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Machtmissbrauch auf Geschäftsreise "Ich wachte morgens auf – geschminkt und im Look des Vortages"

Machtmissbrauch Geschäftsreise: Erfahrung
© Brigitte / Adobe Stock
Allein auf hoher See, ohne Erinnerung. Die 26-jährige Lisa* erzählt von ihren Erfahrungen mit Machtmissbrauch. Von mächtigen Männern, unerwünschten Annäherungsversuchen und dem Glück im Unglück, noch einmal mit dem Schrecken davongekommen zu sein

Triggerwarnung: Die im Folgenden aufgeführten Erfahrungsberichte behandeln unter anderem sexualisierte Gewalt und könnten auf manche Menschen verstörend wirken. 

Anlaufstellen, Beratungsangebote und weitere Informationen findest du unter anderem auf den folgenden Seiten – anonym und kostenfrei:

Telefonseelsorge, Hilfetelefon Gewalt gegen Frauen

 

Im Zuge der BRIGITTE-Aktion #wasmachtmacht haben wir unsere Leser:innen ermutigt, uns von ihren Erfahrungen mit Macht zu berichten. Erreicht haben uns zahlreiche Erlebnisse – aus den Bereichen Politik, Studium, Job, Liebe und Familie. Diese Geschichte ist eine von ihnen.

Als junge Frau in der Ausbildung ist man auf Geschäftsreisen sowieso Freiwild: Meist ist man unter Männern, die Stimmung hat Stammtisch-Atmosphäre. Mir sind schon Männer auf die Toilette gefolgt, um mir verschwörerisch ihre Zimmernummer zuzuflüstern oder bei Autofahrten lag zufällig auf einmal eine Hand auf meinem Bein. Das schlimmste Erlebnis war einwöchige Kongressreise auf einem Schiff. Der Marketingchef eines Unternehmens fragte mich in großer Runde nach meiner Beziehung und nach meinem Männergeschmack. Über den gesamten Abend versuchte er, mich mit Alkohol zu versorgen, ich achtete penibel auf meinen Pegel und meine Gläser. 
Ich muss mein Glas aber leider irgendwann doch aus den Augen verloren haben, denn ab einem bestimmten Zeitpunkt fehlt mir die Erinnerung. Ich wachte morgens in meinem Bett auf – geschminkt und im Look des Vortages. Ich war nicht zugedeckt und die Vorhänge waren offen. Mein Kopf hämmerte und alles drehte sich – so elendig gings mir noch nie nach einer Feier. Wie konnte das sein? So viel hatte ich doch gar nicht getrunken. Ich erinnerte nur Bruchstücke von dem Abend, der zum Glück noch glimpflich für mich ausging. Denn später erfuhr ich: Ich konnte kaum noch laufen und der besagte Marketingchef wollte mich „ins Bett bringen“. Ein anderer Teilnehmer dieser Runde ahnte wohl aber, dass er mich nicht nur ins Bett bringen wollte, sondern ganz andere Absichten hatte. Und so brachte mich der verantwortungsvolle Mann aufs Zimmer und zog die Tür zu, ohne dass der andere seine Chance nutzen konnte. Als ich die Puzzlestücke zusammenzusetzen versuchte, dämmerte mir, dass mir vermutlich K.O-Tropfen in mein Getränk gemischt worden waren und ich einem sexuellen Übergriff entkommen bin. Doch was blieb mir? Ich war gefangen auf hoher See in meiner Gruppe, an Bord nur ein Mediziner mit Kleinstausstattung, der die Tropfen nicht hätte nachweisen können. Nächster Landgang in 24 Stunden. Es ist grade nochmal gut gegangen, aber ich bin noch immer wütend, dass dieser Mann einfach so davonkommen konnte, weil die Umstände ihm so in die Karten gespielt haben. Zufall? Ganz sicher nicht.

Das sagt Prof. Dr. Fatma Çelik

Fatma Çelik
Prof. Dr. Fatma Çelik ist Diplom-Psychologin, Forschende zu Psychologie und (sexueller) Gewalt über die Lebensspanne und Lehrende an der Hochschule Düsseldorf.
© Thomas Neitsch / Privat

Prof. Dr. Fatma Çelik ist Psychologin und forscht unter anderem zu Gewalt über die Lebensspanne. Sie hilft uns, die Erfahrungen einzuordnen – um Machtstrukturen sichtbar zu machen. Hier richtet sie ein Vorwort an die Leser:innen.

