Einen Hauch Humor bringt er schon mal mit, der neue Papst. "Am anderen Ende der Welt" hätten ihn die Kardinäle gefunden, scherzte Franziskus bei seinem ersten Auftritt im neuen Amt. Tatsächlich stecken in der Wahl des Argentiniers viele Premieren. Zum ersten Mal in der Kirchengeschichte wurde ein Nicht-Europäer Papst, er ist der erste Jesuit im Amt, und niemand vor ihm wählte den Namen "Franziskus".
Der Bezug auf sein Vorbild "Franz von Assisi" sagt eine Menge über den neuen Papst aus. Er gilt als bescheiden und demütig. In seiner Heimat Buenos Aires fuhr er mit öffentlichen Verkehrsmitteln, kochte selbst und lebte in einer einfachen Wohnung statt in der erzbischöflichen Residenz. Seine große Passion ist es, die Rechte der Armen zu verbessern.
Aber macht das aus ihm auch einen Kirchenreformer? Setzt er Impulse, damit nach dem Missbrauchsskandal neues Vertrauen in die Kirche zurückgewonnen werden kann? Wertet er die Rolle der Frau auf? Und wie steht er zum Zölibat?
Wir haben unsere Wünsche an den neuen Papst formuliert - unser Check zeigt, wie Franziskus bislang zu den Punkten stand.
In der Basis sind Frauen in der katholischen Kirche willkommen. Sie sind es oft, die Gottesdienste vorbereiten, mitgestalten und den Glauben an ihre Kinder weitergeben. Aber tatsächliche Verantwortung übernehmen? Das ist ausgeschlossen. Frauen können nicht Priester werden und sind damit von wichtigen Ämtern ausgeschlossen. Frauen zu fördern, wäre daher ein dringender Wunsch an den neuen Papst. Chancen: Gering. Bislang hat sich Franziskus nicht als Streiter für die Frauen in der Kirche einen Namen gemacht. Allerdings gibt es eine kleine Hoffnung: Angeblich plant der Vatikan, ein eigenes Diakonat für Frauen zu schaffen. Das wären zwar keine Weiheämter, aber doch ein kleiner Schritt in die richtige Richtung.
"Man kann das Aids-Problem nicht durch die Verteilung von Kondomen regeln. Ihre Benutzung verschlimmert vielmehr das Problem." Diese Sätze sagte Benedikt XVI. bei einer Afrika-Rundreise - und man kann bei allem Respekt nur den Kopf darüber schütteln. Das gleiche gilt für die Maßgabe in katholischen Kliniken, Vergewaltigungsopfern keine "Pille danach" zu geben. Mit solchen Dogmen verstärkt die katholische Kirche das Leid der Leute, statt ihnen zu helfen - christlich ist etwas anderes. Menschen haben nun mal nicht nur Sex, um Kinder zu zeugen, und man wird sie auch durch Predigten nicht davon abhalten. Das sollte die katholische Kirche endlich offiziell anerkennen und ihre Haltung entsprechend korrigieren.
Chancen: Schlecht. Zwar ist Franziskus klar dafür, jedes Schäfchen in der Kirche aufzunehmen, also auch uneheliche Kinder. Er setzte sich auch schon für HIV-Kranke ein. Aber trotzdem: Was Empfängnisverhütung angeht, ist er konservativ. Kondome oder Abtreibung, auch nach einer Vergewaltigung, lehnt er strikt ab.
Den Katholiken den Sinn des Zölibats - also die Ehelosigkeit der katholischen Priester - zu erklären, fällt heute selbst der Kirche schwer. Das erkannte Papst Benedikt XVI. schon Anfang der 70er-Jahre, damals noch als Joseph Ratzinger, und forderte die Überprüfung des Zölibats. Als Papst verteidigte er vier Jahrzehnte später aber wieder die Ehelosigkeit. Das "ungeteilte Herz" sei ein wichtiges Zeichen. Katholiken denken da heute anders: Laut einer stern-Umfrage sind 93 Prozent der Katholiken in Deutschland gegen den Zölibat. Wir hoffen, dass der neue Papst diese Diskussion wieder in Gang bringt. Chancen: Schlecht. Wie schon erwähnt: Franziskus ist konservativ und absolut regelkonform. Kaum zu erwarten, dass er ausgerechnet bei diesem Thema eine Revolution in Gang setzt.
