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Brennerei produziert Desinfektionsmittel statt Gin und Obstler

Brennerei produziert Desinfektionsmittel statt Gin und Obstler
© Bogdan Sonjachnyj / Shutterstock
Die Deutsche Spirituosen Manufaktur fertigt normalerweise hochwertige Brände. Wegen der Corona-Krise schwenkte das Berliner Unternehmen nun auf Desinfektionsmittel um - und verschenkt es an Berliner Altenheime.

Ungewöhnliche Zeiten erfordern ungewöhnliche Maßnahmen - das sieht man derzeit in weiten Teilen der deutschen Wirtschaft. Der T-Shirt-Hersteller Trigema stellt Mundschutzmasken im großen Stil her, Autobauer sollen mit 3-D-Druckern bei der Produktion von Beatmungsgeräten helfen.

Und auch im Berliner Bezirk Marzahn-Hellersdorf wird man kreativ: Hier, in einem alten Fabrikgebäude auf dem früheren Knorr-Bremse-Areal, befindet sich die Deutsche Spirituosen Manufaktur. Normalerweise entstehen dort in aufwendiger Handarbeit feine Geiste und Brände, zu deren Abnehmern Sterneköche, Luxushotels und sogar Schloss Bellevue zählen.

Doch angesichts der Corona-Krise musste das Unternehmen improvisieren: Weil die Aufträge ausbleiben - schließlich haben landesweit die Bars und Restaurants geschlossen - werden die bestehenden Alkoholbestände genutzt, um Desinfektionsmittel herzustellen.

Das ist am freien Markt Mangelware und wird in vielen medizinischen Einrichtungen händeringend gesucht. Weil der Bedarf jedoch riesig ist, beschloss das Team, Tausende Flaschen an 120 Berliner Altenheime zu verschenken. Denn vor allem für Pflegeheimbewohner ist das Coronavirus eine ernstzunehmende Gefahr.

Desinfektionsmittel statt Obstbrand

Die Produktion von Gin, Korn und Obstler auf Händedesinfektionsmittel umzustellen war nicht so trivial, wie es zunächst klingt. "Ganz so einfach ist uns der Schritt nicht gefallen. Ohne meinen fachlichen Hintergrund hätten wir wohl die Finger davongelassen", sagt Konrad Horn, promovierter Apotheker und zugleich Mit-Eigentümer des Unternehmens.

Verkauft wird das DSM-Händedesinfektionsmittel für 10,95 Euro je 100 Milliliter. Das ist nicht günstig, aber ein gerechtfertigter Preis für handgemachtes Desinfektionsmittel, wie die Berliner Apothekerin Anke Rüdinger im stern-Podcast "Wir und Corona" erklärt. Denn allein Mehrwertsteuer und Ethanol inklusive Alkoholsteuer schlagen mit rund 4,80 Euro zu Buche, hinzu kommen noch Kosten für weitere Inhaltsstoffe, Abfüllung, Etikettierung und Flasche.

"Derzeit kursieren im Internet viele gut gemeinte Ideen, um etwa aus Gin oder privaten Restbeständen von Spirituosen Desinfektionsmittel herzustellen." Von solchen Maßnahmen rät Horn jedoch ab, denn für Desinfektionsmittel nach WHO-Standard wird reines, 96-prozentiges Ethanol benötigt. Diesen Reinheitsgrad kann man mit Spirituosenresten in kleinen Destillen nicht erreichen.

Überleben und Leben retten

Mit der Umstellung der Produktion soll aber natürlich auch das Überleben der gerade einmal zwei Jahren alten Manufaktur gesichert werden. "Wir wissen gerade selbst nicht, wie es weitergeht oder ob unsere Manufaktur diese Krise übersteht. Der weitaus größte Teil unserer Kunden ist von heute auf morgen weggebrochen. Zudem können Kunden ausstehende Rechnungen nicht mehr bezahlen, unsere monatliche Belastung bleibt aber unverändert. Dennoch kämpfen wir und versuchen unsere vier Mitarbeiter um jeden Preis, wenn auch in Kurzarbeit, zu halten", erklärt Tim Müller, Geschäftsführer und Gründer der Manufaktur.

Trotz der Not wollen er und sein Team sich solidarisch zeigen. "Gemeinsam können wir es schaffen und werden zusätzlich auch unseren Beitrag zum Gemeinwohl leisten", so Müller. Am Montag postete das Unternehmen ein Bild in den sozialen Netzwerken: Es zeigt die fünf Mitarbeiter vor Dutzenden braunen, handabgefüllten Fläschchen, im Hintergrund thront ein riesiger Ethanol-Kanister. Untertitelt ist das Bild mit dem Wort "Umdenken". Das ist nötig, um die Krise zu meistern - bei Herstellern, Politikern und Kunden.

Dieser Artikel ist ursprünglich auf stern.de erschienen.

Christoph Fröhlich

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