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"Gut, dass mich keiner sieht: Warum ich ab und zu einen Schlampentag brauche"

Schlampentage
© Mikhail Reshetnikov / Shutterstock
BRIGITTE.de-Leserin Julika Steppat hat ein effektives Mittel gefunden, um sich von den Anforderungen des Alltags zu erholen.

Hoffentlich kommt mich heute niemand besuchen

Nein, ich bin weder depressiv noch sonst irgendwie verstimmt, ich habe mir nur meinen Schlampentag genommen. Hin und wieder brauche ich den, und dank meines geschickt ausgewählten Berufes bin ich ab und zu in der Lage, so einen Tag einzulegen. 

Doch, ja, ich liebe meinen Beruf und ich liebe meinen Mann und ich liebe es, wenn alles nett und ordentlich aussieht. Aber nicht immer! Mein Job erfordert viel Disziplin, und viel Disziplin fordert viel Energie. Ich kann wochen- , auch mal monatelang um sechs Uhr aufstehen, mich in Schale schmeißen, ein tolles Frühstück zaubern, die Spül- und Waschmaschine beladen, die Katze füttern und den Hund auf die Wiese lassen, bevor ich das Haus verlasse. 

Ich kann Multitasking, ehrlich, aber irgendwann kommt immer der Tag, an dem ich aufwache und mich ernsthaft frage, wie ich das alles so lange hingekriegt habe. Zeit für einen Schlampentag!

So ein Schlampentag ist besser für mich und für alle, die mit mir zu tun haben. Dann möchte ich nichts und niemanden sehen – und schon gar nicht gesehen werden – außer von Hund und Katze, die sich dann mit mir freuen, dass sie mich als gemütliche Unterlage und zum Füllen der Fressnäpfe einen ganzen Tag für sich allein haben. Wenn ich in Erwägung ziehe, das Bett an so einem Tag zu verlassen, dann nur, um im Schneckentempo und mit allen Wolldecken, deren ich habhaft werden kann, auf die Couch umzuziehen. Apropos umziehen – den Schlafanzug tausche ich gegen den Jogginganzug. Manchmal, gegen Nachmittag.

Schlampentage ... ticke ich eigentlich noch richtig?

Diese Frage habe ich mir schon das eine oder andere Mal gestellt, wenn ich mich zwischen Wassergläsern, Kaffeebechern, Chipstüten, Schokoriegeln und überquellenden Aschenbechern rumliegen sah. Ungekämmt, ungewaschen, unmotiviert – aber gemütlich!

Mein Doc sagt dazu ganz klar "Ja!“ Schon vor Jahren habe ich mich ihm anvertraut. Damals war ich ganz nah dran am Burn-out – und das, obgleich es scheinbar keinen Grund dafür gab. Scheinbar. Der Doc riet mir, ich solle versuchen, nicht immer entgegen meinem Bio-Rhythmus zu leben. Er fand anhand eines Fragekatalogs heraus, dass ich eine Eule sei. Rein bio-rhythmisch natürlich. Ein Nachtmensch. Und nun? 

Er schrieb mich sechs lange Wochen krank und empfahl mir, einfach mal zu tun und zu lassen, was ich wollte. Schon nach wenigen Tagen schlief ich besser als je zuvor, ohne den Druck, am nächsten Morgen früh aufstehen zu müssen.

Mein Bio-Rhythmus pendelte sich ein. Zuerst langsam – ich machte die Nacht zum Tag, wie Eulen das eben tun – und schlief „bis in die Puppen“ – dann aber wurde ich irgendwann regelmäßig um acht Uhr morgens wach. Ohne Wecker und ohne Druck. Gut, um sechs würde ich freiwillig wahrscheinlich nie wach werden, aber acht – das war doch schon mal ein Anfang. 

Mein Chef nennt sie vornehm "Ausgleichstage"

Nun, die sechs Wochen gingen rum wie im Flug und hinterließen die Erkenntnis, dass ich für einen Job mit geregelten Arbeitszeiten nicht gemacht bin. Dafür kann ich nichts, das ist mein Bio-Rhythmus. Ich habe ja nichts dagegen, acht bis zehn Stunden täglich zu arbeiten. Aber bitte dann, wann ich will.

Dass es schwierig werden würde, einen solchen Arbeitgeber zu finden, war mir klar und ich ging einen Kompromiss ein - in Form von gut organisierten „Schlampentagen“, quasi ärztlich verordnet. Mein Arbeitgeber nennt sie „Ausgleichstage“. 

Und er hat auch was davon. Zum einen war ich noch nie krank, seit ich diese Form der Arbeitseinteilung für mich gewählt habe, zum anderen bin ich immer gern bereit, mal einen Wochenenddienst zu übernehmen oder abends zu arbeiten. Von nichts kommt eben nichts.

Warum ein Schlampentag nicht am Wochenende möglich ist

Richtig, nun werdet ihr euch fragen, warum ich meine Schlampentage nicht einfach auf die Wochenenden lege. NEIN! Schlamentage finden nicht am Wochenende statt, das ist Gesetz!

Erstens würde ich mich dann ja um dieses wunderbare, unvergleichliche Gefühl bringen, mich nochmal im Bett umzudrehen, wenn alle anderen zur Arbeit fahren. Mit einer Tasse Kaffee auf dem Balkon zu sitzen, während andere dem Ungemach der öffentlichen Verkehrsmittel ausgesetzt sind, Bilanzen fälschen, und sich mit Kunden und Kollegen rumärgern. Nein, das lasse ich mir nicht nehmen, das ist ja gerade das allerschönste an meinen Schlampentagen! 

Und dann sind mir die Wochenenden auch zu schade. Samstags möchte ich mit dem Herzallerliebsten auf dem Markt frische Reibekuchen essen, mit dem Henkelkorb am Arm bummeln und Delikatessen einkaufen. Ich möchte Freunde einladen und bei Freunden eingeladen werden, im Jazzclub versacken oder gemeinsam Urlaubspläne schmieden.

All das geht nicht an Schlampentagen – denn, eine Grundvoraussetzung ist ja, dass der Herzallerliebste auf gar keinen Fall zugegen ist! Um Gottes willen!

Volle Aschenbecher im Schlafzimmer wären wahrscheinlich ein Scheidungsgrund

Naja, noch wahrscheinlicher ist, dass er mich gar nicht erkennen würde … Und auch das passt dann wunderbar in mein Konzept: dass der Gatte jede Woche zwei bis drei Tage im Außendienst unterwegs ist. Ich Glückskind! 

Die Schlampentage hinterlassen natürlich Spuren. In Form von Pölsterchen. Aber mein Doc hat auch hierfür eine Lösung, die sich fast genauso einfach und effektiv anhört, wie die Schlampentage. „Hör auf dein Bauchgefühl“, hat er gesagt. „Iss einfach wann du willst und was du willst. Sei mit deinem Essen genauso intuitiv, wie mit deinem Bio-Rhythmus“. Mein Doc ist ein wahrer Engel.

Zur Person: Julika Steppat (55) hat schon zahlreiche Jobs ausprobiert, aber immer schlummerten Geschichten in ihrer Schublade. Seit vier Jahren schreibt sie als Ghostwriterin Lebensberatungs- und Ernährungsberaterbüchlein. Jetzt hat sie ihr Buch „Der Tisch“ begonnen - mit Geschichten und Anekdoten aus ihrem turbulenten Familienleben.

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