Anzeige

"Ich war so verzweifelt und traurig": Wann ist es an der Zeit, den Kinderwunsch aufzugeben?

Franziska Ferber: Wann ist es an der Zeit, meinen Kinderwunsch aufzugeben? 0
Franziska Ferber wünschte sich lange Zeit selbst ein Kind. Leider musste sie ihren Kinderwunsch aufgeben. Heute unterstützt sie als Kinderwunsch-Coachin andere auf ihrem Weg der Kinderwunsch-Zeit.
© Lisa-Marie Schmidt / Privat
Ungewollt kinderlos: Franziska Ferber musste ihren Wunsch nach einem leiblichen Kind aufgeben. Hier erzählt sie aus der Zeit der Kinderwunschbehandlung und ihrem Leben ohne das Wunschkind.

Wie kann ein Leben weitergehen, wenn der allergrößte Herzenswunsch sich nicht erfüllt? Wie kann ich ein Leben ohne Kind gestalten, wenn alles, was ich wollte, ein Leben mit Kind war? Es sind sehr schmerzliche Fragen, von denen man sich wünscht, dass niemand sie jemals beantworten muss. Und doch betrifft der unerfüllte Kinderwunsch sehr viele Frauen und Männer. Auch Franziska Ferber und ihr Mann, die in der Nähe von München leben, mussten diese Fragen für sich beantworten. 

Ich war so verzweifelt, traurig und orientierungslos 

Für Franziska Ferber und ihren Mann war es ihr tiefster Herzenswunsch, ein Kind zu bekommen. Ein Leben ohne Kind war für sie lange Zeit nicht vorstellbar. Dennoch kam für die beiden eines Tages der Moment, in dem sie sich fragen mussten, wie viel mehr sie noch geben wollten, um sich den Wunsch nach einem leiblichen Kind zu erfüllen. Die enormen Strapazen der Kinderwunschbehandlung brachten sie an die Grenzen ihrer Belastbarkeit. Heute leben Franziska Ferber und ihr Mann ein zufriedenes Leben ohne Kind. Franziska Ferber bietet als Kinderwunsch-Coachin ihre Unterstützung anderen Paaren an, die auf ihr Wunschkind hoffen, und sich in der Zeit des Wartens Hilfe wünschen. 

Wie es für sie war, ihren Herzenswunsch nach einem leiblichen Kind aufzugeben und wie sie und ihr Mann ihr Leben seither gestaltet haben, das erzählt Franziska Ferber hier im Gespräch mit BRIGITTE.de. 

BRIGITTE.de: Liebe Frau Ferber, Sie haben sich selbst lange Jahre ein Kind gewünscht, leider ist der Wunsch für Sie nicht in Erfüllung gegangen. In welchem Moment war Ihnen klar: "Das war es, ich werde keine leiblichen Kinder bekommen"?

Franziska Ferber: Mein Mann und ich waren jahrelang in einer Kinderwunschklinik. Als wir – wider jeder Prognose und Erwartung der Ärzte – immer wieder katastrophale Ergebnisse erreicht haben und ich mir zudem nach einer experimentellen Medikamentenbehandlung und einer folgenden Ohnmacht den Kiefer gebrochen habe, stellte mein Mann mir die Frage 'Bist Du Dir eigentlich sicher, dass wir Dein Leben riskieren sollen – weil wir den Wunsch haben, ein Leben zu kreieren?'. Ich bin ihm zutiefst dankbar dafür, dass er in einer Frage die Vielschichtigkeit des leidvollen Weges auf den Punkt gebracht hat. Sie war der Anfang vom Ende des Weiterverfolgens des Kinderwunsches und der Beginn der Suche nach Antworten auf die Frage, wie man auch ungewollt kinderlos ein erfülltes Leben leben kann.

Welche Momente der Kinderwunsch-Behandlung waren am schwierigsten für Sie?

