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Aktivistin Pia Klemp Im Gespräch mit Guido

Aktivistin Pia Klemp: Im Gespräch mit Guido
© Enver Hirsch
Pia Klemp, 39, schmiss ihr Biologiestudium und machte sich auf, die Welt zu verbessern. Sie hat sich in der Antarktis japanischen Walfangflotten entgegengestellt und Geflüchtete aus dem Mittelmeer gerettet. Mit Guido sprach die Aktivistin über Mut, ihren eigenen Kopf und die bahnbrechende Kraft von Wut.

Pia, ich freue mich, dass du da bist! Es ist stark, wenn man sich so einsetzt und Gas gibt wie du. Du bist in Bonn groß geworden, nicht gerade die Wiege der Revolution …
Pia Klemp: Das stimmt, Bonn ist eher ein piefiges Beamtendorf. Die letzte große Demo war 1991 gegen den Golfkrieg. Seitdem regen sich die Bonner auf, dass die Ämter nach Berlin ziehen, und wollen ihre Schäfchen im Trockenen wissen.

Wie bist du aufgewachsen?
Mittelschicht, tolle Familie, halb auf dem Dorf, Hund – schön behütet.

Frei und tieraffin also. Hast du dir damals schon vorgestellt, dass dich das dein Leben lang begleiten würde?
Ich war nie jemand für Langzeitpläne. Und zum Leidwesen meiner Eltern hat sich schon früh gezeigt, dass ich mir ungern von anderen etwas vorschreiben lasse. Ich habe immer alles hinterfragt: Wieso ist das eine Regel? Ergibt die Sinn? Ich glaube nicht!

Leicht renitent. (lacht)
Das wurde mir schon in die Wiege gelegt. Als Teenager bin ich dann mit der linken Szene und Antifa in Kontakt gekommen und habe angefangen wie ganz viele: mit Antinazi-Demos.

Und deine Eltern? Wie fanden die das?
Sie haben das nicht offen gepusht, aber schlimm fanden sie es auch nicht. Sie haben sich eher Sorgen gemacht wie: Was, wenn das jetzt eskaliert und ein Nazi zuhaut. Oder ein Polizist.

Und? Ist das passiert?
Ja, beides. Letzteres mehrfach.

Puh. Du hast dann Biologie studiert, aber dein Studium abgebrochen. Wieso?
Das war eine Kombination aus Reiselust und dem Problem, dass ich an der Uni Bonn trotz gezahlter Studiengebühren nicht die Seminarplätze bekam, die ich brauchte. Also bin ich nach Indonesien und habe dort als Tauchlehrerin gearbeitet.

Oha, aber Tauchen hat ja was Elitäres.
Ja, das ist schweineteuer!

Ich habe das auch mal versucht, mit einem australischen Tauchlehrer. Ich bin nach einer kurzen Einweisung mit ihm runter, sah die ganzen Blasen und dachte: Guido, bist du irre? Frank war auch dabei. Der war ganz kontemplativ und hat weniger Luft gebraucht als der Tauchlehrer. Unter Wasser kann man erleben, was Schöpfung ist. War das für dich der Grund, dich für den Schutz der Meere einzusetzen?
Zum Teil. Ich habe bei verschiedenen Naturschutzprojekten mitgemacht: Müll ist in Indonesien ja ein Riesenproblem. Ich war bei Reef-Clean-ups dabei, habe kranke Schildkröten aufgepäppelt, solche Sachen. Aber ich wollte etwas in größerem Stil bewegen. In Indonesien sieht man, wie globale Probleme zusammenhängen. Dass der lokale Fischer, der jeden Tag auszieht, um die Familie zu ernähren, kaum noch etwas rausholen kann, weil die internationalen Fangflotten die Meere leerfischen und alles kaputtmachen – weil wir immer mehr Fisch essen.

