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Zunehmen erwünscht! Was es bedeutet, "zu dünn" zu sein

Ziel Zunehmen bei Untergewicht
© Shutterstock / Agnes Kantaruk
Über die Hälfte der Deutschen will abnehmen. Doch es gibt auch Frauen, die zunehmen möchten - und es nicht schaffen. Wir haben nachgefragt, wie sie sich fühlen in einer Welt, die ständig von Diäten spricht.

Dünne sind wie Freiwild - jeder darf das kommentieren

"Mädchen, bist du wieder dünn!", bekommt Anja Luhr* (30) jedes Mal zu hören, wenn sie Verwandte oder alte Bekannte trifft, "isst du denn auch genug?" Oder: "Deine Sorgen hätte ich auch gern!"

Es ärgert sie, dass ihre Figur so häufig kommentiert wird. "Ich finde es unmöglich, wie dünne Leute diskriminiert werden. Ständig steht man unter einem Rechtfertigungsdruck." Dicke würden selten direkt auf ihr Gewicht angesprochen, meint sie, "weil man deren Gefühle nicht verletzen will." Dünne seien dagegen "wie Freiwild" - so empfindet es auch Birgit, die sich im Forum von www.diaeten-sind-doof.de äußert: "Da meint jeder, er darf alles sagen was ihm so einfällt, ohne Rücksicht."

Zwei Drittel der Untergewichtigen sind Frauen

Zarte Glieder, flacher Bauch, Kleidergröße 34 bis 36: Wer sehr dünn ist, entspricht zwar einerseits dem herrschenden Schönheitsideal. "Petite" nennt man das in der Modebranche euphemistisch, das bedeutet "klein", nicht "mager" oder "schwach". Im echten Leben schon. Dort gelten Untergewichtige schnell als "dürres Hemd" oder schlimmer noch: als krank und magersüchtig.

Medizinisch gesehen verläuft die Grenze bei einem Body Mass Index (BMI) von 18,5. Wer einen BMI von 18,5 hat, gilt noch als schlank, wer darunter liegt, als untergewichtig. In Deutschland betrifft das knapp zwei Millionen Menschen. Zwei Drittel der Untergewichtigen sind Frauen - auch junge, gesunde Frauen, die einfach nicht zunehmen können.

Ziel Zunehmen: Die Probleme der Untergewichtigen gehen unter

In einem Land, in dem über die Hälfte der Erwachsenen mit überflüssigen Pfunden kämpft, gehen die Probleme der Dünnen unter. Kein Zweifel, Dicke werden diskriminiert, sie gelten als unansehnlich und undiszipliniert. Doch wenn jemand nicht nur schlank, sondern sehr schlank ist, passt das vielen auch nicht.

"Was mich am meisten nervt, ist, dass man auf sein Gewicht reduziert wird. Als ob man als Person gar nicht zählt", klagt Heike Schuster. Die 41-jährige Grafik-Designerin wiegt 45 Kilo und hat einen BMI von 17, obwohl sie "genauso viel isst" wie ihr Mann. Als sie während ihrer Schwangerschaft zunahm, gab man ihr immer wieder zu erkennen, wie gut ihr das stehen würde. Nach der Geburt waren die Kilos aber schnell wieder runter - und alle zweifelten daran, ob sie ihren Sohn satt bekommt, ob sie überhaupt stillen könne. "Dabei hatte ich so viel Milch, ich wusste gar nicht, wohin damit!"

Alle glauben: "Die ist doch magersüchtig!"

Frauen mit Untergewicht wird häufig auch unterstellt, dass sie eine Essstörung hätten. Claudia Muir (44) wurde schon als junge Frau auf ihre vermeintliche Magersucht angesprochen. Mit Mitte 20 wog sie 53 Kilo bei einer Größe von 1,76. Ihr Schlüsselerlebnis war, als eine Kollegin ihr beim gemeinsamen Kochen sagte: "Wir dachten immer, du bist magersüchtig, aber du kannst ja so gut mit Essen umgehen ...!" - "Ich dachte, die haben echt ein Rad ab!", erinnert sich Claudia. Seither reagiert sie auf Kommentare zu ihrer Figur ganz besonders empfindlich.

Manche Frauen trauen sich nicht ins Schwimmbad, wegen der Blicke. Andere trauen sich nicht mal zur Toilette: Nach einem Geschäftsessen vermeidet Anja Luhr es, aufs Klo zu gehen - damit niemand denkt, sie leide unter Bulimie.

Untergewichtige Frauen, auch die, die gesund sind und ganz normal essen, stehen unter Generalverdacht. Das Paradoxe: Frauen, die tatsächlich unter einer Essstörung leiden, werden nur selten darauf angesprochen - obwohl viele sich genau das wünschen.

Untergewicht und die körperlichen Folgen

Die meisten Untergewichtigen, die nicht magersüchtig sind, wünschen sich, ein paar Kilo zuzulegen - und fühlen sich ohnmächtig, weil es nicht klappt. "Ich kann essen was ich will, ich werde einfach nicht dicker", beteuert Jana Richter*. Die 34-jährige Mutter wiegt 46 Kilo und hat einen BMI von 16. "Ich wollte immer die 50-Kilo-Grenze knacken, habe es aber nie geschafft." Sie glaubt, dass sie robuster wäre, wenn sie mehr Reserven hätte. In Stresszeiten - so wie damals während ihres Diploms - nimmt sie sofort ab. Sie sagt: "Wenn man nichts auf den Rippen hat, kommt man viel schneller an seine Grenzen." Ein dünner Körper ist anfälliger für Krankheiten, bestätigt Ernährungswissenschaftler Friedrich Bohlmann, der das Buch "Endlich zunehmen" geschrieben hat.

