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Demente Mutter will nicht ins Heim "Wie würde ich mich fühlen, wenn es um mich ginge?"

Demente Mutter: Frau im Rollstuhl
© michaeljung / Shutterstock
Ihre Mutter ist dement, aber ins Heim will sie nicht. Bettina* (49) über eine schwere Entscheidung.

Meine demente Mutter: mal freundlich, mal aggressiv und unberechenbar

Ich weiß nicht, wie oft ich in den letzten drei Jahren alles stehen und liegen gelassen habe, um meine Mutter zu beruhigen oder irgendwo einzusammeln, wenn sie weggelaufen war. Sie ist 84 Jahre alt und dement. Ihr Zustand schwankt zwischen freundlicher alter Dame und aggressiv, starrsinnig und unberechenbar.

Ich schaue jeden Tag nach ihr, morgens und abends kommt ein ambulanter Pflegedienst, aber das meiste bleibt an meinem Vater hängen. Er ist mit 82 geistig und körperlich noch relativ fit, aber sich weiterhin um Frau und Haushalt zu kümmern, geht über seine Kräfte. Vor allem die Nächte sind schlimm. Manchmal weint und jammert meine Mutter stundenlang.

Wenn ein Pflegeheim das einzig Vernünftige ist

Vor einem halben Jahr haben wir uns auf die Suche nach einer geeigneten Senioreneinrichtung in unserer Nähe gemacht und auch etwas gefunden. Die Anlage ist wirklich schön und gut geführt. Vor allem aber können meine Eltern dort wie bisher zusammenwohnen, in einem hübschen Apartment.

Zunächst war meine Mutter auch richtig angetan. Aber als wir mit dem ganzen Papierkram fast durch waren, meinte sie plötzlich, ein Umzug käme nicht infrage. Sie beschimpfte meinen Vater und mich mit wüsten Ausdrücken. Meinem Mann unterstellte sie, dass er den Umzug nur eingefädelt habe, um sich ihr Haus unter den Nagel zu reißen. Das ist Unsinn. Wir müssen das Haus verkaufen, um die Pflege zu finanzieren. Die Rente meines Vaters reicht dafür nicht annähernd.

Der Wutausbruch meiner Mutter hat mir sehr zugesetzt. Danach entschieden wir, erst mal alles auf Eis zu legen. Ein Fehler. Der Zustand meiner Mutter wird ja nicht besser, auch wenn sich mein Vater an jeden guten Augenblick klammert und meint, "ich schaff das schon." 

Ich möchte das so gern glauben. Wer will schon einen geliebten Menschen gegen seinen Willen in eine Pflegeeinrichtung zwingen? Ich frage mich manchmal, wie ich mich fühlen würde, wenn es um mich ginge. Die Vorstellung ist der reinste Albtraum für mich. Die Kinder beruhigen mich dann immer und sagen, "die Oma ist dement, sie denkt nicht wie du. Sie erkennt uns ja nicht mal mehr." Neulich waren die drei bei ihr, und sie hat Anna mit Blick auf ihren ältesten Bruder gefragt, "wer ist denn dieser fesche, junge Mann? Der würde mir auch gefallen." Wenigstens manchmal gibt es noch was zu lachen. Sonst wäre es wirklich zum Verzweifeln.

Freiwillig geht niemand in eine Pflegeeinrichtung

Meine Mutter sagt weiterhin Nein zum Umzug, mein Vater Jein. Dabei müssen wir eine einvernehmliche Entscheidung treffen. Sowohl die Patientenverfügung als auch die Vorsorgevollmacht liegen bei meinem Vater und bei mir.

Damals dachten wir, es sei eine gute Idee, die Verantwortung auf mehreren Schultern zu verteilen. Jetzt macht es die ganze Sache noch komplizierter. "Freiwillig geht niemand in eine Pflegeeinrichtung", meinte kürzlich eine Freundin, die in einem Demenz-Kompetenzcenter arbeitet. "Am besten erzählst du deiner Mutter, dass sie mit deinem Vater ein paar Ferientage in einem schönen Hotel verbringt. Das machen die meisten Angehörigen so. Wenn sie erst mal da ist, wird es ihr bestimmt gefallen.

Ich muss auch für meine eigene Familie da sein

Mir kommt das nicht richtig vor, aber vermutlich habe ich keine andere Wahl. Meine Familie gibt es schließlich auch noch. Unsere beiden Söhne sind zum Studium schon aus dem Haus, aber unsere Jüngste ist erst 15. Sie braucht mich noch sehr. Außerdem habe ich vor fünf Jahren mein Abitur nachgeholt, Sozialpädagogik studiert und möchte beruflich noch mal durchstarten.

Manchmal komme ich mir egoistisch vor, dann wieder denke ich, ich habe auch ein Recht auf mein Leben. Zum Glück bestärkt mich mein Mann darin. Er überblickt die ganze Problematik ziemlich gut, weil er seit über 20 Jahren Behinderte, chronisch Kranke und deren Angehörige als Anwalt vertritt. Mit seiner besonnenen Art konnte er meinen Vater davon überzeugen, dass es besser ist, meiner Mutter nichts mehr von wegen Hausverkauf und Umzug zu sagen. Es wühlt sie nur auf.

Nächsten Monat bringe ich sie in die Senioreneinrichtung und bleibe erst mal bei ihr. Mein Vater kommt nach, sobald sich alles beruhigt hat. In der Zwischenzeit wird das Haus geräumt. Der Kaufvertrag liegt bereits beim Notar. Ich hoffe sehr, dass sich meine Mutter in der neuen Umgebung bald wohlfühlt. Zur Not erzähle ich ihr auch die Geschichte von den Ferien im Hotel.

*Der Name wurde von der Redaktion geändert

VIDEOTIPP: Warum eine Patientenverfügung so wichtig ist

Brigitte 05/2019

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