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Einzelkinder werden oft bemitleidet - totaler Quatsch!

Einzelkinder: Kind klettert auf Sofa
© icemanphotos / Shutterstock
Einzelkinder werden oft bemitleidet: immer allein, ausgeprägter Egoismus. Totaler Quatsch, findet BRIGITTE-Redakteurin Nikola Haaks.

Ich bin immer gern Einzelkind gewesen

Es gab eine Zeit, ich war ungefähr sechs Jahre alt, da war meine größte Angst, dass meine Mutter nochmal schwanger werden könnte. Ich spüre noch heute, wie furchtbar ich diese Vorstellung damals gefunden hätte.

Ich bin immer gern Einzelkind gewesen und habe mir nie etwas anderes vorstellen können. Es gibt lediglich rein pragmatische Situationen (die Versorgung alter Eltern), in denen es sicher leichter wäre mit Geschwistern. Aber selbst die geben einem ja am Ende keine Garantie.

Ich hatte von vier bis 14 eine beste Freundin, die um die Ecke wohnte und zwei jüngere Schwestern hatte. Ich erinnere, dass ich sie schon damals nicht darum beneidet habe. Es war immer irgendwie Thermik: wer darf mitspielen, wer nicht, wer bekommt die hübsche Barbie, wer darf nur der doofe Ken sein ... Immer wenn wir in Ruhe spielen wollten, gingen wir zu mir.

Als Einzelkind lernt man, sich aktiv einzubringen

Ich war keine Prinzessin, kein überbehütetes, super verwöhntes Kind. Im Gegenteil. Ich habe Eltern, die den Krieg noch erlebt haben, und hatte recht viele Pflichten. Und wenn wir unterwegs waren und ich etwas wollte - sei es in einem Laden oder im Restaurant –, musste ich mich darum kümmern und fragen. Meine Mutter ging selten vor.

Und wenn ich mit anderen Kindern spielen wollte, galt das Gleiche. Das ist wohl das Schwierigste am Einzelkind-Dasein: mitspielen dürfen. Wir fuhren im Urlaub oft in ein sehr kleines bayrisches Dorf in eine Pension. Dort tobten die Wirtskinder auf dem Hof und ich wollte nichts lieber als mitmachen. "Geh hin und frag", sagte meine Mutter und schickte mich los. Ich musste mich jedes Mal überwinden. "Kann ich mitspielen?" ist sicher der am meisten gesagte Satz von Einzelkindern. Und nicht selten ist die Antwort der anderen ein "Nein".

Aber genau das ist vielleicht das Gute: Man hinterfragt diese Ablehnung nicht. Sie tut weh, sie ist anstrengend, aber sie ist nicht diskutierbar. Beim nächsten Mal geht man wieder hin. Und man lernt: Wenn man etwas erreichen will, wenn man Kontakt zu anderen haben will, muss man hingehen und reden. Es ist nicht per se jemand da. Und das ist sicher nicht die schlechteste Schule fürs Leben.

Einzelkindern werden viele negative Eigenschaften nachgesagt

Aber unabhängig von den anderen Kindern erinnere ich auch die Phasen, in denen ich stundenlang alleine gespielt habe. Ich bin abgetaucht in diverse Welten, die voll waren mit vielen Kindern - ich war alleinerziehende Mutter von drei Puppen-Mädchen, ich hatte eine Puppenstubenfamilie mit fünf Kindern und einen riesigen Lego-Reitstall mit einer großen Mädels-Clique. Danach war ich froh, doch nur eins zu sein.

Einzelkindern werden viele negative Eigenschaften nachgesagt. Sie seien egoistisch, launisch, nicht kompatibel und häufig sehr verwöhnt. Mag alles sein, kann aber genauso für Geschwisterkinder gelten. Einzelkinder sind nur auch manchmal das einzige Glück ihrer Eltern und müssen diese Bürde tragen. Das ist nicht immer leicht.

Ich habe gelesen, dass viele Paare nur ein zweites Kind bekämen, damit das Erstgeborene nicht ohne Geschwister aufwachsen muss. Die amerikanische Forscherin Toni Falbo, die seit über 30 Jahren zu dem Thema forscht, bestätigt, dass Eltern oft ein schlechtes Gewissen haben, wenn sie es bei einem Kind belassen. Ich kann alle beruhigen: Es ist überhaupt nicht schlimm! Im Gegenteil.

BRIGITTE 2/2019

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