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Die Meisterin des Tees

"Tee ist eine lebendige Kunst", sagt Yu Hai Tseng. Die gebürtige Taiwanerin zelebriert diese in ihrem Pariser "Maison des Trois Thés", dem besten Teehaus Europas.

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Schon mit vier, so erzählt Yu Hai Tseng, kochte sie Tee für ihre kleine Schwester. Mitten in der Nacht bereitete ihn das Mädchen aus Nanton, im Westen Taiwans, nach dem alten chinesischen Ritual Gong Fu Cha zu, was so viel wie "Teezeit" bedeutet. Einrächtig saßen die Schwestern zu später Stunde beieinander, hielten ihre Nasen in den Dampf, rochen Flieder im Frühling, Geißblatt an einem Sommerabend, feuchtes Gras nach einem Gewitter und Feigen im Herbst - ein ganzes Universum in einer einzigen Tasse Tee.

Tee ist bis heute die Leidenschaft von Yu Hai Tseng. Wir klingeln an ihrem "Maison des Trois Thés" und werden mit einem munteren "Bonjour, comment-allez vous?" empfangen. Hohe Glastüren, schlichte, luftige Räume, riesige Fenster. Draußen, an der Place Monge mitten im Pariser Quartier Latin, ist Markt. Es regnet, und der Wind fegt kalt zwischen den Ständen hindurch. Drinnen, im Teehaus, herrscht erdige Wärme, geheimnisvolle Zeichen auf roter Wand, im Hintergrund die monotone Melodie eines traditionellen chinesischen Saiteninstruments, irgendwo brodelt Wasser. Yu Hai Tseng ist klein und ebenmäßig schön.

Über hundert Dosen warten im Maison des Trois Thés

Ihr Alter verrät sie nicht. Sie war Klarinettistin, heute ist sie die einzige Frau unter den zehn chinesischen Teeweisen und einer der gefragtesten Tee-Experten der Welt. Ob sie nun 1000 oder 10.000 Geruchsnuancen und Aromen zu unterscheiden vermag, kann sie nicht sagen: "Habe ich nie gezählt." Fragen, die ihr nicht gefallen, umgeht sie. Interviews mag sie nicht, auch keine Fotos - eigentlich. Aber vom Tee erzählen und Tee trinken - chinesischen, nicht indischen - doch. "Tee ist eine lebendige Kunst", sagt sie, "keine Zeremonie." Tief durchatmen, riechen, schmecken, nachspüren. "Geruch und Geschmack wecken in vielen Menschen Erinnerungen an Kindheitserlebnisse." Ein Satz, den ich erst später verstehen werde.

Geschäftsführer Fabien Maiolino führt uns zu einem der Tische - "Ulmenholz von alten chinesischen Türen", ebenso wie die lange Verkaufstheke. Dahinter über hundert Dosen, an der Backsteinmauer auf Eisenstäben so aufgereiht, als würden sie schweben. Madame Tseng sei eine leidenschaftliche Liebhaberin alter Dinge, erzählt er, und der Tradition. Weil in China die Neureichen guten Tee nicht mehr zu schätzen wissen, bringt sie lieber Europäern die 3000-jährige Teekultur ihrer Heimat nahe.

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Vor über 10 Jahren wanderte sie nach Frankreich aus und richtete in der Hauptstadt das größte Teekontor Europas ein. Ein Tempel für Teekenner. 17 Tonnen Tee, über 1000 Sorten, lagern im Keller, seltene Jahrgänge, der älteste von 1890. Zu dieser Schatzkammer besitzt nur die Teemeisterin selbst einen Schlüssel. Die teuerste von ihr ausgeschenkte Tasse Tee sei 5000 Euro wert gewesen, sagen Gerüchte. Im Teekessel brodelt Wasser.

Yu Hai trägt Tabletts mit kleinen Tassen und Kannen an den Tisch. Dann geht sie an der Wand mit den Teedosen entlang, tippt hier eine an, dort eine zweite, bis sie eine ganz andere wählt und ein paar Gramm Teeblätter herauszupft. Derweil spricht der Geschäftsführer mit Ehrfurcht von seiner Chefin: Madame Tseng stamme aus einer der ältesten chinesischen Aristokratenfamilien, ihre Vorfahren seien Kaiser und Minister gewesen, beim chinesischen Teemeister Zhang Zien Fu, dem Mann, der die uralte Teetradition durch die kommunistischen Jahre rettete, sei sie in die Lehre gegangen.

Endlich setzt sie sich zu uns, wirft ihr langes Haar zurück, gießt Wasser über die Teeblätter in einer weißen Deckeltasse, dem Zhong. Sehr aufrecht hält sie sich, schwenkt die Teeblätter im Wasser hin und her, dann führt sie den Deckel zur Nase, riecht, horcht in sich hinein, gießt Wasser nach, lässt den Tee ziehen, höchstens drei Minuten, lächelt: "Der Tee erzählt seine eigene Geschichte."

