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Machtmissbrauch beim Film und am Theater Erfolgreicher Maskenbildner packt aus

Ein Maskenbildner spricht im anonymen BRIGITTE-Interview über seine Erfahrungen mit Machtmissbrauch am Theater- und Filmset.
Ein Maskenbildner spricht im anonymen BRIGITTE-Interview über seine Erfahrungen mit Machtmissbrauch am Theater- und Filmset.
© didiksaputra / Adobe Stock
Reizdarmsyndrom, Existenzängste, Mobbing: Es sind Schlagworte, die ein erfolgreicher Maskenbildner im BRIGITTE-Interview im gefühlten Minutentakt fallen lässt. Er will anonym bleiben, zu groß ist die Angst vor den jobbedingten Konsequenzen.

In seinen mehr als 15 Jahren als staatlich anerkannter Maskenbildner hat er mit Schauspielgrößen und an einem der renommiertesten Theater des Landes gearbeitet. Neben "sehr schönen Erfahrungen" mit Personen wie Nora Tschirner, 42, musste der heute Selbstständige auch fristlose Kündigungen in Kauf nehmen. Der Grund? Er sei beliebt gewesen – im Gegensatz zu seiner Chefin. Im BRIGITTE-Interview schildert der Maskenbildner ausführlich seine Erfahrungen mit Machtmissbrauch.

Maskenbildner: "Ich habe manchmal unerlaubt 16 Stunden gearbeitet"

BRIGITTE: Welche generellen Machtstrukturen konnten Sie in Ihrem Arbeitsumfeld als Maskenbildner am Theater und beim Film beobachten?
Anonymer Maskenbildner: Was mir sehr stark während meiner Zeit am Theater aufgefallen ist: Je länger die Leute dort tätig waren, desto bissiger wurden sie.

Es herrscht eine strenge Hierarchie von machtausübenden Assistenten, Kostüm- und Maskenchefs sowie Intendanten.

Erschwerend kommt hinzu, dass man im Theaterbereich nicht einfach den Job innerhalb einer Stadt wechseln kann, weil es kaum Einrichtungen gibt. Meistens ist ein Jobwechsel verbunden mit einem Umzug in eine andere Stadt, was problematisch ist, weil man sich ein Leben aufgebaut hat, das man nicht so einfach verlassen kann oder möchte. Das alles erzeugt meiner Meinung nach Druck bei den Mitarbeitenden und ist ein Nährboden für Machtstrukturen und Abhängigkeitsverhältnisse.

Haben Sie solche Machtstrukturen auch am Filmset vorgefunden?
Im Theater sind die Hierarchien veraltet. Änderungen passieren nur sehr langsam. Beim Film können sich solche Machtstrukturen durch die oft wechselnden Teams nicht so gut etablieren. Da die faulen Äpfel beim nächsten Projekt nicht mehr gebucht werden. Allerdings gibt es dadurch auch ein starkes Preisdumping. Beim Film arbeiten größtenteils jüngere Leute. Für die ältere Generation wird es immer schwerer.

Oft bestehen solche Machtstrukturen, weil ein Berufsstand nicht durch einen Betriebsrat geschützt ist und sich in einem dauerhaft befristeten Arbeitsverhältnis befindet.
Diese Erfahrungen habe ich auch gemacht. Es gibt lediglich beim Fernsehen unbefristete Verträge für Maskenbilder.

Beim Film gab es lediglich Zeitverträge, meine haben oft bei zehn Arbeitsstunden pro Tag begonnen. Ich habe einen Film gedreht und war dann meistens arbeitslos.

Idealerweise hätte ich direkt nach jedem Engagement ein neues parat haben müssen, was bei meiner hohen Arbeitszeit jedoch ein unrealistisches Ziel war. Ich war am Ende des Arbeitstages zu fertig, um mich nach einem neuen Job umzuschauen. Ich habe häufig mehr als zehn Stunden gearbeitet, manchmal sogar 16 Stunden, wobei das gar nicht erlaubt ist.

Von Chefin als "asozialer Mensch" bezeichnet

Welche Erfahrungen mit Machtmissbrauch haben Sie während ihrer Karriere als ausgebildeter Maskenbildner gemacht?
Bereits während meiner Ausbildung als Maskenbildner an einem Theater in einer Großstadt im Süden Deutschlands hat meine Chefin mich schlecht behandelt, mir wenig zugemutet. Ich musste mit minderen Materialien arbeiten und meine Halbjahresbewertung ist extrem schlecht ausgefallen. Darin hat sie mich als asozialen Menschen dargestellt. Wenn ich heute darüber spreche, reagiert mein Körper immer noch total darauf.

Was haben Sie nach ihrer Ausbildung am Filmset und hinter der Theaterbühne erlebt?
Während meiner ersten Anstellung an einem Theater im Westen Deutschlands fühlte sich meine Chefin durch mich in ihrer Rolle bedroht, weil ich ein Grillen organisierte, um das Teamgefühl zu stärken. Danach fing sie an, mich schlecht zu behandeln. Während eines weiteren Engagements bei einem Festspiel habe ich ein ebenfalls hierarchisches System erlebt. Solisten, die höher gestellt waren und Einzelräume bekamen, durften lediglich von speziellen Maskenbildnern geschminkt werden. Oft waren das Alteingesessene und keine Neuen.

