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Wenn das eigene Kind stirbt - das macht es mit der Partnerschaft

Wenn das eigene Kind stirbt: Eltern Hand in Hand in schwarzer Kleidung
© Rawpixel.com / Shutterstock
Karina, 38, verlor drei Tage nach der Geburt ihr Baby. Der Schmerz, durch den sie und ihr Mann Andreas gingen, war unfassbar. Viele Beziehungen überleben so etwas nicht.

Ich konnte mein totes Kind nicht anfassen

Schon wieder hochschwanger ein Umzug, aber mir ging's prächtig. Alle zwei, drei Jahre eine neue Stadt, oft auch ein neues Land ist für uns und die Kinder, 8 und 10, Normalität.

Als die Wehen einsetzten, packten Andreas und ich gerade Geschirr aus. Wir ließen alles stehen und liegen und fuhren in die Klinik. Zweieinhalb Stunden später nahmen wir im Kreißsaal unser drittes Kind in den Arm. Ein kleines Mädchen, Tessa, rosig und gesund. Mir ging es auch gut, am liebsten wäre ich gleich wieder nach Hause gefahren.

Aber 24 Stunden später war auf einmal alles anders. Irgendwas stimmte nicht mit der Kleinen. Sie atmete nicht mehr richtig, wurde intubiert, an eine Herz-Lungen-Maschine angeschlossen. Zwei Tage kämpften die Ärzte um ihr Leben, dann legten sie Tessa Andreas in die Arme, und sie starb.

Ich saß wie erstarrt daneben, ich konnte mein totes Kind nicht berühren. Das werfe ich mir bis heute vor. Wir wissen nicht wirklich, was Tessa hatte, weil wir einer Obduktion nicht zugestimmt haben. Vermutlich war es ein angeborener, schwerer Herzfehler oder etwas mit der Lunge, die wohl nicht ausgereift war.

Niemand kann sich vorstellen, was der Tod des eigenen Kindes mit einem macht

Am schlimmsten war die totale Verzweiflung, in die ich danach gefallen bin. Wie kann man lieben, eine Beziehung führen, sich um seine Familie kümmern, wenn man eigentlich nur sterben will?

Ich haderte mit allem und jedem, machte Andreas Vorwürfe, weil ich plötzlich das Gefühl hatte, dass die ständigen Umzüge doch zu viel für mich gewesen waren, weil er anders trauerte als ich und nicht immer und immer wieder über Tessa sprechen wollte.

Ich flippte aus, wenn er mich morgens bat aufzustehen. "Wir haben zwei Kinder, die brauchen dich." – "Nein", brüllte ich, "wir haben drei Kinder."

Niemand kann sich vorstellen, was der Tod eines Kindes mit einem macht. Alles schien mir falsch, mein Mann, ich, die Kinder. Das ist mit das Schlimmste, dass man in diesem Trauer-Schockzustand innerlich von allem abgeschnitten ist, sogar von denen, die man am dringendsten braucht.

Ich war so wütend und stritt mit allen, die mich trösten wollten

Andreas machte nichts falsch, aber ich war einfach nur wütend. Ich bin bei jeder Kleinigkeit hochgegangen, stritt mit ihm, mit meinen Eltern, Freunden, allen, die sagten, "du hast zwei gesunde Kinder, sei froh, manche habe keines mehr." Als sei das ein Trost.

Andreas hat mit unfassbarer Geduld alles aufgefangen und die Wogen geglättet. Er ist ein sehr ausgleichender und lebensbejahender Mensch, der nicht in Kategorien wie Schuld oder Strafe denkt, schon gar nicht in einer so schrecklichen Situation.

Er ist das völlige Gegenteil von mir: besonnen, wo ich nervös oder panisch werde, nachsichtig und humorvoll, wo ich schnell mal urteile oder eingeschnappt reagiere. Vielleicht hängt das auch mit seinem Beruf zusammen. Er arbeitet als juristischer Unterhändler in einer internationalen Behörde. Manchmal sagt er, "Du glaubst nicht, mit was für Irren ich da zu tun habe, dagegen bist du echt harmlos, meine Süße."

Partner trauern oft unterschiedlich: Ich wollte reden, mein Mann war still

Er hat sich nach dem Tod von Tessa um alles gekümmert, dafür gesorgt, dass unsere Großen ihre Freunde treffen und ihren Hobbys nachgehen. Das hat ihm in seiner Trauer geholfen. In den ersten Wochen hat er auch oft geweint, einmal ist er morgens beim Rasieren zusammengebrochen. Das war irre erschreckend und zugleich wichtig: Ich habe endlich auch mal seinen Schmerz gesehen.

Ich quälte mich mit Selbstvorwürfen, obwohl nichts und niemand Tessas Leben hätte retten können. Und noch etwas zermürbte mich: Kurz bevor ich mit Tessa schwanger wurde, hatte ich einen Flirt mit einem alleinerziehenden Vater, völlig harmlos, passiert ist nichts. Aber ich hämmerte mir ein, dass ihr Tod die Strafe dafür ist. Es klingt verrückt, zumal ich überhaupt nicht religiös bin, aber so war es.

Wenn Andreas nicht so unerschütterlich liebevoll und geduldig gewesen wäre, ich wäre wahrscheinlich wirklich durchgedreht. Er hat mir nie einen Vorwurf gemacht, hielt mich nächtelang fest, hörte mir zu, tröstete mich. Obwohl er genauso litt wie ich. Ich weiß nicht, wo er diese Kraft hernahm.

Drei Monate nach Tessas Tod besuchten wir zum ersten Mal eine Gruppe für verwaiste Eltern. Mir half das sehr, mehr als die Psychotherapie, die ich auch mache. Einige Paare sind mittlerweile getrennt, das passiert sehr häufig nach dem Tod eines Kindes. Die meisten kommen nicht mehr miteinander klar, weil sie so unterschiedlich trauern.

Tessas Bruder ist ein Geschenk des Himmels

Das ist auch unser Thema: Ich bin eher offensiv, möchte viel reden und weine oft. Andreas trauert stiller, mehr für sich - wie es viele Männer tun. Aber wir konnten uns zu jedem Zeitpunkt alles sagen. Daher kam uns beiden tatsächlich nie eine Trennung in den Sinn. Heute ist Andreas für mich viel mehr als mein Mann und der Vater meiner Kinder. Er ist mein bester Freund, mein Vertrauter, der Mensch, der mich am besten kennt.

Ein Jahr nach Tessas Tod wurde ich wieder schwanger. Ein fröhlicher, kleiner Junge, der bald zwei wird. Er ist ein Geschenk des Himmels. Ich bin immer noch erstaunt, wie aus diesem Schmerz ein solches Kind entstehen konnte. In unserer Umgebung fanden das manche Leute zu früh, aber wer will ernsthaft entscheiden, was für uns richtig oder falsch ist?

BRIGITTE 11/2019

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