Offenheit gegenüber gleichgeschlechtlicher Liebe? Das war mit Papst Benedikt XVI. nicht zu machen. Zwar sagte der Vatikan, dass Homosexualität keine Sünde sei - der homosexuelle Geschlechtsakt hingegen schon. Solche Aussagen sind verwirrend und helfen nicht, Vorurteile gegen Schwule und Lesben abzubauen. Der neue Papst könnte den Mut zeigen und Homosexualität endlich als normale Form der Liebe anerkennen. Chancen: Ganz schlecht. Hier wird sich wohl auch mit dem neuen Papst nicht viel ändern. Zumindest klingen seine bisherigen Stellungnahmen zum Thema nicht nach Reformwillen: Als Argentinien vor einigen Jahren die Homo-Ehe einführte, bezeichnete er dies als "Kriegserklärung an Gott" und als "Schachzug des Teufels".
Der Missbrauchsskandal stürzte die katholische Kirche in Deutschland Anfang 2010 in eine schwere Krise. Papst Benedikt XVI. entschuldigte sich zwar bei den Opfern. Für viele hat er aber die Aufklärung zu wenig voran getrieben. Anfang 2013 stand sogar ein wissenschaftliches Projekt der Deutschen Bischofskonferenz vor dem Aus, weil sich die Kirche ein Mitspracherecht gewünscht haben soll. Das bringt kein Vertrauen zurück, ein neuer Papst könnte ein klares Machtwort sprechen. Chancen: Besser als vorher. Papst Franziskus ist vermutlich klar, dass für die Aufarbeitung des Missbrauchskandals noch viel zu tun ist. Ein gutes Zeichen: Im Fall eines des Missbrauchs verdächtigten argentinischen Priesters sprach Bergoglio 2012 von "Scham und Trauer über diese schwerwiegenden Verbrechen". Zumindest scheint ihm nicht daran zu liegen, neue Fälle zu verharmlosen oder zu verheimlichen. Auch der Umgang mit den Opfern wird bei ihm wohl etwas weniger distanziert als bei seinem Vorgänger ausfallen.
An einigen katholischen Privatschulen in Deutschland dürfen geschiedene Lehrer nicht erneut heiraten. Doch Patchworkfamilien gehören inzwischen zum Alltag. Neue Lebens- und Familienformen zu akzeptieren, ist daher ebenfalls ein wichtiger Wunsch an den neuen Papst. Chancen: Eher schlecht. Zwar verschließt er nicht die Augen vor der Realität: So verurteilte er argentinische Priester, die sich weigerten, uneheliche Kinder zu taufen, als "Heuchler" und stellte sich auf die Seite der Mutter, "dieses arme Mädchen, das den Mut hatte, das Kind auszutragen, weil sie es ja nun schließlich nicht wie einen Brief dem Absender zurückschicken konnte". Er ist also schnell bereit, Menschen ihre Fehler zu verzeihen. Doch deswegen die Regeln ändern? Nein, das ist nicht von Franziskus zu erwarten.
Wer einen Gott anbetet, sollte sich eigentlich nicht anfeinden. Doch unter Benedikt XVI. hat die Ökumene nur wenig Fortschritte gemacht. Tatsächliche Zugeständnise gab es keine: "Der christliche Glaube ist keine Verhandlungssache." Besonders konfessionsverbindende Ehen und Familien wünschen sich eine Annäherung - zum Beispiel beim gemeinsamen Abendmahl - und keine demonstrative Trennung. Eine gute Aufgabe für den neuen Papst, finden wir. Chancen: Offen. Zu diesem Punkt hat sich der neue Papst bislang weder besonders kritisch noch fortschrittlich geäußert. Dass er den Namen des heiligen Franziskus wählte, könnte laut Theologen darauf hindeuten, dass er unabhängiger von den kirchlichen Machtstrukturen agieren könnte. Franziskus hat immerhin auch einen Gedenktag in der evangelischen Kirche - die in der Verehrung von Heiligen deutlich zurückhaltender ist.