Mobbing am renommierten Theater im Osten Deutschland

Wurden Sie gemobbt?
Ja, beispielsweise während meiner Anstellung bei einem renommierten Theater im Osten Deutschlands. Gleich zu Beginn rieten mir Kollegen: "Wenn die Chefin da ist, versuche nicht so viel zu lachen, sondern still zu sein." Daran wollte ich mich nicht halten. Ich war bei den Schauspielern und der Abteilung beliebt – im Gegensatz zu meiner Chefin. Das wurde mir zum Verhängnis. Die Chefin hat mich immer mehr unter Druck gesetzt und mich schlussendlich gemobbt.

Der Höhepunkt: Als wir in Australien auf einem Gastspiel waren, spürte ich plötzlich keine Reibungen mehr.

Ich hatte zuvor eine neue Kollegin angelernt und wurde kurz danach ins Büro gerufen, um die fristlose Kündigung am letzten Tag meiner Probezeit zu erhalten.

Keiner konnte mir einen genauen Grund nennen. Ich war extra in eine große Stadt gezogen, habe eine Wohnung angemietet und stand plötzlich ohne Job da.

Berühmte Schauspielerin setzte ihn unter Druck: "Sie musste sich am Ende selbst schminken"

Seit einer Weile sprechen Sie Missstände in der Film- und Theaterbranche offen an. Welche Auswirkungen hatte das bisher?
Für eine kleine Produktion habe ich mal eine berühmte deutsche Schauspielerin geschminkt. Sie hat mich und andere unter Druck gesetzt, hat nur Befehle erteilt, wollte alle möglichen Sonderbehandlungen. Ich habe ihr Verhalten bei der Produktion angeprangert und meinte, dass Stars genauso behandelt werden müssen wie jede andere Person. Die Produktion hat mir Recht gegeben. Erst musste jemand anderes die Schauspielerin schminken, doch auch diese Person wurde so schlecht behandelt, dass sich die Schauspielerin am Ende selbst schminken musste. Das war eine selten-positive Erfahrung.

Eine sehr schöne Erfahrung war auch, mit Nora Tschirner zu drehen. Wir hatten viel Spaß miteinander. Sie hat alle Personen mit so viel Respekt behandelt, wie ich es noch nie erlebt habe.

Welche psychischen und körperlichen Folgen hatten diese Erfahrungen?
Die seelische Belastung während meiner Ausbildung hat Verdauungsbeschwerden ausgelöst. Während meiner Zeit bei einem renommierten Theater im Osten Deutschlands habe ich zudem ein Reizdarmsyndrom entwickelt. Dabei verkrampfte mein Bauch so sehr, dass mein Oberkörper sich nach vorne zog, ich meine Arme kaum nach oben halten konnte und mir beim Schminken fast schwarz vor Augen wurde.

Die Folge: Psychisches und physisches Leid

Wie wirkten sich die Abhängigkeitsverhältnisse in ihrem Job auf Sie aus?
Ich trug oft ein wochenlang angespanntes Gefühl mit mir herum. Denn die enorme Abhängigkeit beim Film und am Theater macht die Leute fertig.

Insbesondere im Filmbusiness fühlte sich jedes neue Engagement an wie ein erster Arbeitstag – und der ist meistens furchtbar.

Man kennt die Personen sowie Abläufe nicht und hofft, dass alles gut wird. Ich war bereits ein bis zwei Wochen vorher aufgeregt. Bei beispielsweise fünf Filmen pro Jahr ist das äußerst kräftezehrend. Ich bin auch oft in ein Loch gefallen, wenn ein Engagement zu Ende war und nicht direkt ein neues begann. Ich musste wochenlang mehr als zehn Stunden pro Tag arbeiten und fuhr dann runter auf null. Auch das belastete meine Seele.

"Verhaltenstherapie, um die Jahre beim Film und am Theater zu verarbeiten"

Was hat Ihnen geholfen, diese Erfahrungen zu verarbeiten und mit Ihren Problemen umzugehen?
2022 habe ich mir Hilfe bei einem Verhaltenstherapeuten geholt, um die Jahre beim Film und am Theater zu verarbeiten. Er war selber Dokumentarfilmer, seine Tochter ist Drehbuchautorin und da wusste ich, dass ich dort genau richtig bin. Während meiner Zeit bei einem renommierten Theater im Osten Deutschlands habe ich zudem eine Pantarei Therapie gemacht – das ist eine physische und psychische Behandlung bestehend aus einem therapeutischen Gespräch mit anschließender Druck-Akupunktur. Die behandelnde Person war eine Schauspielerin, die meine Probleme ebenfall nachvollziehen konnte. So konnte ich herausfinden, was ich will – nämlich mein eigenes Studio eröffnen.

Inwieweit hat Ihnen die Eröffnung Ihres eigenen Studios geholfen?
Dadurch war ich nicht mehr abhängig von der unsicheren Film- und Theaterbranche und habe den Weg hinaus aus dem Machtverhältnis gefunden – mit gesunden Arbeitszeiten, mehr Freizeit und einer ausgeglicheneren Work-Life-Balance. Ich arbeite im Studio mit selbstständigen Maskenbildner:innen zusammen denen ich dieses positive Weltbild weitergeben will und schaffe einen Ort, an den man gerne arbeitet.

Brigitte

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