Die Ärzte haben uns klare Hoffnung gemacht – der wir nur zu gerne gefolgt sind. Zu erkennen, dass die Ärzte ebenso ratlos wie auch machtlos waren wie wir selbst, hat mich sprachlos gemacht. Bisher hatte ich geglaubt, dass wir – zwar mit dem Umweg über die Kinderwunschklink – eine Familie werden würden. Zu sehen, dass jegliche Prognosen nicht eintrafen und mir somit den absoluten Kontrollverlust offenbarten, hat mich in eine schwere Krise gestürzt.

Sie waren ursprünglich Unternehmensberaterin, arbeiten heute als Kinderwunsch-Coachin und unterstützen Frauen und Männer in der Kinderwunsch-Phase, wenn sie sich Hilfe und Begleitung wünschen. Wie kam es dazu, dass Sie aus Ihrer Kinderwunsch-Zeit heraus diesen Beruf entwickelt haben? 

Als ich so verzweifelt, traurig und orientierungslos war, habe ich nach Unterstützungsangeboten gesucht. Ich habe damals keine finden können, die zu mir gepasst hätten. Gleichermaßen habe ich es als himmelschreiende Ungerechtigkeit empfunden, dass wir Frauen in ihren besten Lebensjahren einfach so ihrem stillen Leid überlassen. Wenn jedes siebte Paar in Deutschland ungewollt kinderlos ist, dann sind das sehr, sehr viele Menschen – in der Mitte der Gesellschaft. Sie haben es verdient, in dieser Krisenzeit, die sich ja oft genug über lange Jahre zieht, aus einer Vielfalt von Unterstützungsmöglichkeiten die für sich Beste wählen zu können. Mit meinem Coaching-Spektrum, das sich ja vor allem durch orts- und zeitunabhängige, aber dennoch individuell begleitete Online Coaching Kurse auszeichnet, habe ich das Angebot geschaffen, das ich mir gewünscht hätte. 

Kinderlos zu sein, bedeutet nicht, die Chance auf ein glückliches Leben zu vergeben. Kinderlos zu sein, bedeutet für mich zu wissen, dass es dennoch ein glückliches Leben geben kann. Nicht selbst gewählt – aber selbst genutzt! Mit viel Sinn – den man selbst entdecken und gestalten kann und darf! - Franziska Ferber

Wie ist Ihre Erfahrung – nach wie vielen vergeblichen Versuchen der Kinderwunsch-Behandlung oder auch nach wie vielen Fehlgeburten entscheiden sich Frauen dafür, ihren Wunsch nach einem Kind aufzugeben?

Statistisch brechen sehr viele Frauen zu einem sehr frühen Zeitpunkt die Behandlungen in einer Kinderwunschklinik ab. Aber Zahlen sagen nichts aus – sie bilden nur einen Durchschnitt ab. Ich bin keine Freundin von Vergleichen. Was für die eine Frau noch erträglich ist, ist für eine andere Frau eine vollkommene Überforderung, die auch krank machen kann. Wir orientieren uns gerne an Zahlen und Normen – klüger ist es, sich auf sich selbst und seine psychische wie physische Kraft zu konzentrieren.

Gibt es auch aus medizinischer Sicht einen Punkt, ab dem Sie bzw. Mediziner dazu raten, nicht weiter um das Wunschkind zu kämpfen?

Das müssen Sie Mediziner fragen. Aber ja, ich kenne viele Fälle, wo Frauen empfohlen wird, sich mit einem alternativen Lebensentwurf zu beschäftigen. Tatsächlich wird dies nach meiner Erfahrung aber viel zu selten und oft erst sehr spät ausgesprochen; dabei ist eine solche medizinische Aussage für viele Frauen auch eine echte Brücke, um loslassen zu können. Solange seitens der Kinderwunschärzte Hoffnung gemacht wird, ist es schwer, die Angst vor der möglichen, späteren Reue auszuhalten. So bleiben viele Frauen in einer Behandlung – obwohl sie wissen, dass es sie – psychisch und/oder physisch – überfordert. Ich wünsche mir, dass mehr Ärzte Frauen dabei unterstützen, indem sie solche Aussagen treffen, wenn sie die Chancen sinken sehen. Wer eine solche Empfehlung erhält, hat erst einmal damit zu kämpfen – aber es ist auch eine Möglichkeit, ohne Angst vor späterer Reue nach einem neuen Weg für sich suchen zu können. Eine solche 'medizinische Verordnung' kann auf Sicht sehr 'gesund' für die betroffene Frau sein.

