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Komm, erzähl mir mehr. . .

Wer eine Reise nach Südafrika beginnt, sollte nicht nur schauen, sondern auch hören. Es ist voller Mythen und Geschichten. BRIGITTE WOMAN-Autorin Franziska Wolffheim hat gebannt zugehört.

Unser Reiseführer heisst Sithembiso Geoff Foster. Sithembiso ist nicht irgendein Vorname, sondern bedeutet Versprechen. In Südafrika, das lerne ich schnell, hat vieles eine zweite Bedeutung, einen tieferen Sinn. Früher war Sithembiso mal Lehrer, heute arbeitet er im Tourismusgeschäft, telefoniert viel auf seinem Handy und zeigt stolz die eingespeicherten Fotos seiner Tochter. Er verspricht, gut auf uns aufzupassen auf unserer Reise durch die Ost-Kap-Provinz, die von Touristen eher selten besucht wird und wo die Küste wild und wunderschön ist.

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Wo man auf Entdeckungsreise gehen kann. Wo es aber auch, wie überall in Südafrika, Kriminalität gibt, Überfälle und man bei Anbruch der Dunkelheit besser nicht allein durch bestimmte Viertel und Townships gehen sollte.

Vor allem aber verspricht Sithembiso uns, einer kleinen Reisegruppe aus Deutschland, Geschichten. Geschichten aus einem Land, in dem es so viele Mythen und Legenden gibt wie Sterne am Himmel. Die häufig wunderbar funkeln, weil sie voller Poesie sind. Die manchmal auch garstig und gemein sind, weil sie ein böses Ende nehmen. Kaum ein Baum, ein Tier, eine spektakuläre Felsöffnung, die nicht mit irgendeiner Geschichte verflochten sind.

Eine Reise nach Südafrika ist immer voller Geschichten

Geschichten, die immer wieder mit Schöpfungsmythen zu tun haben. In denen es zum Beispiel um die Sonne geht, die bei den San, den Ureinwohnern Südafrikas, zunächst ein Mann war. Sobald er die Arme in die Luft hob, strahlte aus seinen Achseln Licht. Als er aber alt und schwach wurde, hoben Kinder seine Arme hoch. Eines Tages schleuderten sie ihn in den Himmel, wo er seitdem als Sonne erscheint.

Sithembiso macht es wie jeder gute Geschichtenerzähler: Er gibt nicht gleich am Anfang alle seine Schätze preis. "Als ich Kind war, hat meine Mutter mir vor dem Einschlafen immer Geschichten erzählt. Ihr werdet viele davon hören. Aber eine sehr persönliche Geschichte erzähle ich euch erst am Ende." Er lächelt ein bisschen maliziös, und wir wissen sofort: Es ist völlig zwecklos nachzubohren. Wer erzählt, hat Macht. Wer zuhört, lässt sich tragen, ohne viel nachzudenken, das ist wie Rückenschwimmen auf dem Meer.

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Die erste Geschichte ist ein Glücksversprechen.

Sithembiso erzählt davon in Port Elizabeth, wo unsere Tour beginnt, einer Hafenstadt mit Industrieanlagen, die aber im Zentrum hübsche viktorianische Häuser und ein eindrucksvolles Rathaus hat. Die großen Strände liegen gleich um die Ecke. Sithembisos Geschichte hat mit dem Korallenbaum zu tun. Wir sehen die leuchtend roten Blüten schon von Weitem, auf dem Weg ins Stadtzentrum, und ich muss an heute Morgen denken, als ich am Meer entlanggejoggt bin: Ganz langsam erhob sich die Sonne aus dem Wasser, erst war sie nur eine Orangenscheibe und dann ein Feuerball, der ganze Himmel stand in Flammen. Ich habe mir vorgestellt, dass der Sonnen- Mann gerade seine Arme in die Höhe streckt und dabei in einen Farbrauschgerät.

Sithembiso zeigt auf den Boden, wo rote Samenkugeln liegen, die der Korallenbaum abgeworfen hat. "Bei uns werden sie Glücksbohnen genannt. Steckt eine davon in die Tasche, und morgen werdet ihr reich sein oder sonst wie Glück haben. Das glauben zumindest die Menschen hier." Ich versenke eine Bohne in der linken und eine in der rechten Jackentasche - doppelt hält besser. Sie sollen mein Talisman sein. Zumindest solange ich in Südafrika bin, werde ich daran glauben. Unser nächstes Ziel trägt den schönen Namen Pumba: ein privates Wildreservat, das Safaris anbietet, nicht weit von der vik torianischen Stadt Grahamstown. Die Fahrt zieht sich. Die Landschaft ist überwiegend karg, viele Kakteen, magere Kühe, zwischendurch vereinzelt Olivenbäume, Orangen- und Zitronenplantagen. Manchmal tauchen auch Aloe-Pflanzen mit langen roten Blüten auf, wie große Kerzen sehen sie aus. "Wollt ihr eine Tiergeschichte aus der Region hören?", fragt Sithembiso. Klar. "Sie spielt in einem Nationalpark in der Nähe von Grahamstown und handelt von einem aggressiven Elefanten-Boss."

