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Mit den Wellen tanzen

Portugal mit dem Rad erkunden: An der Westküste stärkte BRIGITTE WOMAN-Mitarbeiterin Astrid Joosten ihre Muskeln und ließ ihren Gedanken freien Lauf.

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Wellen. Sie donnern an die Klippen. Sie drängen in die Felsbuchten. Sie rollen über den Sand. Wild tanzendes Wasser, froh, endlich anzukommen, nachdem es Jahre übers Meer gezogen ist. Ich halte mein Fahrrad fest und blicke das Kliff hinunter. Wenn die Wellen auf mich zukommen, spüre ich ganz fein die Gischt auf meinem Gesicht. Wenn die Wellen wegrollen, bleibt ein Rauschen in meinem Bauch zurück.

"Hast du jemals aufs Meer geschaut und keine Wellen gesehen?" José schüttelt den Kopf. Wir stehen auf einer Felszunge, 45 Meter über dem Tosen. Vorsichtig schieben wir die Räder bis ans Ende des Cabo Sardão. Ein Fischerboot dümpelt auf dem Atlantik. Eine Möwe fliegt über unseren Köpfen, ihr Schatten huscht über die Steilkante. An der endlos langen Küste weht eine Brise und lässt einen kühlen Hauch auf unseren Armen zurück. "Wo das Land endet und das Meer beginnt", hat der Dichter Luís de Camões vor einem halben Jahrtausend geschrieben, "da liegt Portugal." Ans Meer fahren. Am Meer fahren. Vor zwei Tagen sind wir aufgebrochen, um mit dem Rad durch den Südwesten der Iberischen Halbinsel zu ziehen. Von Sines im Alentejo nach Lagos an der Algarve, immer nahe der Küste, immer Richtung Süden, 280 Kilometer in sechs Tagen. "Ist das zu schaffen, José? Wie viele Berge liegen auf der Strecke?" Unsicher gucken wir am ersten Morgen auf die durchtrainierten Beine unseres Tourmachers und sein gelbes Trikot. "Wir wollen die Reise genießen und kein Radrennen veranstalten", sagt José Neves und lächelt aufmunternd in die Runde. Doch Martha justiert sicherheitshalber die Polster ihrer Radlerhose, Maria stellt ihren Pulsmesser ein, David zieht sich seine Fahrradschuhe mit Spezialsohle an. "Wo sind die Drogen?", fragt Gregor, der BRIGITTE WOMAN-Fotograf. Alle lachen. José verteilt die Trekking-Bikes: "Das wird euer Zuhause sein für die nächste Zeit."

Fotoshow: Portugals Südwesten

Manche sagen, Fahrrad fahren ist, wie auf einer Insel zu leben. Die Pedalen tretend entfernt man sich vom Rest der Welt. Die Kette der Gedanken hört auf zu rattern. Der Kopf wird frei, nichts ist mehr wichtig. Wir sind Inseln, die immer redseliger werden, je länger wir uns durch das Land bewegen. Hast du die große Korkeiche gesehen? Ein Maulesel. Und da, die alte Windmühle. Liegt es daran, dass wir Berufe haben, die uns weder zum Radfahren noch zum Schweigen bestimmen? Maria z. B. ist Finanzberaterin, David Anwalt und Martha Psychotherapeutin. Großstadtmenschen, insgesamt drei Frauen und fünf Männer zwischen 34 und 57 Jahre alt, die sich den Alltag aus dem Körper strampeln, neuen Schwung sammeln wollen. Und neugierig sind auf Portugal - fast alle sind das erste Mal im Land.

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Ein tiefes Tal tut sich vor uns auf. In Serpentinen geht es die Hänge hinunter. "Bremsen", ruft José vor jeder Kehre. Ich checke meinen Computer am Lenker: 47 Kilometer die Stunde. Wow, so schnell war ich noch nie auf dem Rad. Durch den Canyon schlängelt sich ein Fluss. Das blau glitzernde Band des Ribeira de Aljezur, gesäumt von Sandbänken. "Hey, ist das schön", Martha strahlt im Fahrtwind. Es riecht nach Rosmarin und nach den harzigen Blättern der Zistrosen, die Parfümeure für ihre edlen Essenzen benutzen. Ich entdecke Lavendelblüten zwischen den Büschen, stoppe kurz und pflücke einen Stängel, um ihn an meinen Lenker zu stecken.

