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Lohnlücke schließen: Wer sich nicht bemüht, soll Strafe zahlen

Lohnlücke schließen: Wer sich nicht bemüht, soll Strafe zahlen: Frau öffnet Briefumschlag
© NIKCOA / Shutterstock
Seit 2017 gibt es bei uns ein Gesetz, das in Unternehmen die Lohnlücke zwischen Frauen und Männern schließen soll. Was hat es gebracht? Welche Länder machen es besser? Die Fair-Pay-Expertin Henrike von Platen zieht Bilanz.

Sie sagen: Wenn alle wollten, ließe sich der Gender Pay Gap in deutschen Firmen über Nacht schließen. Das Gesetz, das das bewirken soll, zeigt aber kaum Wirkung. Nur jede zweite Firma hat bisher ihre Gehaltsstrukturen überprüft, nur zwei Prozent der Beschäftigten haben sich erkundigt, was ihre Kolleg*innen verdienen. Woran liegt’s?

Henrike von Platen: Das Gesetz legt den falschen Schwerpunkt: Es schiebt die Verantwortung für gerechte Entlohnung auf die Beschäftigten. Die müssen aktiv werden, wenn sie eine Lohnlücke vermuten; falls bei ihrer Anfrage herauskommt, dass sie richtig liegen, können sie ihren Arbeitgeber verklagen. Lohnlücken aufzudecken und zu schließen, ist aber ganz klar Aufgabe der Firmen. Das müsste das Gesetz deutlich machen. Und die Unternehmen dann auch strenger in die Pflicht nehmen, diese Aufgabe wahrzunehmen. Denn derzeit prüft niemand, ob die Angaben, die die Firmen über ihre Gehaltsstrukturen machen, stimmen. Und, noch wichtiger: Niemand muss Strafe zahlen, wenn er gar nicht aktiv wird. Andere Länder sind da viel strenger.

Können Sie Beispiele nennen?

In Großbritannien müssen seit 2018 alle Betriebe mit mehr als 250 Beschäftigten einmal jährlich in einer öffentlich zugänglichen Datenbank ihren Gender Pay Gap offenlegen und berichten, wie viele Frauen es bei ihnen auf welchen Hierarchieebenen gibt. Wer das nicht tut oder unstimmige Zahlen veröffentlicht, bekommt Post und viel öffentliche Aufmerksamkeit. Die Unternehmen halten sich daher sehr strikt an die Vorgaben. In Island kann es sogar richtig teuer werden: Seit 2017 gibt es ein branchenübergreifendes Equal-Pay-Zertifizierungssystem, das für alle Firmen mit mehr als 25 Beschäftigten Pflicht ist. Unternehmen, die sich der Bewertung nicht stellen, müssen für jeden Tag, den sie nicht zertifiziert sind, 50 000 Isländische Kronen, umgerechnet rund 360 Euro, zahlen.

Und das wirkt?

Ja, und zwar auf mehreren Ebenen! Zum einen ist da der öffentliche Druck: In Großbritannien haben die meisten Firmen zeitgleich zu den eher peinlichen Zahlen Gleichstellungspläne vorgestellt, um ihren Ruf als Arbeitgebende und ihr Image als Marke zu retten. Zum anderen wächst mit den Sanktionen intern der finanzielle Druck, Gleichstellung zügig umzusetzen. Im Heizkraftwerk Hellisheidi, das Reykjavik seit 2006 mit Strom versorgt, gelang es innerhalb allerkürzester Zeit, den unternehmensinternen Gender Pay Gap zu schließen. Die meisten Gesetze sind freilich erst zwischen 2017 und 2019 in Kraft getreten. Wie sich das Engagement der einzelnen Unternehmen in Summe auf die statistischen Lohnlücken auswirkt, bleibt also abzuwarten.

Sollten auch bei uns Firmen Strafe zahlen, wenn sie ihren Gender Pay Gap nicht offenlegen?

Unbedingt. Software-Programme, um die Gehälter in dieser Hinsicht zu analysieren, gibt es inzwischen zuhauf. Sie zu nutzen, kostet natürlich Zeit und Geld. Aber nur wer seine Zahlen und Strukturen genau kennt, kann auch Strategien entwickeln, um sie zu verbessern.

Wie könnte so eine Strategie aussehen?

Viele Firmen fürchten ja, plötzlich komplett offenlegen zu müssen, wie viel jede und jeder Einzelne bei ihnen verdient. Aber die totale Transparenz braucht es gar nicht. Wichtig ist vielmehr, dass die Kriterien, nach denen jemand mehr oder weniger verdient, leicht verständlich und allen im Unternehmen bekannt sind. Viele Firmen versuchen das zum Beispiel durch sogenannte Gehaltsbänder, also bestimmte Vergütungsrahmen für bestimmte Positionen, die alle Beschäftigten kennen.

Das klingt nach dem guten, alten Tarifsystem.

Stimmt. Im Idealfall ist es aber gerechter.

Wieso? Ich dachte, wenn ich in einer tarifgebundenen Firma arbeite, muss ich mir um geschlechtergerechte Bezahlung eigentlich keine Sorgen mehr machen ...

Ja, das wird gern behauptet. Doch wenn man die einzelnen Tarife miteinander vergleicht, stößt man durchaus auf Ungereimtheiten. So wird beispielsweise körperliche Arbeit je nach Branche manchmal sehr unterschiedlich vergütet: Wer 50 Kilo schwere Zementsäcke tragen muss, bekommt Zulagen; wer ähnlich schwere Patienten von Bett zu Bett bewegen muss, häufig nicht. Auch werden Männer gern von Anfang an in höhere Entgeltgruppen einsortiert als Frauen. Das Entgelttransparenzgesetz sah aus diesem Grund ursprünglich eine Überprüfung der Tarifverträge vor. Auf Druck der Sozialpartner flog dieser Passus wieder raus. Auch hier sollten wir nachbessern.

