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Die Chefs des CIA

Das Culinary Institute of America – kurz: CIA – ist die berühmteste Kochschule der USA. Wer es hier schafft, schafft es überall. Absolventen müssen sich nicht einmal bewerben.

Kochen ist ganz einfach: "Tempo, Tempo, zack, zack und bitte nicht hektisch werden. Das kapiert doch jeder!", ruft Lynne Gigliotti, 43. Dabei klatscht sie in die Hände. 36 Füße hoppeln unter ihrer Anleitung zwischen Herd und Arbeitsfläche, Wasserbecken und Ofen, Kühlschrank und Spüle hin und her. Die Füße schlagen Haken, wenn jemand entgegenkommt, und fädeln sich danach wieder in die Umlaufbahn ein. "Fortbewegung in einer Schulküche ist eine Wissenschaft für sich", stöhnt einer der 18 Kochschüler und wischt sich dabei den Schweiß von der Stirn. Die Küche Nummer 27 ist eng. Lange Schritte verbieten sich, wenn man Kollisionen vermeiden will. Also wird getrippelt und gehoppelt.

Gigliotti trägt eine weiße Kochjacke, wie alle anderen im Raum. Allerdings mit einem gelben und einem grünen Band am Kragen. Denn sie ist Dozentin. Am Culinary Institute of America, genannt: CIA – nicht zu verwechseln mit der Central Intelligence Agency, dem Auslandsnachrichtendienst der Vereinigten Staaten. Gigliotti hat selbst diese Schule als eine der Besten abgeschlossen. Danach arbeitete sie als Küchenchefin in Atlanta und kehrte schließlich als "Instructor" ans Culinary Institute zurück.

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Dass das militärisch klingt, ist kein Zufall. Bei seiner Gründung 1946 war das CIA eine Art Veteranenschule. Aus dem Zweiten Weltkrieg zurückkehrende Soldaten wurden vom Verteidigungsministerium hierher geschickt, damit sie eine solide Berufsausbildung erhielten. Manche Eigenarten aus dieser Zeit sind geblieben. Zum Beispiel die uniformartigen Kochjacken mit den Rangabzeichen, die natürlich akkuratest gebügelt und klinisch rein sein müssen. Männer haben frisch rasiert zu erscheinen und kurze Haare zu tragen. Und lange Fingernägel sind ebenso tabu wie Nagellack oder Schmuck. Hinter jeden Satz, den die Schüler an die Ausbilder richten, wird das Wort "Chef" (für Küchenchef) gehängt: "Yes, Chef", "No, Chef". Selbst Wochenendkurse, die das CIA für interessierte Laien anbietet, heißen wie beim Militär "boot camp", Trainingslager. Barbecue Boot Camp, Healthy Cooking Boot Camp, Big Flavours Boot Camp. Man hält auf Disziplin am CIA.

Die Kochschule CIA in Hyde Park, New York, gilt als Eliteschule

Eine junge Frau mit einem runden Gesicht trippelt vorbei. Gigliottis strenger Blick wird für einen Moment weich. "Die da", sagt sie leise, "die da kann eine Große werden. Sie besitzt die perfekte Mischung aus Gelassenheit, Neugierde und Begabung." Die Gelobte ist etwa 20 Jahre alt, sieht überhaupt nicht angestrengt aus, sondern lacht. Das tut sie meistens, egal, was für ein Trubel herrscht. Sie heißt Hannah Loudin, kommt aus Boulder, Colorado, und tauscht gerade bei einem Kollegen Scampi gegen Ananas ein. Die beiden bereiten eine karibische Vorspeise zu, mit Avocado, Scampi, Rum, Ananas und Zitrone. Später werden die Mitschüler in der Mensa das Menü verkosten.

Hannah ist im ersten Jahr ihrer Ausbildung, hat noch drei weitere vor sich und wird dafür am Ende rund 80 000 Dollar Studiengebühren bezahlt haben. "Na ja, eher meine Eltern", ergänzt sie und zieht wie zur Entschuldigung ihre Schultern hoch. "Dafür rufen die auch jeden zweiten Tag an und wollen Rezepte von mir." Wahrscheinlich gäben sie zu Hause ein bisschen mit ihr an. Sie hätten allen Grund dazu. Denn das Culinary Institute of America, zwei Autostunden nördlich der Stadt New York gelegen, ist zwar nur eine von über 400 Kochschulen in den USA. Aber die einzige, die den Ruf einer Eliteschule genießt. Der Abschluss heißt schlicht "Bachelor of Professional Studies".