Traurig, aber leider wahr: Auch finanzielle Aspekte sind bei dieser Entscheidung relevant, richtig?

Das ist leider so. Es ist unglaublich, wie viel Geld ein (junges) Paar aufbringen muss, um eine Chance auf ein Kind zu haben. Für mich ist das eine große, gesellschaftspolitische Schieflage. Denn einerseits fordern wir als Gesellschaft Kinder – überlassen es aber denen, die sich sehnlichst ein Kind wünschen, aber reproduktiv beeinträchtigt sind, es finanziell möglich zu machen. Wer sich näher mit der Thematik beschäftigt, wird schnell feststellen, dass die enormen Kosten nicht einmal 1:1 bei der Steuererklärung geltend zu machen sind, sondern erst ein hoher Schwellwert erreicht werden muss. Und – das wollen wir einmal nicht vergessen: Zusätzlich zahlen Kinderlose ja auch noch einen 'Strafbeitrag' (wie ich es nenne) zu den Sozialversicherungen. Ich empfinde es als zutiefst unfair und wünsche mir dringend Reformen, die Paaren, die sich ein Kind wünschen, mehr finanzielle Unterstützung ermöglichen. 

Wozu raten Sie, wenn Paare sich in der Frage, ob sie weiter versuchen wollen, ein Kind zu bekommen, uneinig sind?

Oh, ich bin die Falsche für pauschale Ratschläge. In solcherlei Hinsicht muss man sehr genau herausfinden, was die Gedanken und Sorgen hinter den Positionen der beiden Partner sind. Ich gehe davon aus, dass Menschen grundsätzlich erst einmal das Beste wollen. Der Blickwinkel, aus dem heraus sie ihre Position bestimmen, mag innerhalb einer Partnerschaft sehr unterschiedlich sein. Die Gründe (und oft genug auch Ängste) des Einzelnen muss man erst einmal herausarbeiten. Wenn die Perspektiven dann klar sind, kann man sehen, wo Gemeinsamkeiten liegen und dann sehen, welche Möglichkeiten sich daraus ableiten lassen. 

Eine Frage, die Paare mit unerfülltem Kinderwunsch oft gestellt bekommen und die viele als unangebracht empfinden, ist die, ob nicht auch die Adoption eines Kindes eine Möglichkeit sein könnte. Wie war das bei Ihnen und Ihrem Mann und wie schätzen sie diese Option für andere Paare ein?

Nun, erst einmal ist das die Anerkennung der Sehnsucht des Paares nach einem Leben mit Kind. Ich glaube, dass Solche, die einen Ratschlag erteilen, es in der Regel es erst einmal gut mit dem betroffenen Paar meint und nach einer Lösung sucht und diese dann mitteilt. Leider ist diese Frage aber nicht immer von großem Sachwissen geprägt. Denn Erstens ist es Alles andere als leicht ein Kind zu adoptieren und Zweitens gibt es nicht einmal besonders viele Kinder, die zur Adoption freigegeben werden. Die Wahrscheinlichkeit ein Kind annehmen zu dürfen, ist tatsächlich sehr niedrig. Die dezentrale Jugendamtsstruktur in unserem Land tut ihr übriges. In meinem neuen Buch "Mutig durch den Kinderwunsch" widme ich dieser Frage und dem Umgang damit ein ganzes Kapitel. Ich glaube, die Adoption ist für Viele erst einmal eine Option, die für die wenigsten Betroffenen tatsächlich Realität wird. Mein Mann und ich haben nach eingehenden Überlegungen auf diese Option verzichtet.

Was oft große Angst macht, ist dieser Gedanke an ein Leben ohne das Wunschkind. Wie kann es gelingen, ein Leben, das so anders ist als geplant und gewünscht, mit einem neuen Sinn zu füllen?

