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Wie Muttersein verändert Faces of Moms: Bis eine weint

Faces of Moms: Eine erschöpfte junge Frau mit einem Säugling im Arm
© grooveriderz / Adobe Stock
Mütter wollen manchmal nur noch schreien. Tante Kante und Tamika erzählen, warum das so ist: Stellvertretend für viele, die bei dem Instagram-Projekt "Faces of Moms*" mitmachen, zeigen sie ihren daily struggle. Und sagen, was ihnen helfen würde.

Inhaltsverzeichnis

Tante Kante

geboren 1983, Kinder 2012 und 2016

Ey Leude, wir sind jetzt nicht in Berlin. Obwohl das bei Tante Kante immer alle glauben, chillen wir am Rande der hessischen Landeshauptstadt. Wenn uns jemand fragt, was uns zu dieser Mudder einfällt, dann kommen uns zwei Dinge in den Kopf: schönste Prosa und elektronische Musik. Die Frau, die auch noch als Lehrerin arbeitet, zeigt uns, wie das Muttersein auch ohne Selbstaufgabe funktioniert und kämpft dabei unermüdlich gegen den Rabenmutter-Stempel, den Frauen ihrer Meinung nach viel zu oft aufgedrückt bekommen. Sie nimmt sich Zeit und Raum für ihre eigenen Bedürfnisse und ist trotzdem eine gute Mutter. Oder wahrscheinlich genau deswegen. Es soll sich gut anfühlen, sagt sie. Und das tut es jetzt wohl auch. Ganz ohne das Wiehern von Plastikpferden.

Brigitte Mom: Welche Vorstellungen von Mutterschaft hattest du, bevor dein erstes Kind zur Welt kam? Was ist genau so, wie du es dir vorgestellt hast und was ist anders?

Tante Kante: Ich dachte: Wenn man locker ist, ist auch das Kind locker und dann wird sich schon nicht viel verändern, sondern es wird einfach noch schöner. Als meine Tochter geboren wurde, war ich zunächst mal von der Urgewalt Geburt richtig traumatisiert und wollte einfach nur alleine sein. Das Stillen klappte nicht, unser Kind schrie eine Woche durch und ich war am Ende meiner Kräfte. Alles, was ich vorher machen wollte, klappte nicht, jeder Babykurs war ein Horror. Allein die Anfahrt und dann die anderen Mütter, bei denen scheinbar alles super lief, machten mich fertig. Ich hatte keine Freund:innen, denen ich von meinem Leid erzählen konnte. Viele verstanden es nicht oder glaubten, es sei zwar anstrengend, aber eben doch schön. War es aber nicht. Ich wurde depressiv und wollte das Kind einfach nicht mehr haben. Ich wollte mein altes Leben zurück, selbstbestimmt leben und meinen Bedürfnissen Raum geben. Im Nachhinein war es die härteste Erfahrung meines Lebens, und rückblickend sage ich, dass ich vermutlich eine postnatale Depression hatte. Ich war total abhängig von den Meinungen und Äußerungen aus Zeitschriften oder anderer Mütter. Ich war völlig lost und habe darunter gelitten. Und mich dann auch mit vielen Müttern arrangiert, die gar nicht zu mir gepasst haben. Es hätte mir damals sehr geholfen, zum Beispiel über Instagram von Frauen zu lesen, denen es ähnlich geht. Ich musste mich regelrecht rausarbeiten und war immer wieder mit meiner Hebamme in Kontakt. Ich habe mir erst später Hilfe geholt, als die Kinder selbstständiger waren. Die Psychologin sagte dann einmal zu mir, dass ich das Schlimmste bereits hinter mir hätte. Das war für mich ein wichtiger Satz. Ganz ehrlich, ich hätte mir viel früher Hilfe suchen sollen.

Wie hat dich dein Muttersein verändert?