Auf der anderen Seite des Tals steigt eine Hügelkette an. Eine Pinie reiht sich an die andere. Am Horizont die Silhouette einer Festung, des Castelo Aljezur. Ein Autofahrer winkt uns enthusiastisch durch das offene Fenster zu. "Fahrrad fahren ist bei uns nicht sehr populär", meint José, während wir zurückwinken. Wer sich auf einem Alurahmen und aus eigener Kraft durchs Land bewegt, genießt die Bewunderung der Menschen. Nur ein einziges Mal werden wir auf unserer Tour einem anderen Radfahrer begegnen. Einem alten Mann, der mit seiner Angel auf dem Rücken vom Fischen kommt und zurück in sein Dorf fährt.

Wir Pioniere arbeiten uns den Berg zum Castelo hoch. Mein Gesicht glüht, mein Atem rast. Die Gedanken drehen sich im Kreis. Wie hoch ist der Berg? Keine Ahnung. Wie viele Meter noch? Endlos viele. Steht da nicht gerade eine Bank im Schatten? Egal. Eine Frau hockt im offenen Fenster ihres Hauses und putzt die Scheiben. "Bom dia", grüßt sie. Das Blut pocht so laut in meinen Ohren, dass ich ihre Stimme kaum höre. Ich starre auf Josés Hinterrad, als könnte es mich den Berg hochziehen. "Das brennt alles aus dir raus", ächzt David genüsslich neben mir. Jaaa. Oben vor dem Kastell steige ich ab und warte, dass ich meine Beine wieder spüre. Mächtige Felsquader, aufgeschichtet zu Mauern und Wehrtürmen, die Festung ist eine Ruine aus der Zeit der Araber. Ich klettere in den grasbewachsenen Hof und blicke bis zum Horizont, wo Meer und Himmel in einem diffusen Blau ineinanderfließen. Rau ist das Land vor der Küste, wie von Wind und Sonne gegerbt. Macchia bedeckt die Erde.

Manchmal kommen wir an Feldern vorbei, auf denen ein paar Kürbisse und Kartoffeln wachsen. Eine grün schillernde Libelle fliegt in unsere Richtung, eine Zeitlang sause ich neben ihr her. Ich bin erstaunt, wie still es ist um uns herum. Vielleicht ist es die Stille, die unsere Reise ganz besonders macht. Nichts kracht, dröhnt, lärmt, wir sind weit weg vom Einerlei der Töne. Ein Naturpark erstreckt sich von Sines bis kurz vor Lagos - eine Oase im touristischen Süden. Leise surren wir auf den Fahrrädern voran. Und machen einen Bogen um eine vertrocknete Schlange, die aufgeringelt auf dem Sandweg liegt. Staub. Staub auf den Füßen, die in Sandalen stecken. Staub auf den Händen. Staub auf Wasserflaschen und Sonnenbrillen. So stehen wir jeden Abend vor einem anderen Hotel.

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Heute begrüßt uns Georgina Jacinta Silva vor ihrem Landhaus. Auf dem Dach der "Casa Monte João Roupeiro" ragen spitz zulaufende Schornsteine in den Himmel, die an Kirchtürme erinnern. Grillen zirpen in der lauen Luft, und es duftet nach Essen. Georgina zeigt uns die Zimmer. David klackert mit den Metallplatten unter seinen Fahrradschuhen über die Terrakottaböden wie Fred Astaire.

Ich setze mich kurz auf mein schmiedeeisernes Bett. Streiche mit den Händen über die dicken Wände, die die Hitze aussperren. Mit ihrer Tante Rosa hat Georgina uns ein Fünf-Gänge-Menü gekocht. Die Tante holt den Fisch vom Grill, Rotauge, Josés Lieblingsfisch. Georgina bringt die Suppe, das Filet vom schwarzen Schwein, die hausgemachte Chouriço, mit viel Paprika gewürzte Wurst. "Das ist nichts Besonderes", meint unsere Wirtin bescheiden, als sie unsere entzückten Mienen sieht. "So koche ich auch für meine Familie." Wir brauchen zwei Stunden, um die Berge an Essen zu bewältigen.