Laut einer aktuellen Studie würden 75 Prozent der Beschäftigten unter 40 den Arbeitgeber wechseln, falls Frauen und Männer dort ungleich bezahlt werden. Könnte das nicht sowieso dazu führen, dass die Firmen sich um faire Löhne bemühen – auch ohne schärfere Gesetze?

Aber ja! Auch bei uns engagieren sich Firmen, manche schon seit vielen Jahren, weil sie den Wettbewerbsvorteil erkannt haben, den faire Bezahlung im Kampf um die besten Kräfte bietet. Es sind nur noch viel zu wenige! Ich bin deshalb sehr dafür, dass wir das Gesetz nachbessern. Wir könnten die Entwicklung so enorm beschleunigen.

Welche deutschen Unternehmen sind in Ihren Augen denn Vorreiter?

SAP beispielsweise ist sehr engagiert. Dort hat man schon vor Jahren ein transparentes Gehaltsmanagementsystem eingerichtet. Und pünktlich zum Inkrafttreten des Entgelttransparenzgesetzes wurde im Intranet ein Tool installiert, das den Beschäftigten erlaubt, per Knopfdruck einen Auskunftsanspruch zu stellen, um in Erfahrung zu bringen, wie viel Kolleginnen oder Kollegen des anderen Geschlechts in vergleichbarer Position im Mittel verdienen. Auch den Ansatz der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) finde ich spannend: Wenn Beschäftigte dort in Rente gehen, achtet man bei der Nachbesetzung darauf, bevorzugt Frauen einzustellen, falls auf dieser Hierarchieebene bislang Frauenmangel herrschte. Gibt es in der Position dagegen kaum Männer, werden Männer bevorzugt.

Was hat das mit Equal Pay zu tun?

Eine Menge! Dass man die Lohnlücke bei vergleichbaren Positionen schließt, ist ja nur die halbe Miete. Gibt es im Unternehmen nach wie vor mehr Männer als Frauen in gut bezahlten Führungspositionen, wird der Durchschnittsstundenlohn der Mitarbeiterinnen trotzdem weiter deutlich unter dem der Mitarbeiter liegen. Erst wenn auf allen Hierarchiestufen gleich viele Männer und Frauen arbeiten, verschwindet diese Lücke.

"Über Nacht" lässt sich das aber wohl nicht schaffen.

Sagen wir einmal so: Die Lohnlücke zwischen vergleichbaren Positionen lässt sich tatsächlich über Nacht schließen. Echte Gleichstellung zu erzielen, dauert etwas länger. Was man am Beispiel BVG aber gut sehen kann: Wenn wir die Gehaltsschere zwischen Frauen und Männern wirklich schließen wollen, müssen wir an vielen Stellen ansetzen und zum Beispiel auch dafür sorgen, dass mehr Frauen Führungspositionen übernehmen. Umgekehrt heißt das aber auch: Ist die Lohnlücke erst mal gleich null, bringen wir damit automatisch viele andere Dinge in Bewegung. Und ich finde, das ist eine Vorstellung, die richtig Mut macht: Was könnte sich alles ändern – in unseren Beziehungen, in unserer Gesellschaft –, wenn wir Frauen mehr Geld und somit auch mehr Macht hätten?

Gesetz ohne Wirkung?

Das im Juli 2017 in Kraft getretene Entgelttransparenzgesetz soll vor allem Frauen dabei unterstützen, ihren Anspruch auf faire Bezahlung besser durchzusetzen. In Firmen mit mehr als 200 Mitarbeiter*innen können Frauen wie Männer deshalb seit Januar 2018 Auskunft darüber verlangen, was Kolleg*innen des anderen Geschlechts in vergleichbaren Positionen im Mittel verdienen. Betriebe mit mehr als 500 Beschäftigten werden außerdem aufgefordert, ihre Gehaltsstrukturen auf Lohnlücken zu überprüfen und einen Bericht zur Gleichstellung und Entgeltgleichstellung zu erstellen. Bisher ist die Bilanz leider ernüchternd: Ein externes Gutachten stellte im Sommer fest, dass nicht einmal die Hälfte der Beschäftigten das Gesetz kennt, nur zwei Prozenthaben den Auskunftsanspruch wahrgenommen. Das Gesetz habe "bislang nur kleinere Beiträge zu den einst gesetzten Zielen erreicht", heißt es im Bericht.

Henrike von Platen, 48, ist Wirtschaftsinformatikerin und ehemalige Präsidentin des Frauennetzwerks "Business and Professional Women" (BPW). 2008 holte sie mit anderen Aktivistinnen den "Equal Pay Day" nach Deutschland. 2017 gründete sie das "Fair Pay Innovation Lab", eine gemeinnützige Beratungsfirma, die Unternehmen bei der Umsetzung von Lohngerechtigkeit unterstützt (www.fpi-lab.org).

Jetzt bist du dran!

Seit Jahren berichten wir regelmäßig in der BRIGITTE über den Gender Pay Gap und stellen viele Gegenstrategien vor. Jetzt bist du gefragt: Sprich über Geld – mit Vorgesetzten, Kolleg*innen, Freund*innen! Und fordere mehr. Weil du mehr verdienst. Tipps und Hintergründe zum Thema findest du weiterhin in unserem großen Online-Special: www.brigitte.de/equalpay

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BRIGITTE 25/2019

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