Schlingerkurs: Als Papst Benedikt XVI. 2009 die Exkommunikation von vier Bischöfen der Piusbrüderschaft aufhob, erntete er viel Kritik. Brisant dabei: Einer der Bischöfe war kurz zuvor mit KZ-Leugnungen negativ aufgefallen. Was bezweckte der Papst damit? War ihm die Signalwirkung nicht bewusst? Ein neuer Papst sollte klarer Stellung beziehen, um so Vertrauen in die Kirche zurückgewinnen zu können.
Chancen: Klare Stellungnahmen zu schwierigen Themen - das wird auch Bergoglio von Kritikern als Schwachpunkt vorgeworfen. Offiziell unterstützte die katholische Kirche nämlich die argentinische Diktatur, die in den siebziger Jahren das Land mit Mord und Folter unter Kontrolle hatte. Allerdings hat er sich 2012 im Namen der Kirche dafür entschuldigt, nicht offen gegen das Regime protestiert zu haben. Persönlich war er in diesem Zeitraum sogar sehr aktiv, versteckte Verfolgte in Kirchen und gab angeblich einem Mann mit ähnlichen Gesichtszügen seinen Pass, damit er das Land verlassen konnte. Zumindest hat er Erfahrungen damit gesammelt, wie man das Vertrauen von Menschen zurückgewinnt, die sich von der Kirche verraten fühlen.
Noch kommen sie, die Massen aus aller Welt, wo auch immer ein Papst öffentlich auftritt. Aber das sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Kirchenfunktionäre in ihrem römischen Elfenbeinturm sehr weit entfernt sind vom Alltag ihrer Anhänger. Einige Theologen, etwas der Brasilianer Leonardo Boff, fordern, dass sich die Kirche mehr hinter die Ärmsten unter den Gläubigen stellt. "Sie hat zu lange zu real existierenden Phänomenen wie Ausbeutung, Entrechtung und Unterdrückung geschwiegen - und sich zum Komplizen der Herrschenden gemacht", so Boff. Bislang machte die Kirche solche Kritiker meist mundtot. Wird das nun anders unter Franziskus I.?
Chancen: Sehr gut. Franziskus ist ein Mann des Volkes, das hat er schon bei seinem ersten Auftritt bewiesen. Er wirkt nahbar, bescheiden, und er hat sich in der Vergangenheit oft für die Armen in seiner Heimat und eine bessere Verteilung von Reichtümern stark gemacht. Kürzlich sagte er: "Wenn wir rausgehen auf die Straße, dann können Unfälle passieren. Aber wenn sich die Kirche nicht öffnet, nicht rausgeht, und sich nur um sich selbst schert, wird sie alt. Wenn ich die Wahl habe zwischen einer Kirche, die sich beim Rausgehen auf die Straße Verletzungen zuzieht, und einer Kirche, die erkrankt, weil sie sich nur mit sich selbst beschäftigt, dann habe ich keine Zweifel: Ich würde die erste Option wählen."
Papst sein - das ist ein Knochenjob und eine große Bürde. Das haben die Bilder vom gebrechlichen Benedikt XVI. oder von seinem noch gebrechlicheren Vorgänger Johannes Paul II. noch einmal deutlich gemacht. Auch viele Staatschefs kriegen in ihrer Amtszeit graue Haare und tragen die Spuren der Verantwortung im Gesicht. Doch im Gegensatz zum Papst werden sie, zumindest in Demokratien, nach einigen Jahren abgelöst. Sie machen Platz für frische Gesichter, frische Ideen, mehr Vielfalt. Das ist nicht nur gesünder für die Amtsträger, es ist auch gesünder für die Gesellschaft. Die katholische Kirche sollte überprüfen, ob ein Amt auf Lebenszeit wirklich noch zeitgemäß ist für eine so große Organisation. Chancen: Dazu hat sich Bergoglio nie geäußert - und hätte sich damit in der Kirche wohl auch kaum Freunde gemacht. Zumindest offiziell nimmt er seinem Vorgänger den Rücktritt nicht übel: In seiner ersten Ansprache betete er ein Vaterunser für Benedikt XVI. und dankte ihm für seine Leistungen. Einen dringenden Grund, das Amt auf Lebenszeit abzuschaffen, hat er nicht – bleibt abzuwarten, ob er den Papst-Rücktritt salonfähiger machen wird.