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Aber hinter dieser Bescheidenheit verbirgt sich ein Institut mit einem Jahresbudget von 110 Millionen Dollar. 125 Lehrer aus 16 Nationen arbeiten hier mit 2800 Schülern zusammen. Dafür stehen ihnen 41 Versuchsküchen und Hightech-Hörsäle zur Verfügung und eine Bibliothek, die als die größte kulinarische Fachbücherei der USA gilt. Auf dem riesigen Campus befinden sich ein eigenes Fitnesszentrum und fünf vom CIA betriebene Restaurants, die über Monate ausgebucht sind. 250 000 Touristen schauen jährlich vorbei, die Schule ist in den USA schlicht legendär. Wer hier aufgenommen wird, hat beste Karriere-Voraussetzungen. Schüler belegen vier Pflichtkurse: Kochen, Backen, Ernährungslehre und Gastro-Management. Und wählen dazu aus einem schier unendlichen Angebot ihre Aufbaukurse: von Soul-Food bis Tischkultur, von Fleischlagerung bis Weinkunde, von Stressmanagement bis Soßenbereitung.

Ein 18-monatiges Praktikum in einer Spitzenküche gehört selbstverständlich dazu. Plätze gibt es genug. Immerhin verfügt das Institut über 37 000 Exschüler, darunter Berühmtheiten wie Bestseller Autor und Starkoch Anthony Bourdain ("Geständnisse eines Küchenchefs") und Walter Scheib, ehemals "Chef" im Weißen Haus. Laut "Food & Wine Magazine" hat das CIA sieben der zehn besten Köche der USA hervorgebracht.

Außen alt, innen High Tech

Die Schule liegt auf einer Anhöhe über dem Städtchen Hyde Park, im bewaldeten Tal fließt der Hudson River gemächlich Richtung New York. Das Gebäude, ein ehemaliges Jesuitenseminar aus dem Jahre 1901, ist äußerlich in Würde gealtert. Und innen auf dem neuesten Stand der Technik. Das passt. Denn im CIA möchte man beides vermitteln: Traditionspflege und Experimentierlust, die hohe Schule und die amerikanische Everythinggoes- Methode, italienische Eleganz und entspannte "California Cuisine".

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Im Raum Nummer 27 wird die "Küche Amerikas" gelehrt, so heißt der dreiwöchige Kurs. Zugegeben, das sei für einen ganzen Kontinent etwas kurz, sagt Gigliotti, aber es sei ja auch nur ein Aufbaukurs. Und mit einem Grinsen fügt sie ironisch hinzu: "Wir sind eben oberflächlich. Das ist es doch, was ihr Europäer von uns Amerikanern erwartet, oder?" Heute ist die Karibik dran, gestern war es Mexiko, Brasilien und Argentinien kommen in den nächsten Tagen, danach die Vereinigten Staaten von Amerika. Lynne Gigliotti geht in ihr kleines Büro, das an die Küche angeschlossen ist, und holt ein blaues Buch. Rezepte sind darin, Lehrpläne und Beiträge zur Landeskunde. "Wenn wir nichts zu sagen hätten, was über das Essen hinausgeht, könnten die Schüler ja auch ein Kochbuch durcharbeiten", erklärt sie. "Wir erzählen die ganze Geschichte." Und dazu gehört die Kultur des Landes, dessen Küche man kennen lernen will. "Wer nicht weiß, wie ein Rezept entstand, der kann auch nicht damit arbeiten."

Hannah Loudin hat mit einem Ohr hingehört. Genau das finde sie so gut am Culinary Institute, wird sie später sagen, "Enthusiasmus für Details und Blick auf das Ganze". Sie schneidet jetzt Obst klein, und man sieht, dass ihr die Routine dabei noch fehlt. Sie sagt: "Obst ist nicht unbedingt das, was ich von zu Hause gewohnt bin." Das ist überraschend ehrlich. Tatsächlich würden viele, die man hier treffe, das Gegenteil behaupten, erzählt Hannah. Sie verzieht den Mund und wackelt mit dem Kopf, während sie die gezierte Sprechweise der Kommilitonen nachahmt: "Also, ich bin ja mit gutem Essen aufgewachsen. Und dann hat sich das eben so ergeben, dass ich Koch wurde." Sie sagt: "Okay." Und dann nach einer Pause: "Mir können die so was nicht erzählen." Die Verneinung wird betont: "Mir nicht." Ihre Oma jedenfalls habe ein Sandwich gemeint, wenn sie das Wort "menu" verwendete. "Und ich bin kein Einzelfall!"

