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Warum die Geburt für viele Frauen zum Trauma wird

Warum die Geburt für viele Frauen zum Trauma wird
© Catherine Delahaye/Photononstop/Corbis
Das Baby ist da, doch die Mutter fühlt sich taub und leer. Grund kann ein Geburtstrauma sein. Trauma-Expertin Astrid Saragosa erklärt, wie es dazu kommt und was hilft.
Unsere Expertin
Astrid Saragosa ist akademische Expertin für Psychotraumatologie und Stressmanagement. Sie ist Gründerin des Trauma-Instituts in Weilheim und führt Weiterbildungen in der Psychotraumatologie durch. Außerdem bietet sie für Menschen, die unter einem Trauma leiden, Nachsorgegespräche per Telefon, Skype und ambulant an.
© Privat

BRIGITTE MOM: Die Geburt eines Kindes gilt als das schönste Ereignis im Leben. Warum ist sie für viele Frauen traumatisierend?

Astrid Saragosa: Hier sollten wir zunächst unsere Vorstellung von Geburten hinterfragen: Was ist denn das Schöne an einer Geburt? Ist es die Austreibung des Babys? Oder ist es nicht eher der Moment, in dem das Baby im Arm liegt? Diese Unterscheidung ist wichtig, damit die Mutter sich keine Vorwürfe macht, wenn für sie die Geburt nicht das wunderbarste Erlebnis der Welt war. Denn die erste Begegnung mit dem Kind ist bestimmt nicht der traumatisierende Teil einer Geburt. Es ist der Teil davor, der schmerz- und angsterfüllt sein kann.

Nun wissen wir ja ziemlich genau, dass Geburten kein Spaziergang sind. Warum hilft das Wissen trotzdem vielen nicht weiter?

Nur weil wir es wissen, heißt das nicht, dass wir uns damit aktiv auseinandersetzen. Es ist ein sehr menschliches Verhalten, dass man sich mit möglichen Komplikationen nicht beschäftigen will. Jede Frau hofft, dass sie eine schöne Geburt erlebt, oder denkt zumindest "es wird schon gutgehen". Wenn sie dann aber ganz anders verläuft, kann das für manche umso belastender sein.

Was sind mögliche Auslöser für ein Geburtstrauma?

Eine Rolle können Vorerfahrungen spielen, die für die Frauen traumatisierend waren. Zum Beispiel durch sexuelle Gewalt oder schwierige Beziehungen, in denen sich die Frauen hilflos fühlten. Bestimmte Ereignisse während der Geburt oder unbedachte Handlungen oder Formulierungen der Geburtshelfer können Erinnerungen dann erneut triggern. Die Belastung wird verknüpft und taucht erneut auf.

Aber auch ohne schlimme Vorerfahrungen können die Frauen Situationen erleben, die für sie sehr belastend sind. Zum Beispiel wenn etwas ihrem Wertesystem widerspricht, wenn die Menschen Dinge tun, die nicht ihrer Vorstellung vom Miteinander entsprechen. Gleichzeitig ist die Frau aber dem Geburtsgeschehen ein Stück weit ausgeliefert und kann sich kaum zur Wehr setzen. Generell sind die Auslöser aber sehr individuell, das kann man kaum verallgemeinern.

Für Geburtshelfer ist es daher sicher nicht leicht, mögliche Auslöser zu umgehen? Richtig, die Geburtshelfer können nicht jeden Satz kennen, der Vorbelastungen triggern kann und in Notsituationen können sie nicht jede Handlung hinterfragen. Sie müssen manche Entscheidungen schnell fällen, auch weil sie selbst Probleme kriegen können, falls etwas schief läuft - etwa durch eine Klage.

Warum ist man gerade während der Geburt so anfällig dafür, traumatisiert zu werden?

Weil die Frauen oft unter Stress stehen - gerade, wenn etwas Unerwartetes passiert. Das gilt vor allem für Erstgebärende. Für die ist das ja eine völlig neue Situation, und neue Situationen erfordern immer mehr Aufmerksamkeit. Wenn wir dann zusätzlich Stress entwickeln, können wir die Informationen, die auf uns einfluten, schwerer verarbeiten. Das ist ein normaler biologischer Vorgang. Dazu kommt, dass die Mütter auch danach selten die Zeit haben, das Erlebte zu verarbeiten - weil sie sich ja um das Baby kümmern müssen.

Wie äußert sich ein Geburtstrauma dann bei den Frauen?

Die Symptome sind sehr unterschiedlich und individuell. Das können körperliche Reaktionen sein wie Zittern, Schwitzen, Erschöpfung, erhöhter Blutdruck, Magen- oder Brustschmerzen. Oder auch emotionale Reaktionen, wie Gereiztheit oder Rückzug. Viele Frauen erleben eine emotionale Taubheit. Die Freude über das Kind stellt sich nicht ein, was die Frauen zusätzlich bedrückt. Ich denke, dass auch viele diagnostizierte Wochenbettdepressionen ihre Ursache in einer schweren Geburt haben. Übrigens können auch Männer ein Geburtstrauma haben. Aber hier gibt es noch weniger, die sich das eingestehen und sich Hilfe holen.