Es hat alles verändert. DAS Lifegoal, von dem ich dachte, es sei die Krönung, das Beste auf Erden, entpuppte sich als härtester Scheiß. Ich fühlte mich betrogen von der Gesellschaft, von allen anderen Eltern, die mir nie die Wahrheit gesagt hatten. Meine Generation ist es gewöhnt, Dinge online zu shoppen und dann den Rücksendeaufkleber draufzukleben. Das Baby kam per One-Way-Ticket. Diese harte Verbindlichkeit der Mutterschaft überforderte mich massiv. Jahrelang funktionierte ich nur noch, versuchte mit Job und Kind irgendwie zu überleben. Spaß machte das alles eher weniger. Als meine Tochter langsam älter wurde, wurde es besser. Je autonomer sie wurde, desto freier wurde auch ich wieder, und irgendwann kam so was wie Stolz auf, dass ich das alles geschafft hatte.

Wenn du dich in die ersten Wochen mit Neugeborenem zurückversetzt: Was würdest du wieder genauso machen, was würdest du nie wieder so machen?

Ich wurde ein zweites Mal Mutter und konnte diese Frage also tatsächlich umsetzen. Viele Vorstellungen, die ich beim ersten Kind hatte, wie: "Ein Kind soll nur gestillt werden" ignorierte ich komplett. Ich stillte sie, sie war nicht satt, also gab es ’ne dicke Flasche Pulvermilch hinterher. Egal, ob meine Brüste das Mehr an nötiger Milch dadurch nicht mitbekamen. Hauptsache, das Kind war satt und zufrieden. Oder: "Das Kind muss lernen, im eigenen Bett zu schlafen", das war mir einfach komplett wurscht. Die Kleine schlief die ersten Monate nur auf mir. Aber es juckte mich nicht, denn entscheidend war, dass sie schlief. Viele Mythen und Behauptungen ignorierte ich. Wichtig war, was in dem Moment half und nicht, wo es eventuell hinführen könnte. Das erleichterte einiges.

Fallen dir Situationen ein, in denen dein Verhalten als Mutter kritisiert wurde?

"Meinst du nicht, dass das Baby besser mal im eigenen Bett schlafen sollte?", "Meinst du nicht, es wäre besser, wenn ... ", also eher so gut gemeinte Fragen. Ich habe keine Ahnung, was besser wäre. Aber offensichtlich hatte ich mich dazu entschieden, und es ist einfach nur verunsichernd, wenn man eine junge Mutter ständig fragt, ob sie auch sicher ist mit dem, was sie tut. Ansonsten kreiere ich leider auch viel Kritik in meinem Kopf. Wir leben als getrenntes Paar unter einem Dach, unsere Tochter hat mit acht Jahren kein einziges Hobby, wir legen beide elektronische Musik auf und gehen manchmal bis zum nächsten Morgen aus. Keine Ahnung, wie Leute das finden.

Was wären deiner Meinung nach optimale Rahmenbedingungen für eine gelungene Vereinbarkeit von Beruf und Familie?

Ich bin ja grundsätzlich dafür, dass Care-Arbeit vom Staat als Beruf anerkannt und ganz normal bezahlt wird. Für die ersten 14 Lebensjahre fände ich das einfach angemessen. Wenn dann beide Partner sich das 50/50 aufteilen könnten, wäre das irgendwie perfekt.

Was machst du, um dir was Gutes zu tun?

Mittlerweile bin ich wohl Profi darin, Grenzen zu setzen. Ich bin keine Animateurin und ich sehe es im Alltag nicht ein, mich übermäßig mit den Kindern zu beschäftigen. Das klingt hart, ist es aber nicht. Das Leben besteht aus vielen Aufgaben und damit eine Familie funktioniert, muss jeder anpacken und hat seine Aufgaben. Die Kinder haben gelernt, dass ich nachmittags damit beschäftigt bin, ihre Wäsche zu waschen, den Garten zu gießen oder einzukaufen. Wenn ihnen langweilig ist, dürfen sie gerne mitmachen. Ich werde aber bestimmt nicht im absoluten Oberchaos auf dem Boden sitzen und zwei Stunden das Wiehern von Plastikpferden simulieren.

