenzen bei dieser Option zu befürchten hätte – der Ärztin sind die Hände gebunden. Und das liegt nicht an dem Gips, den sie an der rechten Hand trägt. Tatsächlich darf sie Jana und Marvin hinsichtlich einer Eizellspende nicht beraten, denn damit würde sie sich in Deutschland strafbar machen. Man merkt der Ärztin deutlich an, dass sie damit hadert, ihrer Patientin hier nicht weiterhelfen zu können.

Ergebnis des Termins: Das Ärzteteam möchte vor einer PID in einer Gen-Datenbank auf die Suche gehen. Ist ein Defekt wie bei Jana schon so ähnlich bei anderen Frauen aufgetreten? Wie ist es diesen Frauen ergangen? Wie sehr sind sie eingeschränkt? Haben sie Kinder bekommen? Denn sie wollen selbst noch einmal recherchieren: Wie stark wirkt sich das fehlende Chromosomenstück auf die Gesundheit der Babys aus? Kann man auch bei einem Mädchen automatisch von einer hohen Wahrscheinlichkeit für eine „schwerwiegende Erkrankung“ oder einen frühen Tod ausgehen? Wenn nicht, dürfen sie den Eltern gar nicht sagen, wenn ein weiblicher Embryo den Defekt in sich trägt. "Ist das nicht völlig verrückt?", fragt sich Jana.

Pränataldiagnostik: Baby wird geboren
© Maria Sbytova / Shutterstock

„Die Hürden für eine PID sind einfach zu hoch“

Die Rechtsunsicherheiten, die wegen des veralteten Embryonenschutzgesetzes vorherrschen, kennt Dr. Prof. Georg Griesinger nur allzu gut. Wie aus dem aktuellsten Bericht der Bundesregierung hervorgeht, wurden 2018 deutschlandweit nur 315 PIDs durchgeführt. 2015 waren es gerade einmal 33. Für den Mediziner ein eindeutiges Zeichen, dass die gesetzlichen Hürden für die Paare viel zu hoch sind.

Hürden bei einer PID

Der Mediziner hat an einem aktuellen Memorandum der Bundesärztekammer mitgewirkt, die klare Forderungen an die Politik stellt. Ganz nach dem Motto: Passt das Embryonenschutzgesetz endlich an die moderne Wissenschaft an – dann können wir unseren Patientinnen besser helfen. Auch die Leopoldina (Akademie der Wissenschaften) hat im vergangenen Jahr eine umfangreiche Stellungnahme herausgegeben, welche Aspekte im Embryonenschutzgesetz rechtlich überarbeitet werden müssen. Hier sind die wichtigsten Forderungen der beiden Schriftstücke:

  • Die Eizellspende soll unter bestimmten Einschränkungen (z.B. Ausschluss einer Kommerzialisierung) erlaubt werden.
  • Die Möglichkeit einer Embryonenspende soll gesetzlich eindeutig geregelt und zugelassen werden.
  • Die Dreierregel soll aufgehoben und der Elective-Single-Embryonentransfer erlaubt werden.
  • Die Entscheidung über die PID soll keine Ethikkommission, sondern der Arzt gemeinsam mit seinen Patient*innen treffen.
  • Die PID soll genau wie die PND von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen werden.
Eizellen- und Spermienproben werden zur Konservierung eingefroren. Für welche reproduktionsmedizinischen Verfahren dürfen sie in Zukunft verwendet werden?
Eizellen- und Spermienproben werden zur Konservierung eingefroren. Für welche reproduktionsmedizinischen Verfahren dürfen sie in Zukunft verwendet werden?
© MidoSemsem / Shutterstock

Auf Anfrage beim deutschen Ministerium für Gesundheit heißt es, dass eine Änderung des Embryonenschutzgesetzes in dieser Wahlperiode nicht vorgesehen ist. Doch der Druck auf die Politik, das Gesetz zu reformieren, wächst. Am 5. November 2020 hat das Bundesverwaltungsgericht ein Urteil ausgesprochen, das die Grenzen der PID zumindest etwas ausdehnen dürfte. Geklagt hatte eine Frau, deren Antrag von der Bayerischen Ethikkommission abgelehnt wurde – mit der Begründung, die vorliegende Krankheit ihres Mannes, die Muskelerkrankung Myotone Dystrophie Typ 1, sei nicht schwerwiegend genug. Bei der Erkrankung kommt es zu einer sich fortwährend verschlimmernden Muskelschwäche, die sich oft erst mit zunehmendem Alter zeigt – gerade, wenn sie durch den Mann vererbt wird. Für die Ethikkommission ein Grund, den Antrag abzulehnen.

