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Nora Tschirner weiß: "Heulen hilft nicht!"

Nora Tschirner weiß: "Heulen hilft nicht!"
© Marcus Höhn
Schönheitswahn, Chancengleichheit, Equal Pay: Schauspielerin Nora Tschirner hat klare Antworten auf ungeklärte Frauenfragen.

Ein Treffen mit Nora Tschirner in Berlin

Mitten in der Nacht war sie mit ihrem alten "Golf" auf der Autobahn liegen geblieben und entsprechend spät im Bett. Und an diesem Morgen bescheren ihr die verdammten Frühblüher der Berliner Botanik einen heftigen Heuschnupfen. Sie niest in einer Tour und ist eigentlich todmüde – aber das hindert sie nicht, sofort auf Drehzahl zu kommen.

Nora Tschirner schleudert ihre riesige Sporttasche aufs Sofa im Kreuzberger Fotostudio und beginnt zu wühlen. "Guckt mal, ich hab diesen gelben Overall mitgebracht, ich hab auch noch andere Sachen dabei, dunklere, aber der ist doch spektakulär und passt super zu dem Hintergrund, oder? Bisschen zerknittert, aber darum hab ich einen Steamer eingepackt, ich steam den mal eben, dann sieht der wieder top aus, dauert nicht lang ..."

Nora sprudelt. Wir wollen Fotos machen und reden. Und zwar nicht über ihre Rollen im "Tatort" oder auf der Leinwand, sondern über ihre Rolle als Frau – und als Dokumentarfilmerin, die sich mit den Lebensthemen von Frauen befasst.

BRIGITTE: Frau Tschirner, was macht man als "Executive Producerin" bei einem Dokumentarfilm?


NORA TSCHIRNER: Das ist ganz unterschiedlich, in diesem Fall ging es in erster Linie um das Mitfinanzierung und Herausbringen des Films.

BRIGITTE: Wie sind Sie zu dem Job für die Produktion von "Embrace" gekommen?


NORA TSCHIRNER: Ich kannte die australische Fotografin Taryn Brumfitt durch ihr "Body Image Movement" von 2013 ...

BRIGITTE: ... die dreifache Mutter hatte aufgehört, ihren Körper auf Modelmaße zu trimmen und löste mit Vorher-Nachher-Nacktfotos heftige Reaktionen aus.

NORA TSCHIRNER: Und nicht nur positive. Ich fand ihre Bewegung für ein natürliches Körpergefühl und gegen falsche Schönheitsideale absolut nachvollziehbar. Als Taryn per Crowdfunding Geld für die Dokumentation zu diesem Thema sammelte, wollte ich mich unbedingt beteiligen. So kamen wir in Kontakt. Am Ende konnte ich sogar noch mehr tun, als Geld beizusteuern.

BRIGITTE: "Embrace" ist auch nicht Ihre erste Doku. Für "Waiting Area", einen Film über werdende Mütter in Äthiopien, haben Sie 2013 einen Preis für Demokratie und Menschenrechte gewonnen.

NORA TSCHIRNER: Und wenn alles gut läuft, ist der Film demnächst im Fernsehen zu sehen, hui. Also Augen offenhalten.


BRIGITTE: Was reizt Sie am Format der Reportage? 

NORA TSCHIRNER: Journalismus und Dokumentarfilm begleiten mich aufgrund der Berufe meiner Eltern seit früher Kindheit. Seit ich denken kann, faszinieren mich die wahren kleinen und großen Geschichten, die es überall auf der Welt zu erzählen gibt.

BRIGITTE: Und was hat Sie bei "Embrace" so berührt, dass Sie sogar eigenes Geld investierten? 

NORA TSCHIRNER: Das Thema beschäftigt mich schon ewig. Nicht nur in meinem Berufsumfeld. Frauen, die ich schon aus der Schule kenne, die ein riesiges Potenzial und der Welt etwas zu sagen haben, hadern, z. B. seit sie Mütter geworden sind, wahnsinnig mit ihrem Körper. Das hab ich nicht so richtig verstanden und dachte, da muss man ran und klären, woher das kommt.

BRIGITTE: Und, haben Sie es herausgefunden?