Tamika

geboren 1987, Kinder 2015 und 2018

Tamika schreibt von sich selbst, dass Emanzipation bei ihr immer ganz oben auf der Agenda steht. Man spürt auf den ersten Blick, was für eine Frau sie ist: Sie steht ein für ihre Bedürfnisse und kämpft für ihre Terrible Two für eine bessere Welt im Kleinen. Im Interview erzählt sie vom Alleinerziehendsein und wie unkalkulierbar man von der Liebe zu seinen Kindern geflasht wird. Dem wahren Großen und Ganzen.

Brigitte Mom: Welche Rollenbilder haben dich geprägt?

Tamika: Meine Mutter und Großmutter. Beide sind sehr starke, unabhängige und emanzipierte Frauen. Meine Mutter war selbst alleinerziehend und hat alle Hebel in Bewegung gesetzt, um mir nie das Gefühl zu geben, benachteiligt zu sein. Meine Großmutter ging trotz sechs Kindern täglich Vollzeit arbeiten, denn es war ihr wichtig, als Frau unabhängig und nicht abhängig von einem Mann zu sein. Selbst klarzukommen, falls meinem Großvater etwas passiert wäre, und um in der Rente etwas zu haben.

Wie teilen sich du und dein Ex-Partner die Kinderbetreuung auf?

Die Große und die Kleine sehen ihren Vater alle 14 Tage. Also wenn der Monat 30 Tage hat, betreue ich 26 Tage lang die Kinder und führe jeden Tag den Haushalt alleine.

Wie hast du vor der Schwangerschaft gelebt? Welche Vorstellungen von Mutterschaft hattest du?

Vor der Schwangerschaft war ich wild und frei. Gerne unterwegs, immer spontan und wollte das Leben voll und ganz genießen. Ich dachte tatsächlich, dass diese Einstellung nach der Entbindung bleiben wird. Ich wollte nicht stillen, kein Familienbett und ganz schnell wieder arbeiten gehen.

Wie hat dich dein Muttersein verändert?

Als ich die Große dann in den Armen hielt, machte mich der Gedanke traurig, dieses kleine Wesen in ihrem Zimmer alleine liegen zu lassen. Ich habe die Nähe des Stillens und des Familienbettes so genossen. Es hat etwas mit unserer Beziehung gemacht, das anders nie passiert wäre. Damit möchte ich niemanden verurteilen, der sich für einen anderen Weg entschieden hat. Aber für uns drei war dieser Weg perfekt.

Fallen dir Situationen ein, in denen dein Verhalten als Mutter kritisiert wurde?

Klar, mir wurde unterstellt, ich würde mein Kind überfordern, indem wir ins Babyschwimmen gingen oder uns mit anderen Müttern und ihren Babys trafen: Ein kleines Kind und Babys brauchen keine sozialen Kontakte. Man verwöhnt sein Kind, wenn man nach Bedarf stillt, es in der Trage oder im Tuch trägt und es nicht einfach mal schreien lässt.

Gab es auch Momente, in denen du als Mutter empowert wurdest?

Empowert wurde ich durch Freundinnen, Mütter aus dem Kindergarten und meine eigene Familie. Wenn man jahrelang mit Mann trotzdem alles alleine händelt und danach als Alleinerziehende, bekommt man tatsächlich oft gesagt, dass man eine tolle Mama ist und einen guten Job macht.

Was lösen die Schlagwörter "Teilzeitfalle" und "Altersarmut" in dir aus?