Es gehört Begabung dazu, diese zu hören, Konzentration, eine feine Nase (hoch versichert!) und ein sinnlicher Gaumen. Mit einstudierten Bewegungen, die einer fremden Choreografie folgen, schenkt sie die goldrote, transparente Flüssigkeit in weiße Porzellantässchen. Schweigend. Zum Dank tippen wir mit ausgestrecktem Zeige- und Mittelfinger zweimal auf den Holztisch, wie es uns der Geschäftsführer gezeigt hat. Es riecht fruchtig, nach Himbeeren, vielleicht. Ein erstes Schlückchen. Es schmeckt? Ja, bloß: wonach? Getrocknete Aprikosen? Nein, ich hab's: Holunder, gekochter schwarzer Holunder.

Gewöhnlicher Alltagstee, sagt sie. Er gehört zu einer der sechs großen chinesischen Teefamilien: halbfermentierter blaugrüner Tee. Daneben unterscheidet sie weißen Tee aus samtigen Blattknospen, die nur getrocknet und nicht fermentiert werden, gelben und grünen Tee aus jungen Blättern, unfermentiert wiederum, und das, was wir schwarzen Tee nennen, aber in Wirklichkeit fermentierter roter Tee ist, und schließlich der eigentliche schwarze Tee. Tee sei auch körperliche Arbeit, erklärt Madame Tseng. Ständig ist sie unterwegs. Wie eine Schatzsucherin durchstreift sie China auf der Suche nach seltenen Teebäumen, stöbert in tibetischen Klosterkellern nach vergessenen Sorten. Auf ihren eigenen Plantagen in Taiwan überwacht sie persönlich die Ernte, die Verarbeitung und das komplizierte Fermentierungsverfahren.

Das Wasser brodelt, die Sinne sind geschärft, der Blick nach innen gerichtet. Jetzt beginnt die Teeverkostung erst richtig. Eingießen, ausleeren, eingießen, ausgießen - von einer Schale in die nächste -, Meditation pur. Wir tippen mit den Fingern. Der Tee ist kristallin, pastellgelb und unschwer am Geruch zu erkennen: Jasmin. Aber was für einer! Wir riechen: geschälte Äpfel, Honig, Mandeln, viele Gerüche nacheinander. Vier Jahre habe man gebraucht, um diesen weißen Jasmintee auf den Punkt zu bringen und die Harmonie zwischen Blüten und ungeöffneten Blattknospen herzustellen, erzählt sie. Zehn Kilo Blüten auf ein Kilo Tee. Diese Blüten werden nicht irgendwann gesammelt, sondern an einem Sommerabend, "wenn die Blumen sprechen", wenn sie am meisten riechen. Ein Tee für Elfen.

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Müssen es wirklich Jungfrauen sein, die die Blätter des weißen Tees sammeln, wie die Legende sagt? Da lacht Yu Hai, von solchen "Chinoiserien", wie sie es nennt, hält sie wenig. Die Hohepriesterin des Tees wirkt plötzlich bodenständig und gar nicht mehr so fremd. "Wo ich bin, rieche ich", sagt sie. In der Metro, im Theater, im Supermarkt. Das ist sicher nicht immer vergnüglich, mit einer so sensiblen Nase? "Ja", sagt sie, sie sei schon öfter geflüchtet.

Yu Hai bereitet einen neuen Tee zu, diesmal einen Wu Long. Wir schweigen andächtig. Zwei Tassen, eine zum Riechen, die andere zum Schmecken. Wir saugen uns fest am Duft: Flieder, weißer Zucker, Tabak, Karamell, Vanille, Kokos, Mirabellen, Reineclauden - ein Feuerwerk! Ungefähr 250 unterschiedliche Duftmoleküle sammeln sich auf einem Teeblatt. Wir raten, lachen, die Teemeisterin lässt uns zappeln. Der Geruch des Tees verändert sich, so schnell, dass wir gar nicht hinterherkommen: weißer Pfirsich, reif, Passionsfrucht, Artischocke, grüne Birne, Iris, Kastanienhonig. Im Gegensatz zu Wein, der nur alle drei Minuten seinen Geruch ändert, wandelt sich Teearoma alle fünf Sekunden.