Ich habe vor Kurzem gelesen, dass sich die Fischpopulationen erholen könnten, wenn wir für nur fünf Jahre die industrielle Fischerei aufgeben würden. Würden wir dann auf nachhaltigen Fischfang umsteigen, könnten alle Menschen auf der Welt davon satt werden. Das fand ich ein gutes Gedankenspiel und dachte: Leute, lasst uns ab dem 1. Januar 2023 loslegen. So hätten wir schon mal ein Problem gelöst.
Ich bin eh vegan. Ich bin dabei.

Du bist dann zu den Sea Shepherds, einer internationalen Meeresschutzorganisation, die für ihre riskanten Aktionen bekannt ist. Für deine erste Mission bist du in die Antarktis, um mit einem kleinen Boot die japanische Walfangflotte aufzuhalten – das klingt nach einer unglaublichen Story.
Es hat tatsächlich auch ordentlich gescheppert, als eines der japanischen Boote uns gerammt hat.

Wie bitte? Was war da los?
Wir hatten ein Zulieferschiff ausgemacht, das die Walfangflotte betanken sollte. Das wollten wir verhindern, weil wir dachten: Ohne Sprit müssen die nach Hause fahren. Also haben wir uns neben das Tankschiff gestellt – und dann kam das riesengroße Factory-Schiff und hat uns wie eine Sardinenbüchse dagegengedrückt.

Krass.
Das Schiff hatte eine taiwanesische Brückencrew. Die werden gut bezahlt und haben den Ruf, richtig gemein und widerwärtig zu sein. Da kannst du dir Videos angucken, wie sich zwei Fischerboote treffen, die Kapitäne miteinander sprechen und dann beide fünf Männer ihrer Sklavenbesatzung ins Wasser schmeißen und losschießen. Wer als Erstes fünf hat, hat gewonnen.

Das ist ja widerlich! Auf der See gibt es viele hässliche und dunkle Seiten.

Und trotzdem bist du Kapitänin geworden und bei der zivilen Seenotrettung eingestiegen. Dabei hättest du auch eine lockere Kugel schieben und Touristen auf einem Kreuzfahrtschiff über die Weltmeere schippern können.
(lacht) Lustige Vorstellung: Herzlich willkommen an Bord, will jemand noch einen Sekt? Nee, das ist nicht so mein Ding.

Wie war das erste Mal, als du als Kapitän für die zivile Seenotrettung unterwegs warst? Wenn man Menschen sieht, die versuchen, zu überleben, wenn man Ertrunkene sieht. Und dazu die Verantwortung für so ein Schiff hat – das ist doch bestimmt eine ganz andere Nummer.
Die ganze Crew der "Iuventa", auf der ich damals gefahren bin, bestand aus sehr feinen Leuten. Ich hatte eine extrem erfahrene Einsatzleiterin. Ich konnte das Schiff steuern, sie wusste, wen wir am besten um Hilfe anfunken konnten oder vor welchen Booten wir uns in Acht nehmen mussten. Es ist immer mal wieder vorgekommen, dass libysche Milizen uns bedroht und Warnschüsse abgefeuert haben.

Unvorstellbar! 2017 wurde die "Iuventa" in Italien festgesetzt. Ihr wurdet von der Küstenwache mit bewaffneter Besatzung in Empfang genommen, und man klagte euch wegen Beihilfe zur illegalen Einwanderung an. Dir drohten 20 Jahre Haft und 15 000 Euro Geldstrafe für jede Person, die du gerettet hattest. Bei 1000 Menschen kommt da richtig was zusammen. Das hätte dein komplettes Leben auf ewig ruinieren können. Was denkt man da?
Ich war nicht überrascht. Ich bin kein Mensch, der sich wundert, wenn ein Staat gegen meine oder die Interessen von anderen Menschen handelt.