Tatsächlich denke ich oft über die Altersarmut nach. Durch meinen Beruf als Friseurin ist es mir nicht möglich, Vollzeit zu arbeiten, solange die Kinder so klein sind. Sie hätten nichts von mir und ich nichts von ihnen. Durch den Mindestlohn bleibt ohne private Vorsorge im Alter nicht mehr viel übrig. Aber ich bin noch jung und am Überlegen, ob mein Beruf für meine Zukunft überhaupt der richtige ist, oder ob ich einen anderen Weg einschlagen sollte.

Wie gehst du mit deinen Grenzen als Mutter um? Was machst du, um dir etwas Gutes zu tun?

Wenn wir Tage haben, an denen ich an meine Grenzen komme, nehme ich mich gern selbst aus der Situation heraus. Ich ignoriere kurz alles um mich herum und konzentriere mich voll und ganz auf mich selbst. Tatsächlich habe ich auch gelernt, mal um Hilfe zu bitten. Sei es meine Mutter oder meinen neuen Lebensgefährten. Da ich alle 14 Tage ein Wochenende frei habe, beginne ich dieses immer mit einer großen Portion Sushi und Me-Time. Mein Partner hilft mir da sehr, alles im Gleichgewicht zu halten.

Warum fällt es Müttern* oft schwer, um Hilfe zu bitten?

Gerade wir Frauen mit unserer Rolle in der Gesellschaft, Familie und Beruf wollen uns nicht eingestehen, dass wir auch mal nicht perfekt funktionieren und auch Hilfe brauchen. Wir haben nun mal keine acht Arme oder Superkräfte. Wir sind auch nur Menschen. Bei mir gab es einen Zeitpunkt, an dem ich mit 40 Grad Fieber im Bett lag mit zwei Kindern, die natürlich keine Rücksicht nehmen konnten. Da habe ich gesagt: "Helft mir!", und eingesehen, dass ich einfach um Hilfe bitten muss, um meine Akkus wieder aufzuladen.

Was wünschst du dir als Mutter in Zukunft von unserer Gesellschaft?

Für die Zukunft unserer Gesellschaft wünsche ich mir mehr Akzeptanz für Familien und Kinder. Mehr familienfreundliche Arbeitgeber, Unternehmen und Einrichtungen. Ich wünsche mir, dass ich meine Kinder stark für die Welt machen kann. Ich erlebe als Erwachsene sehr oft Rassismus. Das tut weh. Wenn ein Kind das mitmachen muss, finde ich das einfach nur furchtbar. Ich habe gelernt, zu kontern. Aber danach regt es mich auf. Viele wissen auch nicht, dass sie etwas Rassistisches gesagt haben. Dann erkläre ich ihnen, was nicht okay war. Nachdem meine Tochter mehrfach wegen ihrer Hautfarbe geärgert wurde, ist es mein festes Ziel, die Erzieher:innen zu aktivieren. Ich wünsche mir, dass Rassismus und Diversität im Kindergarten angesprochen und auch bereits Kinder dafür sensibilisiert werden.

Faces of Moms*

Gemeinsam können wir das gesellschaftliche Bild von Mutterschaft mit all seinen Erwartungen aufbrechen. Darum zeigt Faces of Moms* wie vielfältig Muttersein ist. Nicole (zwei Kinder) und Natalie (zwei Kinder) haben die Plattform für Solidarität und Austausch im April 2020 gegründet. Seitdem haben sie über 500 Mütter fotografiert und interviewt, sensibilisieren für Care-Arbeit und machen strukturelle Ungleichheiten, mit denen Mütter kämpfen, sichtbar. Als "Starke Frauen" sprechen sie über dieses wichtige Projekt. Alle Interviews gibt‘s auf instagram.com/facesofmoms und facesofmoms.de. Und 17 Mütter-Porträts im Buch "Bis eine* weint!“ (160 S., 18 Euro, Palomaa Publishing)

Nicole Noller und Natalie Stanczak sind die "Faces of Moms*"-Macherinnen. Im Podcast zum Projekt fragen sie: "Wie geht’s euch wirklich?".

Brigitte

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