Die Geschichte von Hapoor, dem einsamen Elefanten

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Hapoor war 24 Jahre lang der legendäre Chef einer Elefantenherde im Addo Elephant Park. In einem Ohr hatte er eine Kerbe, weil er mal einen Gewehrschuss von einem Jäger abgekriegt hatte, einige seiner Familienmitglieder wurden sogar getötet. Seitdem hegt Hapoor einen tiefen Hass gegenüber den Menschen. Aber auch gegenüber seinesgleichen kann Hapoor sehr aggressiv werden, in einem Rangkampf tötet er einen jungen Bullen. Zum weiblichen Geschlecht ist er jedoch freundlicher: Einer kranken Elefantenkuh, die von Ranchern angeschossen worden war, gibt er mit seinen Stoßzähnen den Gnadenstoß. Eines Tages aber, 40 Jahre ist das her, wird Hapoor von dem stärksten Jungbullen der Herde in einem Kampf besiegt. Daraufhin entwickelt sich der 44 Jahre alte Elefant zum Einzelgänger. Er setzt über den Zaun des Parks hinweg, der eigentlich als vollkommen sicher galt. Ein Parkwächter erschießt daraufhin den Elefanten, der zu gefährlich, zu unberechenbar geworden war. Hapoors Schädel hängt heute im Restaurant des Addo Elephant Park.

Als Sithembiso fertig ist, sagt er: "Elefanten sind normalerweise Herdentiere. Ihr müsst keine Angst haben, dass im Pumba plötzlich ein einsamer Nachfahre Hapoors vor euch steht." Ist Hapoors Geschichte eigentlich wahr oder erfunden? Sithembiso grinst. In meinem Reiseführer steht, es sei eine Legende. Eine von vielen im Land der Geschichtenerzähler. Früher, lese ich, waren es häufi g die Stammesältesten, die Storys erzählten, bei den Zulu oder Xhosa oft auch die Frauen. Musik und Tanz gehörten bei der Vorstellung dazu. So gingen die Geschichten von Mund zu Mund, bis im 19. Jahrhundert Missionare eine Reihe davon aufschrieben. Gern würde ich eine Zeitreise zurück zu den tanzenden Dichtern machen - wirklich schade, dass das selbst mit magischen Bohnen in der Tasche nicht klappt.

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Sie tröten und grunzen, planschen und spritzen.

Man könnte denken, die Elefanten feierten eine große Wasserparty und seien ziemlich beschwipst. Wir sind im Pumba- Wildreservat, einer Anlage mit strohgedeckten, luxuriös eingerichteten Bungalows, versteckt inmitten von Wald, Grasland, dichtem Gebüsch und einem See. Es ist schon dämmerig, die Sonne geht hinter der lang gezogenen Bergkette unter. Von zwei Elefanten sind nur noch Kopf und Rüssel zu sehen. Schließlich richten sie sich im Wasser auf und gehen langsam zurück ans Ufer. Plötzlich ist es ganz still, die Wellen glätten sich, und die Elefanten stehen unbeweglich am Ufer, graue Felsen in der Dämmerung. Als ich an der Rezeption meinen Schlüssel abhole, sagt die Angestellte: "Sie dürfen nachts nicht allein Ihr Haus verlassen, das ist zu gefährlich. Die Löwen kommen manchmal sehr nah heran. Wählen Sie die Nummer 2000, und jemand holt Sie ab."

Eine Stunde später ist es stockdunkel. Für heute Abend ist eine Nacht-Safari geplant. Ich wähle die Nummer 2000, und wenig später kommt mein Begleitservice. John, der Ranger, begrüßt uns. Wir tuckern los, in dicke Wolldecken gehüllt, über staubige Wege. Über uns der Sternenhimmel, der Mond eine zarte Sichel. John lässt einen großen Scheinwerfer kreisen. Wir sehen Kudus, Stachelschweine, Zebras, jedes Tier sieht aus wie ein prächtiges Gemälde.