Aber geht einem nicht trotzdem der Arsch auf Grundeis?
Ich war einfach nur sauer, weil es so offensichtlich war, was für eine Scharade mit uns gespielt wurde. Was mich richtig wütend gemacht hat: Wenn du dort im Einsatz bist, hast du immer vor Augen, wer wirklich den Kürzeren zieht – das sind die Menschen auf der Flucht. Bei denen geht es um Leben und Tod.

Was wurde aus der Anklage?
Gegen mich fallengelassen. Warum, wusste meine Anwältin auch nicht. Aber vier von uns zehn haben sie rausgepickt. Gegen die läuft gerade der Prozess.

Ich könnte dauernd an die Decke gehen und frage mich: Warum tun das die anderen nicht?

Ich kann vieles verstehen: Dass man versucht, die Situation der Menschen vor Ort zu verbessern, damit sie nicht losmarschieren. Dass man versucht, zu verhindern, dass Schlepper daran Geld verdienen. Aber ich verstehe nicht, dass man nicht die unterstützt, die auf dem Meer um ihr Leben kämpfen. Für mich ist das der Untergang von jeglichem Gefühl.
Der Teil auf dem Mittelmeer ist ja oft gar nicht der schlimmste. Niemand macht sich auf den Weg, bloß weil er denkt, dass der Mindestlohn in Deutschland so toll ist. Das sind Menschen, die vor Hunger, Verfolgung und Krieg fliehen. Ich glaube, keine einzige Frau kommt durch ihre Flucht, ohne dabei nicht mindestens einmal vergewaltigt worden zu sein.

Zum Glück hat die zivile Seenotrettung viele Unterstützer. Unsere Welt würde nicht funktionieren, wenn nicht doch genug Menschen da wären, die das Herz am rechten Fleck haben.
Das stimmt. Aber ich würde mir wünschen, dass die Menschen aus ihrer Resignation erwachen und die Wut in sich wiederfinden. Bei mir gehörte die schon immer dazu. Ich könnte wirklich 24/7 an die Decke gehen und frage mich: Warum tun das die anderen nicht?

Hast du deswegen dein Buch “Wutschrift“ geschrieben? Um die Leute wachzurütteln?
Auch. Es gibt viele Leute, die viele Zustände wirklich schrecklich finden. Aber sie verharren in einer Mischung aus Schmerz und Lethargie. Schauen lieber weg, als zu handeln, weil sie nicht wissen, was sie machen sollen. Wut wurde uns abtrainiert – vor allem Frauen. Die gelten schnell als hysterisch.

Oder hormongesteuert. “Ruth, halt dich ein bisschen zurück, du hast PMS …“
Dabei ist Wut ein Impulsgeber. Sie führt dazu, dass wir laut werden, Dinge verändern. Das brauchen wir!

Wenn du drei Dinge sofort ändern könntest, was wäre das?
Die Abschaffung des kapitalistischen Patriarchats. Dann können wir eigentlich schon Urlaub machen. Außerdem müssen wir die Klimakatastrophe angehen. Millionen Menschen sind deswegen schon auf der Flucht. Und es werden noch deutlich mehr werden. Deswegen wünsche ich mir, dass wir alle einmal drüber nachdenken, wie es wäre, wenn wir selber unterwegs wären, und uns fragen, was wir uns dann von anderen wünschen würden?

Ich glaube ja, es gibt Hoffnung. Wenn jeder auch nur ein kleines bisschen mitmacht, kann es für uns alle besser werden.

Wieder so richtig aufgeregt...

… hat sich Pia über die Kapitänsbinde des DFB zur Fußball-WM in Katar. Die soll für Toleranz und Menschenrechte stehen, aber statt der Regenbogenflagge der LGBTIQ-Community zeigt sie in einem Herzen sechs Farben, die explizit nichts damit zu tun haben – um den Machthabern in Katar dann doch lieber nicht auf die Füße zu treten.

Zivile Seenotrettung

Seit 2015 war Sea-Watch an der Rettung von über 45 000 Menschen beteiligt.
sea-watch.org

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Guido

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