Tabu Geburtstrauma: Für das Fotoprojekt "Exposing the Silence" haben Frauen über ihre belastenden Erlebnisse gesprochen. Die Protokolle lest ihr hier.
Tabu Geburtstrauma: Für das Fotoprojekt "Exposing the Silence" haben Frauen über ihre belastenden Erlebnisse gesprochen. Die Protokolle lest ihr hier.
© Lindsay Askins / www.spotofserendipity.com

Viele Frauen erleben ein Geburtstrauma durch den ungeplanten Kaiserschnitt. Warum ist das so belastend?

Weil sie sich auf etwas anderes eingestellt haben. Nicht alle Frauen können die neue Situation so schnell annehmen und für sich entscheiden, dass es die bessere Lösung ist. Dazu kommt: Allein die Vorstellung, dass der Bauch mit einem Messer aufgeschnitten wird, ist eine Bedrohung der körperlichen Unversehrtheit und kann Angst, Hilflosigkeit und Entsetzen auslösen. Trotzdem kann die Frau sich nicht dagegen wehren, aus Angst, dass ihr dann noch Schlimmeres passiert. All diese Gefühle können zu einer posttraumatischen Belastungsstörung führen.

Wie helfen Sie als Traumatherapeutin den Frauen, ihr Trauma zu überwinden?

Ich arbeite mit einer Methode namens "Traumatic Incident Reduction". Meine Rolle ist hier die eines Begleiters, ich gebe keine Ratschläge und interpretiere nicht. Es geht darum, den Prozess der Geburt genau durchzugehen, die Frau strukturiert die Ereignisse selbst, in ihrem Tempo. So entsteht oft eine innerliche Klarheit, die starken Emotionen nehmen ab und die Frau kann selbst erkennen, was für sie so belastend war. Sie bekommt wieder die Kontrolle und wird nicht mehr beherrscht. Am Ende sind viele dann in der Lage, das Erlebte so stehen zu lassen.

Kann das Trauma auch von selbst heilen oder brauchen Betroffene auf jeden Fall professionelle Hilfe?

Wir Menschen haben schon Verdrängungsmechanismen, die dafür sorgen können, dass wir mit dem Trauma leben können. Aber sind wir dann wirklich "geheilt"? Ich habe schon Frauen betreut, deren Geburten 30 Jahre zurückliegen. Die brechen im Gespräch in Tränen aus, wussten aber jahrelang nicht, was sie da mit sich herumschleppen.

Ich würde darum immer empfehlen, zu versuchen, belastende Ereignisse aufzuarbeiten. Das Problem ist allerdings, dass die Schwelle, zur Psychotherapie zu gehen, für viele zu hoch ist. Die verbreitete Haltung in unserer Gesellschaft ist: Man geht nicht zur Therapie, nur weil man ein Kind bekommen hat - schließlich schaffen es so viele andere Mütter auch. Also machen die meisten Frauen einfach so weiter.

Was kann die Lösung sein?

Mein Wunsch ist es, dass wir professionelle "Geburtsnachsorge-Gespräche" für jede Mutter etablieren, in denen eventuell belastende Erfahrungen angesprochen werden können. Bewusst würde ich das Wort "traumatisch" vermeiden, weil es viele abschrecken würde. Außerdem braucht das Thema eine größere Öffentlichkeit. Wenn wir alle mehr darüber wissen, dann sind die Frauen damit nicht so allein gelassen - und haben weniger Hemmungen, sich Hilfe zu holen. Noch mehr Hebammen könnten geschult werden, um diese Gespräche professionell durchzuführen.

Kann man einem Geburtstrauma vorbeugen?

Ich denke, alles kann helfen, was den Frauen eine möglichst selbstbestimmte Geburt ermöglicht. Man könnte bei den Geburtshelfern mehr Aufmerksamkeit dafür schaffen und sie entsprechend schulen. Und auch die Frauen selbst könnten in der Geburtsvorbereitung noch mehr Methoden lernen, wie sie unter der Geburt selbstbestimmt und "in ihrer Kraft" bleiben. Es gibt da schon gute Ansätze, zum Beispiel das Hypnobirthing.

Hilfreich kann es für die Frau auch sein, sich vorher mit möglichen Szenarien, auch den negativen, auseinanderzusetzen und zu überlegen, wie sie dann reagieren würde - am besten mit dem Partner zusammen. So fühlt sie sich von den Ereignissen womöglich nicht so überfallen. Das gilt auch für Frauen, die bereits ein Geburtstrauma erfahren haben. Es ist aber natürlich keine Garantie.

Mehr über das Thema erfahrt ihr auch auf www.geburtstrauma.de

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