Ich konnte es mir über Jahre auch nicht vorstellen, ein erfülltes Leben ohne Kind zu leben. Und dennoch ist es so gekommen. Mir hat es geholfen, sehr genau und tief zu verstehen, wofür der Kinderwunsch und der Wunsch nach dem 'Mutter werden' stand. Bei mir ging es beispielsweise sehr darum, dass ich so viel Liebe und Fürsorge zu geben habe, die aber keinen Wirkungsraum hatten. Das hat mich innerlich ausgelaugt. So viel zu geben und nichts beziehungsweise niemand, dem ich es zukommen lassen kann. Denn klar war auch, dass mein Mann beispielsweise diese mütterliche Art der Liebe und Fürsorge nicht haben wollte (lacht).

Ich habe mir dann tiefe Gedanken gemacht, wo diese Fähigkeiten, die mich ausmachen, gebraucht werden und einen sinnstiftenden Beitrag leisten können. Es geht für die Betroffenen nicht darum, Zeit zu verbringen und sich ein neues Hobby zu suchen ... dazu geht der unerfüllte Kinderwunsch viel zu tief. Es geht um Sinn und Aufgabe im Leben – und diese müssen, glaube ich, gefüllt werden.

Es ist ein langer Weg, bis eine Frau sich an den Gedanken des Abschiednehmens herantraut ... und es ist ein weiterer, langer Weg, seine Antworten zu finden. Aber es ist ein Weg, der auch eine große Erleichterung mit sich bringen kann, wenn man aus dem Druck der Kinderwunschzeit Stück für Stück aussteigen und den Rest seines Lebens wieder selbstbestimmt(er) gestalten und daraus auch Kraft ziehen kann. Jedenfalls habe ich es ab einem gewissen Punkt der Verzweiflung so empfunden. Und ich wünsche jeder Frau, die spürt, dass sie den bisherigen Weg nicht mehr lange wird weiterverfolgen können, den Mut, einen Schritt auf unbekanntes Terrain zu setzen. 

Wie schrieb die Lyrikerin Hilde Domin?

'Ich setzte den Fuß in die Luft – und sie trug.'

Liebe Frau Ferber, ganz herzlichen Dank für dieses offene Gespräch.

Franziska Ferber hat über ihr Leben ohne das Wunschkind und die Zeit der Kinderwunschbehandlung zwei Bücher geschrieben: "Unsere Glückszahl ist die Zwei" und "Mutig durch den Kinderwunsch". Darin zählt sie ihre persönliche Geschichte und gibt Tipps dazu, wie man die Krise überwinden kann. Über die mit dem unerfüllten Kinderwunsch einhergehenden Selbstzweifel schreibt sie in diesem Artikel: "Vergeblicher Kinderwunsch: "Warum?! Was habe ich verbrochen...? Bin ich schuld?!"

Videotipp: Kinderwunsch-Bullshit-Bingo, oder – die vielen Ratschläge, die dir nicht helfen!

In diesem Video berichtet Franziska Ferber von den vielen belastenden Ratschlägen, die Menschen mit unerfülltem Kinderwunsch zu hören bekommen, und ihrem Weg, mit diesen Kommentaren umzugehen.

Fallback-Bild
© Kindersehnsucht

Wann ist es aus medizinischer Sicht möglicherweise an der Zeit, darüber nachzudenken, den Wunsch nach einem leiblichen Kind aufzugeben? 

Dazu haben wir mit Prof. Dr. med. Markus S. Kupka aus Hamburg gesprochen. Er ist Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe und langjährig erfahrener Experte für Reproduktionsmedizin. Das Interview mit Professor Kupka findest du hier:

"Kinderwunsch aufgeben: Was tun, wenn es nicht klappt?"

Mehr zu den möglichen Ursachen für einen unerfüllten Kinderwunsch und was du dann tun kannst, erfährst du auch in diesem Artikel: Unerfüllter Kinderwunsch: Das kannst du tun.

Mehr zum Thema

VG-Wort Pixel