NORA TSCHIRNER: Das sind Muster, die werden schon in frühester Kindheit in unseren Köpfen festgesetzt. Wenn ein Mädchen ständig hört, es sei süß und hübsch, dann bekommt das irgendwann einen Wert, nach dem es weiter strebt. Und wofür es dann auch wieder Bestätigung bekommt. Oder eben nicht. Und daraus entsteht dieser Optimierungswahn, der durch den ohnehin schon vorliegenden Leistungsdruck in allen anderen Bereichen des Lebens noch verstärkt wird.

BRIGITTE: Haben Sie das selbst auch so erlebt?

NORA TSCHIRNER: Die Spiegelung als süß und hübsch? Ja, aber nur, bis meine Augenbrauen zusammengewachsen waren, ha. Bei uns zu Hause ging es eher darum, was man macht, da lief Schönheit nicht so sehr unter dem Leistungsaspekt. Außerdem war meine beste Freundin eher der Feger, den alle in der Schule toll fanden. Ich hab mehr über Humor gepunktet. Der Klassiker. Aber das geht Männern ja ganz genauso.

BRIGITTE: Dann fiel die Mauer. Haben Sie im Westen etwas anderes vorgefunden?

NORA TSCHIRNER: Ich glaube, zu der Zeit war Eitelkeit ein- fach generell verpönt, im Osten wie im Westen. Eitelkeit wäre ein soziales Aus- schlussmerkmal gewesen. Heute ist das anders, da reicht ein Blick auf Instagram, dieses Paradies für Narzissten, die sagen, „Oh mein Gott bin ich verliebt in meinen Look von vor drei Tagen.“ Da möchte man brüllen: Hallo, komm mal raus aus dei- nem Spiegelkabinett und nerv uns nicht mit deiner Selbstdarstellung! Aber viele Leute, die sich das angucken, finden es mittlerweile völlig normal. Und so mani- festiert sich dieser Selbstoptimierungs- wahn immer weiter.


BRIGITTE: Im Film geht Taryn Brumfitt für die Recherche zum Schönheitschirurgen, der an ihren Brüsten herumzupft und sagt, die müssten so und so sein, die Nippel woanders, und ihr ausmalt, dass alles mit der Zeit noch schlimmer wird. Er schlägt auch vor, das Fett vom Bauch in den Po zu verlagern – das sei gerade Zeitgeist ... 

NORA TSCHIRNER: Im Moment ist tatsächlich der kugelige Kim-Kardashian-Hintern der Hit. Die jeweils aktuellen Schönheitsmerkmale kommen immer aus der Popkultur und ändern sich alle paar Jahre.

BRIGITTE: Und schwupp sind zehn Jahre rum und man muss sich wieder operieren lassen. 

NORA TSCHIRNER: Da denk ich mir: Warte ich doch einfach, bis mein Körpertyp aktuell wird (lacht). Aber durch die sozialen Medien steigt für alle Frauen die Sichtbarkeit – und damit der Leistungsdruck, einem Schönheits- ideal zu entsprechen, egal wie alt sie ist, egal wie viele Kinder sie bekommen hat.

BRIGITTE: Auch viele Männer verlieren nach der Geburt ihrer Kinder ihre Idealmaße. 

NORA TSCHIRNER: (Lacht) Trotzdem möchte ich auf gar kei- nen Fall tauschen. Mal abgesehen vom Schönheitsaspekt, dem man sich ja nicht unterwerfen muss – deswegen haben wir den Film ja gemacht –, bezieht sich der Optimierungswahn in unserer Gesell- schaft doch auf alle Lebensbereiche, auf Beruf, sozialen Status, Familienplanung. Und da haben Frauen sogar mehr Aus- wahl als Männer. Ich kann aus meinem Körper ein Kind herausbringen, ich kann es stillen, ich kann Karriere machen.

BRIGITTE: Aber sie verdienen weniger als Männer.