Das sah das Bundesverwaltungsgericht anders. Die im Embryonenschutzgesetz als Beispielkrankheit genannte Muskelerkrankung Myotone Dystrophie vom Typ Duchenne, die oft schon im jungen Erwachsenenalter tödlich verläuft, dürfe nicht als Maßstab herangezogen werden. Es müsse individuell geprüft werden, ob es sich um eine schwerwiegende Erkrankung handelt. Außerdem legte das Gericht fest: Jede Entscheidung der Ethikkommission kann gerichtlich überprüft werden.

Einen "Katalog", der genau definiert, bei welcher Krankheit eine PID erlaubt ist, wollte die Bundesregierung bewusst nie aufstellen, um Menschen mit den betreffenden Diagnosen nicht zu diskriminieren. Doch wie läuft das Prozedere einer PID-Antragsprüfung dann ab? Wer entscheidet da? Und auf welcher Basis? Wir haben bei der Bayerischen Ethikkommission nachgefragt. Hier kommen die sechs wichtigsten Fragen und Antworten.

Pränataldiagnostik: Mavin hält Jana im Arm
© Jana Minuth / Privat

„Das ist die wich­tigs­te Ent­schei­dung unseres Lebens - und wir dürfen mit keinem darüber reden!?“

Jana und Marvin haben den Antrag für die Ethikkommission schon ausgedruckt. Ob sie ihn abschicken? Die beiden müssen abwägen: PID oder doch die Eizellspende im Ausland? In Deutschland bekommen die beiden von keinem Arzt Auskunft, deshalb haben sie sich von einer spanischen Klinik beraten lassen. „Das ist doch total absurd, dass wir den Schritt ins Ausland gehen müssen“, kann es Jana nicht fassen.

Ethikantrag
Werden Jana und Marvin die PID beantragen? Die Prüfung bei der zuständigen Ethikkommission würde sie 1500 Euro kosten.
© Privat

Was laut des Paares für die Eizellspende spräche: Mit 10.000 Euro plus Reisekosten wäre dieses Verfahren etwas günstiger als die PID. Und auch wenn es häufiger zu Komplikationen während der Schwangerschaft kommt, so läge die Wahrscheinlichkeit, dass sich der Embryo einnistet, laut der Mediziner*innen bei rund 60 Prozent. Allerdings müsse man bei Janas gesundheitlicher Vorgeschichte sicher ein paar Prozentpunkte abziehen. Ihr krankes Chromosom könnte sie mit dieser Methode jedenfalls nicht weitergeben.

Aber eine Eizellspende? Ist das dasselbe wie ein genetisches Kind? Janas Augen, ihre Nasenform, ihre Intelligenz – all das wird sie ihrem Baby nicht weitergeben können. „Natürlich ist der Gedanke erstmal komisch, dass das Kind die Gene einer anderen Frau haben wird“, sagt Jana, „aber ich trage es in meinem Bauch, es ist trotzdem unser Baby“.

Ganz klar, die beiden würden den Eingriff lieber in Deutschland durchführen lassen. Dort, wo man ihre Muttersprache spricht und komplizierte Sachverhalte besser erklären kann. Dort, wo sie es nach dem Eingriff nicht weit nach Hause haben. So oder so: Eine Garantie auf ein Baby gibt es bei der Eizellspende natürlich auch nicht.

Pränatadiagnostik: Jana und Marvin neben dem Rad
Jana träumt weiter von einem Kind: "Ich hatte mit Marvin schon so viel Glück, warum soll es dann nicht auch mit einem Baby klappen?"
© Fierce and Flourishing

Doch Wahrscheinlichkeiten hin oder her – Jana und Marvin malen sich gerne aus, wie schön das Leben als Eltern wäre. "Wenn mich die ganze Kinderwunschsache stresst, dann stell ich mir immer Marvin vor, wie er unser Baby im Tragetuch hält", lächelt Jana. "Er muss einfach Papa werden! Er übt an mir schon fleißig und sagt, ich soll mich gesünder ernähren." Wenn es mit dem Baby klappt, soll es auf jeden Fall wissen, dass seine Eltern es unbedingt bekommen wollten und dafür viele Hebel in Bewegung gesetzt haben.

Wer weiß, vielleicht wird es irgendwann mal diesen Text lesen und verstehen, wie sein so herbeigesehntes Leben begann. Und dass es tatsächlich mehr gebraucht hat als eine Eizelle, eine Nadel und einen Stich. Mehr als eine PID oder Eizellspende im Ausland. Mehr als 15.000 Euro und einen Stempel auf einem Antrag. Worauf es wirklich ankam, waren zwei Menschen, die niemals aufgegeben haben.


Veröffentlicht am: 25. November 2020
Autorin, Recherche & Konzept: Annalena Schieber
Entwicklung: Per Rabe, Florian Dreyer
Fotos: Fierce and Flourishing, Annalena Schieber, Susanne Lange, Shutterstock, Getty Images
Videos: Henning Hönicke, Annalena Schieber, 
Fierce and Flourishing, Rebecca Maskos

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