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Im Culinary Institute werden nur Bewerber aufgenommen, die sechs Monate Erfahrung in einer Küche vorzuweisen haben – und zwar in einer Küche, die mit frischen Zutaten arbeitet. Deshalb verstehen die Schüler schon etwas von ihrem Handwerk. Selbst dann, wenn sie es nicht zu Hause kennen gelernt haben. Das ist aber nicht alles, was ein guter Koch braucht. Grundkenntnisse in Geschichte, Mathe, Fremdsprachen, Hygiene, Warenkunde, Biologie, Chemie und Ethik sind ebenso wichtig. Ethik? Gigliotti holt ein abgegriffenes Buch aus dem Regal. Es handelt von Nachhaltigkeit. "Die meisten Leute hier sind Anfang 20", sagt sie, "die haben noch nicht viel gesehen. Und manche glauben allen Ernstes, dass Fleisch im Supermarkt wächst." Aber nicht lange. "Wir lehren sie, den Dingen auf den Grund zu gehen." Denn als Koch habe man Verantwortung, besonders, wenn man ausbilde.

"Nicht alles, was man essen kann, sollte auch gegessen werden", sagt Lynne Gigliotti. "Tierarten, die bedroht sind, werden hier nicht verarbeitet. Ich liebe Schwertfisch, aber er ist überfischt und deshalb vollkommen tabu." Hannah Loudin nickt zustimmend und fügt hinzu: "Man bevormundet uns hier aber nicht. Es geht lediglich darum, die Zusammenhänge zu verstehen." Gigliotti freut sich über das Kompliment – und wehrt es sogleich ab: "Na ja, ich weiß natürlich nicht, was die auf der anderen Seite des Atlantiks denken. Ich vermute, dass in Frankreich alle nur lächeln, wenn sie unseren Namen hören." Jeff Levine, Pressesprecher des CIA, kommt heran. Ach ja, die Franzosen. Er liebt das Thema nicht. Die Schüler des CIA kämen aus 16 Nationen, vor allem aus Asien, sagt er. Doch Europäer seien nur wenige dabei. Die machten ihre Lehre in der Regel in einem Restaurant. "Und aus Frankreich haben wir so gut wie nie Schüler." Die französische Kochkunst gilt vielen in den USA als das Maß aller Dinge. Da schmerzt es schon, wenn man ignoriert wird.

Als vor drei Jahren erstmals ein Guide Michelin für New York City erschien, kürten die Franzosen den Big Apple zur Stadt mit dem – zweitbesten Essen des Planeten. Hinter Paris. Die New Yorker Presse, offenbar ungeübt im Umgang mit französischer Weltsicht, reagierte gekränkt. Während sich die "New York Post" über die Wichtigtuerei eines Autoreifenherstellers lustig machte, schrieb die "New York Sun", dass New Yorker keinen "pingeligen Franzmann" benötigten, der ihnen sage, wo sie am besten essen gehen sollten.

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Lynne Gigliotti lächelt. Auch sie schätzt französische Küche mehr als französische Arroganz. "Aber eigentlich sollte es ja um etwas anderes gehen beim Kochen", sagt sie. Nicht um Rivalitäten, sondern um Teamgeist. Einzelkämpfer kämen in einer Küche nicht weit. Loudin assistiert: "Für Egos ist hier kein Platz." Was aber nicht heiße, dass es keine Konkurrenz gebe. Zwei Drittel der Schüler am CIA seien Männer – wie bei allen Ausbildungen, die gute Berufsaussichten verhießen. Gelegentlich, sagt Loudin, lasse man sie spüren, dass sie als Frau einer Minderheit angehöre. Manchmal habe sie abbrechen wollen. Doch die Karriere lockt. CIA-Absolventen, ob männlich oder weiblich, sind so begehrt, dass sie sich nicht einmal bewerben müssen. Im Durchschnitt erhält jeder Schüler drei Angebote für einen Chef-Posten. Zweimal im Jahr kommen Firmen auf den Campus, um sich (!) vorzustellen. Und welchem Bewerber wünscht Hannah nach ihrem Abschluss die Gunst ihrer Mitarbeit zu erweisen? "Puh", sagt sie. Und dann: "Ich mach erst mal Pause." Sie wird es sich leisten können.

Infos: zur Homepage des Culinary Institute of America

Text: Philipp Kohlhöfer<br/><br/>Fotos:Jürgen Frank

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