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Wie ganzheitliche Medizin heilen hilft

Joachim Bauer, Internist und Psychologe, plädiert für eine ganzheitliche Medizin, die Körper und Seele umfasst.

BRIGITTE-woman.de: Spricht unser Körper tatsächlich mit uns?

JOACHIM BAUER: Unser Körper gibt uns Zeichen. Wir sollten auf diese Signale achten, ohne dabei jedoch ängstlich oder hypochondrisch zu werden. Wenn wir nicht auf sie hören oder sie nicht verstehen, dann kann es sein, dass der Organismus uns irgendwann zwingt, ihn zu beachten, indem er Symptome produziert und uns Beschwerden bereitet.

BRIGITTE-woman.de: Wir alle haben einen inneren Arzt.

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JOACHIM BAUER: So könnte man es nennen. Aber Sie wissen ja: Viele Menschen haben Angst vor dem Arzt. Sie erleben das, was an Zeichen von ihrem Körper ausgeht, mit Furcht und Schrecken. Dies ist der Grund, warum viele von ihrem Körper nichts wissen wollen. Wichtig ist jedoch, dass wir ein Grundvertrauen in sein Funktionieren und seine Weisheit haben und nicht gleich in Panik geraten, wenn wir etwas in ihm spüren.

BRIGITTE-woman.de: Wie lerne ich, besser auf Warnzeichen zu achten?

JOACHIM BAUER: Indem ich mir immer wieder einmal Zeit nehme, mit mir und meinem Körper allein zu sein. Nur so habe ich die nötige Ruhe und Konzentration, um meinen eigenen Körper wahrzunehmen. Eine solche Achtsamkeit kann vor allem durch Innehalten, durch Entspannung, geübt werden. Den Körper fühlen können wir aber auch umgekehrt in der Bewegung, etwa während einer Gymnastik, beim Fitnesstraining, Laufen oder Schwimmen.

BRIGITTE-woman.de: Gibt es eine "Übersetzungshilfe" für die Zeichen, die uns der Körper schickt?

JOACHIM BAUER: Jeder Körper spricht eine eigene Sprache. Das heißt: Jeder Mensch muss diese individuelle Sprache seines Körpers verstehen lernen. Dies geschieht dadurch, dass wir auf den Kontext achten, also auf die äußere Situation, in welcher ein Zeichen, ein Symptom auftritt. Wer ab und zu Kopf- oder Muskelschmerzen, Magen-, Darm- oder Kreislauf-Beschwerden bekommt, sollte deshalb darauf achten, was sich in der Zeit davor abgespielt hat oder was danach passiert. Beides, also sowohl etwas kurz zuvor Erlebtes als auch Dinge, die ich in der nahen Zukunft erwarte, können bedeutsam sein und körperliche Zeichen hervorrufen.

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BRIGITTE-woman.de: Wie und warum können gestörte zwischenmenschliche Beziehungen krank machen?

JOACHIM BAUER: Alles, was wir mit unseren Sinnen in zwischenmenschlichen Beziehungen wahrnehmen, wird vom Gehirn registriert. Das meiste davon nehmen wir übrigens wahr, ohne dass es uns bewusst wird. Das Gehirn verwandelt alle Wahrnehmungen, auch die unbewussten, in biologische Reaktionen. Unterstützung und Liebenswürdigkeit tun unserem Körper in der Regel gut. Auf Missachtung, Überforderung oder Einschüchterung reagiert er dagegen mit verminderter Leistungsbereitschaft und mit Krankheitszeichen.

BRIGITTE-woman.de: Wie hoch schätzen Sie den Einfluss harmonischer Beziehungen ein?

JOACHIM BAUER: Gute Beziehungen haben einen enormen Einfluss auf unsere Gesundheit. Dabei müssen sie durchaus nicht nur harmonisch sein. Ob am Arbeitsplatz oder im Privatleben, gute Beziehungen dürfen und müssen auch Konflikte aushalten! Eine Beziehung, in der ich meinen Ärger nicht zeigen kann oder darf, ist keine gute Beziehung. Allerdings sollte ich meinen Ärger immer so ausdrücken, dass der andere sich nicht gedemütigt fühlt, sondern möglichst annehmen kann, was ich ihm zu sagen habe.

BRIGITTE-woman.de: Welche Bedeutung hat die Seele bei der Entstehung und Behandlung von Krebsleiden?

JOACHIM BAUER: Die Annahme, dass es ein bestimmter Persönlichkeitstyp sei, der mehr als andere zu Krebserkrankungen neige, hat sich als falsch erwiesen. Es gibt keine "Krebspersönlichkeit". Was sich in verschiedenen Studien aber zeigte, ist ein Zusammenhang zwischen Depressionen und dem Risiko, an bestimmten Krebsarten zu erkranken. Lang anhaltender Überforderungsstress und Depressionen schwächen das körpereigene Immunsystem und damit auch die Abwehr des Körpers gegen Krebszellen. Ebenso wichtig wie psychische Ausgeglichenheit ist für die Vorbeugung gegen Krebs aber, dass wir nicht rauchen, nur mäßig Alkohol konsumieren, uns bewegen und uns gesund ernähren.

BRIGITTE-woman.de: Wird und kann die Mind-Body-Medizin die Schulmedizin langfristig ersetzen?

JOACHIM BAUER: Nicht ganz. Wir brauchen eine technisch hoch entwickelte Medizin. Ein Patient mit koronarer Herzkrankheit und einem akuten Herzanfall braucht im Moment der Herzattacke keine langen einfühlsamen Gespräche, sondern so schnell wie möglich einen schnell handelnden Kardiologen. Wenn dieser Herzpatient aber während und nach der schulmedizinischen Behandlung von den Ärzten nicht einfühlsam betreut wird oder wenn er in seinem privaten Umfeld hinterher wieder dem gleichen Stress ausgesetzt ist wie zuvor, dann wird er bald den nächsten Anfall erleiden. Körpermedizin und psychosomatische Medizin müssen zusammenarbeiten, nur so wird ein Schuh draus.

Zur Person: Professor Dr. Joachim Bauer leitet die Abteilung Psychosomatische Medizin an der Uniklinik Freiburg. Er plädiert für eine ganzheitliche Medizin, die Körper und Seele umfasst.

Interview: Frauke Döhring Illustration: Annabel Briens/ 2 Agenten

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