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Gesetz zur Lohngerechtigkeit: "Gut gemeint, leider nicht gut umgesetzt"

Gesetz zur Lohngerechtigkeit: "Gut gemeint, leider nicht gut umgesetzt"
© RomanR / Shutterstock
Anwältin Nina Straßner redet Tacheles: Das neue "Gesetz für mehr Lohngerechtigkeit" hilft denen, die Hilfe am dringendsten bräuchten, überhaupt nicht. Und die, denen es helfen könnte, müssten immer noch sehr viel Mut und Eigeninitiative aufbringen, um davon zu profitieren.

Am 6. Januar tritt endlich das Entgelttransparenzgesetz vollständig in Kraft. Es verpflichtet Arbeitgeber unter bestimmten Bedingungen, Auskunft über die Löhne von Kollegen zu geben, und wird von vielen als "Gesetz für mehr Lohngerechtigkeit“ gefeiert. Doch wer genau kann jetzt eigentlich von dem Gesetz profitieren? Und was müssen wir konkret tun, um davon zu profitieren? Ist das "EntTranspG" wirklich ein Schritt zu mehr Gleichberechtigung? Oder ist das Gesetz am Ende eine bloße Formalie, für die sich ein paar gut bezahlte Politiker auf die Schulter klopfen?

Um das herauszufinden, haben wir mit Bloggerin und Rechtsanwältin Nina Straßner gesprochen. Arbeitsrecht ist ihr Fachgebiet - sie kann uns eine zuverlässige Einschätzung geben, wie sich das neue Gesetz auf unsere Arbeitswelt auswirken wird.

F Mag: Frau Straßner, wie gehe ich als Angestellte*r konkret vor, wenn ich Auskunft über das Gehalt meiner Kollegen einholen möchte?

„Konkret“ ist bei diesem neuen Rechtsanspruch leider ein Stolperstein, der sich fast durch das ganze Gesetz zieht. Zumindest zum jetzigen Zeitpunkt, weil wir noch keinerlei Rechtsprechung haben und weil das Gesetz viele Konfliktpunkte bietet.

Schon an wen man im Betrieb das Auskunftsbegehren konkret richten muss, hängt davon ab, wie der Arbeitgeber organisiert ist. Jedoch ist der Arbeitgeber verpflichtet, sicherzustellen, dass seine Mitarbeiter wissen, wie sie vorgehen müssen.

Das Familienministerium hat übrigens eine Vorlage dafür online gestellt, das ist klasse.

Was wäre denn dann grob der Weg, den ich als Arbeitnehmerin einschlagen müsste?

Gibt es einen Betriebsrat, fragt man dort schriftlich an und muss gleich dazu noch die Tätigkeiten benennen, die man mit der eigenen für gleich oder vergleichbar hält. Der Betriebsrat fordert dann die benötigten Informationen beim Chef an, und in vielen Fällen wird es an dieser Stelle die ersten Dispute geben, weil der Umfang der Information hakt oder die Vergleichsgruppen nicht akzeptiert werden.

Wer hier nicht Jurist ist, hat eigentlich jetzt schon keine Lust mehr.

Gibt es keinen Betriebsrat, ist der Arbeitgeber direkt zuständig und muss sich unter Umständen mit Tarifvertragsparteien über Zuständigkeiten abstimmen. Der Arbeitgeber muss seine Antwort schriftlich innerhalb von drei Monaten geben und die Kriterien, die er an die „Vergleichbarkeit“ angelegt hat, offenlegen. Wer hier nicht Jurist ist, hat eigentlich jetzt schon keine Lust mehr.

Was genau sagt mir die Information, wenn ich sie denn bekommen habe?

Gut, dass Sie nicht „konkret“ gefragt haben. Sehr konkret ist das nämlich alles nicht. Niemand kann mit diesem Gesetz erfahren, was der Herr Meier oder die Frau Schultze am Schreibtisch gegenüber verdienen. Man erfährt nur, was vergleichbare Mitarbeiter des jeweils anderen Geschlechts im Durchschnitt hochgerechnet auf eine Vollzeittätigkeit verdienen.

Zudem dürfen maximal zwei „Zulagen“, die auf Gehälter gezahlt werden, erfragt werden. In Anbetracht der Tatsache, dass hier meist die Musik spielt, ist die Begrenzung auf „Zwei“ aus meiner Sicht kontraproduktiv. 