Wir nehmen kurze, langsame Schlückchen und versuchen den Geschmack zu erraten. Vierter Aufguss, er geht auf der Zunge auf wie Kresse, weit hinten im Gaumen entfaltet er eine Frische wie Tau im Herbst und schmeckt nach Pampelmuse. Wie heißt der Tee? Doch Yu Hai nennt keinen Namen, bleibt geheimnisvoll. Nur so viel: Es sind die Blätter eines Teebaums, der irgendwo an einem sonnigen Hang mitten in China wächst. 300 Jahre alt, der einzige seiner Sorte. Weltweit gibt es drei Kilo von diesem Tee. Die Teemeisterin hat diesen Schatz gehoben. "Ich liebe Dinge, die ein Leben in sich tragen, Tradition, Esprit und Geist."

Der vierte Tee, den sie uns kredenzt, ist der Grand Cru. Schwarzer Tee, Jahrgang 1983, rotbraune Tiefe. Er hüpft unter der Zunge, rund wie ein Ball, ich suche nach einer Frucht, die ich kenne, und sehe mich plötzlich in einer Scheune. Im Herbst, als Kind, wie ich das große Rad einer Zuckerrüben- Mühle drehe. Weiße, erdverschmierte Rübenschnitze mit fahlrosa Schale fallen in einen Korb. Ich fröstle, greife mit beiden Händen hinein und füttere Tiere im warmen Stall. Der Tee schmeckt nach Zuckerrüben: süßlich, milchig, herb, erdig, steinig, feucht, frostig, warm, gewittrig, nach nassem Laub - nach Kindheit. Fingertippen aufs alte Ulmenholz: xièxie - merci - danke!

Reinschauen, schnuppern, verkosten: Maison des Trois Thés

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Im "Maison des Trois Thés" gibt es neben exklusiven Sorten auch durchaus bezahlbaren Tee und -zubehör. Teekunde, Beratung und Verkostung sind fantastisch. Es wird gebeten, unparfümiert zu kommen. Geöffnet: Di.-So. 11-19 Uhr. Ver- kostung ab 13 Uhr, am Wochenende reservieren! Die Preise liegen zwischen 20 und 5000 Euro.

Maison des Trois Thés, 1, rue Saint-Médard, Place Monge, 75005 Paris, Tel. 00 33/1/ 43 36 93 84, info@maisondestroisthes.com

Wir haben für Sie zwei Pakete mit exklusiven "Maison de Trois Thés"-Tees zusammengestellt.

Paket 1: Drei Sorten: 75 g Mo Li, leichter weißer Tee ohne Tanin; 100 g roter Yun Hong mit breitem Duftspektrum; 50 g Gan Xiang, blaugrüner Tee mit üppigem Aroma. 50 Euro, inkl. Versand

Paket 2: Vier Sorten: 100 g Pu Er, schwarzer Jahrgangstee von 1992 mit herbstlichem Aroma; 75 g Mo Li, weißer, leicht parfümierter Tee; 100 g Beauté académique, sehr facettenreicher blaugrüner Tee; 100 g Gu Hong, roter, aromareicher Tee. 100 Euro, inkl. Versand. Bestelladresse: www.cityandmore.de, Tel. 072 21/99 28 99

Zeit für Genuss: die traditionelle Teezeremonie

Gong Fu Cha, die traditionelle Teezeremonie, entwickelte sich aus der höfischen Teekultur der späten Ming-Dynastien. In den Südprovinzen Chinas und auf Taiwan hat sie vor allem in den gebildeten Schichten des Bürgertums überlebt. Um dem Tee all seine geruchlichen und geschmacklichen Nuancen zu entlocken, vollzieht man eine sehr aufwändige Prozedur. Gong Fu Cha bedeutet die Methode des komplizierten Wegs.

Die Zeremonie beginnt mit dem kunstvollen Aufbau der Utensilien. Die Teilnehmer werden platziert, jedem wird ein Teeschalen-Paar zugeordnet. Der Teemeister beginnt mit der rituellen Waschung und Säuberung der Kännchen und Schälchen. Dabei gießt er das heiße Wasser reihum von einem Schälchen in das nächste. Nun wird das Kännchen zu einem Drittel mit Teeblättern gefüllt, heißes Wasser darüber gegossen und gleich wieder abgegossen - die Blätter wurden "geweckt". Erneut wird heißes, nicht kochendes Wasser aufgefüllt. Nach 30 bis 45 Sekunden gießt der Teemeister den Tee in die hohen Duftbecher ab.

Die Teilnehmer gießen den Tee in die flachen Trinkschälchen um, nehmen die leeren Becher und genießen zunächst den facettenreichen Duft des Tees. Erst nach ausgiebigem Schnuppern schlürft man die Flüssigkeit in kleinen Schlucken. Diese Prozedur kann man je nach Qualität und Sorte des Tees bis zu achtmal wiederholen, Farbe und Geschmack wandeln sich dabei vielfach.

Text: Marianne Mösle Fotos: Cira Moro

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