NORA TSCHIRNER: Das kann ich nicht einschätzen, ich habe Equal Pay und je nach Projekt darüber hinaus. Das waren teilweise Kämpfe, die Kraft und Zeit gekostet haben. Nicht, weil man mich je schlechter bezahlen wollte als männliche Kollegen, sondern weil es einem erst mal viel abverlangt, den eigenen Wert selbstbewusst festzulegen und dafür einzustehen. Wenn jemand gleichwertiges Zeug macht, dann muss er auch gleichwertig verhandeln, dann verdient er auch das equal, egal ob Mann oder Frau. Ich kenne Männer, die nicht den Schneid gehabt hätten, das aus Verhandlungen rauszuholen, was ich rausgeholt habe. Ich mag es irgendwie nicht, wenn man sich für eine Benachteiligung eine Gruppen- Identität ausborgt, indem man sagt: Ach, das ist nur, weil ich Schuhverkäuferin bin, weil ich eine Laktoseintoleranz habe, weil Montag ist, weil ich eine Frau bin... Da denke ich: Tja, wollen wir dein Problem lösen, willst du, dass es dir nachhaltig besser geht? Oder hast du es dir in deinem Problem gemütlich gemacht. In Deutschland ist die Gleichstellung von Mann und Frau im Grundgesetz festgelegt. Wenn das nicht eingehalten wird, muss man sich natürlich wehren.

BRIGITTE: Trotzdem wird heute noch über eine Frauenquote diskutiert, um bei der Verteilung von Führungspositionen Chancengleichheit zu erreichen. 

NORA TSCHIRNER: Andererseits haben wir seit 2005 eine Kanzlerin, und mir ist nicht bekannt, dass sie sich hochgeschlafen hätte.

BRIGITTE: Machen Ihnen Männer wie Donald Trump keine Angst, die viele soziale Errungenschaften abschaffen möchten, aber auch Frauenrechte wie das auf Abtreibung?

NORA TSCHIRNER: Es gibt Frauke Petry, es gibt Marine Le Pen. Die haben ganz ähnliche Vorstellungen von Frauenrechten, Meinungsfreiheit und Demokratie wie Trump. Es gibt weibliche und männliche Idioten – soweit sind wir mit der Gleichberechtigung immerhin.

BRIGITTE: Wie erklären Sie sich, dass eine solche Entwicklung in der aufgeklärten Welt überhaupt möglich ist?


NORA TSCHIRNER: Das war absehbar. Trump ist schon so etwas wie eine Auswucherung einer zu Dekadenz und Degeneration neigenden Gesellschaft. Die westliche Welt, gerade Amerika hat diesen Anspruch, immer mehr zu wollen, in allem first zu sein. Das Land, wo man sein Glück machen kann und bewundert wird, wer den besten Deal macht. Dass viele dabei nicht mitkom- men und im White Trash landen, ist ja keine Raketenwissenschaft.

BRIGITTE: Toll, Sie können sich ja richtig aufregen. Was können wir tun, damit das bei uns nicht passiert?


NORA TSCHIRNER: Wir dürfen nicht erst aktiv werden, wenn bei uns Rechte massiv bedroht sind. Dabei geht es für mich nie nur um die Rechte des Einzelnen, sondern immer um die der ganzen Gruppe, um Solidarität. Der Staat und die Gesellschaft, in der wir leben wollen, das sind wir alle. Wenn man sich das wirklich mal bewusst macht, wird einem immer ein Weg einfallen, sich konstruktiv einzubringen. 

NORA TSCHIRNER - STETS AUF SENDUNG

Nora Tschirner wurde am 12. Juni 1981 in Berlin Pankow geboren. Schon in der Schule spiele sie Theater, ihre erste TV-Rolle hatte sie 2000 in der Serie "Achterbahn", 2001 in "Die Sternenfänger", zeitgleich wurde sie Moderatorin bei MTV. Es folgten Kinofilme wie "Kebab Connection", "Soloalbum" und "Keinohrhasen". Für ihre Rolle als Hauptkommissarin Kira Dorn im "Tatort" bekam sie 2016 den Jupiter Award. Außerdem dreht sie Dokumentarfilme und singt und spielt in der Band "Prag". Die von ihr mitproduzierte Doku "Embrace" könnt ihr auf DVD kaufen.

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BRIGITTE 11/2017

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