Nina Straßner ist Fachanwältin für Arbeitsrecht, Wirtschaftsmediatorin und Autorin des Buches „Keine Kinder sind auch keine Lösung“. Sie schreibt eine regelmäßige Kolumne in der Brigitte MOM und bietet Frauen und Müttern über ihre Plattform als „Juramama“ seit diesem Jahr spezielle Online-Coachings und konkrete Rechtsberatung an, für alles, was sie rund um ihre Rechte am Arbeitsplatz bewegt.
Nina Straßner ist Fachanwältin für Arbeitsrecht, Wirtschaftsmediatorin und Autorin des Buches „Keine Kinder sind auch keine Lösung“. Sie schreibt eine regelmäßige Kolumne in der Brigitte MOM und bietet Frauen und Müttern über ihre Plattform als „Juramama“ seit diesem Jahr spezielle Online-Coachings und konkrete Rechtsberatung an, für alles, was sie rund um ihre Rechte am Arbeitsplatz bewegt.
© Nina Straßner / Privat

Was bedeutet eigentlich "vergleichbar"?

Dieser Punkt ist schon seit Implementierung des AGG [Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz] vor einigen Jahren einer der klassischen wunden Punkte, die für Unsicherheit sorgen.

Der Arbeitgeber wird naturgemäß nämlich eigentlich keinen anderen Arbeitnehmer für vergleichbar halten, der Anspruchssteller zu viele oder ganz andere. Kriterien kann der Gesetzgeber auch kaum formulieren, denn jeder Beruf ist anders. Ein paar Faustformeln gibt es aber und die stehen auch im Gesetz.

Man ahnt schon den Rummelplatz für Ärger. Auf beiden Seiten.

„Gleich“ ist eine Tätigkeit, wenn Sie an verschiedenen Arbeitsplätzen eine gleichartige oder identische Arbeit ausüben.

„Gleichwertig“ ist eher eine Gesamtbetrachtung von Faktoren, wie die tatsächliche Arbeit vor Ort, die notwendigen Ausbildungen, die man dafür braucht oder die Arbeitsbedingungen, unter denen gearbeitet wird. Auch arbeits- oder leistungsbezogene Unterschiede dürfen herangezogen werden, die eine Ungleichheit rechtfertigen können.

Man ahnt schon den Rummelplatz für Ärger. Auf beiden Seiten.

Was kann ich mit der Information, die mir mein Arbeitgeber jetzt geben muss, denn überhaupt anfangen?

Wenn der Arbeitgeber seinen Fehler nicht erkennt oder erkennen will und nicht gleich von selbst nachbessert, was er ausweislich des Gesetzes eigentlich sofort tun muss: Streit anfangen. Noch ein wunder Punkt. So einfach es ist, zu Hause einen Streit mit dem Partner anzuzetteln, so hart und schwer ist es, das am Arbeitsplatz zu tun und den Arbeitgeber auf Grundlage des Gesetzes zu verklagen.

Es wird wahnsinnig viel Eigeninitiative und Mut von den Arbeitnehmern vorausgesetzt.

Das ist aus meiner Sicht einer der größten Schwachpunkte des Gesetzes. Es wird wahnsinnig viel Eigeninitiative und Mut von den Arbeitnehmern vorausgesetzt.

Wenn sie überhaupt in einem Betrieb arbeiten, der groß genug ist, gibt es von der Anfrage bis zur Durchsetzung viele Lücken und Schlupflöcher. Zudem kostet ein arbeitsgerichtliches Verfahren den Arbeitnehmer immer Geld, auch wenn man gewinnt und nicht rechtsschutzversichert ist. Das hält schon viele ab, ihre Rechte geltend zu machen, auch wenn sie glasklar benachteiligt werden.

Muss ich weitere Nachteile befürchten, wenn ich die Auskunft einfordere und gegebenenfalls gegen Lohnungerechtigkeit vorgehe?

Die Frage stellt sich jeder, der einen Arbeitgeber verklagt oder eben auch nur „nervt“, weil er Auskunft haben will und damit dem Chef mehr Arbeit macht. Ein Querulant will keiner sein. Über den Tisch gezogen werden aber auch nicht. Der Gesetzgeber hat das Problem im Entgelttransparenzgesetz erkannt und explizit ins Gesetz geschrieben und es, schön old-school, „Maßregelungsverbot“ genannt.

Wer Auskunft verlangt oder wer als Zeuge aussagt oder jemanden hierbei unterstützt, darf nicht benachteiligt werden. Dieser Paragraph gibt den Anwältinnen und Anwälten die Möglichkeit, auf dieser Grundlage zu klagen oder den Betriebsräten, tätig zu werden.

Das Gesetz braucht viel Kampf bei zu wenig Outcome.

Wie man solche Benachteiligungen und den Zusammenhang zur Entgeltauskunft im Einzelfall beweist, steht auf einem anderen Blatt und ist wieder ein Kampf für sich. Ich wiederhole mich: das Gesetz braucht viel Kampf bei zu wenig Outcome.