Nur Max, unser Computerspezialist, steht zwischendurch auf und verschwindet für eine ganze Weile. Ein Kunde hat Probleme mit der Software, Max hängt am Telefon fest. Kurz zieht sich mein Bauch zusammen, als ich an die Haufen unerledigter Arbeit auf meinem Schreibtisch denke. Da kommen Tante Rosa und Georgina mit der Tarte da natas, Sahnekuchen, und einer Karaffe Portwein. Wir essen und reden dabei so laut, dass Georginas Katze den Schwanz einzieht und in den Garten flieht.

Kaum einer erzählt von zu Hause auf unserer Tour. Als wäre es ein ungeschriebenes Gesetz. Auch so wird der Kopf wieder frei. Frei für Szenen, die am Fahrrad vorbeiziehen. Ein Schwarm Störche am Himmel. Ein Hirte zwischen seinen Ziegen. Die meterhohen Agavenblüten. Verschlafene Dörfer, in denen höchstens mal eine alte Frau in Blümchenschürze um die Ecke schlurft oder in ihrem Vorgarten steht.

Die Gegend wird immer hügeliger, je weiter wir in den Süden kommen. Macht nichts, unsere Beine haben sich in der kurzen Zeit kräftigere Muskeln zugelegt. Routiniert arbeiten wir uns die Hänge hoch, im "Granny-Gang", wie José das kleinste Zahnrad nennt. Meistens radeln wir auf Asphaltstraßen, nur nahe der Küste holpern wir auf schmalen Wegen über Kieselsteine oder surfen durch Puderzuckersand.

"Wo gehst du sonst biken?", fragt mich Maria. Sie ist erstaunt, als ich ihr sage, dass ich nur zum Einkaufen oder um Freunde zu besuchen aufs Rad steige - und trotzdem die Berge hochkomme. Maria ist die Sportlerin in unserer Gruppe, sie fährt Mountainbike, joggt und wandert viel. Am Strand liegen? Wie langweilig. Das finde ich auch. Ich bin kein bisschen neidisch, wenn ich in einer der vielen Buchten am Meer ein Pärchen sehe, das faul unterm Sonnenschirm döst. Ich denke an die Tage, die noch vor uns liegen. An die Algarve, wo die Felsen an der Küste bizarre Bögen schlagen und Grotten bilden. Wo jede Menge Delfine im Meer leben, bei Sagres wollen wir sie besuchen. Da hebt José die Hand, alle stoppen. Unser Tourmacher holt das Werkzeug aus der Tasche - David hat einen Platten.

Hinter Vila do Bispo wird das Land plötzlich flach, als hätte es alle Lust verloren, sich hübsch zu machen. Rissige Erde, vertrocknetes Gras - Niemandsland, kahl und trist. Die Straße ist so steinig, dass mir die Knie weh tun und das Rad vibriert. Endlich, das Cabo de São Vicente, der südwestlichste Zipfel Europas.

Die rote Kuppel eines Leuchtturms glänzt in der Sonne. Der Ozean schimmert im Abendlicht. Die Wellen krachen gegen die Küste. Wir stehen stumm an der Kante des Kliffs, auf der anderen Seite des Atlantiks Amerika. So etwas wie Unendlichkeit liegt in der Luft. Wo ist das Ende der Welt und wo der Anfang?

Reise-Info: Radtour in Portugal

Fahrradtour in Portugal: Die Reise wurde gebucht bei Olimar Reisen (Tel. 02 21/20 59 04 90, Fax 20 59 04 99, www.olimar.com/pedalritter). Acht Tage, davon fünf Tage auf dem Rad, kosten ab 1280 Euro. Flüge, Übernachtung, Verpflegung, Gepäcktransport sind im Preis enthalten, Mietfahrräder gibt es ab 100 Euro extra. Abreise jeden Samstag, sofern sich mindestens vier Teilnehmer anmelden.

Buchtipp: "Portugal" aus der Reihe Dumont Richtig Reisen, mit vielen Infos über Land und Leute und schönen Fotos (22,95 Euro).

Text: Astrid Joosten Fotos: Gregor Lengler

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