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Gedenken, mit Leichtigkeit Wie meine Kinder aus Versehen einen Ahnenaltar errichteten

Gedenkkultur: Kind mit Kerze gestaltet Ahnenaltar
© Halfpoint / Adobe Stock
Wir haben jetzt einen Ahnenaltar. Meine Kinder haben ihn nach dem Tod ihrer Uroma gestaltet, mit Steckerperlen, Federn und Gummibärchen. Das hat das Trauern verändert und Erstaunliches bewirkt.

Es begann mit einem einfachen schwarzen Bilderrahmen. Ich kaufte ihn an dem Tag, als meine Oma starb, druckte ein Foto von ihr aus, wie wir sie zum letzten Mal gesehen hatten. Darauf trägt sie ihre Strickjacke und scheint in die Kamera zu sprechen. Ich stellte es auf einem niedrigen Schränkchen auf, eine Kerze dazu. Fertig. 

Aber das war erst der Anfang. Ich ahnte nicht, was aus dieser Geste entstehen sollte. Ahnen, das ist auch schon das richtige Stichwort. 

Es entwickelte sich langsam. Das Schränkchen mit dem Bilderrahmen stand in Sichtweite unseres Esstischs. Die Kinder, damals 4 und 1,5 Jahre alt, liefen oft daran vorbei, wenn sie ihre Bastelsachen holten, und hatten das Foto in der Nähe, wenn sie am Esstisch malten mit Buntstiften und Wachskreide. Schon bald legten sie ihre Bilder zu dem Foto mit der Kerze, manche als Brief gefaltet, "für Uroma". Dann begannen die Kinder, kleine Schätze, die sie von draußen mitbrachten, bei Uroma abzulegen. 

Sie bekam Schneckenhäuser geschenkt und glatte Steine. Schöne Rindenstücke und Muscheln. Gerupfte Gänseblümchen mit viel zu kurzen Stielen und weiche Federn.

Gedenkort voller Leichtigkeit

Mich berührte die Leichtigkeit, mit der die Kinder den kleinen Gedenkort füllten. Es hatte etwas Verspieltes und machte bald auch mir unglaublich Spaß, schöne Dinge aus der Natur für meine Oma mitzubringen. Sie war präsent, auf gute Weise. 

Natürlich hatten die Kinder nicht mit der Art Trauer zu tun, die ich empfand. Für sie gab es kein "nie wieder" oder "für immer fort". Gerade deshalb war es so schön, von ihnen zu lernen. 

Nach der Wohnungsauflösung meiner Oma brachte ich ein altes Holzschränkchen mit zu uns nach Hause. Es war ein graziler Nähtisch mit geschwungenen Beinen, der jahrzehntelang bei meiner Oma im Wohnzimmer gestanden hatte. Nachdem mein Opa gestorben war – zehn Jahre vor ihr – hatte sie dort immer einen Bilderrahmen mit seinem Foto stehen, dazu ein Grablicht und einen Strauß Stoffblumen. Es hob unseren Gedenkort, den wir "aus Versehen" errichtet hatten, auf die nächste Stufe.

Das Nähtischchen wurde zum Ahnenaltar. Nicht aus religiösen Überzeugungen heraus, sondern weil es sich so entwickelte und sich richtig anfühlte. 

Ahnenaltar mit Steckerperlen und Gummibärchen

Wir stellten den schwarzen Bilderrahmen mit meiner Oma darauf, die schnell von neuen Schätzen umgeben war. Von Bügelbildern aus Steckerperlen, gefilzten Blumen und glitzernden Aufklebern. Und weil das alles so schön war, mit den Gaben und der freundlichen Präsenz, suchte ich schließlich Fotos von meinen anderen verstorbenen Großeltern heraus und stellte sie dazu. Die Omas meines Mannes gesellten sich ebenfalls dazu, ihre Bilderrahmen hatten zuvor in einem Regal gestanden und bekamen nun einen neuen Platz.

Weil ich auch Geschirr geerbt hatte, für das wir eigentlich keine Verwendung hatten, stellte ich eine nostalgische Saucière mit auf das Schränkchen. Die Kinder legten Gummibärchen und angebissene Kekse hinein – "für die Uromas". An Silvester sorgten sie für Luftschlangen bei den Fotorahmen. 

Ein veränderter Blick auf Leben und Familie

Rund um Halloween, die Kinder waren größer geworden, schaute ich mit der Fünfjährigen den Pixar-Film "Coco". Darin geht es um den mexikanischen Ahnenkult rund um den Dia de Muertos, den "Tag der Toten". Ein Gedanke darin: Nur die Ahnen, deren Foto an diesem Tag bei einem Familienmitglied aufgestellt ist, können über die Blumenbrücke zu Besuch ins Reich der Lebenden kommen, zu dem gemeinsamen Fest. Ich fand das Bild der Brücke sehr schön. Das opulente und vor allem fröhliche Feiern der Erinnerung sowieso. Seitdem sehe ich das Schränkchen noch einmal anders, vielleicht als Brücke zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.

Es zeigt uns: "Da kommt ihr her", "Von uns habt ihr das Geschenk des Lebens bekommen". Der Blick in die Gesichter der Verstorbenen, der Ahnen, gibt mir das Gefühl, Teil zu sein der Perlenkette des Lebens. Und manchmal hilft mir ein rascher Blick auf das Schränkchen nach einem Streit, den Alltagsärger zu relativieren und schneller zu denken: Das ist doch alles halb so schlimm. Wir leben.

Manchmal steht die nun Sechsjährige vor dem Schränkchen und arrangiert ein paar Edelsteine oder legt einen Turm aus Steinen. Manchmal schaut sie sich die Fotos von ihren Urgroßeltern einen Moment lang ganz genau an – bevor sie davonflitzt zu ihrem nächsten Spiel. Neulich sagte sie mir: "Mama, ich hab' dich lieb. Ich habe meine ganze Familie lieb. Auch die, die schon gestorben sind. Die gehören auch dazu."

Genau das ist der Impuls, den so ein Ahnenschränkchen aussendet: Diese Menschen gehören dazu. Und solange es sich für uns richtig anfühlt, bleibt dieses Schränkchen in Sichtweite stehen. Der Bilderrahmen meiner Oma ist jetzt nicht mehr schwarz. Auch das Foto habe ich ausgetauscht. Jetzt steht dort ein Schnappschuss, der auf unserer Hochzeit gemacht wurde, da war sie fast 91 Jahre alt: Sie sitzt auf ihrem Rollator und hält eine Limonadenflasche fröhlich lachend zum Prost in die Luft.

Prost, Oma!

Brigitte

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