Ich habe nur einen befristeten Arbeitsvertrag - ist es nicht sehr viel wahrscheinlicher, dass er nicht verlängert wird, wenn ich meinem Arbeitgeber Probleme solcher Art mache? 

Ich finde diese Sorge tatsächlich leider nicht unberechtigt. Natürlich wäre das nicht erlaubt, aus diesen Gründen nicht zu verlängern, aber wer kommt schon dahinter und kann es zudem noch gerichtsfest beweisen. Befristete Verträge ohne Sachgrund sind aus meiner Sicht eine legalisierte Diskriminierungsmöglichkeit, die in der Praxis so häufig genutzt wird, da bleibt einem die Luft weg. Gründe müssen nicht angegeben werden, der Vertrag endet einfach. In Schwangerschaft, bei Krankheit und eben auch bei „Rechte-Wahrnehmertum“, wenn das den Chef nervt.

Befristete Verträge ohne Sachgrund sind aus meiner Sicht eine legalisierte Diskriminierungsmöglichkeit, die in der Praxis so häufig genutzt wird, da bleibt einem die Luft weg.

Deswegen gehören die sachgrundlosen Befristungen nach 15 Jahren auch endlich wieder abgeschafft, wenn man es mit Frauen und Erwerb wirklich ernst meint. Die sogenannten Befristungen „mit Sachgrund“ nach dem TzBfG können meinetwegen bleiben, die reichen für einen flexiblen Arbeitsmarkt mehr als aus.

Welche Schlupflöcher gibt es für Arbeitgeber? Kann er mir die Auskunft verweigern?

Es gibt in der Praxis immer eine Menge Schlupflöcher, aber er darf die Auskunft nicht verweigern. Er muss sich äußern. Schriftlich. Auch zu der Vergleichbarkeit und den angelegten Kriterien. Diese Aussagen sind dann gerichtlich überprüfbar und das ist ein Fortschritt. Sagt er nichts, wird eine „Ungleichbehandlung vermutet“. Eingeklagt werden muss das dann aber trotzdem, man gewinnt nur leichter.

Und hier klingeln schon die Ohren: Man muss schon ganz schön sicher im Sattel sein, um sich das alles zu trauen oder leisten zu können. Frauen - und vor allem junge Frauen und Männer - sind das eben gerade nicht, und denen soll das Gesetz doch helfen.

Was kann ich tun, wenn ich in einem kleineren Betrieb mit weniger als 200 Beschäftigten arbeite?

Das allergrößte Ärgernis ist diese 200-Mitarbeiter-Grenze. Die war im ursprünglichen Entwurf nicht vorgesehen und hat, aus meiner Sicht, das ganze Gesetz ausgehöhlt. Betriebe dieser Größe haben bereits Strukturen, die ganz viel Diskriminierung vermeiden, schon aufgrund anderer Gesetze und Richtlinien.

Ganz viel spielt sich in kleineren Betrieben ab. 50 Beschäftigte sind auch nicht wenig. Für die gibt es den Anspruch aus dem EntgTranspG nicht. Die müssen den Umweg über das AGG gehen und der hat ja schon die letzten Jahre nicht funktioniert.

Wie stehen aus Ihrer Sicht die Chancen, dass das Gesetz tatsächlich etwas zur Schließung des Gender Pay Gap beiträgt?

Sie meinen diesen ominösen Gender Pay Gap, den es „eigentlich gar nicht gibt“, der „selbstgewählt“ ist, weil man ja nicht gezwungen wird in „Frauenberufen“ zu arbeiten oder Kinder zu bekommen oder alles nur eine Frage von „Verhandlungsgeschick“ oder „statistischer Auslegung“ ist?

Dieses Gesetz ist gut gemeint und ganz wichtig, aber leider nicht so gut umgesetzt, wie es mal angedacht war.

Ich sehe seit zehn Jahren die unterschiedlichen Arbeitsverträge. Ich sehe täglich, wie Frauen und Männer bezahlt werden, wie befristete Verträge bei ihnen genutzt werden oder aus welchen Gründen sie gekündigt oder ihnen Zulagen verweigert werden, weil die für „Teilzeit“ nicht vorgesehen sind. Die Lücke ist da und sie ist groß und ich sehe sie jeden Tag.

Ich bin daher aus anwaltlicher Sicht für alles dankbar, was Klarheit bringt und mich bei der Beratung von Arbeitgebern oder Arbeitnehmern in die Position bringt, klare Aussagen treffen zu können. Dieses Gesetz ist gut gemeint und ganz wichtig, aber leider nicht so gut umgesetzt, wie es mal angedacht war.

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