Wo greifen hier Machtstrukturen?
Bei diesem Beispiel ist zunächst ressourcenorientiert die Frage zu stellen: Was ist gut gelaufen? Eine andere Person war aufmerksam und hat Verantwortung für die Kollegin übernommen. Interessant wäre, was ist bei eben jenem Kollegen anders, als bei den anderen, die nicht gehandelt haben und wie kann man genau dieses Verhalten verstärken.
Auf der anderen Seite stehen irritierende Aussagen wie "Als junge Frau ist man auf Geschäftsreisen sowieso Freiwild." Die Betroffene beschreibt im Folgenden sehr anschaulich, woher sich dieser Eindruck nährt. Typisch ist, dass in diesem Falle die Frau verstärktes Sicherheitsverhalten zeigt – beispielsweise auf ihre Getränke achtet. Die Machtstrukturen greifen dort, wo offensichtlich grenzüberschreitendes Verhalten normalisiert wird, ähnlich wie in dem Fallbeispiel zu Machmissbrauch in der Politik. In diesem Fall hier berichtet eine Frau von der ihr zugewiesenen Rolle durch eine mutmaßlich eher stärker männlich dominierte Arbeitsgruppe. Inwiefern es überparteiliche Beschwerdestellen gibt, ist aus dem Bericht nicht ersichtlich. Machtstrukturen bleiben bestehen, wenn Vorfälle wie diese eben nicht bekannt werden oder nach Bekanntwerden Betroffenen nicht geholfen wird. Wichtig wäre also bei diesem Beispiel, ob es Strukturen im Unternehmen gab, Fehlverhalten anzuzeigen oder verpflichtende Bildungsangebote zur Sensibilisierung gegenüber übergriffigen Verhaltensweisen. 
Wie kann die Betroffene mit der Erfahrung umgehen? 
Die Betroffene teilt hier ihre Geschichte, was bereits ein Umgang mit dem Vorgefallenen ist. Ein weiterer Umgang könnte sein, sofern sie sich einen Abschluss dazu wünscht, das Unternehmen, dass diese Reisen organisiert, auf genau diesen Punkt hinzuweisen, zu sensibilisieren. Ein Gespräch mit dem Kollegen, welcher ihr geholfen hat, könnte ebenfalls helfen, das Geschehene für sich einzuordnen.
Was müsste sich in unserer Gesellschaft verändern, damit so etwas nicht mehr passiert?
Wir leben nach wie vor in einer Gesellschaft, in welcher tendenziell Töchter oder weiblich gelesene Kinder öfter gewarnt und zu vorsichtigem Verhalten ermahnt werden, als Söhne, respektive männlich gelesene Kinder. Ein gesellschaftlicher Wandel kann zum einem strukturell vollzogen werden, durch Aufklärung, durch Sensibilisierung, durch die Schaffung von Schutzräumen und Anlaufstellen, durch Fortbildungen und so weiter.
Für Änderungen braucht es auch den Willen jedes Mitglieds unserer Gesellschaft.
Denn ist es nicht unsere gemeinschaftliche Verantwortung, dass sich jede Person, egal welcher Genderzugehörigkeit, sicher fühlen kann. Wir leben leider immer noch in einer Gesellschaft, wo weibliche Betroffene nach einem sexuellen Übergriff nach ihrer Kleidung und ihrem Substanzkonsum gefragt werden. Es herrscht viel Unsicherheit im Umgang mit Konsens und Zustimmung im Kontext von Sexualität, was den Raum für Fehlinformationen öffnet.
Sensibilisierung gegenüber diesen Themen ist eine Alters- und genderübergreifende Aufgabe. Kinder, aus denen dann eben irgendwann Erwachsene werden, benötigen Orientierung und positive Rollenmodelle in Bezug auf einen respektvollen Umgang miteinander – vor allem auch im sexuellen Kontext. Hierzu braucht es eine offene, frühe Sexualerziehung.
emi Brigitte

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