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"Ich möchte euch gern ein Löwen-Pärchen zeigen", flüstert John, "mein Gefühl sagt mir, dass es ganz in der Nähe ist." Vielleicht helfen uns jetzt die Glücksbohnen, denke ich. Wenig später taucht im Schweinwerferlicht ein Löwen-Paar auf, friedlich lagert es zwischen den Büschen. Der Löwe mit großer Macho-Mähne leckt sie hingebungsvoll mit seiner langen Zunge, sie hat die Augen halb geschlossen, es scheint ihr zu gefallen. Nach einiger Zeit stehen die beiden auf, kommen langsam auf unseren Wagen zu, und mir ist etwas unbehaglich zumute. "Don't worry", sagt John, und in dem Moment drehen die Tiere schon wieder bei und setzen ihre Lock- und Leckspiele fort. Romeo und Julia im Busch, unter blitzenden Sternen - ich könnte ihnen stundenlang zusehen.

Zurück im Hotel blättere ich vor dem Einschlafen in einer Sammlung afrikanischer Märchen, auf der Suche nach einer Löwengeschichte. Und stoße auf "Bescherung bei König Löwe".

Die Geschichte vom Löwen, der Geschenke verteilt

Der Löwe feiert ein Fest und lädt alle Tiere zu sich ein. Dem Leoparden schenkt er einen getüpfelten Anzug, dem Zebra eine gestreifte Jacke, der Giraffe einen langen Hals. Die Elefanten bekommen lange Nasen und die Hyänen das lauteste Lachen, das je im Busch gehört worden ist. Am Ende sind alle Geschenke verteilt und die Gäste von König Löwe glücklich. Fast alle. Zwei von ihnen gehen leer aus: die alte Schildkröte mit ihrem Hornpanzer und der Frosch, der völlig nackt im Wasser schwimmen muss. Nur nachts, wenn es dunkel ist, traut er sich noch an Land.

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Einen Moment denke ich über den armen Frosch nach, dann fallen mir die Augen zu. Ich träume, dass ich ebenfalls bei König Löwe eingeladen bin. Er ist sehr freundlich und schenkt mir eine Stola aus bunten Federn. Als es Zeit ist, Abschied zu nehmen, sagt er: "Du wirst doch jetzt nicht so feige sein und die Nummer 2000 wählen, oder? Guten Heimweg." Ich schüttele beklommen den Kopf. In dem Moment wache ich von einem lauten Grunzen auf. Ich gehe zum Fenster und sehe zwei Elefanten, die in der Morgendämmerung am See trinken.

"Wamkelekile!" Die Frau schleudert mir den Willkommensgruss entgegen wie eine Gewehrsalve.

Sie spricht Xhosa, eine der elf Amtssprachen Südafrikas, mit vielen lustigen Klick- und Schnalz - lauten. Wir sind in Joza, einer Township von Grahamstown - Kontrastprogramm zum Buschabenteuer. Blechhütten, baufällige Häuser, herumlungernde Arbeitslose, streunende Hun de, aber auch ein paar bunt angemalte Häuser, die solider aussehen.

Esther Ndukweni, die uns in dem schlichten Township-Haus begrüßt, arbeitet für ein Gemeindeprojekt: Mit anderen Frauen kocht sie für kleine Gruppen, häufig Touristen, und bestreitet so ihren Lebensunterhalt. Und sie erzählt leidenschaftlich gern Geschichten - "nach dem Essen", sagt die 57-Jährige und klatscht in die Hände. Auf dem Tisch stehen mehrere Schüsseln: Isigwamba - der Xhosa-Name für Klöße aus Kohl, Spinat und Reis -, Möhren, Knödel, ein bisschen Lamm. Alles sehr schlicht, aber schmackhaft. "Wollen Sie jetzt die Geschichte von dem Vogel hören, der Milch kacken kann?"

Die Geschichte vom Vogel, der Milch gibt

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Esther lacht schallend. Sie stellt sich mitten in den Raum und fängt an zu deklamieren, mit tausendundeiner Geste und wechselnden Grimassen, sie muss Unmengen von Gesichtsmuskeln haben. Ich verstehe zwar kein Wort, aber die Vorstellung ist großartig. Am Ende übersetzt Sithembiso für uns.

Ein Vogel setzt sich auf die Hand eines armen Mannes und sagt: "Füge mir keinen Schaden zu, denn ich kann Milch geben." Der Mann nimmt ihn mit nach Hause. Dort setzt seine Frau ihn in einen Melkeimer, und bald ist der Eimer voller Milch. Zufrieden trinken beide davon. Dann befehlen sie ihren Kindern, den Vogel nicht anzurühren, und gehen zur Arbeit aufs Feld. Die Kinder jedoch nehmen den Vogel hoch, und er sagt: "Setzt mich in den Kral." Das tun sie - und er fliegt davon. Als die Eltern zurückkommen, geben die Kinder alles zu. Ihr Vater bindet ihnen Stricke um den Hals und hängt sie über einem Fluss an zwei Ästen auf. Die Stricke aber reißen, die Kinder fallen ins Wasser und versinken in der Tiefe, wo sie in Flussgötter verwandelt werden.

