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Der Umwelt zuliebe nur noch Balkonien?

Die Umwelt schonen und Tourismus - ein Widerspruch an sich: Ein Spanien-Flug erzeugt genauso viel Treibhausgase wie ein Jahr Auto fahren. Müssen wir deshalb zu Hause bleiben?

Ich habe gerade ein interessantes Buch gelesen: Es heißt "Und tschüss! Was wir anrichten, wenn es uns in die Ferne zieht", geschrieben vom britischen Umweltjounalisten Leo Hickman. Eigentlich müsste dieses Buch den Untertitel tragen: "Vorsicht, macht schlechte Laune!" Denn Hickman hat es gewagt, unser aller liebstes und heiligstes Hobby anzugreifen: Das Reisen.

Klar, wir wissen, dass es klimatechnisch nicht unbedingt eine gute Idee ist, ständig mit dem Flieger um die Welt zu jetten oder auf künstlichem Schnee die Alpen runterzubrettern. Aber wenn es um meine Ferien geht, neige ich zu unheimlicher Ignoranz. Ich meine, hey, immerhin habe ich mir meinen Urlaub hart erarbeitet, die paar Tage im Jahr kann ich mich doch auch mal entspannen, ohne jeden Schritt zu hinterfragen. Das bisschen Reisen kann doch nicht so schlimm sein, oder?

Doch, ist es. Es ist sogar noch schlimmer. Leo Hickman ist für seine Recherchen um die halbe Welt gereist, er war in den Alpen, in Dubai, in Spanien, Thailand, Indien, Mexiko, Costa Rica und Florida - und überall musste er feststellen, dass die Tourismusindustrie ein furchtbares, stinkendes Übel ist.

Die Umwelt ächzt unter dem internationalen Tourismus

Natürlich meinen wir Urlauber es nicht böse. Aber das Problem ist: Wir sind verdammt anspruchsvoll. Ich habe keine Lust, wertvolle Urlaubstage mit Zugfahren zu verbringen, als nehme ich den schnellen Flieger. Ich verzichte im Andalusien-Urlaub nicht auf die tägliche Dusche - dabei hat Spanien bekanntermaßen ein Wasserproblem. Ich freue mich über klimatisierte Räume, beheizte Pools, Hotels mit Meerblick, weiße Skipisten. Ich liebe es, durch unberührter Natur zu stromern, ich lasse mich in Kanada im Motorboot zu den Walen bringen und renne stundenlang mit Tourigruppen durch den Wald, um einen Bären zu finden - kurz: Ich verbrauche Unmengen an Energie, Rohstoffen und Wasser und mache auch ansonsten alles mögliche, was der Umwelt nicht unbedingt gut tut.

Und ich bin ja nicht allein: Nicht nur die Menschen aus den westlichen Nationen, auch die Chinesen und die Inder haben mittlerweile entdeckt, dass Reisen Spaß macht. 2010 soll es über eine Milliarde internationale Touristen geben, 100 Millionen mehr als heute.

Bei einem solchen Ansturm tun sich selbst Gegenden schwer, die als vorbildlich in Sachen Ökotourismus gelten, zum Beispiel Costa Rica oder das indische Kerala. Auch dort stöhnen Umweltschützer bereits über wachsende Müllberge und eine bedrohte Flora und Fauna. Und dann die Frage: Was ist überhaupt "Ökotourismus"? Immer öfter werben Veranstalter mit dem Begriff, dabei gibt es gar keine allgemein gültigen Richtlinien dafür. Weltweit existieren laut Leo Hickman über 400 verschiedene Öko-Zertifikate, jedes hat seine eigenen Kriterien, seine eigenen Prüfstellen - herrje, ein furchtbares Chaos!

Das Schlimme ist: Nicht nur die Umwelt, auch die Menschen leiden. Man denkt ja immer: Wie schön, mit meinem Urlaub bringe ich immerhin ein bisschen Geld in ärmere Länder. Aber nix da: Von den Gewinnen haben nur einige wenige was. Der Massentourismus wird von internationalem Hotelketten bestimmt, die einheimischen Angestellten arbeiten oft zu Dumpingpreisen. Besonders krass ist das in Dubai, wo die Arbeiter, die auf den Hotel-Baustellen schuften, kaum Geld und kaum Rechte haben. Oder die boomende Kreuzfahrt-Branche: Was haben die Bewohner Jamaikas davon, wenn hunderte Kreuzfahrer für ein paar Stunden in ihre Insel einfallen, ein paar Souvenirs kaufen und dann schnell wieder auf ihrem All-Inklusive-Dampfer verschwinden? So gut wie nichts.

(Na, wie sieht's mit Ihrer Laune aus? Schon im Keller?)

Bye-bye New York, au revoir Madagaskar?

