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Auswandern trotz Krankheit "Ich lasse mir meine Träume nicht nehmen!"

Julia und ihr Mann Sven haben auf den Lofoten ihr Glück gefunden - obwohl sie pflegebedürftig ist.
Julia und ihr Mann Sven haben auf den Lofoten ihr Glück gefunden - obwohl sie pflegebedürftig ist.
© privat
BRIGITTE.de-Leserin Julia Külzer (30) leidet unter Multipler Sklerose, Epilepsie und dem Chronischen Erschöpfungssyndrom. Was sie aber nicht daran hindert, sich ihren Traum vom Auswandern zu erfüllen.

Ich war erst 25, als mein Leben sich vollkommen änderte. Ich kann mich noch gut an ein Gespräch im Jahr 2015 erinnern. Es ging um meine Zukunft in meinem damaligen Betrieb. Das Gespräch war geprägt von der Aussicht, bald befördert zu werden.

Heute, fast sechs Jahre später, bin ich seit über fünf Jahren arbeitsunfähig, dafür lebe ich mit Blick auf den Fjord. Mitten in Norwegen. Auf den Lofoten.

Zur Multiplen Sklerose kamen noch weitere Krankheiten hinzu

2015 lernte ich meinen Mann Sven kennen. Wir unternahmen viele schöne Dinge, aber ich merkte, dass mein Körper nicht mehr mit mir im Einklang war. Irgendwann entschied ich mich, in die Notaufnahme zu fahren, obwohl ich mich nur kränklich fühlte. Aber ich fühlte mich schon seit Monaten kränklich. Und das ist bis heute die wohl klügste Entscheidung gewesen, die ich in meinem Leben getroffen habe.

Denn was innerhalb kürzester Zeit folgte, war eine MS-Diagnose, eine Kortisonstoßtherapie und eine Lähmung der linken Körperhälfte, die gerade einsetzte, als ich in der Notaufnahme ankam. So konnte ich rechtzeitig behandelt werden, ohne dass viel zurückblieb.

Plötzlich war ich mit Medikamenteneinstellungen, Arbeitsunfähigkeit, nicht enden wollender Bürokratie und weiteren Krankheiten konfrontiert. Es folgte die Diagnose Epilepsie im Jahr 2017. Ein Jahr später dann der gescheiterte Versuch einer Umschulung und der Rentenantrag.

Als wenn man drei Tage und drei Nächte nicht geschlafen hat

Mein Rentenantrag wurde genehmigt, und wir wollten mit unserem Wohnmobil, das wir seit einem Jahr restaurierten, Ende März 2020 Richtung Norwegen aufbrechen. Monatelang bereiteten wir die Reise vor und alles schien perfekt. Doch dann kam Corona und ein weiterer herber gesundheitlicher Rückschlag.

Der Stress rund um die Reisevorbereitungen und Corona verschlechterte meine gesundheitliche Situation so massiv, dass ich plötzlich kaum noch das Haus verlassen konnte. Ich hatte teilweise schon morgens nicht mal mehr genug Energie, um mir die Zähne zu putzen. Ich konnte mir kein Essen zubereiten.

Ganz alltägliche Dinge waren plötzlich nicht mehr möglich.

Ich erfuhr, dass ich ein Chronisches Fatigue-Syndrom habe. Man muss sich das so vorstellen: Jeder Mensch hat eine Batterie, und über Nacht lädt man sie wieder auf. Doch meine Batterie ist kaputt, ich kann sie nur noch auf rund 30 Prozent bringen. Das ist dann so, als hätte man drei Tage und drei Nächte nicht geschlafen.

Leiden kann man überall!

Mein Mann blieb bei mir, brachte mir mein Essen und zog die Vorhänge zu, weil mir jeder Reiz zu viel war. Aus dem Plan, mit dem Wohnmobil Skandinavien zu bereisen, ist plötzlich ein dauerhafter Pflegezustand geworden. Arzttermine nahm ich per Videokonferenz wahr, da ich nicht fähig war, die Wohnung zu verlassen.

Irgendwann kamen wir an einen Punkt, an dem wir intensiv darüber nachdachten, was wir wirklich wollen. Ich war zu diesem Zeitpunkt 30, mein Mann 39. Wir beide hatten große Träume gehabt, und jetzt sah unser Leben so anders aus. Immerhin waren wir in der komfortablen Situation, dass wir finanziell gut dastanden, also sagten wir uns: „Leiden kann man überall!“ Das war für uns der Wendepunkt.

Wir planten, uns unseren Skandinavien-Traum so zu erfüllen, wie es für uns möglich war. Oft denkt man, dass es nur Plan A und vielleicht noch Plan B gibt, aber es gibt noch so viel mehr und was viel wichtiger ist: Es gibt den eigenen Plan, und der ist meist der richtige!

Norwegen und die Hoffnung

Also brachen wir nach Norwegen auf, mit dem Ziel, zu testen, ob es uns gesundheitlich überhaupt möglich ist, so etwas zu stemmen. Wir hatten ein Haus für eineinhalb Monate gemietet und wollten um weitere eineinhalb Monate verlängern, wenn es gut funktioniert.

Von vornherein war klar, dass Ausflüge die Ausnahme sein würden. Trotzdem machte ich mir selbst Druck:

Jetzt war ich hier in diesem Land und sehe kaum etwas davon?

Doch ich kam mit der Zeit immer mehr zur Ruhe, mit dem Schaukelstuhl vor dem Fenster oder dem Kamin, und der kurze, seltene Spaziergang im tiefen Schnee brachte etwas in mir zurück, was schon lange nicht mehr präsent war: Hoffnung. Hoffnung, dass mein Leben sich doch nicht nur auf 50 Quadratmetern abspielen wird. Hoffnung, dass ich noch schöne Dinge erleben werde. Hoffnung, dass ich mir trotz allem Träume erfüllen kann. Auf meine Weise.

Auswandern – trotz Pandemie und chronischer Krankheiten!

Heute sind wir seit fast fünf Monaten in diesem wunderschönen Land. Ich durfte den schönsten Winter meines Lebens genießen, habe Nordlichter gesehen und einen Weihnachtsbaum geschmückt, den wir selbst geschlagen hatten. Wir fühlen uns wohl und können uns kein schöneres Leben vorstellen.

Wir wollen endgültig auswandern und uns in den nächsten Wochen Häuser anschauen. Was vielleicht überhastet klingt, ist für uns die richtige Entscheidung. Denn hätten wir damals nicht mutig und entschlossen unsere Sachen ins Auto gepackt, um nach Norwegen zu reisen, hätten wir nie erfahren, was es heißt, sich Träume zu erfüllen, obwohl es manchmal absolut ausweglos erscheint!

Die Autorin: Julia Külzer (30) zog nach Norwegen, obwohl sie pflegebedürftig ist. Auf Instagram (solltekoennte.mache) motiviert sie andere, sich Träume zu erfüllen, auch wenn es manchmal ausweglos scheint. 

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