Heike Schuster muss mindestens alle zwei Stunden etwas essen, sonst geht es ihr schlecht. Wirklich schwierig wird es, wenn sie mal krank ist. Dann sind die Kilos schnell runter. Auch Anja Luhr nimmt sofort ab, wenn sie krank oder gestresst ist: "Dann wird es kritisch, ich fühle mich schlapp und komme schnell aus der Puste." Als ihre Weisheitszähne gezogen wurden, hat sie zwei Tage vorher besonders viel gegessen, weil sie wusste, dass sie nach der OP sofort Gewicht verlieren würde.

Ungewolltes Untergewicht: Was ist da eigentlich los?

Bei etwa einem Drittel der Frauen, die wegen ihres Untergewichts in die Sprechstunde des Kölner Ernährungswissenschaftlers Christof Meinhold kommen, sind die Gene schuld. Wer beim Blick ins Familienalbum lauter hagere oder zierliche Verwandte entdeckt, kann davon ausgehen, dass er diese Anlage von den Vorfahren geerbt hat. Sie macht den Körper zu einer Art Rennwagen, der zugeführte Energie hochtourig verbrennt. Umso häufiger müssen neue Kalorien getankt werden.

Ein weiteres Drittel hat es in Sachen Diät und gesunde Ernährung schlicht übertrieben, nimmt durch den Verzicht auf Zucker und den Griff nach fettreduzierten Produkten zu wenig Kalorien zu sich. Wieder andere Frauen sind in Job und Familie derart eingespannt, dass sie das Essen oft einfach vergessen. In solchen Fällen muss gleich die ganze Lebensweise überdacht werden, um das Wunschgewicht zu erreichen. Gar nicht so einfach.

"Zunehmen kann genauso schwer sein wie Abnehmen", weiß Meinhold. "Wer es schafft, in einem Monat zwei Kilo zuzulegen, kann zufrieden sein." Und auch das erreichen Frauen nur, wenn sie konsequent etwa 500 Kalorien mehr als normalerweise pro Tag empfohlen zu sich nehmen.

In allen Fällen gilt: Wer normal isst und trotzdem untergewichtig ist, sollte unbedingt von einem Arzt abklären lassen, ob er an einer Krankheit leidet, an Morbus Crohn etwa, an Parasiten oder einer Schilddrüsenüberfunktion. Kann das alles ausgeschlossen werden, spricht man von "idiopathischer Magersucht" - einer Magersucht ohne erkennbare Ursachen.

Ernährungsplan: Tipps zum Zunehmen

  • Iss regelmäßig, am besten alle zwei bis drei Stunden. Fünf bis sechs Mahlzeiten pro Tag sind zum Zunehmen ideal
  • Meide Light-Produkte
  • Iss zwischen den Hauptmahlzeiten kalorienreiche Snacks wie Nüsse, Trockenfrüchte, Studentenfutter, Frucht- und Nussschnitten, Schokolade, Bananen, Litschi, Trauben oder Avocados
  • Auch Joghurt- und Quarkspeisen eignen sich als Snacks und können mit hochwertigen, geschmacksneutralen Ölen angereichert werden
  • Iss einmal pro Woche fetthaltigen Fisch wie Lachs, Tunfisch, Makrele, Hering, Aal oder Ölsardinen
  • Iss täglich Vollkornbrot, Roggen- oder Weizenmischbrot
  • Trinke Shakes oder Kakao mit Sahne; ersetze Mineralwasser durch Milch, Obst- und Gemüsesäfte
  • Binde Suppen und Saucen mit Sahne
  • Wähle energiereiche Brotaufstriche wie Nussmus, Pesto oder Nussnougatcreme
  • Reichere Salate mit Ölen, Nüssen oder Käse an
  • Spaziergänge regen den Appetit an - sogar auf ein Stück Sahnetorte
  • Frische Kräuter wie Anis, Basilikum, Chili, Curry, Ingwer oder Kreuzkümmel können ebenfalls den Appetit anregen
  • Häufig Mahlzeiten in Gesellschaft mit Familie, Freunden oder Bekannten einnehmen und aus dem Essen ein angenehmes Erlebnis machen
  • Abwechslung auf den Tisch bringen!
  • Lass dir Zeit beim Essen! Jede Hauptmahlzeit sollte mindestens 20 Minuten dauern. Nebentätigkeiten wie Lesen oder Fernsehen können den Appetit mindern
  • Krafttraining fördert den Muskelaufbau – und steigert Gewicht, Widerstandskraft und Fitness. Vielleicht bei einem Kurs oder mit einem Personal Trainer?

Adressen

Wenn trotz einer Ernährungsumstellung das Gewicht nicht wie gewünscht ansteigt, ist eine Ernährungsberatung zu empfehlen. Adressen von qualifizierten Ernährungsberatern findet ihr hier:

Mit Büchern zum Wunschgewicht

  • Sven-David Müller, Klaudia Pütz: Gesund zunehmen! (Knaur, 112 Seiten, 9,95 Euro)
  • Friedrich Bohlmann: Endlich zunehmen. Der Ratgeber für Dünne (Kneipp, Leoben, 126 Seiten, 15,80 Euro)
  • Susanne Nowitzki-Grimm, Peter Grimm: Mensch, bist du dünn! (Schneider Verlag Hohengehren, 49 Seiten, 13 Euro)
  • Sven-David Müller: "Ernährungsratgeber Untergewicht" (14,95 Euro, Schlütersche)

*Namen von der Redaktion geändert

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