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"Diese Geschichte kennt hier jedes Kind", sagt Esther. Sie selbst hat sie von ihren Großeltern gehört, jetzt erzählt Esther sie ihren zwölf Enkeln weiter. "Die alten Leute kommen bei uns nicht ins Heim, sondern bleiben in den Familien. Mit ihnen bleiben auch die Geschichten." Einige dieser Geschichten führen zu den Ahnen zurück, die in Südafrika überall verehrt werden. Und die, so der Glaube hier, in Träumen zu ihren Verwandten sprechen. Zum Abschied gibt Esther jedem dreimal die Hand, immer anders verschränkt, das sei so Brauch hier, meint sie. Ich sage "enkosi", danke, und bemühe mich, das "k" knallen zu lassen wie einen Sektkorken. Später, im Bus, muss Sithembiso sich ein ohrenbetäubendes Schnalzkonzert anhören. Wann erzählt er uns eigentlich die versprochene Geschichte? "Bald", sagt Sithembiso. Viel Zeit haben wir nicht mehr. Erzähl-Schulden sind wie Spielschulden, denke ich, es ist eine Frage der Ehre, sie zu begleichen.

Als wir am letzten Morgen sehr früh aufstehen, um zum Flughafen von East London zu fahren, ist es noch dunkel. Sithembiso döst im Bus vor sich hin. Als er plötzlich laut gähnt, nutzen wir die Gelegenheit: Was ist mit der Geschichte? "Also gut, versprochen ist versprochen." Sithembiso richtet sich auf und erzählt.

Die Geschichte vom glücklichen Kind

Als meine Eltern jung waren, wurden sie mehrfach von Unglück heimgesucht. Ihr erstes Kind war eine Totgeburt. Das zweite ist kurz nach der Geburt gestorben. Ich bin als drittes Kind gekommen. Damit nicht wieder ein Unglück passiert, sollte ich Sithembiso heißen, als Versprechen für bessere Zeiten. Mein Großvater hatte sich den Namen ausgedacht, das ist bei uns so üblich. Das Versprechen hat sich tatsächlich erfüllt: Ich blieb gesund, und nach mir sind noch zwei Kinder gekommen, meine jüngeren Brüder. So ist das Unglück aus meiner Familie gegangen.

"Jetzt kennt ihr die Geschichte", sagt Sithembiso. Für mich ist das, was er erzählt hat, eine anrührende Geschichte, für ihn wahrscheinlich ein großes Wunder. Ob er wirklich an den Namenszauber glaubt? Hier, in diesem Land, das habe ich gelernt, kann Glaube Berge versetzen. Draußen wird es allmählich hell, der Himmel färbt sich zartrot. Und der Mann, der die Sonne ist, hebt langsam seine Arme.

Reise-Info

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Der Veranstalter Gebeco bietet literarische Reisen nach Südafrika an, zum Beispiel im September und November. Die 16-tägige Tour startet in Johannesburg und geht über Pretoria, Krüger-Nationalpark, Swaziland, Drakensberge weiter nach Port Elizabeth, Knysna und Kapstadt. Ab 3695 Euro, inklusive Flügen, Übernachtungen, Verpflegung.

Ganzjährig gibt es auch viertägige Anschluss-Arrangements im Wildreservat The Ant's in der Waterberg-Region oder in Grahamstown bzw. im Kwandwe Game Reserve in der Ost-Kap- Provinz. Ab 1295 Euro. Buchungen im Reisebüro oder über www.gebeco.de

Auskunft: South African Tourism Friedensstr. 6-10 60311 Frankfurt Kostenfreie Service-Nummer: 0800/ 118 91 18 Fax 069/ 28 09 50 www.southafrica.net www.dein-suedafrika.de

Tägliche Nonstop-Flüge nach Südafrika ab Frankfurt und München mit South African Airways unter www.flysaa.com oder beim SAA Service Center unter Tel. 069/29 98 03 20

Zur Vorbereitung: "Mythos Afrika. Literarische Route". Info-Broschüre als PDF zum Herunterladen unter www.literarische-route-suedafrika. dewww.mythos-suedafrika.de

Text: Franziska Wolffheim Fotos: Eva Häberle

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