Natürlich denkt die Branche auch über Lösungen nach. Interessant finde ich etwa den Vorschlag, die Zahl der Touristen für gewisse Gebiete zu begrenzen und die begehrten Plätze zu verlosen. Allerdings verlangt das eine sehr aufwändige Organisation. Außerdem gibt es natürlich schon lange die Forderung, dass Flüge teurer werden und dass Flugzeuge mit mehr Auslastung und direkter fliegen (Erstaunlich: Würden die Flieger wie Vögel ihr Ziel direkt ansteuern und nicht ständig in Warteschleifen hängen oder bestimmte Lufträume meiden, könnten im Jahr bis zu 3,5 Millionen Tonnen Treibstoff gespart werden!)

Doch bis solche Maßnahmen umgesetzt werden, kann noch sehr viel Zeit vergehen. Die Industrie sperrt sich, wo es nur geht. Und was passiert bis dahin?

Wir dürfen weiterhin reisen - aber wir müssen anders reisen.

Kurz vor Ende des Buches war ich vollkommen deprimiert. Ich sah mich schon im Büßergewand meine künftigen Urlaube im verregneten Hamburger Sommer verbringen. Und all die Orte, die ich auf unserer Weltkarte schon mit imaginären "Unbedingt mal hinfahren!"-Fähnchen versehen habe, rückten in ungreifbare Ferne. Bye-bye New York, adeus Lissabon, au revoir Madagaskar ...

Doch zum Glück ist Leo Hickman ein optimistischer Mensch. Er sagt nicht: Wir dürfen gar nicht mehr reisen. Sondern: Wir müssen anders reisen. Es müsse selbstverständlich werden, dass ich mir genauso viele Gedanken über die Umweltfolgen meines Urlaubs mache wie über den Preis.

Darum habe ich eine kleine Checkliste gemacht, die mir vielleicht helfen wird, mich vom Ausbeuter-Touri zum Weltverbesserer-Touri zu wandeln. Vielleicht können auch Sie sie für Ihre nächste Urlaubsplanung brauchen:

Öko-Tipps für die nächste Reise

  • Lieber kleine Hotels und Restaurant besuchen als große Ketten, so haben die Einheimischen mehr davon. Am besten macht man sich vorher schlau, ob die Unterkünfte ethisch und ökologisch korrekt sind (z.B. unter www.vertraeglich-reisen.de oder im "Ethical Travel Guide" von der Organisation Tourism Concern).
  • Lieber seltener und dafür länger verreisen, statt jeden Monat woanders hinzujetten. Das Umweltnetzwerk Green Skies Alliance empfiehlt, nicht öfter als einmal im Jahr zu fliegen und alle drei Jahre ein flugfreies Jahr einzulegen. Viel getan wäre sicher auch schon, wenn die Menschen Kurzflüge vermeiden würden. Etwa die Hälfte aller Flüge innerhalb von Europa sind Reisen unter 500 km!
  • Und wenn es dann doch mal die Fernreise nach Australien sein muss - versuchen, die CO2-Verschwendungen wieder reinzuholen, etwa indem man weniger Auto fährt, mehr Energie spart etc. (Von CO2-Verrechnungen, wie sie zum Beispiel Atmosfair anbietet, hält Hickman eher wenig, da man nicht wirklich unter Kontrolle hat, was mit dem Geld passiert und da sie lediglich den Ausstoß neutralisieren, aber nicht verringern.)
  • Auch mal mit dem Reisebus in den Urlaub fahren. Denn der hat mit ca. 33 g CO2 pro Person und Kilometer eine noch bessere Umwelt-Bilanz als die Bahn (die viel Strom aus Atom- und Kohlekraftwerken braucht)
  • Besser auf Queen Mary 2 & Co verzichten. Kreuzfahrtschiffe sind mit einem Ausstoß von 0,43 kg CO2 pro Passier und Meile noch klimaschädlicher als Flugzeuge.
  • Sich besser benehmen im fremden Land. Zum Beispiel genauso darauf achten, Müll zu vermeiden oder Strom und Wasser zu sparen wie zu Hause.
  • Sich überlegen, ob man Bär und Wal wirklich so dicht auf den Leib rücken muss. Naturfilme sind auch schön!
  • Umweltschädliche Sportarten wie Skifahren (vor allem "Freeriding" quer durch den Wald) meiden. Vielleicht können Sie einen Anfang machen, indem Sie sich vor Ihrem nächsten Skiurlaub erkundigen, welche Orte besonders viel für die Umwelt tun, zum Beispiel unter www.alpine-pearls.com
  • Und zu guter Letzt: Leo Hickmans Buch lesen. Auch wenn es erstmal schlechte Laune macht.
Foto: Getty Images

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